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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 21
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Noch einmal: Kunst und Kritik
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0371

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Nr. 2f

4- Die Aun st-Palle

523

Nock einmal:
MM und Mik.

err Heinrich Deiters, Düsseldorf, schreibt
uns:
perr Frai:z pern:ai:n Meißner hat in
Ihren: geschätzten Blatte über meinen Aufsatz:
„Küuftler, Kunstschreiber uud der gesunde Menschen-
verstand^ eine längere Besprechung gebracht, in
welchem er in vielen Punkten sich mit mir einver-
standen erklärt.
Nur meine ich, daß die Lanze, die er für die
heutigen Kunstschreiber einlegt, wohl kräftiger zu-
stößt, als nöthig gewesen wäre. Ls findet sich that-
sächlich in meinem Aufsatze keine Stelle, die verletzend
für die forschende und begründende Kunstlitteratur
wäre. Ich glaubte eher durch meine Aussührungen
allen gewissenhaften Kunstkritikern einen Dienst er-
wiesen zu haben.
Ja, wenn die Kunstberichterstattung so wäre,
wie perr Meißner sie darstellt, so würde die Meinung,
die von ihr sich gebildet hat, nicht entstanden sein.
Ls ist die Zahl derer, welche, wie perr Meißner
sagt, „in die Sphäre des Reklame- und Leibreporter-
thums" hineinpaßt, erheblich größer, als er sie dar-
stellt. Dor Allem ist die Zahl der Kritiker, welche
ihr Mtheil auch begründeu können, eine verschwindend
kleine.
Mas eine gesunde Kunstberichterstattung leisten
kann, ist nur wohl bekannt, und ich habe dies aus-
drücklich betont und dankbar anerkannt. Seinen ver-
gleich mit den Aerzten und Richtern kann ich nicht
anerkennen, weil e» doch zu stark hinkt. Reiner kann
feine Peilmethode aus Büchern lernen, auch weuu
er ab uud zu in einem anatomischen Rolleg hospitirt
hat, sondern er lernt sie aus der praktischen Aus-
übung seines Berufes. Lr kann erst dann etwas
verständiges darüber schreiben, wenn er sich die
Renntnisse aus der Praxis erworben hat.
Mas den Richterstand angeht, ist gleichfalls das
praktische Studium vorgeschrieben. Lr braucht kein
verbrechen zu begehen, sondern muß sich als Anwalt
an die Stelle des verklagten oder Angeschuldigten
versetzen. Das muß jeder, der Richter werden will,
zeitweise durchmachen. Gb diese praktische Erfahrung
längere Zeit, als bei uns üblich, nicht sehr angebracht
wäre, bezweifle ich nicht. England steht sich nicht
schlecht dabei, daß die Richter aus deu Anwälten ge-
wählt werden.
Den Grund, weshalb sich die Kunstkritiker dem
„Modernen" zuwenden, erblickt perr Meißner in den:
Umstande, daß die Alten es in einem sehr ver-
breiteten Akademiker-Pochmuth es unterlassen haben,
den inzwischen sehr entwickelten Rritikerstand gesell-
schaftlich heranzuziehen. Ich glaube iudessen, daß
die Künstler, wenigstens hier in Düsseldorf, dein
pochmuth der Akademiker viel schlimmere Dinge zu
danken haben, als blos von diesen nicht für voll an-
gesehen zu werden.
Ferner glaubt perr Meißner in dem freund-
schaftlichen Verkehr der jüngeren Künstler mit den
Kritikern, als Altersgenossen, den Grund zu finden,
warum sich die letzteren dem „Modernen" zuwendeu.
Das ist allerdings psychologisch ein sehr verständ-
licher Grund und den Kritikern ist nicht zu grollen,
wenn sie sich für die Merke ihrer Altersgenossen und
Freunde am meisten erwärmen. Nur müssen sie

aber auch die Künstler gelten lassen, von denen diese
erst gelernt haben.
Doch das wesentlichste für mich ist der Begriff
des „Modernen", des „Neuen". Ich habe gefragt:
„Mas ist denn nun eigentlich die „neue Kunst", die,
wie es in den: Jargon heißt, aus den: modernen
Empfinden, den: Empfinden von: Ende des Jahr-
hunderts hervorgeht? Zeigt sie sich m den Merken,
bei welchen an die Stelle des Zweckes die Mittel
treten, oder bei Leistungen, bei welchen unter den:
Perauskehren des virtuosenthums wohl das Talent,
aber noch nicht das Können zu entdecken ist, oder-
gar bei Kunstäußerungen, die das mächtigste Be-
streben haben, um jeden Preis aufzufallen? Tritt
sie in den: Unfertigen, Zusammenhangslosen hervor?
Gebt nur doch ein Kriterium für Euer
Phantom! 20.
perr Meißner antwortet darauf mit einer Frage:
„was ich unter dem „Modernen" verstehe." —
Da liegt der Kern der Sache. Ich würde
perrn Meißner sehr dankbar gewesen sein, wenn er
uns zunächst seinen Begriff von dein „Modernen"
nicht vorenthalten hätte.
Für mich giebt es keinen Sammelbegriff des
„Neuei:", sondern nur einzelue Künstler, die als
hervorragend eigenartig oder mindestens originell
scheinende Persönlichkeiten auftreten.
Die Kunstanschauung des Einzelnen liegt in den:
selbstständigen Empfinden und der Erfassung der
ersten Iugendeindrücke, die jenes beleben. Die
Nachtreter dieser einzelne:: Künstler kann man viel-
leicht mit den: Namen „modern" bezeichnen, in den:
sie die Erfolge der selbstständig auftretenden Künstler
als tonangebend für ihr eigenes Schaffe:: ansehen
und daraus eine Mode machen. Man schreibt voi:
einer „neuen" Kunst, die sich auf nichts vorher-
gegangenes stützt. Man kommt uns mit der Phrase,
daß voi: Jugend auf unser Auge verbildet sei, daß
man von allen: Früheren obstrahiren müsse, was
man gesehen, nm zu der Sphäre des „Neuei:"
emporzusteigen. Mollen wir aber konsequenter Meise
den: eigenen Gesühle jedes Menschen es überlassen,
das Kunstwerk nach den: eigenen naive:: Perzen zu
beurtheilen, und auch denen das Recht zubilligen,
die voi: der „Mache" nichts wissen und nur das
Merk, den Gedanken des Künstlers auf sich wirke::
lasse::, dann heißt es: „Mie kann inan das Urtheil
einem verständnißlosen Pausen überlassen?" Die
Kunstschreiber, die ich meine, halten sich allein zum
Mtheilen berufe::, sie wolle,:, was ja auch
akademischerseits geschieht, den: Publikum vorschreiben,
was es schätzen und nicht schätzen soll. Darin liegt
die große Gefahr für die Kunst und für die
Künstler.
Mir liegt es fern, Perri: Meißner solche Ge-
danken zu imputiren, aber er kam: selbst das Ab-
urtheilen ohne Begründung so wenig lassen, daß er
sagt, „ich verfügte leider nicht über ein hinreichendes
Geschick, meine Ideen klar ausdrücken zu können."
Ich mag vielleicht zu Vieles als bekannt voraus-
setzen, im Uebrigen aber ist ein solches Mtheil auch
nur das Ergebuiß einer subjektiven und unmaß-
geblichen Meinung.
In der „Allgemeinen Zeitung" las ich die An-
schauung eines Or. Karl voll, derjenige sei der
wahre Künstler, den: man mit dem verstände nicht
beikommen könnte.
Die Kunst hat aber ihre unerbittliche Logik,
deren Bedeutung ihn: auch bei A. Menzel auf-
 
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