Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

DOI Heft:
Nummer 11
DOI Artikel:
Galland, Georg: Pseudo-Idealismus, [2]
DOI Artikel:
Schmidkunz, Hans: Aus dem nationalen Kunstgewerbe, [1]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0191

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Nr. H

Die Run st-Halle

s63

typus des Rubens von Anfang an nur die objektive
Wahrheit eines damaligen Modells gewesen, so hätten
wir dem unbedingt auch in den Werken Anderer
begegnen müssen. Gewiß, der Typus war unvoll-
kommen, noch unreif im Volke des Künstlers schon
vorhanden. Dessen unbändige Lebensfreude aber
hat ihu ideal gesteigert, hat diese strotzende, leuchtende
Fleischesschönheit geboren, wie Jupiter ja die vollen-
detste Göttin, Pallas Athene, aus seinem Haupte ge-
bar. Und die Fülle der Phantasiegestalten des
Rubens hat endlich die vlämische Natur äugen'
scheinlich befruchtet. Das erscheint wunderbar; doch
ich glaube, das Göttliche, die Zeugungskraft des
Genies hat stets so gewirkt. Dieses herrliche
Steigerungsvermögen der Künstlerphantasie spielt
offenbar die ästhetische Rolle im Haushalt der Natur,
ist dazu berufen, die Schönheitssorm des Menschen-
geschlechts fort und fort zu entwickeln. phidias
konnte einst die nach körperlicher Vollendung
drängende Natur der althellenischen Rasse befrie-
digen, wie van Dyck es vermochte, der Vornehmheit
der englischen Hofgesellschaft Karls I. den Adel har-
monischer Eleganz zu scheuten. Der Idealismus
Raffaels hat den Linienschwung der jugendlichen
Form, Lionardo den schämigen Liebreiz des Mädchens,
Michelangelo die Muskelkraft des Maunes, Rem-
brandt den Zauber des Helldunkels, Böcklin die Poesie
des Farbenlebens in der Natur und Andere haben
Anderes gesteigert. In allen Fällen aber sind die
Keime, die Vorbedingungen für den Idealismus
in der eigenen Umgebung jener Meister nachweisbar.
Er ging im Ursprung wenigstens aus deren heimat-
lichem Milieu hervor. Fand er hier keine Nahrung
zu kräftigem wachsthum mehr, so suchte der Trieb
zum Idealeu sie wohl auch anderwärts, ohne daß
deshalb der künstlerischen Sache die Treue verletzt
wurde. Die großen Idealisten früherer Epochen
haben stets nur die zeitgemäße Sehnsucht, die im
Schoße ihrer Natiouen verborgen ruhte, an's Tages-
licht gezogen und endlich erfüllt.
Das bedeutet also, daß wir, die wir als volks-
thümliche Gestalten des Jahrhunderts etwa einen
Goethe, Blücher, Rauch, Jahn, Bismarck, Helmholtz
u. A. kennen, von unfern heimischen Idealisten
ganz andere Phantasiegestalten erwarten, als z. B.
die von den alten holländischen Meistern abgeleiteten
Typen. Die waren einst zwar die rechten Ideale
des niederländischen Geusenthums, eines derben,
rauhen, mißachteten kleinen Volkes, dessen historische
Thaten uns wirklich noch ergreifen. Unser Volk darf
dagegen heute wohl aus Typen willensstarker, edler
und kraftvoller Männlichkeit und ihr ebenbürtiger
Weiblichkeit Anspruch erheben, und die Künstler, die
solchem Recht entgegenwirken, sind schlechte Erzieher
ihres Volkes. Es scheint nun, als habe jener Vor-
schlag „Rembrandt als Erzieher" neuerdings eher
verwirrend als ausklärend gewirkt. So vergißt man,

daß z. B. Rembrandts Bibelschilderung, die Thristus
als „König der holländischen Geusen" feiert, innig
zusammenhängt mit den Folgen der furchtbaren Be-
lagerung und der wunderbaren Rettung Leidens,
dessen Bürger damals von einer kontemplativen
Frömmigkeit ergriffen wurden. Heute entspricht diese
„volksthümliche" Auffassung der Bibellegende weder
den religiösen Empfindungen der untern noch der
obern Stände mehr.
Tizian's Kolorit beruht wie Michelangelo's
Zeichnung auch bekanntlich aus den verschieden-
artigen Traditionen ihrer venetianischen bezw. floren-
tinischen Kunst. Tintoretto aber, der beides ohne
Rücksicht vereinigen wollte, mußte scheitern. Neuer-
dings hat F. von Uhde, dem analogen Prinzip
folgend, die Bibelschilderung nach Rembrandt's Vor-
bild gewählt und mit der Koloristik gewisser moderner
pariser zu verbinden gesucht — Vielen zu Dank, die
da vor allem ihr Interesse für die sozialen Fragen
berührt sahen. Ls srägt sich aber wohl, ob die
Kunstgeschichte solche Verbindung zweier heterogenen
Kunstarten als einen Gewinn, als künstlerisches plus
küustig bezeichnen wird. Denn Rembrandt's Kunst-
art repräsentirt doch eine völlig in sich geschlossene
Schönheit; die radikale Wandlung seines eigenthüm-
lich poetischen Lichtmotivs in kühles pleinair beraubt
die Schilderung offenbar eines erheblichen Theiles
ihrer Idealität. Das muß einmal ehrlich gesagt
werden — zu einer Zeit, die ein sichtliches Vergnügen
daran findet, Künstlern mit geschickt konstruirter
Originalität oder Individualität die Palme des
Genies zu reichen, einen Samberger für einen größe-
ren Lenbach, einen Liebermann für einen deutschen
Millet, einen Uhde gar für einen zweiten Rembrandt
zu erklären.
Ms <Iem
nationalen Mnstgewerbe.
Von Vr. Hans Schmidkunz.
_, (Nit Illustration.)
as wir seit etwa einem Vierteljahrhundert
in Deutschland von neuartigen Leistungen
der bildenden Künste gesehen haben, mag
noch so werthvoll sein und noch so verdienstliche Keime
von Nationalem in sich tragen: wir müssen trotzdem
gestehen, daß von dem Besitz einer geschlossenen national-
deutschen Kunst nicht leicht die Rede sein kann, und
daß einzelne solcher Züge zwar vorhanden, aber erst
recht nicht leicht deutlich zu bezeichuen sind. Versteht
sich: national im Sinne einer gegenwärtigen Ligenkraft;
vergangene Ahnenkrast ist zur Uebergenüge vorhanden,
und Urväter-Hausrath und -Hausbau verfolgt uns
seit den siebziger Jahren überall.
 
Annotationen