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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 10
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Galland, Georg: Münchens Niedergang als Kunststadt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0172

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Vr. 10

wurde, ſo lohnt es ſich vielleicht, den von vielen
Seiten gegebenen Antworten etwas näher zu treten.
Die Frage hat, wie ſie geſtellt war, in der That
abſolut nichts mit Berlin zuthun. Sie war lediglich, durch
die bekannten Gehäſſigkeiten“ — um im Jargon
des „erleuchteten“ Kopfes zu reden — auf das
Berliner Gebiet übertragen worden. Denn mit
München rivaliſiren doch auch Darmſtadt, Stuttgart,
Dresden u. ſ. w. was hoffentlich für dieſe Orte
nicht als Verbrechen gedeutet wird. Warum alſo
ſoll Berlin allein büßen, daß es ſich neben München
heute leidlich wohl befindet ? Der einzige berechtigte
Vorwurf liegt vielmehr in unſerer unbeſiegbaren
Paſſivität, wenn es ſich darum handelte, gewiſſe
Einflüſſe von auswärts abzulehnen, liegt darin, daß
wir manche fremde Kunſtkräfte viel beſſer behandeln als
unſere eigenen, und endlich darin, daß ſich in unſerer
Mitte für jede noch ſo verrückte importirte Neuheit
Gläubige finden, was zweifellos auch für künſtleriſche
Abenteurer eine oft recht unerwünſchte Aufforderung
iſt, in die verläſterte Neichshauptſtadt zu kommen.
Die Läſterer vergeſſen notabene, daß Berlin
garnicht der blutjunge Kunſtboden iſt, mit dem ihre
Unwiſſenheit ſich jedes Mal brüſtet, wenn ſie dabei
den Gegenſatz ihres ortsgeſchichtlichen Ruhmes
dreimal unterſtreichen können. Es giebt ſelbſt un-
ſchuldige Gemüther, die ohne Erröthen drucken
laſſen, daß dieſer blutjunge Berliner Kunſtboden erſt
durch die Berliner „Sezeſſion“, die ſchon durch
Skarbinas Fortgang in bange Erſchütterung verſetzt
werden konnte, bereitet wurde, als wenn vordem
die Chodowiecky, Schadow, Bauch, Menzel niemals
exiſtirt hätten. Die braven Leute können dann freilich
auch nicht wiſſen, daß Berlin bereits unter dem
großen Kurfürſten eine anſehnliche Künſtlerkolonie
beſeſſen hatte, die nicht wenige Seiten in Nikolais
künſtlerlexikon einnimmt — daß dann ſpäter zu des
alten Schadows Zeiten der Goetheſche Klaſſizismus
an der Spree den ſtärkſten, und wie man heute
wieder urtheilt, einen erfolgreichen Widerſpruch ge-
funden —, daß ferner ein Sohn deſſelben Schadow
der Gründer der Düſſeldorfer Schule geweſen und
daß um die Mitte des verfloſſenen Jahrhunderts
die Berliner Plaſtik, um von der Architektur über-
haupt nicht zu reden, in Deutſchland wenigſtens
nicht ihres Gleichen gehabt hat. So unangenehm
es iſt, ein Selbſtlob zu ſingen, wird man doch manch-
mal dazu gezwungen, den Gegnern dieſen Schmerz
zu bereiten, ihnen zu beweiſen, daß man keinen
Grund hat, ſich ſeines Daſeins minder zu rühmen,
als es ihr ſtolzgeſchwellter Buſen unermüdlich thut.
Intereſſant iſt übrigens, daß die obige Frage
von München aus geſtellt wurde und daß eine der
kürzeſten Antworten aus Berlin eigentlich die beſte


nahe die Antwort enthalten. Denn wer hätte vor fünf oder


Frage zu ſtellen? Ueberhaupt klingen nicht wenige


größen Lenbach, Uhde, H. Peterſen, F. Stuck, A. von
Ueller wollen dieſen Peſſimismus natürlich nicht
gelten laſſen. Warum ſollten ſie auch? Bei den
Uebrigen ſtufen ſich die Ausdrücke des Mißbehagens
ſehr verſchiedenartig nach unten ab, ſelbſt bis zu
völliger Trübſeligkeit und Hoffnungsloſigkeit. Viel-
leicht genügt es unſern Leſern zur Charakteriſirung
der Stellung, welche die bei dieſer Enquete Bethei-
ligten zur Frage über den angeblichen Niedergang
Atünchens als Uunſtſtadt einnehmen, ein paar Sätze
aus den Viederſchriften wiederzugeben. Wir werden
da manches Wahre, Vernünftige und Belehrende
neben unfreiwillig komiſchem oder leerem Gerede,
das nur von dem Hochmuth des Schreibers zeugt,
kennen lernen.

Hermann Bahr-Wien umgeht gleich Anfangs
den Kern der Sache, indem er ſchreibt: Die Kunft-
zentren ſind das Schilmmſte für die Kunſt . . . . am
beſten wäre es, Berlin und München, ſie fräßen


die Städte aus.

Dr. M. G. Conrad⸗München: Wie Richard
Wagner und ſein Schutz-König von der geiſtigen
Bobeit gewiſſer Schichten ſich die ſchlimmſten Hem-
mungen und herbſten Schmerzen zufügen laſſen
mußten, ſo hat der größte malende Menſch, der Maler-
poet Arnold Böcklin in München, gehungert,
während die kliquenmäßig organiſirte Mittelmäßigkeit
ſich am reichgefüllten Troge öffentlicher Ehren ge-
ruhſam mäſtete ... Wenn ich auf meine 20 Jahre
intenſiv erlebter Münchener Kunſtgeſchichte zurück-
blicke, faßt mich ein Schauder.

Die neue Kunſt im Handwerk, das moderne,
reſolut und rückſichtslos eigenſchöpferiſche Kunſtge-
werbe müßte die Führung gewinneu . ... Und in-
zwiſchen müßte uns noch etwas erſtehen: Pettenkofer,
ein geiſtiger Pettenkofer, der uns das künſtleriſche
München ſaniren hälfe. — Ein Herkules für
den Kunſtſtadt⸗Augiasſtall!

5. von Lenbach-München: Es ſei abſcheulich,
die Kunſtſtädte gegeneinander aufzuhetzen. . . . Nicht
die Kunſtſtadt macht die Kunft, ſondern die Künſtler!

Unſere Modernen kommen mir immer ſo vor,
als ob ſie ſich darüber ärgerten, daß ein Haus oben
ein Dach haben muß. Wenn es nach ihnen ginge,
möchten ſie das Dach zu unterſt, wie es auf der
Pariſer Weltausſtellung zu ſehen war, und das Fun-
dament hoch oben in der Luft. Dann erſt wäre
jedenfalls ihr Bedürfniß nach Neuheit vollſtändig
befriedigt. Haben Sie die Darmſtädter Häuſer ge-
ſehen? Es iſt ja einfach ſcheußlich, daß ſo was in
der Welt gebaut wird.

Auf alle Fälle ſchlagen Sie ſich das mit dem
Rückgang Münchens aus dem Sinn: von dergleichen
kann gar nicht die Bede ſein.
 
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