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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 17
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V. Ausstellung der Berliner "Sezession"
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0301

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um ſich ſelber etwa auf Kontrabaß und Ueſſelpauke zu
beſchränken.

Ein echter Primgeiger von unvergleichlicher Eleganz
der Strichführung iſt hier z. B. der Anglo-Amerikaner
J. S. Sargent. Aoloriſtiſch pikant, geiſtreich in der
mache iſt die Dame in luftiger Cape und ſchwarzem Feder-
hut, und nahezu ebenſo vollendet wirkt das dunkelfarbige
Knieſtück eines Herrn, deſſen gutmüthig-verſchlagenes
Lächeln eine unverkennbare Chrakteriſtik für das Modell-
giebt. Neben ſolcher Größe ſtehen unſere mehr oder
minder geſchätzten Bildnißmaler R. Lepſius, Moſſon,
Schlittgen, L. v. König, Slevogt, J. Block, und welche ſonſt
noch hier vertreten find, ſelbſt ein ſo ſchneidiger Pinſel
führer wie H. v. Habermann, der mit ſeiner lächelnd-
grinſenden Dame in Braun ſicherlich keinen Schönheitspreis
gewinnen wird, nur in zweiter Reihe. Selbſt wenn ich bei
Slevogts „D'Andrade als Don Inan das Champagnerlied
ſingend“ gern die lebendige Auffaſſung, die Porträtähnlich-
keit anerkenne. Als maleriſche Leiſtung vermag ich dagegen
dieſe Leinwand nicht hoch zu bewerthen.

Den nachhaltigſten Eindruck läßt in dieſer Gruppe
Louis Corinth gewinnen. Einmal iſt es der ſonderbare
Dichter-Asket Peter Hille mit dem graubärtigen nachdenk-
lichen Johanneskopf, der etwas linkiſch auf einem Sopha
vornübergebeugt ſitzt. Das zweite Mal iſt es ein Selbſtpor-
trät, die robuſte, ſaloppe Erſcheinung des Malers, der ſich
mit ſeinem gaminhaft lachenden Modellmädchen der Geffent-
lichkeit vorſtellt. Xn beiden Fällen feſſelt neben der Vortrefflich-
keit der Zeichuung, die ungeſchminkte Wahrheit und Ehr-
lichkeit, die ſich ihres beinahe ärmlichen koloriſtiſchen Ge-
wandes uicht zu ſchämen braucht. Von W. Crübner iſt
u a. noch ein wiederholt gezeigtes dunkeltöniges Herren-
bildniß aus den ſiebenziger Jahren des vorigen Jahrhun-
derts zu ſehen; es erinnert an Leiblſche Art. Die porträti-
ſtiſchen Arbeiten des Grafen Kalckre nthaus der Hamburger
kunſthalle offenbaren die bekannte quattrozentiſtiſch-herbe
Phyſiognomik, mit der dieſer Meiſter neuerdings Schule
gemacht hat. J. GOppenheimer bietet mit der Ganzfigur
eines jungen Mädchens mit Hund eine hübſche Leiſtung.
Mathilde von Flotow (Condon hat eine Gruppe „Mutter
und 2 Kinder“ von altmeiſterlichem Gepräge geſchaffen.
Veven du Mont lehnt ſich dagegen im koloriſtiſchen Ge-
ſchmack an Lavervy an, der dieſes Mal ebenſowenig wie
der Schwede A. Zorn und Lucien Simon, Paris, hier
glänzend vertreten iſt. Die junge Dame in Blau von
Somoff und Maria Slavonas Uinderbildniß ſind gleichfalls
Arbeiten feinerer Gattung, die indeß nicht hervorragen.

Auch Zuloagas bereits erwähntes großes „Geſell-
ſchaftsbild“ gehört hierher; es iſt in der phyſiognomiſchen
Pracht der ſpaniſchen Typen, in der üppigen Keife des
Kolorits mit dem dominirenden Both der Frauenkleider
wieder ein echtes Meiſterwerk. Die Franzoſen ſind, wenn
wir den todten Monet ruhen laſſen, nur ſpärlich vertreten.
Der kunſtgeſchichtlichen Vergangenheit gehört auch Monets
„Frühſtück“, ein bürgerliches Interieur mit vier lebens-
großen Figuren, an. Kaffaellis „Notre-Dame“ verdient
als aparte Probe duftiger Pleinairmalerei Würdigung.
Don J. E. Blanche kämen eine Kindergruppe und ein Fiſch-
ſtillleben in Betracht. Von den Holländern, die man hier
zu treffen pflegt, intereſſirt am meiſten Breitner mit
ſeinen melancholiſchen Bildern „Amſterdamer Gracht“,
„Ruhezeit“ und „Kavallerie“, die in gedämpften Tönen
ſchwerfällig breit hingeſtrichen ſind. Iſraels junior dagegen

giebt das ſonnige Pleinair des froh belebten Strandes
ohne eine Spur von perſönlicher Eigenart. Whiſtlers
„Vocturne“ fällt nicht ſonderlich auf.

An der Spitze der deutſchen Künſtler ſtehen hier
— außer den ſchon erwähnten Namen — noch Thoma,
Uhde, Klinger, Zügel. Thomas delikat gemalte Land-
ſchaften, in dem einen Falle mit Charons Nachen ſtaffirt,
wirken wie ſanfte ernſte Elegien. Uhdes lebensgroßer
Handwerksmeiſter, der ſich zu eiligem Ausgang rüſtet,
zeigt bei ſolider Malweiſe eine temperamentvolle Auf-
faſſung. In Alingers „Homer“, der völlig nackt am
Meeresgeſtade ſeinen Phantaſien durch einepathetiſch-plaſtiſche
Gebehrdenſprache Ausdruck verleiht, während Jupiter aus den
Wolken mild herniederſchaut — ſteckt wahrhaft antike Empfin-
dung, der ſich der Beſchauer nicht entziehen kann, auch wennihn
die Malerei an ſich nicht gerade entzückt. Zügels kleines
Thierſtück iſt nur eine anſpruchsloſe Pleinairſtudie mit
violetten Refleren. Th. Th. Heine iſt mit zwei ſeiner
gemalten Satiren oder beſſer Malicen vertreten: einer vom
Teufel der Sinnenluſt gepackten „Veſtalin“ und einem vom
Pegaſus abgeſtürzten, von zwei göttlichen Fräulein ausge-
lachten „Dichter“ B. von Volkmanns (arlsruhe)
Landſchaften erfreuen durch edle Linienführung und heiter-
friſche FkFärbung. B. J. Hartmanns Pferdegruppe, die
über eine Wieſe getrieben wird, fällt durch die Energie
der Bewegung und die Kraft des Kolorits auf. Mar
Stremels dunkeltöniges Interieur „Junggeſellenheim“ und
F. Gverbecks einſame „Hütte im Schnee“ verdienen als
ſtimmungsvolle Bilder Beachtung.

Auch bei manchem der noch nicht erwähnten Bilder
hieſiger Mitglieder der Sezeſſion lohnt ein Berweilen.
Von Slevogts Malereien hat mich außer dem d'Andrade-
bildniß, deſſen Beiz zweifellos theilweiſe auf Koſten des
Modells zu ſetzen iſt, nichts intereſſirt; ſein „Sommer-
morgen“ zeigt ſo großes Format und eine ſo rohe Behand-
lung, daß alle gewollte Intimität darin vernichtet iſt.
Corinths „Grazien“ und der greiſe Prophet Samuel bei
könig Saul bieten gewiſſe Geſchmackloſigkeiten, die bei
einem Maler der naturaliſtiſchen Richtung nahezu ſelbſt-
verſtändlich ſind; zum Glück täuſchen ſie indeß nicht über
eine ſtarke maleriſche Begabung. Die drei Frauenfiguren
wie die greiſe Geſtalt Samuels ſind, rein als Akte beur-
theilt, reſpektable Leiſtungen Corinths. Ganz ebenſo reizt
mich Bans Baluſchek zugleich zum Widerſpruch und zu
aufmerkſamer Betrachtung. Er ſchildert: „Der Mai iſt
gekommen“, „das Hörrohr“ als wichtiges Objekt bei der
Unterhaltung eines alten Paares, endlich eine glückliche
Bahnwärterfamilie — mit Typen, die etwas Eckiges,
Starres, Blödes, bisweilen ſogar Verthiertes beſitzen und
die zu ausgeſucht häßlichen, dürrbeinigen oder grobknochigen
Individuen gehören. Holt ſich der Künſtler dieſe degene-
rirten Modelle etwa aus Strafanſtalten? Gder tauchten
in ſeiner Phantaſie, wie z. B. in derjenigen des Grafen
Ualckreuth, die verkümmerten Paſſionsgeſtalten gewiſſer
praeraffaeliſcher Meiſter von Neuem auf? Sind es nur
geſuchte abſtoßende Karrikaturen, deren Starrheit der
Mienen und Eckigkeit der Bewegungen lediglich zeichne-
riſche Unzulänglichkeit verräth? Goder ſoll hier vielleicht
die Raſſeeigenthümlichkeit der unteren Schichten des halb-
ſlaviſchen Berlinerthums mit ſtiliſirender Hand vorgeführt
werdend Gder verſucht ein malender Zola ein pſycholo-
giſch⸗ſoziales Problem in der Art der Familie Rougon-
Macquart in ſeiner Weiſe zu löſend Zwingt uns ein
 
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