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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 9
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Gd. von Gebhardt's Kunstgespräche
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Schmidkunz, Hans: Die doppelte Kontur, [3] (Schluss)
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0157

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Nr. 9

O i'e A u n st - H a l l e

(33

seitigkeit entwickelt haben, und weun dann etwas
Anderes Mode wird, das sie zufällig uicht können,
so sind sie einfach auf's verhungern angewiesen.
Dabei ist der innere Zusammenhalt dieser Sezessionisteu
doch ein außerordentlich geringer. Was verbindet
Sie denn eigentlich, fragte ich einmal einen derselben,
was haben Sie Gemeinsames? Was scheidet Sie
von den Andern? „Unsere Farben - Auffassung",
antwortete er, „seitdem ich so sehen gelernt habe,
kenne ich erst das wahre Künstlerglück." Aber wenn
das das Merkzeichen ist, wie gehören dann die
Herren F., Ich und Z. zu Ihnen, die sehen doch
ganz anders? „Ja, aber wir streben alle nach einem
Ziel; das rastlose Streben, die uuerbitterliche Strenge,
die wir an einander üben, die verbindet uns. Den
Schlendrian mit der laxen Jury, die wolleu wir
nicht." Haben Sie dann bei der letzten Ausstellung
auch diese Jury geübt? Ich meine, die Bilder der
Herren A-, B. und T. hätten bei mildester Jury
nicht passieren können. „Allerdings aber am Anfang
konnten wir nicht so rigoros sein, indessen dokumentirt
sich unsere Strebsamkeit schon darin, daß wir die
Konkurrenz der Fremden nicht scheuen und die
Franzosen heranzieheu." Ja, dieses Liebäugeln mit
den Ausländern! Wir haben seiner Zeit auch nut
Inbrunst zu den Füßen der Franzosen und Belgier
gesessen, aber das war zu einer Zeit, als diese noch
andere Kerls auszuweisen hatten, als jetzt. Die
Girondisten und der Hemizykle von Delaroche standen
noch in frischem Andenken. Der si)age von Touture
erregte unser Staunen und unsere Bewunderung; es
war die Zeit, wo Meissonier und Görome aus der
Höhe waren. Leys vollendete sein schönstes Werk,
Breton und Bastien - Lepage traten hervor, Tourbet
setzte uns in Erstaunen durch die Größe seiner
Farben- und Formen-Auffassung, Troyon, Daubigny,
Torot, Moreau brachten ihre besten Werke, Neuville
und Detaille traten aus. Die schönsten Werke von
Tadema, von Emile Wauters (Marie von Burgund
und Hugo v. d. Goes) fallen in diese Zeit. Und
was hat es uns genützt, daß wir die Größe von
einigen Dutzend Heroen erstrebten? Jetzt, wo die
Leute sich für Kirchenlichts wie Huvis de Ehavannes
und Besnard begeistern, sollten wir von dort noch
etwas erwarten? Dabei das Demüthigende, daß
die Engländer und Franzosen uns ihre Ausstellungen
verschließen und dafür mit allen Lockmitteln der
Schmeichelei und der materiellen Erleichterung heran-
gezogen werden. Sich aus sich selbst besinnen,
das ist der Hauptwitz.
tU.
Die doppelte Kontur.
Von Hans Schmid knnz.
(Schluß.)
-^(^^'^llerdings gehört, ebenso wie zum Beobachten
der Doppelbilder in der Wirklichkeit, so
auch zum Auffasseu der Doppelkonturen
Bild eine gewisse Aufmerksamkeit,
ja selbst Uebung. Aus Grund unserer Erörte-
rungen wird uns nun eine Zeichnung mit doppelten
Konturen „plastischer" erscheinen als bisher. Nach-
helsen können wir dem noch aus eine besondere
Weise. Die Wirklichkeit vor uns sehen wir be-
kanntlich mit beiden Augen plastisch, d. h. nicht

blos slächenhast, sondern auch in die Tiefe ausge-
dehnt; schließen wir das eine Auge, so zeigt uns
das andere ein beträchtlich verflachtes, aber immer
noch auch in seinen Tiefen einigermaßen anschau-
liches uud namentlich zu verstehendes, zu deuteudes
Bild. Aehnlich ist's, wenu wir eme flächenhaste
Darstellung nun hinwieder mit beiden Augen be-
trachten; wir vermissen hier für gewöhnlich das,
woran wir mit dem Doppelblick gewöhnt sind, und
nur die Kunst des Zeichners sowie unser verständniß
verhilft uns zu einer einigermaßen plastischen Auf-
fassung. Betrachten wir nun die flächenhaste Dar-
stellung mit nur einen: Auge, so vermissen wir
weniger und sehen sie plastischer, zumal wenn wir
das eine Auge mit einer dunklen Röhre, nötigen-
falls nut der röhrenförmig geschlossenen Hand be-
waffnen. So die Erfolge vor einer Darstellung im
temporären Zeichnungsstil, zumal mit einfachen
Konturen. vor einer instanten Zeichnung nut
doppelten Konturen könnte man das Gegentheil er-
warten, nämlich daß die einäugige Betrachtung durch
die, dem einen Äug' eben niemals in Wirklichkeit
sichtbaren Doppelkonturen gestört werde und einen
weniger plastischen Eindruck ergebe als die zwei-
äugige.
Wem: um: der Verfasser annehmeu darf, daß
er richtig beobachtet hat, so ist auch der Eindruck einer
doppelkonturigen Zerchnung für das eine Auge
plastischer als für die beiden Augen. Setzen wir die
Thatsache einer solchen Eindrucksverschiedenheit als
richtig voraus, so macht der obige Gedaukengang
die Erkläruug schwierig. Sie wird etwa so zu geben
sein. Der Anblick einer auch noch so gut durchge-
sührteu Flächendarstellung bietet für unser kritisches
Doppelauge uiemals eiue lebendige Anschauung von
der Tiefe, sondern nur einen mehr oder weniger be-
quemen Anhalt, sie herauszudeuten. Für unser eines
Auge, das ja Tiefe:: um so viel schwerer sieht, fehlt
die genügeude Kritik; es läßt sich also leichter durch
das Urteil dazu bestimmen, die vorliegenden Kunst-
griffe der Zeichnung als ein getreues Nachbild der
Wirklichkeit hinzunehmeu. Noch dazu haben wir ja
gesehen, daß der heutige Stand der doppelkonturigen
Zeichnung die Thatsachen der Gesichtseindrücke in
sehr freier Vereinfachung und Veränderung wieder-
gibt; damit ist das Doppelauge weniger zusrieden-
zustellen als das einzelne Auge. Der Verfasser wagt
die Voraussage, daß Viele, die uoch nicht dazu ge-
langt sind, die zeichnerische Doppelkontur für ihr ge-
wöhnliches Sehen richtig zu verwerthen, bei ein-
äugigem Seheu, zumal durch eine dunkle Röhre, diese
Verwerthung rasch finden werden; ähnlich wie einem
operirten Blindgeborenen das Verständniß für das
Körperliche an Gemälden erst nach zwei Monaten
(und zwar plötzlich) ausging.
Es wäre noch eine dankbare Sache, aus Ver'
schiedenheiteu manuigsacher Art iu der doppel-
konturigen, eventuell noch mehrfach konturirten
Zeichnung und Malerei einzugehen; beispielsweise
aus die Nebeneinanderstelluug je eiues starken und
eines schwachen Striches. Ebenso wird es sich lohnen,
die Versuche einer solchen Zeichnung nach rückwärts
zu verfolgen, wo die Kunstgeschichte vermuthlich
manche Vorgänger dieses modernen Zuges auf-
spüren wird; so scheint in Stickereien die doppelte
Kontur m jeuer weise eines schwächeren Neben-
striches schon länger heimisch zu seiu.
Techuische Vorgänge bei flächenhaster Dar-
stellung werden von anderer Seite überhaupt als
 
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