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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 1
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Thomas, Bertha: London: Ausstellung der Royal Academy, [2]
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Norden, J.: Gr. Berliner Kunstausstellung, [8]
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0017

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Nr. I

Die Aun st-Halle

9

halt einen Trupp alter Soldaten gemalt, die, um das
ihren im Krimkriege gefallenen Kameraden errichtete
Monument geschart, die herannahende Königin mit
Hurrahrufen begrüßen. Die grellrothen Farbentöne
der englischen Uniformen, Lahnen und Dekorationen
sind auf dem Bilde künstlerisch in Harmonie gebracht,
machen aber die ihm benachbarten, milder gestimmten
Malereien faktisch todt. Auf Mr. Solomon's Ge-
mälde gleichgroßen Formats sieht man die ein wenig
abnorm erscheinende Figur des Lord Mayors im
Staatsgewand zu Pferde, inmitten eines Waldes von
Bannern und seines ganzen Galagefolges, genau so,
wie er vor der Königlichen Familie an der Grenze
der Tity vor Temple Bar erschienen ist. Tin Werk
feinerer Art zum Gedächtniß der Feier ist das des
Präsidenten, der die Herzogin von Somerset in ihrem
prachtvollen Anzug im Stil Holbein's, gemalt hat,
welchen sie als Kaäy saue Leymonr bei dem Jubiläums-
Kostüm-Ballfest des Herzogs von Devonshire trug.
Das andere Gemälde Sir Edward Poynter's,
»llcke Lbirt clance« (Der Schleppentanz) ist trotz des
modern klingenden Titels eine antike Szene. In einem
klassischen Interieur produzirt sich eine römische
Tänzerin vor einer Anzahl Damen. Der Künstler
hat denselben Entwurf schon einmal in kleinerem
Maßstab ausgesührt.
Mr. Orchardson's Malweise ist bekannt und
steht noch aus derselben Höhe, wenngleich wir sie in
diesem Jahr nach keiner neuen Seite hin entfaltet
sehen. Mr. Waterhouse hat mit „Flora und die
Zephyre" und „Ariadne" zwei Werke geschaffen, welche
durch eine unwiderstehliche Anmuth der Farbengebung,
der Zeichnung und des Ausdrucks die Kritik ent-
waffnen. Wir glauben freilich nickt recht an diese
Nymphen mit den griechischen und römischen Namen
und mit Gesichtern und Formen lieblicher englischer
Mädchen von heute in einer pittoresken Umgebung
im Stil der italienischen Romantik; aber sie anzusehen
ist ein Vergnügen. Den Preis der Popularität hat
unbedingt, und nicht zum ersten Mal, Mr. Abbey
gewonnen. Sein „Kordelia, ihren Schwestern Lebe-
wohl sagend", die bekannte Szene aus „König Lear"
ist weit effektreicher, allerdings auch anspruchsvoller,
als das Bild, welches er in der New Gallery hat.
Dieser Erfolg ist um so bemerkenswerther, als es
einer von den Lieblingsgrundsätzen der neueren Schule
ist, man dürfe nichts zu malen unternehmen, was
ebenso gut oder besser in einer anderen Kunst aus-
gedrückt werden kann. Mr. Abbey thäte wohl daran,
gegen diese Behauptung Front zu machen mit einer
ganzen Serie großer, bedeutsamer Szenen von
Shakespear; die Kunst-Doktrinäre selber würden ihm
ihren Respekt, wohl gar ihren aufrichtigen Beifall
zollen müssen. Ganz frei ist nun zwar diese Leinwand
nicht von einem theatralischen Beigeschmack, jedoch
weist sie so viele künstlerische Vorzüge aus, das Sujet
ist mit solcher Verve und Kraft wiedergegeben, daß
Niemand dem Maler seinen Erfolg mißgönnen kann.
Von der Gabe der Phantasie zeigt sich im All-
gemeinen nicht viel bei unserern jüngeren Künstlern.
Mr. Byam Shaws „Wahrheit" ist aber in dieser
Hinsicht, was auch sonst an dem Bilde zu bemängeln
sein mag, als eine interessante Ausnahme zu ver-
zeichnen. Die Idee der Allegorie ist vortrefflich. Die
sitzende nackte Gestalt der Wahrheit nimmt den
Mittelpunkt des Gemäldes ein, während ihr zu beiden
Seiten Männer und Frauen gruppirt sind, die zu
allen möglichen schlau ersonnenen Mitteln greisen, sie
zu verhüllen oder zu entstellen, sich um die eigene

Lrkenntniß zu betrügen. Unter den Bewerbern um
ehrenvolle Anerkennung ist kein anderer, der über ein
gleiches Maß an Originalität und Erfindungsgabe
bei seinem Farbensinn und leichter Pinselsührung ver-
fügt. Mr. Shaw hat alle Anwartschaft aus eine
glänzende Zukunft.
Militärische Sujets scheinen wenig Anziehendes
für unsere jüngere Künstlerschast zu haben. Zu
nennen wäre nur aus diesem Gebiet Miß Elizabeth
Thompson (Lady Butler), die eine starke, angeborene
Neigung für dasselbe besitzt. Doch haben einige
Maler die Lhancen für künstlerische Ausbeute des
letzten Feldzuges an der Grenze von Indien wahr-
zunehmen versucht. So sehen wir jenen berühmt ge-
wordenen Bläser Findlater, der, von einer Kugel ge-
troffen, darauf bestand, weiter zu spielen, in etlichen
Darstellungen figuriren, die jedoch kann: geeignet
scheinen, zur Glorifizirung des Helden beizutragen.
Unter den zahlreichen Marinebildern von verschiedenem
Werth sind die von Mr. W. Wyllie hervorragend, in-
dem sie einen individuell ausgeprägten Stil mit höchster
Korrektheit der Wiedergabe vereinigen. Als Bei-
spiele führen wir an: „The Harbour Bar" und
„Tommerce and Sea Power". Der modernen Lieb-
haberei für pachten verdanken unsere Marinemaler
die Modelle zu einigen überaus pittoresken Entwürfen,
und die prächtig schöne „Walhalla" mit ihren stolz
geblähten Segeln heischt unsere Bewunderung auch
aus einer Leinwand des Mr. Wyllie.
Die Skulpturen-Ausstellung ist selbst für England
nur unbedeutend. Dahingegen hat die Aquarell-
malerei noch, soweit wir zurückdenken können, keine
so große Rolle im Burlington House gespielt, wie
dieses Mal; finden wir doch den Präsidenten und
andere Mitglieder der Akademie hervorragend mit
Beiträgen dieser Gattung betheiligt. Daß diese
Kunst so lange in den Hintergrund gedrängt worden
ist, hat man der akademischen Behörde stets vor-
geworfen, die jedoch nunmehr gewillt scheint, fortan
keinen Anlaß zu dieser Klage zu geben.
6r. kerliner Kunstausstellung.
(Schluß)
IX. Kaukimstleriscbes und Ikunstgevverblicbes.
besitzt eine große Anzahl hervorragender
Baukünftler. Ihre srnchtreiche, viel in Anspruch
genommene Schaffenskraft einmal im Zusammen-
hang und systematisch illustrirt sehen zu können, wäre
durchaus wünschenswerth. An den stolzen und launen-
haften Bauten, die in der Reichshauptstadt in immer
größerer Fülle seit ca- 20 Jahren entstanden sind und noch
entstehen, hastet das Publikum meistens gleichgültig vorüber
und in die architektonischen Sammelwerke zu Bildungs-
oder Luxuszwecken blickt wohl kaum Jemand sonst hinein,
als der Fachmann. Ich denke mir daher eine Sonderaus-
stellung für Baukunst in Modellen und Entwürfen sehr
interessant und lehrreich und bezöge sie sich auch nur auf Berlin.
Aber hübsch systematisch müßte sie angelegt sein — Monu-
mental- und Kirchenbauten, das Geschäftshaus, das Wohn-
haus u. s. w., unter Angabe der Stilrichtung — und ge-
schmackvoll geordnet. Linen kleinen Schritt in dieser
 
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