Nr. 20
-Z- Die Nun st-Halle
309
Sieht man sein umfängliches Hauptbild „Aus Venedigs
Blüthezeit", das vorn laufenden Jahre datirt ist, so
sollte man es nicht glauben, daß man mit dem Merke
eines fast Achtzigjährigen zu thun hat: Morin stände
es hinter seinen besten früheren Sachen zurück? Mie
ist die Komposition durchdacht! Mie sind die Be-
wegungen rund und sprechend! Mas ist für Lust in
diesem Bilde! . . . Ihres nüchternen und scharf
pointirten Humors wegen nenne ich Hans Fleeges
„Bei der Morgenzeituug", Otto Goldmanns „Solo",
Adolph Schlabitz' „Souutagsnachmittag" und Malter
Hannemanns „Ain Stammtisch". Fast wäre ich pietät-
los genug, hieran unmittelbar Franz paczkas „Audienz
bei Ludwig XVI." anzureihen. Der von dem Könige
Empfangene ist nämlich der Arzt Guillotin, der
jenem das aus dem prunkvollen Tische zwischen Beiden
stehende Modell seiner neuersundenen Hinrichtungs-
Maschine mit den: ganzen rücksichtslosen und hin-
gebungsvollen Begeisterungseiser des Erfinders
demonstrirt. Erschütternd tragikomisch ist der be-
klommene Ausdruck des Monarchen, dem die Sache
kaum unheimlicher vorkommen könnte, wenn es sich
für ihn bewußter Meise um die Belehrung zum
Zwecke seiner eigenen Hinrichtung handelte. Die an-
spruchsvolle Lebensgröße der Darstellung wird durch
eine nicht kokett virtuose, aber geschmackvoll sichere
Vortragsweise annehmbar gemacht. Hier reihe ich
Mar Krusemarks achtunggebietenden „Speerwerfer"
an, zu dessen leider nur bis zur Mitte der Oberschenkel
herab gezeigter straff bewegter und flott gemalter
Hauptfigur die Zugaben fast eine Verminderung der
Wirkung hinzubringen. Hermann Grimms Begegnung
der Margarethe von Parma mit fliehenden kalvi-
nistischen Niederländern i. I. s367 ist wohl uur fleißig.
Durch eine entzückende malerische Mirkung thut
sich das stimmungs- und ausdrucksvolle Bild „Bange
Stunden" von August Milckens hervor. Ihm mögen
sich um verwandter Vorzüge willen anschließen:
Henrik Nordenberg mit zwei in der Licht- und Farben-
wirkung höchst gelungenen Genre-Interieurs; Georg
Schöbels „Ungefährliche Konkurrenz" (Kinder in einer
Schlosser-Werkstätte spielend), deren markige Behand-
lung und stupende Wirklichkeit das erlauchteste Vor-
bild in die Erinnerung ruft; Alois Eckardts drei
Mann „Am Amboß", beinahe lebensgroß und dem
vorigen bis aus dessen liebenswürdigen Humor fast
gleichwertig; Mar Gaissers „Numismatiker" von fast
Dow'scher Feinheit; sodann einige Verherrlichungen
der Erker-Poesie — wie ich es nennen möchte: an
ihrer Spitze Hugo Händlers „Lieblingsplätzchen", ein
wahres Juwel, das freilich ein wenig an das Still-
leben gemahnt; sodann Karl Gebhardts Chorknabe
„In Betrachtung" (eines großen Lhorbuches) und —
freilich mit erheblich höherem Fluge — Heinrich
Lessings „Aus der Resormationszeit", eine Disputation
in einem Klostersaale mit einem an den großen Vater
des Urhebers erinnernden Geiste darstellend. Ueber-
haupt sängt „Heinrich" erfreulich an, die hoch-
gespannten Erwartungen aus seine Entwickelung
glänzend zu rechtfertigen; auch seine „Frohnleichnams-
Hrozession in Gerolstein" vereinigt die intime Kennt-
niß und beißende Schärfe des alten Karl Friedrich
gegen die sein Innerstes empörenden Auswüchse des
katholischen Kultus mit dessen prägnanter, durch
modernere Mittel, insbesondere eine verblüffende
Sattigkeit der Farbe, noch bereicherter Darstellung.
Dieselbe Gewalt über die Mittel, allerdings nicht über
den tour cle toree hinauskommend, bewährt H. Lessing
auch in seinem lebensgroßen, fälschlich „Aus dem
Neich der Mitte" benannten weiblichen Kniestück in
blendend rothem Kleide: es ist doch eine Japanerin!
— Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir erlauben,
zu erinnern, daß das bereits gewürdigte Nachtstück
von Ggun im Kataloge inhaltlich falsch bezeichnet ist:
der „Teuselstriller" ist nicht von Niccolo Paganini,
sondern von Giuseppe Tartini! Im Anschlüsse daran
ergänze ich das über Mar Nonnenbruch zu Sagende
durch Erwähnung seines, in den diesmaligen Be-
trachtungsrahmen gehörigen, unglücklich „Wohl-
befinden" bezeichneten Bildes, das mir an malerischer
Potenz und gesunder Empfindung über seiner „Ver-
klärung" zu stehen scheint. Auch eines noch viel be-
rühmteren Müncheners noch nicht berücksichtigtes Merk,
die Madonna mit dem Kinde (ohne Nummer) von
Gabriel Klar, in der Mutter von jenem dem Meister
eigenen saszinirenden Neiz, in dem Kinde mehr noch
als gewöhnlich durch allzu „erwachsene" Proportionen
auffallend, trage ich nach. Die Münchener Genre-
kunst wird auch sehr eindrucksvoll durch Hermann
Knopfs „Andacht" vertreten.
Indem ich nur kurz die Anwesenheit von Ludwig
Knaus, Wilhelm Amberg, Joseph von Brandt,
Fritz Werner, Ferdinand Brütt und Otto Kirberg
je in bekannter Art notire, empfehle ich zum
Schluffe dieser Neberficht noch der Aufmerksamkeit zwei
Bilder von großer psychologischer Feinheit: das
ganz kleine Bildchen von Ernst Kielwein „In Ge-
danken", eine rothgekleidete Dame am Kamin, und
Karl Spielters „Vor der Auktion". Das letztere
durste — unter Ignorirung der Personen — bis zum
Auftreten der bisher vermißten Camilla Friedländer
mit den Wienern (und eines von diesen mitgebrachten,
sie noch in Schatten stellenden Meisters!) als das
kunstvollste Stillleben der Ausstellung gelten. Aber,
obgleich etwas stilllebenartig gernalt, erwecken auch
die Personen, der Ausdruck vornehmer Nesignation in
der Mutter, die Mischung von tiefem Schmerz und
mühsam niedergekämpstem Stolz in der Tochter und
die mit würdevoller Theilnahme gepaarte Geschäfts-
mäßigkeit in dein Auktionator volle Bewunderung.
München:
Vie MMellung im Slazpaiast.
von Leopold Gustav.
II.
-^-m Lenbach-Saal wieder welch eine Fülle der Ge-
sichte, welche Verschiedenheit der Charaktere, der
Lebensalter und der Lebensstellung; der Meister weiß aus
allen das Wesentliche herauszusiillen, seiner Kunst steht
keiner fern, den er einmal zu porträtiren begonnen. Welche
Gegensätze Bismarck und der Bäcker Eeidl, das Raffinement
der Aranäs äissusk! Vvette Guilbert und die naive Kindlich-
keit der kleinen Erika Lenbach! — Zunächst die Porträts
des Alt-Reichskanzlers in Uniform und in Zivil. Keine
Wiederholungen, sondern ein stetiges Umschaffen und
Hineinwachsen in die Psychologie seines größten Porträtirten.
Dann Ignaz von DöllingerI Ein Bild, das durch seinen
sprechenden Ausdruck uns fast noch lieber ist, wie die
Variante in der Pinakothek. Das Bild poffarts und W.
v. Wällers haben wir schon jüngst in einem Kunstvereins-
bericht besprochen, ebenso das kapriciöse Köpfchen der
-Z- Die Nun st-Halle
309
Sieht man sein umfängliches Hauptbild „Aus Venedigs
Blüthezeit", das vorn laufenden Jahre datirt ist, so
sollte man es nicht glauben, daß man mit dem Merke
eines fast Achtzigjährigen zu thun hat: Morin stände
es hinter seinen besten früheren Sachen zurück? Mie
ist die Komposition durchdacht! Mie sind die Be-
wegungen rund und sprechend! Mas ist für Lust in
diesem Bilde! . . . Ihres nüchternen und scharf
pointirten Humors wegen nenne ich Hans Fleeges
„Bei der Morgenzeituug", Otto Goldmanns „Solo",
Adolph Schlabitz' „Souutagsnachmittag" und Malter
Hannemanns „Ain Stammtisch". Fast wäre ich pietät-
los genug, hieran unmittelbar Franz paczkas „Audienz
bei Ludwig XVI." anzureihen. Der von dem Könige
Empfangene ist nämlich der Arzt Guillotin, der
jenem das aus dem prunkvollen Tische zwischen Beiden
stehende Modell seiner neuersundenen Hinrichtungs-
Maschine mit den: ganzen rücksichtslosen und hin-
gebungsvollen Begeisterungseiser des Erfinders
demonstrirt. Erschütternd tragikomisch ist der be-
klommene Ausdruck des Monarchen, dem die Sache
kaum unheimlicher vorkommen könnte, wenn es sich
für ihn bewußter Meise um die Belehrung zum
Zwecke seiner eigenen Hinrichtung handelte. Die an-
spruchsvolle Lebensgröße der Darstellung wird durch
eine nicht kokett virtuose, aber geschmackvoll sichere
Vortragsweise annehmbar gemacht. Hier reihe ich
Mar Krusemarks achtunggebietenden „Speerwerfer"
an, zu dessen leider nur bis zur Mitte der Oberschenkel
herab gezeigter straff bewegter und flott gemalter
Hauptfigur die Zugaben fast eine Verminderung der
Wirkung hinzubringen. Hermann Grimms Begegnung
der Margarethe von Parma mit fliehenden kalvi-
nistischen Niederländern i. I. s367 ist wohl uur fleißig.
Durch eine entzückende malerische Mirkung thut
sich das stimmungs- und ausdrucksvolle Bild „Bange
Stunden" von August Milckens hervor. Ihm mögen
sich um verwandter Vorzüge willen anschließen:
Henrik Nordenberg mit zwei in der Licht- und Farben-
wirkung höchst gelungenen Genre-Interieurs; Georg
Schöbels „Ungefährliche Konkurrenz" (Kinder in einer
Schlosser-Werkstätte spielend), deren markige Behand-
lung und stupende Wirklichkeit das erlauchteste Vor-
bild in die Erinnerung ruft; Alois Eckardts drei
Mann „Am Amboß", beinahe lebensgroß und dem
vorigen bis aus dessen liebenswürdigen Humor fast
gleichwertig; Mar Gaissers „Numismatiker" von fast
Dow'scher Feinheit; sodann einige Verherrlichungen
der Erker-Poesie — wie ich es nennen möchte: an
ihrer Spitze Hugo Händlers „Lieblingsplätzchen", ein
wahres Juwel, das freilich ein wenig an das Still-
leben gemahnt; sodann Karl Gebhardts Chorknabe
„In Betrachtung" (eines großen Lhorbuches) und —
freilich mit erheblich höherem Fluge — Heinrich
Lessings „Aus der Resormationszeit", eine Disputation
in einem Klostersaale mit einem an den großen Vater
des Urhebers erinnernden Geiste darstellend. Ueber-
haupt sängt „Heinrich" erfreulich an, die hoch-
gespannten Erwartungen aus seine Entwickelung
glänzend zu rechtfertigen; auch seine „Frohnleichnams-
Hrozession in Gerolstein" vereinigt die intime Kennt-
niß und beißende Schärfe des alten Karl Friedrich
gegen die sein Innerstes empörenden Auswüchse des
katholischen Kultus mit dessen prägnanter, durch
modernere Mittel, insbesondere eine verblüffende
Sattigkeit der Farbe, noch bereicherter Darstellung.
Dieselbe Gewalt über die Mittel, allerdings nicht über
den tour cle toree hinauskommend, bewährt H. Lessing
auch in seinem lebensgroßen, fälschlich „Aus dem
Neich der Mitte" benannten weiblichen Kniestück in
blendend rothem Kleide: es ist doch eine Japanerin!
— Bei dieser Gelegenheit möchte ich mir erlauben,
zu erinnern, daß das bereits gewürdigte Nachtstück
von Ggun im Kataloge inhaltlich falsch bezeichnet ist:
der „Teuselstriller" ist nicht von Niccolo Paganini,
sondern von Giuseppe Tartini! Im Anschlüsse daran
ergänze ich das über Mar Nonnenbruch zu Sagende
durch Erwähnung seines, in den diesmaligen Be-
trachtungsrahmen gehörigen, unglücklich „Wohl-
befinden" bezeichneten Bildes, das mir an malerischer
Potenz und gesunder Empfindung über seiner „Ver-
klärung" zu stehen scheint. Auch eines noch viel be-
rühmteren Müncheners noch nicht berücksichtigtes Merk,
die Madonna mit dem Kinde (ohne Nummer) von
Gabriel Klar, in der Mutter von jenem dem Meister
eigenen saszinirenden Neiz, in dem Kinde mehr noch
als gewöhnlich durch allzu „erwachsene" Proportionen
auffallend, trage ich nach. Die Münchener Genre-
kunst wird auch sehr eindrucksvoll durch Hermann
Knopfs „Andacht" vertreten.
Indem ich nur kurz die Anwesenheit von Ludwig
Knaus, Wilhelm Amberg, Joseph von Brandt,
Fritz Werner, Ferdinand Brütt und Otto Kirberg
je in bekannter Art notire, empfehle ich zum
Schluffe dieser Neberficht noch der Aufmerksamkeit zwei
Bilder von großer psychologischer Feinheit: das
ganz kleine Bildchen von Ernst Kielwein „In Ge-
danken", eine rothgekleidete Dame am Kamin, und
Karl Spielters „Vor der Auktion". Das letztere
durste — unter Ignorirung der Personen — bis zum
Auftreten der bisher vermißten Camilla Friedländer
mit den Wienern (und eines von diesen mitgebrachten,
sie noch in Schatten stellenden Meisters!) als das
kunstvollste Stillleben der Ausstellung gelten. Aber,
obgleich etwas stilllebenartig gernalt, erwecken auch
die Personen, der Ausdruck vornehmer Nesignation in
der Mutter, die Mischung von tiefem Schmerz und
mühsam niedergekämpstem Stolz in der Tochter und
die mit würdevoller Theilnahme gepaarte Geschäfts-
mäßigkeit in dein Auktionator volle Bewunderung.
München:
Vie MMellung im Slazpaiast.
von Leopold Gustav.
II.
-^-m Lenbach-Saal wieder welch eine Fülle der Ge-
sichte, welche Verschiedenheit der Charaktere, der
Lebensalter und der Lebensstellung; der Meister weiß aus
allen das Wesentliche herauszusiillen, seiner Kunst steht
keiner fern, den er einmal zu porträtiren begonnen. Welche
Gegensätze Bismarck und der Bäcker Eeidl, das Raffinement
der Aranäs äissusk! Vvette Guilbert und die naive Kindlich-
keit der kleinen Erika Lenbach! — Zunächst die Porträts
des Alt-Reichskanzlers in Uniform und in Zivil. Keine
Wiederholungen, sondern ein stetiges Umschaffen und
Hineinwachsen in die Psychologie seines größten Porträtirten.
Dann Ignaz von DöllingerI Ein Bild, das durch seinen
sprechenden Ausdruck uns fast noch lieber ist, wie die
Variante in der Pinakothek. Das Bild poffarts und W.
v. Wällers haben wir schon jüngst in einem Kunstvereins-
bericht besprochen, ebenso das kapriciöse Köpfchen der