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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 16
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J., F.: Neue Bücher und Kunstvorlagen, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0285

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Nr. 16

Die Aunst-^alle -s-

2^7

formen, Bau und Bewegung des Menschen ausgeübt haben,
und durch photographische Aufnahmen und Messungen er-
hält dieses reiche'Material eine hohe wissenschaftliche Be-
deutung. Die langjährigen Beziehungen des Verfassers zu
den Künstlerkreisen haben ihn ferner in die Lage versetzt, auf
die für die Kunst wichtigen anatomischen Fragen näher ein-
zugehen, überzeugend zu demonstriren, worin die anato-
mischen Merkmale berühmter älterer plastischer und male-
rischer Figuren der Antike, Michelangelos, Dürers, Kranachs
Lottioellis, u. a. Meister bestehen, von heutigen Meistern
werden freilich nicht durchweg glücklich gewählte Beispiele,
Gestalten eines Meunier, T.Gussow,Burne-Iones, M. Klinger
n. v. a. in ihren eigentümlichen Proportionen erläutert,
Schöpfungen von Touaillon und A. Volkmann geben zu
Betrachtungen über Reiter und Pferd Anlaß. An der
„Eva" von F. Stuck in dessen großem Gemälde „Vertreibung
aus dem Paradiese" wird eine angebliche püstgelenksver-
renkung, an einer knieenden Frau in Laersmanns Bild
„Abendgebet" eine Verwechselung der Schuhe, in Falguisre's
nackter Porträtstatue der Cleo de Msrode eine abscheuliche
Schnürtaille konstatirt. Diese wenigen knappen Andeutungen
mögen dem Leser ungefähr einen Begriff von der Mannig-
faltigkeit des Inhalts der erwähnten Publikation geben.
Mie das anatomische Merk von Dr. Pfeiffer, durch
eingehende Berücksichtigung der bevorzugten wie der häß-
lichen menschlichen Natur, einer Vertiefung des heutigen
„Realismus" nützlich sich erweisen muß, so werden die
unter dein Gesammttitel „Freilicht" vereinigten xoo
Modellstudien, von Prof. Mar Koch in offener Natur auf-
genommen*), ein Pleinair-Studium der menschlichen Ge-
stalt ungemein fördern. Nur wenigen find ja, selbst bei der
Möglichkeit anfwandreicher Vorkehrungen, überhaupt Akt-
studien im Freien gestattet. Der Herausgeber dieser Samm-
lung hat also über ausnahmsweise günstige Verhältnisse
verfügt und wenn auch die Stellungen, die er feinen er-
wachsenen und unerwachsenen Modellen beiderlei Geschlechts
giebt, nicht durchweg hervorragend malerisch schöne sind, so
wirktvieles doch zumal durch dieverbindung mit Miese, Master,
Bäumen und Gestrüpp malerisch vortrefflich, in der Be-
leuchtung reizvoll und auf einzelnen Blättern namentlich
der letzten Lieferungen ist geradezu eine entzückende Har-
monie durch formale Schönheit, Rhythmus der Bewegung,
Lebendigkeit des Lichtspieles und Anmuth des Ausdrucks
erreicht. Der Preis jedes peftes mit zehn Aufnahmen im
Format 32 : 2^ cm beträgt nur 5 Mk.
Zu den Publikationen, denen ein zwar zu ahnender
aber nicht gleich klar firirbarer Werth für das Kunstschaffen
und zwar für das ornamentale inne wohnt, rechnet die
Sammlung formenschöner Urthiere und Urpflanzen, die der
bekannte Jenaer Naturforscher Prof. Ernst Paeckel
unter dein Titel: „ K u n st f o r m e n derNatur " kürz-
lich in erster Lieferung**) begonnen hat. Zunächst sind
50 Tafeln (5 peste ü 3 Mk.) in Aussicht genommen; der
Verfasser wird aber die Zahl der peste und Tafeln ver-
doppeln, wenn eine günstige Aufnahme dieses durch den
farbigen Druck der Blätter kostspielig gemachten Unter-
p Intern. Verlag M. Bauer 6c To. (ver-mann Zieger),
Leipzig.
**) Bibliographisches Institut. Leipzig und Wien G99.

nehmens zur Fortsetzung und gleichzeitig zur Abfassung
einer allgemeinen Einleitung erinuthigen sollte, vorläufig
geht jeder Tafel ein Blatt mit kurzem erläuternden Texte
vorauf. Daraus entnehmen wir, daß die hier abgebildeten
Gestalten dem großen Reich der Protisten oder Zellinge
angehören, jener einfachsten Organismen, deren ganzer
lebendiger Körper nur aus einer einziger: Zelle besteht:
Radiolarien, Thalamophoren und Infusorien unter den
Urthieren, Diatomeen, Kosmarieen und Paridineen unter den
Urpflanzen, von dem Verfasser erfahren wir, daß er seit
einem halben Jahrhundert an diesen merkwürdigen Lebe-
wesen, die ihn wissenschaftlich interessirten, nicht nur die
Gesetze ihrer Gestaltung und Entwickelung zu erkennen sich
bemüht, sondern auch mit Stist und pinsel die eigenthüm-
lichen formalen und farbigen Reize festzuhalten versucht
hat. Mas er aus der Fülle seines schon in größeren Mono-
graphien publizirten Materials hier für den oben berührten
Zweck zusammengestellt, erweckt die höchste Ueberraschung
und Verwunderung des den Ergebnissen der Natursorschung
im Allgenreinen fernstehender! Aesthetikers, der manche dieser
Dinge zürn ersten Male sieht, wegen der kaleidoskopischen
Mannigfaltigkeit, der Zierlichkeit, Seltsamkeit und Phan-
tastik der Bildungen. Jeder, der mit der Zeit vorwärts
schreitet, sagt sich wohl, daß der Künstler, der seine produ-
zirende Kraft zunächst nur aus den ihm bekannten Vor-
bildern der Natur schöpft, und der in dein Maße, als die
wissenschaftliche Forschung den Kreis des natürlichen An-
schauungsmaterials erweitert, auf einen vergrößerten Bezirk
anregender Studien hingewiesen wird, unmöglich immer auf
derselben Basis, in demselben Abstand zu den Schönheits-
Offenbarungen der Natur, die wir u. A. dein verbesserten
Mikroskop, den verfeinerten Beobachtungsmethoden und der
planmäßigen Meeresforschung von heute verdanken, stehen
bleiben darf. Bisher waren es, außer dem Menschen, nur
die höhern Gruppen des Thier- und Pflanzenreiches, die
in Betracht gezogen wurden; und das, was selbst Männer
wie Meurer durch ihre anerkannten Bestrebungen ver-
dienstliches bezwecken, ist doch lediglich eine Renaissance im
Sinne der alten ornamental schöpferischen Kunstepochen, also
eine im Rahmen des bisherigen Naturmusterschatzes er-
neuerte Methode, wirklich Neues dagegen verheißen die
Anregungen, die sich aus dein von Prof. Paeckel hier eröff-
neten Formenschatz der unermeßlichen Natur etwa ergeben
könnten. Da kommen zuerst die größern Organismen niedern
Ranges, die Algen, Pilze, Moose unter den niedern Pflanzen,
die Polypen, Korallen, Medusen unter den Nesselthieren an
die Reihe und den Beschluß bilden jene in dem vorliegenden
Merke gleichfalls berücksichtigten allerniedrigsten Lebens-
formen, die dem unbewaffneten Ange verschloßen in den
Tiefen meist fremder Meere wohnen, aber heute dank den
Errungenschaften der Forscher in ihren seltsam graziösen
farbenschillernden Prachtbildungen bequem betrachtet und
künstlerisch hoffentlich verwerthet werden können. F. I.
(Ein zweiter Artikel folgt.)
 
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