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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 6
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Zimmern, Helen: Domenico Trentacoste
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8H

Die Aun st-Halle

Nr. 6

Garten treten, wo Rosen und Unkraut friedlich neben-
einander gedeihen.
Domenico Trentacoste ist (859 in Palermo ge-
boren. Er hat nie an der Hand eines Lehrers seine
Kunst erlernt, auch nie als Schüler sich im Nach-
bilden antiker Statuen geübt. Von unwiderstehlichem
Trieb zur Kunst beseelt, hat er stets nur nach leben-
den Modellen gearbeitet. Im Jahre (888 ließ er
sich in Paris nieder, nachdem er in den Hauptstädten
Italiens die Meisterwerke der Renaissance studirt
hatte. In Paris gewann er sich bald durch die
ausgezeichnete, ebenso zarte wie wahrheitsgetreue
Modellirung seiner Bildwerke die Gunst des fran-
zösischen Kunstpublikums, das jede echte Begabung,
welcher Art sie auch sei, stets ungemeiu rasch zu er-
kennen weiß. Von dort ging er mehrmals nach
London und schloß daselbst innige Freundschaft mit
verschiedenen englischen Künstlern, vornehmlich den
Malern Lalderon und Edwin Long, deren Büsten
in Lebensgröße er modellirte, beide in hoher künst-
lerischer Vollendung bei großer Lebenstreue. In
London ward ihm auch die fast einzige Ehre zu Theil,
daß nämlich die Prinzessin von Wales ihm ein Werk ab-
kaufte. Dies trug sich bei ihrem offiziellen Rnnd-
gang durch die Koyal ^caäewy zu, an dem Tage, der
vor der Eröffnung für die Königliche Familie reser-
virt ist. Die Prinzessin pflegt bei dieser Gelegenheit
durch die Ausstellungssäle zu eilen und kaum etwas
anzusehen, während der sie geleitende Präsident sich
bemüht, auf die hauptsächlichste!! unter den Kunst-
werken ihre Aufmerksamkeit zu lenken. Dieses Mal
blieb Ihre Kgl. Hoheit plötzlich vor Trentacostes
Werk stehen, auf das sie nicht aufmerksam gemacht
wurde, weil es von einem Ausländer herrührte.
„Dies möchte ich haben," sprach sie und kaufte es
auf der Stelle, zum nicht geringen Verdruß der eng-
lischen Künstler, die nicht eben erbaut waren, daß
ein solches Unikum von Auszeichnung einem Fremden
zugefallen war. Seitdem hat die Prinzessin noch
mehrere andere Bildwerke Trentacostes angekauft.
Seine Hauptschöpfungen befinden sich aber in Paris,
wo sie meist das Eigenthum von Privatpersonen
sind, welche sie nicht ausstellen lassen. Von diesen
solcherart dem Publikum ganz unzugänglichen Werken
— deren viele er auf Bestellung modellirt hat -—
auch nur photographische Aufnahmen herzustellen,
hat Trentacoste, der merkwürdig wenig Interesse für
seine fertigen Schöpfungen hegt, nicht der Mühe
werth gehalten. Seine Vatergefühle für die Werke
seines Genius erstrecken sich nicht über die Zeit des
Schaffens hinaus. Er hat mir selber erzählt, daß
er häufig, wenn er sein Atelier durchwandert, Skizzen
und Modelle zertrümmert, weil er ihrer überdrüssig ist.
Trentacoste widmet sich nicht der sogenannten
heroischen Kunst, und auch für das Gruppenbildwerk
besitzt er keine Neigung. Er beschränkt sich zumeist
auf Büsten und Linzelfiguren. Am liebsten modellirt

er auf der Schwelle des Ueberganges zur Jung-
fräulichkeit stehende junge Mädchen und kaum zu
Jünglingen herangewachsene Knaben, die er in ihrer
geschlechtlich noch fast indifferenten Erscheinung mit
den schmalen, schlanken Gestalten unendlich rührend
und anmuthig darzustellen weiß, während er zugleich
auch das ihnen eigene, in diesem Alter meist hoch-
gradig intensive Seelenleben in ihren Zügen auszu-
prägen sucht. Und so gelingt es ihm, ihre körper-
liche und ihre geistige Wesenheit wunderbar lebendig
in Marmor zu übertragen. Seine Werke, obwohl
nicht realistisch, insofern damit die Abkehr von der
plastischen Ruhe der Antike gemeint ist, sind voller
Leben. Sie leben wie die Niobiden, wie der Faun
von Praxiteles, wie die verwundete Amazone im
Vatikan. Man sieht es ihnen an, daß sie leiden,
fühlen, denken, aber nie zeigen sie sich verzerrt oder
unschön. Die hervorstechenden künstlerischen (Quali-
täten Trentacostes sind ein starkes Formgesühl bei
außerordentlich schöner Technik, höchste anatomische
Korrektheit, und das Alles als Mittel zum Ausdruck
von Gedanken, die niemals vulgär oder kindisch sind,
sondern immer aus der edelsten (Quelle stießen. Be-
geistert für die Schönheit nach klassischem vorbilde,
sucht er diesen Kultus in geistiger und emotioneller
Hinsicht zu erweitern und zu vertiefen. So ist Tren-
tacostes Stil zugleich antik und modern. Dies zeigt
sich in hohem Grade bei seinem in Marmor aus-
geführten »Klla iborNo« (Am Brunnen), das für die
National-Gallerie in Nom angekauft wurde, nachdem
es ihn: (895 einen der drei Preise der Internatio-
nalen Ausstellung in Venedig eingetragen hatte.
Wir haben hier den erfreulichen Beweis, daß in
Italien noch nicht jegliche Tradition aus dem klas-
sischen Zeitalter erloschen und daß die Kunst zarter
und anmuthlger Modellirung, wie die (Quattrocentisten
sie übten, keineswegs ausgestorben ist. Der Idee
wie der Form nach kann man sich nichts Einfacheres
denken als dieses Bildwerk, das uns wie ein grie-
chisches Idyll anmuthet, etwa im Geiste einer Ode
des Theokrit; ein Jüngling, fast noch Knabe, mit
einer Amphora auf der linken Schulter, über die
Brüstung des Bassins zum Wasser hinabschauend,
mit jenem neckischen Lächeln im Antlitz, wie wir es
bei Faunen und ähnlichen sich nur halb bewußten
Fabelwesen finden, mit denen der Mythos der Alten
die Haine bevölkerte. Der Kopf, eine Hand nur und
ein wenig Rumpf — das ist Alles, und doch, wie
viel Leben, welche gesunde Heiterkeit in dieser Knaben-
büste! (S. die Illustr.) Das Werk hat noch überall
das Interesse und die Bewunderung der
Künstler erregt, denn es stecken viele Feinheiten, die
voll zu würdigen erst das geübte Auge taugt, in der
überaus schönen Modellirung dieses Meisterwerkes,
das so klein und doch so groß ist . . .
Als Trentacoste zum ersten Mal in Italien aus-
stellte, — es war eben in Venedig, in der Inter-
 
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