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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 13
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Rücklin, R.: Moderne Heraldik
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0226

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Vr. 13

unveränderte Ueberlieferung und die tadelloſe Ueber-
einſtimmung mit den geltenden Vorfchriften, Ein
modern aufgefaßtes Wappen ſcheint ihnen überhaupt
kein Wappen mehr zu ſein, und eine Veränderung
an einem, unter Umſtänden Jahrhunderte alten
Familienabzeichen iſt ihnen etwas, das nach Pietät-


doch, wie überall, iſt auch hier das Beſſere des Guten
Feind, hat auch hier der Lebende Becht gegenüber
dem Todten. Ein Wappen iſt das Abzeichen eines
beſtimmten Geſchlechts, dem es allein angehört und
das allen Angehörigen deſſelben gemeinſam iſt. Wie
ein ſolches Geſchlecht durch die Jahrhunderte ſich fort-
pflanzt, ſo ſoll auch ſein Wappen durch den Wechſel
der Zeiten erhalten bleiben. Das iſt ſchön und recht
ſo, und Niemand wird etwas dagegen einwenden
können und wollen. Aber auch der pietätvollſte Nach-
komme wird, wenn er in der angenehmen Lage iſt,
ein Stammſchloß zu beſitzen, es für keine Sünde halten,
die ſeinem perſönlichen Gebrauche dienenden Gemächer
modern auszuſtatten, ebenſo, wie er es auch vorziehen
wird, für gewöhnlich ſich moderner Kleidung zu be-
dienen, anſtatt in einem Bitterharniſch umherzuklirren.
Ebenſo wenig kann irgend eine ernſthafte Einwendung
dagegen erhoben werden, wenn man für den Fall,
daß das Bedürfniß nach einer neuen Darſtellung des
Familienabzeichens vorhanden iſt, ſich eines modernen
Künſtlers und einer modernen Formenſprache bedient
und nicht einer überkommenen. Wohlverſtanden, es
handelt ſich bei dem Allen nicht um eine Aenderung
eines beſtehenden Wappens, ſondern nur um eine
modern aufgefaßte Darſtellung deſſelben. Dazu be-
rechtigen uns Erwägungen verſchiedener Art.
Einmal war keine der früheren Kultur- und
Uunſtepochen darin beſonders ängſtlich. Die Wappen
unſerer alten Geſchlechter tragen in den aus ver-
ſchiedenen Jahrhunderten ſtammenden Darſtellungen
ganz unbefangen und rückhaltlos das Gepräge der
jedesmaligen Kunſtrichtung. Wir mögen nun an der
Kunſtrichtung unſerer Zeit manches auszuſetzen finden:
Um ſo vieles ſchlechter iſt ſie nicht, als die der ver-
gangenen Jahrhunderte, daß ſie in dieſer Beziehung
nicht das gleiche Becht eigener Ausdrucksweiſe be-
anſpruchen dürfte. Und dann iſt es oft mit der Ehr-
würdigkeit der Ueberlieferung, namentlich bezüglich


nung des E uzen gar nicht ſo weit her. Gerade
diejenigen Zeiten, welche am wenigſten eigentliches
verſtändnis für die Kunſt der Heraldik hatten, ſind


wir 3. B. das 18. Jahrhundert das Recht hatte,
eine Geſchmackloſigkeit an ein Wappen anzufügen,
warum ſollte das 20. Jahrhundert nicht das Becht
haben, ſie wieder wegzuthun?

Ein lehrreiches Beiſpiel, wie manches moderne


dringend in manchen Fällen eine Beform von Nöthen

wäre, iſt das gegenwärtige württembergiſche Wappen.
Ich will den Leſer hier nicht mit einer Beſchreibung
deſſelben ermüden, oder mit einer ins Einzelne
gehenden Uritik deſſelben; daß die offizielle Dar-
ſtellung deſſelben, wie ſie das „Staatshandbuch“ vor-
ſchreibt, eine künſtleriſch und heraldiſch höchſt un-
glückliche iſt, wird jeder Sachverftändige zugeben, der
es einmal einer kritiſchen Betrachtung unterzogen hat.
Und worauf gründet ſich nun die Ehrwürdigkeit der
Ueberlieferung, welche uns heute zwingt, vor den
äſthetiſchen und heraldiſchen Mängeln dieſes Staats-
wappens Halt zu machen? Auf nichts Anderes als
auf ein Dekret König Wilhelms I. von Württemberg
vom 30. September 1817, in welchem die heutige
Geſtaltung des Wappens angegeben und feſtgelegt
wird. König Wilhelm J. von Württemberg in Ehren;
aber ſeine künſtleriſchen uud heraldiſchen Fähigkeiten
waren ſchwerlich größere, als die ſeiner Zeit über-
haupt, und das will, wie männiglich bekannt iſt, nicht
eben viel heißen. Und dabei iſt, wie aus dem Ver-
gleich des jetzigen Wappens mit dem Ausſehen des-
ſelben in früheren Jahrhunderten hervorgeht, höchſt
ungenirt mit Aenderungen im Geſchmacke oder Nicht-
geſchmack des Anfangs des 19. Jahrhunderts in dem
Dekret gewirthſchaftet worden. Man hat, um nur
Einiges anzuführen, die beiden Schildhalter, Löwe
und Hirſch, neu zugefügt, hat das Schild oval ge-
formt, die Helmdecken weggelaſſen, und Anderes mehr.

Das iſt nur ein Beiſpiel für viele. Mancher
Wappenbeſitzer hätte, wenn er das ihm hinterlaſſene
und vorgeſchriebene Wappen anſieht, allen Grund zu
ſeufzen: „Weh' Dir, daß Du ein Enkel biſt“, —
denn von einer Heraldik, die unſerm Geſchmack,
unſerm Schönheitsgefühl entſpricht, — von der iſt
leider nie die Frage. Und, — ich halte es für nöthig,
das noch einmal zu betonen, — der moderne Ge-
ſchmack hat ein Anrecht darauf, auch in der Heraldik
zu Worte zu kommen.

Denn es liegt eine große Gefahr, gerade bei
der Heraldik, darin, daß man etwa zu ſagen verſucht
ſein könnte: „Gut; was Unwiſſenheit und Geſchmack-
loſigkeit einer künſtleriſch tiefſtehenden Zeit an einem
Wappenbilde geſündigt haben, das muß freilich be-
ſeitigt werden. Wir müſſen auf die Leiſtungen der
Blüthezeit der keraldiſchen Kunſt zurückgehen, wir
müſſen ihre Formen genau und gewiſſenhaft ſtudiren
und danach unſere modernen heraldiſchen Dar-
ſtellungen richten.“

Vun iſt es doch gewiß recht?

Nein, es iſt immer noch nicht recht, oder viel-
mehr, es iſt immer noch nicht genug. Es handelt
ſich in erſter Linie darum, die Heraldik als ſolche
lebendig zu erhalten, dafür zu ſorgen, daß aus dieſem
ehrwürdigen und altersgrauen Stamme immer wieder
friſche Beiſer ſprießen; denn wenn das aufhört, ſo
iſt der Stamm abgeſtorben. Und um das zu ermög ·
lichen, muß man nicht zurückgreifen, ſondern unver-
 
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