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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 14
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Gensel, Otto Walther: Pariser Brief
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0247

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Nr.

4- Die Nun st-Halle

2hö

gestellt waren. Läßt sich ein größerer Unterschied
denken als zwischen dem Baumeister, der auch die
kleinsten Theile seiner Fassade nut liebevoller Sorgfalt
ausgeführt hat, und dem Maler, dem die ganze
Kathedrale nur ein Vorwand ist, das Spiel der
Sonne auf dem Sandstein zu malen, auf dessen Bilde
keine Spitze und keine Figur zu uuterscheideu ist?
Diese Entwicklung war naturgemäß, ja sie war
vielleicht uotweudig. Sie hat den Impressionismus
gll ub.mräum geführt. Monet ist ein so großer
Künstler, daß auch diese letzten Bilder uns noch leb-
haft zu interessieren vermögen. Melcher Künstler
außer ihm vermöchte es Naturerscheinungen, die kaum
einige Minuten, vielleicht nur Sekunden währen, so
unfehlbar sicher festzuhalten. Allein eine ganz auf-
richtige Freude kauu niemaud an ihnen haben. Bon
Zeichnung im gewöhnlichen Sinne kann bei ihnen
überhaupt keine Rede sein, aber auch der farbige
Neiz ist geriug. Ferner aber haben die Impressionisten,
um den größtmöglichen Grad der Helligkeit zu er-
reichen, das Prinzip der Farbenzerlegung aufgestellt,
ein Prinzip, das bei einigen Neuimpressionisten dann
zu einer unerträglich pedantischen Manier geworden
ist. Damit aber haben sie erreicht, daß man ihre
Bilder aus der normalen Entfernung gar nicht mehr
zu genießen vermag, daß sie als Zimmcrschmuck
also völlig untauglich sind. Als ob es einzig und
allein darauf ankäme, die Helligkeit der Natur zu
erreichen, als ob nicht auch das hellste Bild ueben
dem wirklichen Sonnenschein wie ein schmutziger Fleck
erscheiuen würde. Mas uns erfreut, ist nicht der
Sonnenschein au sich, sondern der Sonnenschein als
belebendes Element. Für alles das kann uns das
technische Können nicht entschädigen. Der Laie staunt
wohl über die genialische Frechheit, mit der durch
bloße Farbenstecke ohne die Spur einer Linie der
plastische Eindruck erzielt ist, der Künstler weiß,
wieviel bloße Routine in diesen Merken steckt. Die
Kunst aber hört da auf, wo das Kunststück an-
fängt. . . .
Es war wünschenswert und unvermeidlich, daß
ein Rückschlag gegen diesen konsequenten Impressio-
nismus eintrat. Man war des Sonnenscheins müde,
und es entstanden unzählige Bilder der Abend-
dämmerung, des Mondscheins und des trüben Tages.
Man war der grellen und im Grunde doch ärmlichen
Farben müde, und von allen Seiten erscholl der Ruf
nach den „reichen Harmonien". Man war der
Mahrheit müde und sehnte sich nach der Poesie.
Biele schossen über das Ziel hinaus. Aus Augst vor
dem banalen Tageslicht erfand Besnard seine merk-
würdigen Kombinationen von Gaslicht und Morgen-
grauen, von Fackelschein und Mondlicht, malten
Thudant, Le Sidaner und andere Nachtbilder, auf
denen fast nichts mehr zu unterscheiden ist. Bor-
allem aber verwechselte manpoesie und Sentimentalität.
Von dieser Sentimentalität ist auch Taz in nicht
immer ganz freizusprechen, den die Franzosen als den
vorzüglichsten Vertreter dieser Richtung ausehen. Ich
meine da nicht nur Merke wie die „Magdalena"
der Berliner National-Gallerie, den „Ismael" des
Luxemburg oder die „Reisenden" sondern auch ein
kleines Stimmungsbild wie die „Kanalufer". Das ein-
same Mäglein, das vor der kleinen Dorfschenke hält,
der Lichtschein, der aus dein einen Fenster
fällt, bringen etwas Anekdotisches, Illustratives
hinein, das mit der eigentlichen Landschaftsstimmung
nichts zu thun hat. Außerdem wirken Tazins Bilder,
wenn man ste in größerer Anzahl beisammen sieht,

immer etwas langweilig. Die Palette des Künstlers
verfügt über sehr zarte Töne, ist aber durchaus nicht
reich. Fast alle Bilder sind in denselben bräunlichen
Ton getaucht, der einen Taziu auf weite Entfernung
aus anderen Bildern herauserkennen läßt. Ich hebe
diese Punkte hervor, um zu erklären, warum ich m
das allzulaute Lob des Künstlers nicht mit einzu-
stimmen vermag, will aber damit nicht sagen, daß
viele seiner Merke nicht einen wirklich hohen Ge-
nuß gewähren. In einigen kleinen Dämmerungs-
landschaften hat er das Höchste geleistet, was die
die moderne französische Kunst bis fetzt auf diesem
Gebiet erreickü hat. Auch Taziu ist natürlich bis zu
einen: gewissen Grade Impressionist, wie fast alle
modernen Landschaften. Einen Baumschlag wie uusere
Nazarener malen heutzutage ja eigentlich nur uoch
die Künstler, die bewußt archaistisch wirke:: wollen.
In: allgemeinen ist nur der Norweger Thaulow,
der vierte Laudschafter der Ausstellung, eigentlich lieber.
Er ist weniger einseitig, farbiger und männlicher.
Aber auch ihu möchte ich nicht überschätze::. Es
fehlt ihn: die Freiheit und Großartigkeit, die den
besten Schöpfungen Monets eigen ist. Er weiß
oft nicht genug sich vom Natureiudruck freizumachen,
das Mesentliche von: Unwesentlichen zu unterscheiden.
Aber welches Können steckt in diesen Bildern, wie
harmonisch abgerundet sind sie, wie satt und kräftig
und doch stimmungsvoll sind die Farben. Bor Allen:
ist Thaulow einer der allervorzüglichsten Maler des
Masters. Vielleicht ist er ein wenig zu verliebt iu
alle die feinen Mellenkräuselungen, die Lichtrestexe,
die Spiegelungen des Himmels und der Molken, der
Häuser und der Bäume. Jedenfalls aber ist es
Master, echtes Master, nicht angemalte Pappe oder
Blech, wie bei so vielen berühmten Marinemalern.
Eins der schönsten Bilder ist die „alte Fabrik in
Norwegen". Zwischen beschneiten Hügeln zieht sich
der Fluß hiu. Die hochroten Ziegelmauern der
Fabrik bilden zu den: Schnee einen glücklichen, kräf-
tigen Gegensatz. Das Master schimmert wie ein
glänzendes Geschmeide dazwischen. Der „Fluß iu
der Normandie", eine weite flache Miesenland-
schaft mit vereinzelten Bäumen und der breiten
Masterstäche, ist ein lieblicher Zusammenklang von
zartgrünen und rosigen Tönen. Ein wundervolles
Gegenstück dazu ist die Abendlandschaft mit. den:
gleichen Titel. Auch hier siud Grüu und Rot die
Hauptnoten, aber ein schweres dunkles Grün und
ein sattes tiefes Rot. Ganz wundervoll ist das
Master auch auf den Bildern „Hinter der Mühle in
Issoudun" und „Armenviertel in Venedig" gegeben.
Nächst den Flußlandschaften interessieren den Künstler
am meisten die stillen Straßen und Minkel der
Dörfer. Besonders gern malt er sie an: Abend und
::: der Nacht. Auf den: Bilde „Abend in Amble-
teuse" ist die Sonne eben an: Untergehen und ver-
goldet noch die höchsten Häuser der Dorfstraße,
während bei der „Nacht im Pas de Talais", der
„Nacht in der Normandie" und der „Alten Brücke
in Istoudun" bereits der Mond oder die Sterne auf
die stillen Häuser herniederschimmern. „Die Tou-
raine" ist eine Erinnerung an die letzte Amerikafahrt
des Künstlers. Der aufspritzende Gischt und der
Dampf des Schiffsschlotes sind hier mit einer un-
vergleichlichen Kühnheit und Mahrheit wiedergegeben.
Das großartigste Bild aber, daß Thaulow von dieser
Reise mitgebracht hat, ist „Die rauchige Stadt"
(pittsburgI Eisenbahnschienen und rußige Arbeiter-
häuser in: Vordergründe, dann der Fluß, jenseits
 
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