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Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

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Nummer 23
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Galland, Georg: Die Kranach-Ausstellung in Dresden
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https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0406

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>- Die Kunst-Lj alle

Nr. 23

einstweilen nur die auch von uns getheilte Hoffnung
aus, daß diese Ausstellung ihren kunstwissenschaftlichen
Zweck erfüllen möge.*)
Gewiß sind manche der Leser bis jetzt des
Glaubens gewesen, daß grade über die künstlerische
Individualität des braven Meisters Lukas Zweifel
längst nicht mehr bestehen. Und da ja die Thatsache
einer so greifbaren scharfen individuellen Persönlichkeit
eine genaue Kenntniß der Kranachschen Schöpfungen
für uns zur Voraussetzung zu haben scheint, so wundert
man sich vielleicht über den angedeuteten ungenügenden
Stand der Forschung diesen: alten Künstler gegen-
über, der im Jahre sfl?2 in den: oberfränkischen
Orte Kronach geboren, aber für uns heute erst im
Alter von 32 Zähren als Maler bekannt wurde.
Wenigstens trägt das älteste seiner beglaubigten
Werke eine „Ruhe auf der Flucht nach Aegypten"
im Besitz des Generalmusikdirektors Levi in München,
die Jahreszahl (50^. Ts liegt hier deutlich genug
ein charakteristischer, echter Lukas Kranach vor, den
man so genau wie seine eigenen Taschen zu keuueu
glaubt. . . Wer hat derartige Stücke nicht wiederholt
gesehen, diese nut lebhaften, aber keineswegs bunten
Farben glatt und sorgsam mit vielen Details bemalten
Tafeln, diese schlanken Figuren, die das Gepräge
einer spießbürgerlichen Grazie und Ehrbarkeit besitzen
und mehr neugierig als intelligent gewöhnlich aus
dem Bilde herausschauen, diese blassen schlanken
blonden sächsischen Iungfräulein mit den etwas zu
lang gerathenen Beinen, den dürftigen Formen des
Oberkörpers und mit ihren nur halbgeöffneten Schlitz-
augen: Wer hat diese Bilder, diese Farbengebung,
diese Gestalten, diese Köpfe und Mienen, diese munteren
Bewegungen, diese Sauberkeit und Gediegenheit des
„tüchtigen, ehrlich - deutschen Meisters" — wie ihn
Woermann nennt — nicht schon oft in den öffent-
lichen Gallerten näher betrachtet, manchmal belächelt,
manchmal sogar bewundert. Man glaubte ihn wohl schon
von Weiten:, unter Lsunderten, leicht herauszufinden.
Wozu hatdenn auch ein Künstler seine „Individualität?"
Diese Individualität, die ja heutzutage das beliebte
Schlagwort in der modernen Kunst ist. Diese „per-
sönliche Note" die nach der Ansicht gewisser kluger
Kritiker überhaupt das Künstlerthun: einer schaffenden
Persönlichkeit ausmacht, gleichgültig welcher Art und
Bedeutung sie ist. Und nun läßt uns diese viel-
genannte Individualität, die auch Meister Kranach,
wie der Fähndrich seine Fahne oder wie der Tlephant
seinen Rüssel, uns zur Bequemlichkeit so lange voran-
getragen hat, hier arg in: Stiche. Da soll Tiner
heute noch auf altüberlieferte Individualitäten sicherer
bauen als etwa auf ungeöffnete Testamente, als wenn
der Ausgang, den die Wahrheit nimmt, dort wie
hier nicht manchmal ein gar unerwarteter wird.
*) Ergänzt wird die Ausstellung durch eine z. Zt. in:
Dresdener Kgl. Kupferstichkabinet aufgestellte Sammlung
von Wasserfarbenblättern und Lsandzeichnungen Kranachs.

Und unerwartet treten uns hier die Bezeichnungen
nicht weniger Tafelgemälde entgegen, die nur im be-
scheidenen Maße den Vorstellungen entsprechen, die
wir nut dem pinsel des alten Kranach verbinden.
Selbst die große Petersburger Venus nut dem bogen-
spannenden Amor, die doch das volle Monogramm
und die Jahreszahl s50<) (Nr. 5) enthält, hat etwas
bleberraschendes, wenn man die guten Proportionen
der lebensgroßen Gestalt, ihre reifen Formen und
die kraftvolle Modellirung auf dunklem bfintergrunde
betrachtet. Tine solche Leistung, die damals in Deutsch-
land wohl nichts Ebenbürtiges hatte, erweckt in jeden:
Falle die Wißbegierde des ernsten Beschauers nach
der früheren Entwickelung dieses Malers, nach seiner
Schule, den verschiedenartigen Einflüssen, die sich in
seiner Jugend geltend machten? Jene Venus läßt
ihn geradezu als einen der erfolgreichsten Schüler der
Italiener erscheinen, auch in der Farbengebung.
Ferner Erscheinungen wie der große Lsallesche Altar,
„das Hauptwerk, um das der Pseudo-Grünewaldstreit
sich dreht", das doch von Scheibler wie von Woltmann
und Woermann als eine eigenhändige Schöpfung des
älter:: Kranach vertheidigt wurde, machen uns nur
an der „Individualität" des sächsischen Meisters
irre; dasselbe gilt z. B. auch von dem wundervoll
erhaltenen Wörlitzer Flügelaltar des Herzogs von
Anhalt, einer auf schwarzem Grunde geschilderten
Vermählung der Lsi. Katharina nut dem Christkinde.
Wenn die Mitteltafel, zumal die uns an gewisse
lombardische Vorbilder lebhaft erinnernde Madonna
wirklich, wie der Wörlitzer Katalog behauptet, „ein
Prachtwerk Kranachscher Kunst" ist, dann dürfen wir
wohl auf alle möglichen Offenbarungen der kunst-
wissenschaftlichen Forschung bezüglich dieses Meisters
noch künftig gefaßt sein.
So ist denn der erste Erfolg dieser reichhaltigen
schönen Ausstellung, sonderbar genug, eigentlich ein
weit mehr negativer als positiver, insofern als wir
dadurch an unfern bisherigen Kenntnissen über diesen
Maler und seine „persönliche Note" irre gemacht
und zu der Meinung bekehrt wurden, daß gerade
diesen: überaus fruchtbaren und vielgenannten alten
Meister gegenüber unser Wissen leider nur fatales
Stückwerk ist. Der lebende Forscher, der sich zur
Neuordnung dieses wilden Gartens — mit solchem
kann das Schaffen Kranachs einstweilen noch immer-
verglichen werden — entschließen wird oder vielleicht
schon entschlossen hat, findet hier eine schwierige aber-
zweifellos sehr dankbare Aufgabe vor. Lr wird gar
viele dringende Fragen beantworten, vor Allem aber
über die Iugendentwickelung Kranachs und dessen Be-
ziehungen zu den: Aschaffenburger Großmeister-
Matthias Grünewald Licht verbreiten müssen. In
der Bestimmung und Datirung nicht ausreichend
beglaubigter Bilder wird er sich nirgends mit der
autoritativen Aussage begnügen, sondern eine auf
den Grund gehende Prüfung allein für beweisführend
 
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