Die Kunst-Halle — 4.1898/1899
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DOI Heft:
Nummer 11
DOI Artikel:Galland, Georg: Pseudo-Idealismus, [2]
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H62 —Die Aunst-^alle - Nr. ss
ist hier der springende Punkt. wer das Fremde aus
nimmt, um es in die Denk- und Gefühlsformen des
eigenen Volkes umzugießen, bleibt unbedingt national.
Bei so gefestigtem willen der Persönlichkeit schafft
der Künstler als Deutscher, Engländer, Franzose
u. s. w. trotzdem in der eigenen paut. wer bat
nicht Alles von den Alten entlehnt? Nauch's
Louisengrabmal, preller's Odyssee,. Böcklin's Fabel-
welt — sind sie nicht deutsch? Sind Rubens' Alle-
gorien nicht vlämisch? Sind poussin's bis Baudry's
Griechen und Römer nicht französisch, Burne Jones'
antike Gestalten nicht englisch? Sie alle haben die
Kunst ihres Volkes bereichert, ohne etwas von sich
aufzugeben. Auf uns allein angewiesen, blieben wir
künstlerisch arm. Das vaterländische Motiv kann
nur eine Spezialsache sein. Lediglich die Auffassung
ist von genereller Bedeutung für die künstlerische
Thätigkeit.
In diesen knappen Sätzen entdecke ich keinen
Widerspruch mit meinem Standpunkt. Denn auch
ich verlange das Motiv der Heimat, an das sich
der Idealist nicht zu binden braucht, nur vom konse-
quenten Naturalisten. Der soll dem Naturmenschen
gleichen, der seine Empfindungen durch die Mutter-
sprache nicht durch ein verfeinertes Idiom auszu-
drücken pflegt. Die Phantasiekunst bedarf ohne Frage
eines weiteren Spielraumes für ihren Pochflug.
Nur gleichsam ihr Aufstieg würde, wie schon bemerkt
(S. s^6), da beginnen, wo der Naturalismus seine
Wurzel in die Erde treibt und wo sich die Wege
der Schaffenden noch nicht trennen dürfen. Diese
Anschauung ist keine willkürliche; sie ergiebt die Be-
trachtung der Werke der Alten — der Griechen,
Dürers, Rembrandts. Welche unsagbar schlichte
Naturwahrheit liegt doch in vielen Skizzen des
holländischen Meisters grade zu seinen idealen Dar-
stellungen. Darum stimme ich auch gern dem Ur-
heber jener trefflichen Sätze bei, der hinzufügt:
welches große Kunstwerk besteht nicht aus beiden
Begriffen? Giebt's denn eins, das nur dem einen
angehört? Sind Griechen und Renaissance etwa
nicht realistisch? Sind Rembrandt's Gemälde und
Menzel's pistorien nicht idealistisch? Oder Dürer
und Böcklin nicht auch beides? Ganz sicher, es sind
die beiden Beine der echten Kunst. Sie wechselt wohl
mal mit „Standbein" und „Spielbein", aber auf
einem Beine steht sie nie. Im besten Werke hält
sich beides die wage. Mag man jetzt getrost wieder
— wenn man's dazu hat — das Gedankliche
steigern, aber um's Pimmelswillen nicht mit Pingabe
auch nur eines Tipfelchens unseres mühsam er-
worbenen Realismus*). . .
Wahrheit ist die Axe, um die sich Alles in der
Kunst dreht. Unsere modernen Kunstverhältnisse
*) In Künstlerkreisen hält man die Aeußerungen von
Stuck's gegentheiliger Ansicht für, apokryph. In Rom
wären ohne Frage gesünder, wenn öfter, statt der
Phrase von dem Recht der persönlichen Freiheit, von
dem Recht der persönlichen Wahrheit gesprochen
sein würde. Sie bildet den Lebenssaft des künstle-
rischen Schaffens und macht die üblichen Begriffe
„individuell" oder „originell" entbehrlich, weil das
persönlich-wahre dank seiner unzählbaren Spiel-
arten so ip8o auch originell und individuell ist.
Während jene Begriffe, wie die Thatsachen lehrten,
heutzutage manche minder gefestigte als eitle junge
Kraft dazu verführte: etwas zu suchen, was ihm
leider die freiwillig spendende Natur völlig versagte,
um es gar abseits vom Wege der Wahrheit zu
finden, wenigstens loben gute Freunde selbst dann
und manchmal um so lauter die Individualität und
Originalität des Künstlers, diese gewaltsame und
eingebildete Individualität, die nicht aus dem innern
Wesen, sondern aus einer äußerlichen Sucht der Per-
sönlichkeit geboren wurde. In Folge solcher Zu-
stände zerfallen die Schaffenden in Künstler und
Manieristen — von den Dilettanten überhaupt
nicht zu reden. Auch die Manieristen haben eine
Persönlichkeit, wenigstens sprechen sie täglich davon
— kokettirt doch selbst das einfältigste Gigerl mit dem
Reiz seiner Persönlichkeit. Der echte schöpferische
Künstler aber, dünkt mich, denkt an dergleichen über-
haupt nicht. Er lebt eben nur in seiner Aufgabe,
löst sich vor seinem Stoffe völlig auf, giebt die
Wahrheit der Natur oder seiner Natur d. h. die
Ueberzeugung seines Ich's. „wenn man doch all-
gemein heute begriffe", heißt es mit den Worten
jenes Briefschreibers, „daß all die feinsten Ursprünge
des Schaffens unbewußte sind und es bleiben müssen
und daß Individualität, sobald sie mit Worten be-
rührt oder erstrebt wird, keine mehr ist. Alle Sinne
sollen für Alles, woher es auch stamme, offen stehen
— aber nur das geistig verarbeitete, das innerlich,
organisch Umgestaltete verdient den Preis, erhält das
Werk für alle Zeiten lebendig, wenn selbst der
Künstler, auf den es wirklich nicht ankommt, längst
verschollen ist. Wie empfindet man das doch be-
sonders in Rom vor den Denkmälern der Renaissance,
die sich unmittelbar neben den antiken Vorbildern so
original und national behaupten."
Und was heißt für den Idealisten — Wahr-
heit? . . . Kein Geringerer als Rubens soll uns
die Antwort darauf geben. Die Magdalena auf
seinem Iugendwerk der „Kreuzabnahme" ist schon
das Bild der pelene Fourment, die er, der alte
Meister das junge Mädchen, erst ca. 20 Jahre
später kennen lernte. Das Ideale wurde so das
Reale der Zukunft, wäre dieser vlämische Frauen-
lsing Einer das Interview im Paine der Egeria an einer
Eiche auf und ein Anderer sang boshaft dazu:
„wenn der Stuck kräht auf dem Mist
Aendert sich die Kunst — oder bleibt wie sie ist."
ist hier der springende Punkt. wer das Fremde aus
nimmt, um es in die Denk- und Gefühlsformen des
eigenen Volkes umzugießen, bleibt unbedingt national.
Bei so gefestigtem willen der Persönlichkeit schafft
der Künstler als Deutscher, Engländer, Franzose
u. s. w. trotzdem in der eigenen paut. wer bat
nicht Alles von den Alten entlehnt? Nauch's
Louisengrabmal, preller's Odyssee,. Böcklin's Fabel-
welt — sind sie nicht deutsch? Sind Rubens' Alle-
gorien nicht vlämisch? Sind poussin's bis Baudry's
Griechen und Römer nicht französisch, Burne Jones'
antike Gestalten nicht englisch? Sie alle haben die
Kunst ihres Volkes bereichert, ohne etwas von sich
aufzugeben. Auf uns allein angewiesen, blieben wir
künstlerisch arm. Das vaterländische Motiv kann
nur eine Spezialsache sein. Lediglich die Auffassung
ist von genereller Bedeutung für die künstlerische
Thätigkeit.
In diesen knappen Sätzen entdecke ich keinen
Widerspruch mit meinem Standpunkt. Denn auch
ich verlange das Motiv der Heimat, an das sich
der Idealist nicht zu binden braucht, nur vom konse-
quenten Naturalisten. Der soll dem Naturmenschen
gleichen, der seine Empfindungen durch die Mutter-
sprache nicht durch ein verfeinertes Idiom auszu-
drücken pflegt. Die Phantasiekunst bedarf ohne Frage
eines weiteren Spielraumes für ihren Pochflug.
Nur gleichsam ihr Aufstieg würde, wie schon bemerkt
(S. s^6), da beginnen, wo der Naturalismus seine
Wurzel in die Erde treibt und wo sich die Wege
der Schaffenden noch nicht trennen dürfen. Diese
Anschauung ist keine willkürliche; sie ergiebt die Be-
trachtung der Werke der Alten — der Griechen,
Dürers, Rembrandts. Welche unsagbar schlichte
Naturwahrheit liegt doch in vielen Skizzen des
holländischen Meisters grade zu seinen idealen Dar-
stellungen. Darum stimme ich auch gern dem Ur-
heber jener trefflichen Sätze bei, der hinzufügt:
welches große Kunstwerk besteht nicht aus beiden
Begriffen? Giebt's denn eins, das nur dem einen
angehört? Sind Griechen und Renaissance etwa
nicht realistisch? Sind Rembrandt's Gemälde und
Menzel's pistorien nicht idealistisch? Oder Dürer
und Böcklin nicht auch beides? Ganz sicher, es sind
die beiden Beine der echten Kunst. Sie wechselt wohl
mal mit „Standbein" und „Spielbein", aber auf
einem Beine steht sie nie. Im besten Werke hält
sich beides die wage. Mag man jetzt getrost wieder
— wenn man's dazu hat — das Gedankliche
steigern, aber um's Pimmelswillen nicht mit Pingabe
auch nur eines Tipfelchens unseres mühsam er-
worbenen Realismus*). . .
Wahrheit ist die Axe, um die sich Alles in der
Kunst dreht. Unsere modernen Kunstverhältnisse
*) In Künstlerkreisen hält man die Aeußerungen von
Stuck's gegentheiliger Ansicht für, apokryph. In Rom
wären ohne Frage gesünder, wenn öfter, statt der
Phrase von dem Recht der persönlichen Freiheit, von
dem Recht der persönlichen Wahrheit gesprochen
sein würde. Sie bildet den Lebenssaft des künstle-
rischen Schaffens und macht die üblichen Begriffe
„individuell" oder „originell" entbehrlich, weil das
persönlich-wahre dank seiner unzählbaren Spiel-
arten so ip8o auch originell und individuell ist.
Während jene Begriffe, wie die Thatsachen lehrten,
heutzutage manche minder gefestigte als eitle junge
Kraft dazu verführte: etwas zu suchen, was ihm
leider die freiwillig spendende Natur völlig versagte,
um es gar abseits vom Wege der Wahrheit zu
finden, wenigstens loben gute Freunde selbst dann
und manchmal um so lauter die Individualität und
Originalität des Künstlers, diese gewaltsame und
eingebildete Individualität, die nicht aus dem innern
Wesen, sondern aus einer äußerlichen Sucht der Per-
sönlichkeit geboren wurde. In Folge solcher Zu-
stände zerfallen die Schaffenden in Künstler und
Manieristen — von den Dilettanten überhaupt
nicht zu reden. Auch die Manieristen haben eine
Persönlichkeit, wenigstens sprechen sie täglich davon
— kokettirt doch selbst das einfältigste Gigerl mit dem
Reiz seiner Persönlichkeit. Der echte schöpferische
Künstler aber, dünkt mich, denkt an dergleichen über-
haupt nicht. Er lebt eben nur in seiner Aufgabe,
löst sich vor seinem Stoffe völlig auf, giebt die
Wahrheit der Natur oder seiner Natur d. h. die
Ueberzeugung seines Ich's. „wenn man doch all-
gemein heute begriffe", heißt es mit den Worten
jenes Briefschreibers, „daß all die feinsten Ursprünge
des Schaffens unbewußte sind und es bleiben müssen
und daß Individualität, sobald sie mit Worten be-
rührt oder erstrebt wird, keine mehr ist. Alle Sinne
sollen für Alles, woher es auch stamme, offen stehen
— aber nur das geistig verarbeitete, das innerlich,
organisch Umgestaltete verdient den Preis, erhält das
Werk für alle Zeiten lebendig, wenn selbst der
Künstler, auf den es wirklich nicht ankommt, längst
verschollen ist. Wie empfindet man das doch be-
sonders in Rom vor den Denkmälern der Renaissance,
die sich unmittelbar neben den antiken Vorbildern so
original und national behaupten."
Und was heißt für den Idealisten — Wahr-
heit? . . . Kein Geringerer als Rubens soll uns
die Antwort darauf geben. Die Magdalena auf
seinem Iugendwerk der „Kreuzabnahme" ist schon
das Bild der pelene Fourment, die er, der alte
Meister das junge Mädchen, erst ca. 20 Jahre
später kennen lernte. Das Ideale wurde so das
Reale der Zukunft, wäre dieser vlämische Frauen-
lsing Einer das Interview im Paine der Egeria an einer
Eiche auf und ein Anderer sang boshaft dazu:
„wenn der Stuck kräht auf dem Mist
Aendert sich die Kunst — oder bleibt wie sie ist."