öS
Die Aun st-Halle
Nr. §
sophie des Räthsels Lösung bringen? Daß es wohl eher
die Aufgabe des Pathologen sei, kommt am Schluffe der
lesenswerthen Gedächtnißrede beredt und wehmüthig zum
Puvis cke Lkavannes f.
^^Xit puvis de Lhavannes, der am 2H. Gkt. in
Paris starb, ist der bedeutendste Maler-Dekorateur
des modernen Frankreich gestorben. Wie alle Monumental-
maler des 19. Jahrhunderts schöpfte auch er seine An-
regungen aus einer fernen Vergangenheit. Aber nur
eine Zeit, die wie die unsere neben überreif gewordener,
nahezu erschöpfter Kraft eine perverse Neigung für das
knospenhaft Unreife überall entstehen sieht, konnte den
Muth finden, den vornehmen Archaismus puvis' als das
künstlerisch Höchste der modernen Monumentalmalerei zu
bezeichnen, ja sogar von einer völlig originalen That zu
sprechen. Wer auf den Schultern der Primitiven, der
Fiesole, Lorenzo Losta, Filippino Lippi u. a. steht, gilt
merkwürdigerweise der heutigen Generation nicht als
ein Nachahmer, zumal wenn er, wie puvis, ein alter-
thümelndes Gewand von rafsinirtestem Geschmack und
einen Kolorismus von krankhafter Modernität besitzt.
Allein die Epigonen der Reifen, der Linquecentisten haben
heutzutage Unrecht. Unsere senilen Feinschmecker, die
den Ton angeben, sehen in der eigenthumlichen differenzirten
Farbenempfindung der Werke des Franzosen, in ihrer
lyrisch weichen Verschwommenheit, die wie greiser Mehl-
thau auf halbentwickelten frühlinghaften Gebilden mensch-
licher und landschaftlicher Natur ruht, etwas sehr Apartes,
Erhabenes, unsagbar Interessantes. Eine sanfte Ruhe
und feierliche Mystik bildet allerdings das geistige Ge-
präge seiner einheitlich gestalteten Kompositionen, in
denen der künftige Historiker wohl eine Art Verwandt-
schaft mit Schöpfungen gewisser deutscher Nazarener er-
kennen wird. Das hauptsächlichste Material zum
Studium dieses gefeierten Meisters, der an der Spitze der
pariser Künstlerschaft jahrelang gestanden hat, findet
man in Amiens, Lyon, Marseille, Poitiers, im pariser
Pantheon und anderwärts; an letzterer Stätte begann er
vor mehr als 20 Jahren mit der „Jugend der Hl. Geno-
vefa", einem bekannten, neuerdings noch fortgesetzten
Bilderzyklus.
Puvis wurde am iH. Dez. 182H in Lyon als Sohn
eines Bergingenieurs geboren. Nicht seine im Alter
von 16 Jahren stattgehabte Uebersiedlung nach Paris,
sondern seine erste Reise nach Italien, bestimmte seinen
Entschluß, Maler zu werden. So ward er einst Louture's
Schüler. Seit 1850 gehörte er einige Zeit zu den Refu-
sirten des Salons. Dreißigjährig legte er in einer kleinen
Villa fern von Paris feine ersten vielversprechenden
Proben als Wanddekorateur mit den „vier Jahreszeiten"
ab. Seine eigentlichen Erfolge begannen aber erst nach
dem Eintritt in den „Salon", dessen Auszeichnungen ihm
seit 1861 allmälich zu Theil wurden. Sein Vaterland
und die Kunst haben Ursache, den Heimgang dieses über-
zeugungstreuen Malers tief zu betrauern. O. 6.
Künstlerische Teil- u. Streitfragen.
Ein hiesiger FreundunseresBlattes schreibt uns :
Unter dem etwas geschmacklosen Namen: „Neo-Im-
pressionisten" hat eine belgisch.französische Künstler-
Gruppe neulich eine Gesammtausstellung von Werken in
einem Lokal der Potsdamerstraße eröffnet. Ich finde mich
nach einer Besichtigung der Ausstellung veranlaßt, Front
gegen diese Art von Kunst und gegen die Mißachtung
des Publikums, die in solchen Darbietungen liegt, zu
machen. Denn das zulässige Maß selbst inmitten einer
Weltstadt, die ziemlich verdauungsfähig ist, scheint mir
hier überschritten.
Diese Künstlergrupxe vertritt die sog. „pointillistik".
Sie will neu entdeckt haben, was Tizian, Rembrandt,
Elaude Monetu.a. große Meister schonwußten: daßnament-
lich komplementäreFarbentöneineinerFläche durchdiemecha-
nischeMptik des menschlichen Auges zu einheitlicher Wirkung
zusammengezogen werden, selbst wenn sie ungemischt und
frei nebeneinander stehen. Ein wichtiger Theil der kolo-
ristischen Wirkung in den Gemälden jener bedeutenden
Meister beruht auf besagter Kenntniß; sie erzielten damit
„nebenbei", dank ihrer hohen Technik, eine gesteigerte
Lebendigkeit des Lichts oder eine intensivere Wärme, je
nachdem die Palette hell oder dunkel gehalten ist. . .
Was haben diese „Neo-Impressionisten" daraus
gemacht? Lin stumpfsinniges Rezept für eine unglaub-
liche technische Manieri Der Talentloseste unter ihnen,
P. Signac, hat es in einem Blatt des Näheren erörtert, —
offenbar, weil diese Leute der Güte ihrer Kunst selbst
mißtrauen. Aus dieser Erfahrung von den Werken
großer Koloristen — wohl gemerkt, nicht aus der Natur!
— leiten diese Maler das Prinzip ab, in ihren Bildern
möglichst prismatisch reine Farbentupfen, roh und un-
künstlerisch, mosaikartig nebeneinander zu setzen. Dabei
ist es für den Werth dieser Schule sehr charakteristisch,
daß nur einer, Th. van Rysselberghe, der Parteichef,
Talent besitzt, wie seine „Badenden", das Bildniß eines
Sportsman beweisen, daß die Uebrigen indeß ohne jede
Individualität in einer verblüffenden Gleichartigkeit malen,
die sie kaum voneinander unterscheiden läßt. Ferner aber
auch: daß nirgends die Natur in diesen Gemälden sichtbar
wird, vielmehr nur die Schulschablone.
Und mit dieser schreienden Unfähigkeit wagt man heute,an
freilich dafür geeigneter Stätte, in Berlin vor die Geffent-
lichkeit zu treten, möchte man unsere einheimischen Künstler
niederbrüllen! — Zum Glück ist dieses franko-belgische
Konsortium bei der Berliner Kritik ziemlich scharf ab-
gefallen, wenn auch natürlich ein paar Kritiker, die regel-
mäßig auf das „Neueste" hereinfallen, eine Lanze für die
Herren gebrochen haben. Es muß ja auch solche Käuze
geben.
Wohin, frage ich Sie, soll der Unsinn mit solchen
Akademiker-Fuchsereien führen? Weiß man denn immer
noch nicht, daß die physiologische und die künstlerische
Wahrheit zwei himmelweit verschiedene Dinge
sind? Und daß die Gesetze jener nur brauchbar sind,
soweit sie eine fachmäßige Umbildung erfahren haben, wie
man das z. B. bei Tizian und Monet studiren kann.
(?. ?.
Münchener „Kunetverein".
Hier ist z. Z. der Nachlaß des kürzlich in der
Dachauer Gegend jung verstorbenen Malers G-E. Dodge
ausgestellt, auf dessen illustrative Arbeiten man erst neuer-
dings ausmerksam wurde: Zeichnungen in Stift und Kohle
und zwei Gelbilder. Der flüchtige Besucher wird vielleicht
achtlos an ihnen vorübereilen. Sie machen dem Publikum
keine Konzessionen, diese Bilder: einfache Motive — aber
voll starken Naturempfindens, wie wunderbar gezeichnet
z. B. die Pappelallse, das Bauernmädchen, das gegen den
Wind ankämpft; aber am feinsten ist die Landschaft, wenn
sie nicht von Menschen belebt ist. Hier konnte der Künstler
seine grüblerische, träumengeneigte Natur hineingießen.
Bei den Velbildern hat Dodge einer breiten pastosen Mal-
weise gehuldigt; er erzielte auch hierin schöne Wirkung,
wenn auch die Schwarzweißkunst bei ihm vorzuziehen ist.
— Bössenroth preist in einer Reihe von Naturaus-
Die Aun st-Halle
Nr. §
sophie des Räthsels Lösung bringen? Daß es wohl eher
die Aufgabe des Pathologen sei, kommt am Schluffe der
lesenswerthen Gedächtnißrede beredt und wehmüthig zum
Puvis cke Lkavannes f.
^^Xit puvis de Lhavannes, der am 2H. Gkt. in
Paris starb, ist der bedeutendste Maler-Dekorateur
des modernen Frankreich gestorben. Wie alle Monumental-
maler des 19. Jahrhunderts schöpfte auch er seine An-
regungen aus einer fernen Vergangenheit. Aber nur
eine Zeit, die wie die unsere neben überreif gewordener,
nahezu erschöpfter Kraft eine perverse Neigung für das
knospenhaft Unreife überall entstehen sieht, konnte den
Muth finden, den vornehmen Archaismus puvis' als das
künstlerisch Höchste der modernen Monumentalmalerei zu
bezeichnen, ja sogar von einer völlig originalen That zu
sprechen. Wer auf den Schultern der Primitiven, der
Fiesole, Lorenzo Losta, Filippino Lippi u. a. steht, gilt
merkwürdigerweise der heutigen Generation nicht als
ein Nachahmer, zumal wenn er, wie puvis, ein alter-
thümelndes Gewand von rafsinirtestem Geschmack und
einen Kolorismus von krankhafter Modernität besitzt.
Allein die Epigonen der Reifen, der Linquecentisten haben
heutzutage Unrecht. Unsere senilen Feinschmecker, die
den Ton angeben, sehen in der eigenthumlichen differenzirten
Farbenempfindung der Werke des Franzosen, in ihrer
lyrisch weichen Verschwommenheit, die wie greiser Mehl-
thau auf halbentwickelten frühlinghaften Gebilden mensch-
licher und landschaftlicher Natur ruht, etwas sehr Apartes,
Erhabenes, unsagbar Interessantes. Eine sanfte Ruhe
und feierliche Mystik bildet allerdings das geistige Ge-
präge seiner einheitlich gestalteten Kompositionen, in
denen der künftige Historiker wohl eine Art Verwandt-
schaft mit Schöpfungen gewisser deutscher Nazarener er-
kennen wird. Das hauptsächlichste Material zum
Studium dieses gefeierten Meisters, der an der Spitze der
pariser Künstlerschaft jahrelang gestanden hat, findet
man in Amiens, Lyon, Marseille, Poitiers, im pariser
Pantheon und anderwärts; an letzterer Stätte begann er
vor mehr als 20 Jahren mit der „Jugend der Hl. Geno-
vefa", einem bekannten, neuerdings noch fortgesetzten
Bilderzyklus.
Puvis wurde am iH. Dez. 182H in Lyon als Sohn
eines Bergingenieurs geboren. Nicht seine im Alter
von 16 Jahren stattgehabte Uebersiedlung nach Paris,
sondern seine erste Reise nach Italien, bestimmte seinen
Entschluß, Maler zu werden. So ward er einst Louture's
Schüler. Seit 1850 gehörte er einige Zeit zu den Refu-
sirten des Salons. Dreißigjährig legte er in einer kleinen
Villa fern von Paris feine ersten vielversprechenden
Proben als Wanddekorateur mit den „vier Jahreszeiten"
ab. Seine eigentlichen Erfolge begannen aber erst nach
dem Eintritt in den „Salon", dessen Auszeichnungen ihm
seit 1861 allmälich zu Theil wurden. Sein Vaterland
und die Kunst haben Ursache, den Heimgang dieses über-
zeugungstreuen Malers tief zu betrauern. O. 6.
Künstlerische Teil- u. Streitfragen.
Ein hiesiger FreundunseresBlattes schreibt uns :
Unter dem etwas geschmacklosen Namen: „Neo-Im-
pressionisten" hat eine belgisch.französische Künstler-
Gruppe neulich eine Gesammtausstellung von Werken in
einem Lokal der Potsdamerstraße eröffnet. Ich finde mich
nach einer Besichtigung der Ausstellung veranlaßt, Front
gegen diese Art von Kunst und gegen die Mißachtung
des Publikums, die in solchen Darbietungen liegt, zu
machen. Denn das zulässige Maß selbst inmitten einer
Weltstadt, die ziemlich verdauungsfähig ist, scheint mir
hier überschritten.
Diese Künstlergrupxe vertritt die sog. „pointillistik".
Sie will neu entdeckt haben, was Tizian, Rembrandt,
Elaude Monetu.a. große Meister schonwußten: daßnament-
lich komplementäreFarbentöneineinerFläche durchdiemecha-
nischeMptik des menschlichen Auges zu einheitlicher Wirkung
zusammengezogen werden, selbst wenn sie ungemischt und
frei nebeneinander stehen. Ein wichtiger Theil der kolo-
ristischen Wirkung in den Gemälden jener bedeutenden
Meister beruht auf besagter Kenntniß; sie erzielten damit
„nebenbei", dank ihrer hohen Technik, eine gesteigerte
Lebendigkeit des Lichts oder eine intensivere Wärme, je
nachdem die Palette hell oder dunkel gehalten ist. . .
Was haben diese „Neo-Impressionisten" daraus
gemacht? Lin stumpfsinniges Rezept für eine unglaub-
liche technische Manieri Der Talentloseste unter ihnen,
P. Signac, hat es in einem Blatt des Näheren erörtert, —
offenbar, weil diese Leute der Güte ihrer Kunst selbst
mißtrauen. Aus dieser Erfahrung von den Werken
großer Koloristen — wohl gemerkt, nicht aus der Natur!
— leiten diese Maler das Prinzip ab, in ihren Bildern
möglichst prismatisch reine Farbentupfen, roh und un-
künstlerisch, mosaikartig nebeneinander zu setzen. Dabei
ist es für den Werth dieser Schule sehr charakteristisch,
daß nur einer, Th. van Rysselberghe, der Parteichef,
Talent besitzt, wie seine „Badenden", das Bildniß eines
Sportsman beweisen, daß die Uebrigen indeß ohne jede
Individualität in einer verblüffenden Gleichartigkeit malen,
die sie kaum voneinander unterscheiden läßt. Ferner aber
auch: daß nirgends die Natur in diesen Gemälden sichtbar
wird, vielmehr nur die Schulschablone.
Und mit dieser schreienden Unfähigkeit wagt man heute,an
freilich dafür geeigneter Stätte, in Berlin vor die Geffent-
lichkeit zu treten, möchte man unsere einheimischen Künstler
niederbrüllen! — Zum Glück ist dieses franko-belgische
Konsortium bei der Berliner Kritik ziemlich scharf ab-
gefallen, wenn auch natürlich ein paar Kritiker, die regel-
mäßig auf das „Neueste" hereinfallen, eine Lanze für die
Herren gebrochen haben. Es muß ja auch solche Käuze
geben.
Wohin, frage ich Sie, soll der Unsinn mit solchen
Akademiker-Fuchsereien führen? Weiß man denn immer
noch nicht, daß die physiologische und die künstlerische
Wahrheit zwei himmelweit verschiedene Dinge
sind? Und daß die Gesetze jener nur brauchbar sind,
soweit sie eine fachmäßige Umbildung erfahren haben, wie
man das z. B. bei Tizian und Monet studiren kann.
(?. ?.
Münchener „Kunetverein".
Hier ist z. Z. der Nachlaß des kürzlich in der
Dachauer Gegend jung verstorbenen Malers G-E. Dodge
ausgestellt, auf dessen illustrative Arbeiten man erst neuer-
dings ausmerksam wurde: Zeichnungen in Stift und Kohle
und zwei Gelbilder. Der flüchtige Besucher wird vielleicht
achtlos an ihnen vorübereilen. Sie machen dem Publikum
keine Konzessionen, diese Bilder: einfache Motive — aber
voll starken Naturempfindens, wie wunderbar gezeichnet
z. B. die Pappelallse, das Bauernmädchen, das gegen den
Wind ankämpft; aber am feinsten ist die Landschaft, wenn
sie nicht von Menschen belebt ist. Hier konnte der Künstler
seine grüblerische, träumengeneigte Natur hineingießen.
Bei den Velbildern hat Dodge einer breiten pastosen Mal-
weise gehuldigt; er erzielte auch hierin schöne Wirkung,
wenn auch die Schwarzweißkunst bei ihm vorzuziehen ist.
— Bössenroth preist in einer Reihe von Naturaus-