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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Garschagen, L.: Jan Bosboom
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0032

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ö

raſchender Darſtellung — oft auch der einzelnen
Gegenſtände der Ausſtattung — bringt, redet eine
lebendige Sprache von den Zeithildern, welche ſeine
Phantafie beſchäftigten. Auch liebte er, ſich ſelbſt
oder ſeinen Freunden in ſeinen Aquarellen die
maleriſche Gewandung der Patrizier des ſiebzehnten
Jahrhunderts umzuwerfen.

Seine Motive ſuchte er am liebſten, wie ſchon
bemerkt, in den gothiſchen Domen ſeines Landes;
dort beobachtete er die Wirkung des einfallenden
Sonnenlichts zu den verſchiedenen Tages- und
Jahreszeiten und unter den jeweiligen Beleuchtungs-
verhältniſſen. Das eigenſte Weſen ſeiner Kunſt
jedoch, deſſen Merkmale auch dem unvollendeten
Blättchen unverkennbar bleiben, wird durch das
mächtig pulſirende Gemüthsleben des Meiſters her-
vorgerufen. Die Atelodien ſeiner Seele ſchallen
hinein in die weiten Räume und bringen träumende,
klagende oder jubelnde Töne wieder. Wir glauben
die hohen Grgeln in gewaltigen Harmonien erklingen
zu hören und das Beben der Luft zu erſchauen! So
fehen wir ſeine „Haarlemer Kerk“, deren Groß-
artigkeit er in dem Durchblick vom Chor aus durch
das Mittelſchiff des Langhauſes auf die Kieſenorgel
ſo herrlich zu ſchildern vermag. Oder er führt uns
in die „Groote Kerk van Breda“, an das impoſante
Grabmonument des Grafen von Naſſau Engelbertll.
Im Chor der Kirche erhebt ſich daſſelbe in ſeiner
originellen, maleriſch wirkenden Auffaſſung, als ein
Werk der Benaiſſance. Engelbert II ruht mit ſeiner
Gemahlin auf einem Marmorſockel; über ihnen
ſchwebt ein Baldachin, von vier, in lebendiger
Haltung knieenden Männern getragen. Auf dem
Baldachin, welcher aus einer großen Marmorplatte
beſteht, iſt die Rüſtung des Gefeierten aufgebaut.
Beſondere Vorliebe hierfür trieb den Meiſter zur
öfteren Darſtellung des Grabmals. Jedesmal um-
gab er daſſelbe mit ſeinen dunkelgelockten Geſtalten
im breiten weißen Kragen, wie ſie ſchauend und
bewundernd den Denkſtein ihres Helden umſtehen.
In anderen Kirchen läßt er ſie ins Gebet vertieft
einherſchreiten oder niederknieen; ſo verleiht er häufig
durch eine einzelne frommverſenkte Frauengeſtalt dem
Raume die Seele. Er liebt die beſte Seite des
Menſchen, die erhabenſten Augenblicke des vom
Getriebe losgelöſten Geiſtes zu ſchildern, ungeachtet
der verſchiedenen Konfeſſionen, welche er andrerſeits
wieder durch die Eigenthümlichkeit der jedesmaligen,
kirchlichen Gebräuche und Handlungen charakteriſirt.

Die maleriſche Eigenſchaft der prieſterlichen
Gewandung des Rabbi weiß er zu prächtigen Effekten
durch einfallende Sonnenſtrahlen und warme Licht-
töne zu verwenden, der buntfarbigen Ausſtattung
katholiſcher Kirchen giebt er lebendige Wirkung im
durchſichtigen Weihrauchdunſt. Gerne hüllt er auch


das volle Tageslicht durch Vierung und Nitttel-
ſchiff des Hintergrundes hineinleuchten. GOft vertieft
er in umgekehrtem Verhältniß und verſchmelzt Formen
und Linien in matter, dumpfer Beleuchtung.

Ein Geſtändniß ſeiner myſtiſchen Neigung
offenbart ſich in ſeinem tiefempfundenen „Lux in
tenebris‘“ (Aquarell). Gewaltig ſchwingt ſich ein
phantaſtiſcher Barock⸗Altar in kühnbewegten Linien
empor zu den Gewölben eines hohen, gothiſchen
Chores und taucht ſeine Hörner in die von oben
hereinbrechende, ſonnige Lichtfluth. Seine Stufen ſind
in mattes Helldunkel gehüllt. Betende Geſtalten
dämmern aus der Tiefe und über ihnen erglänzen

auf dem goldenen Kruzifix feurige Funken aus der
Finſterniß. Weihrauchdämpfe ſteigen auf und ver-
weben Phantaſie und Wirklichkeit zu geheimnßvollen
Gebilden.

Wandert der Aieiſter hinaus an den
Strand der See, ms nahe SFiſcherdorf, wo die Be-
wohner nach glücklichem Fang heimkehren, oder wir
ſehen dieſelben in ihren Häufern und Hütten beim
warmen Kaminfeuer in häuslicher Beſchäftigung, ſo
ſind es jedesmal wieder die weichen, melodiſchen
bHlänge des Gemüths im ſinnigen, friedlichen Zu-
ſammenleben froher, anſpruchloſer Moenſchen, die ıms
anheimeln. So ſehr Bosboom die Architektur an-
zieht und er ſich zwingen muß, ſeine geſchwungenen
Linien mit eckigen zu vextauſchen, ſo vielſeitig iſt er
in der Beobachtung und Darſtellung ſeiner maleriſchen
Umgebung. In zahlloſen Aquarellen oder auch
Gelgemälden ergeht er ſich, und ſeine Beleuchtungen
müſſen auch hier ihre frappirende Wirkung ausüben.
Wie in den Kirchen das Licht meiſt durch hohe
Balbfenſtex des Mittelſchiffes einfällt, ſo findet ſich
in der Scheune des Hofes ein Ausbau, eine Dach-
luke, durch welche die Sonne hineinſchaut und mit
den Faſern der fliegenden Stäubchen und dem
zitternden Bauch des flackernden Herdfeuers ſpielt.
Uraltes, geſchwärztes Gebälk, dunkle, verräucherte
Mauern verurſachen einen warmen bräunlichen Ton
und umgeben buntmützige Fiſcherfrauen mit ein-
ladender Behaglichkeit. Niedergebeugt ſitzen ſie, um
ihre Kartoffeln zu ſchälen oder die Siſche zu bereiten;
ein hübſches Siſchermädchen iſt im Begriff, ihren
Lieblingsgang mit dem Krug am Arm zum Brunnen
anzutreten; die Hauskatze weiß ſich vor Trägheit und
Wohlbehagen kaum zu laſſen; Geräthſchaften liegen
und hängen in gemüthlicher Unordnung.

Aber auch die Melancholie des Seelebens, die
unendliche Einſamkeit und ihre ſchwermüthige Poeſie
ſchildert ſein Pinſel. Geſchützt vor den Stürmen,
hinter ginſterbewachſenem Dünengelände liegen ſeine
Fiſcherhütten, das tief herabreichenee Strohdach iſt
von einer dicken Moosſchicht überwuchert. Ernſt
und ſtill, der großen, düſteren Natur entſprechend,
treiben die Inſaſſen ihr Handwerk. Und er, der
ſolche ums Daſein ringende, durch Natur und Ver-
hältniſſe hervorgegangene Orte der Genügſamkeit
gern aufſuchte, vermochte natürlich auch nicht vor-
überzugehn an den beſchaulichen Stätten gewollter
Menſchenflucht. Und auch hier finden wir ihn
wieder in ſeinem Element als Seelenmaler.

In allen Schattierungen lernen wir die geiſtige
und praktiſche Seite des Kloſterlebens kennen. Sanfte
GOrgeltöne begleiten die wohlklingenden Hymnen eines
hellen Tenors; begeiſtert öffnet der Sänger die
Lippen, während ſein Begleiter in gleicher Stimmung
die Taſten rührt. Oder ein prächtig geſchnitztes
Chorgeſtühl ſcheint der Gegenſtand ſeiner Darſtellung,
doch bei näherem Betrachten iſt es eine reumüthige
Mönchsgeſtalt, welche, das Haupt in die Kutte
hüllend, im Stuhle niederkniet. Ein anderer wandert
im langen Kloſtergange, deſſen dunkle Unendlichkeit
durch ferne Sonnenſtrahlen aufgelöſt wird. Oder
der Prieſter iſt im Begriff, vor dem Heiligthum der
kloſterkirche die Meſſe zu zelebriren; ehrfurchtgebeugte
Geſtalten umſtehen ihn und im Vordergrunde ergreift
in ſcheuer Andacht der Chorknabe das herabhängende
Seil des Meßglöckchens.

Aus dieſen Begionen reinſter, innigſter Em-
pfindung geht's in die Werkſtatt des Geiſtes. In gothiſch
gewölbfer Halle befindet ſich die Bücherei des
 
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