Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

DOI issue:
Nr. 20
DOI article:
Die Münchener Kunstausstellung 1902
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0358

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext

Xir.. 20

Die Münchener
Kunſtausſtellungen 1902,

Don A. Heilmever, München.

TE
Das Figurenbild.

m Figurenbilde iſt es vor allem das allgemein
Menſchliche, das in der künſtleriſchen Dar-
ſtellung intereſſirt. Nach dieſer Seite hin

ſchließt ſich die moderne Produktion eng an das
Milieu an. In der ganzen älteren Kunſt war das
Anpaſſen der Werke an die räumliche Umgebung
jedem das wichtigſte. Die Perſönlichkeit des Künſtlers
tritt hinter ſeiner Arbeit oft ganz zurück. Jetzt aber
wird ſie in den Vordergrund gerückt, das individuelle
Moment iſt die Bauptſache. Das begünſtigt die
Sucht, aufzufallen und zu glänzen; die Sache an ſich
aber leidet darunter. Ein Gang durch jede große
Ausſtellung belehrt uns darüber.

Die meiſten Werke ſind problematiſcher Natur,
ſie ſtellen künſtleriſche Experimente als Ausdruck rein
perſönlicher Empfindungen dar. Anſtatt am Ganzen
einer allgemeinen künſtleriſchen Kultur zu arbeiten,
ſondert ſich jeder im Gefühle ſeiner Individualität
ab, — und treibt er auch keine Kunſt, ſo macht er doch
in Kunſt. Glückt einem ein neues Motiv oder eine eigen-
artige Tönung und findet er damit Anklang, ſo reitet
er dieſes ſein Steckenpferd todt. Es iſt aber auch
oft ſehr einträglich.

Einer iſt Spezialiſt für Harmonien in Weiß, ein
Anderer bevorzugt Graugrün, Blaßlila und Violett,
kurz, ein Jeder verlegt ſich auf gewiſſe Stimmungen.
Das lyriſche Element iſt beſonders in der Landſchafts-
malerei vorherrſchend, und hierin hat es auch auf das
Figurenbild eingewirkt. Aus dem Studium des Lichts
und der Atmoſphäre iſt der moderne Kolorismus
herauserwachſen. Dieſes Streben erſtreckte ſich auch
auf den Innenraum und kam ſo dem Figurenbilde
zugute.

Die Anwendung dieſer neuen maleriſchen Werthe
iſt im Staffeleibild überall wahrnehmbar. VNur auf
dem Gebiete der dekorativen monumentalen Malerei
iſt noch wenig davon zu verſpüren. Dieſe iſt ſozu-
ſagen aus den Kreifen des unmittelbaren Lebens
ausgeſchieden. Hierin macht ſich der Mangel einer
künſtleriſchen Tradition am ſtärkſten fühlbar. Wir
bauen kaum mehr Paläſte und nicht mehr ſo viele
Kirchen wie die Alten. In München war es die
Aera König Ludwigs I, in der man es verſuchte,
wieder an dieſe Tradition anzuknüpfen; mit welchem
Erfolge, iſt bekannt. Seit Cornelius iſt dieſes Problem
nicht mehr weſentlich weitergebildet worden, und be-
ſonders nicht nach der maleriſchen Seite hin. Die
Talente, die dazu in ſeltenem Maaße befähigt ge-
weſen wären, wie Anſelm Feuerbach und Hans von
Marées, kamen nicht dazu, theils weil ſich ihnen
keine paſſenden Aufträge boten, theils weil ſie
ſtolze einſame Geiſter waren und den Anforderungen,
wie ſie die Zeit ſtellte, entgegenſtrebten. So blieb es
ſchließlich Herdinand Keller vorbehalten, derartige
Aufgaben im Geſchmacke ſeiner Zeit zu löſen. Im
Weſentlichen geht auch Hermann Prell mit ſeinem
großen Deckenbilde „Titanenkampf“ in den Fußtapfen
dieſes Meiſters. Das Gemälde iſt für das Skulpturen-
muſeum in Dresden beſtimmt. Es zeigt die Olympier
im Kampfe mit den Titanen. Der Gegenſatz zwiſchen
den Lichtgeborenen und den derben Erdenſöhnen iſt

vom Maler zu wirkſamen Kontraſten ausgenützt
worden. Manche Szenen ſind nicht unähnlich be-
kannten Darſtellungen von kämpfenden Blaßgeſichtern
und Indianern. An Stelle großer Empfindung tritt
bisweilen Poſe.

Als Schöpfungen von großer monumentaler
Empfindung erkennen wir die Kartons für die Ma-


in Berk von Besnard, ſie ſind in der Sezeſſion aus-
geſtellt. Leider fehlt ihmen die Farbe, aber die Zeich-
nung läßt uns die einfache Größe dieſer Werke wohl
fühlen. Besnard hat es allegoriſch verſucht, in
ſeinen Kompoſitionen die chriſtlichen Tugenden mit
Szenen aus dem menſchlichen Leben zu identifiziren.
Und es iſt ihm dies auch durch die Uraft ſeiner
künſtleriſchen Darſtellungsweiſe vollkommen gelungen;
das Beinmenſchliche in dem Stoffe kommt durch dieſe
Geſtaltung ergreifend zum Ausdruck. Die Sezeſſion
birgt auch noch die Entwürfe zur Ausmalung eines
alten Saales von Ludwig Herterich. Mit außer-
ordentlichem Geſchick hat es der Künſtler verſtanden,
ſeine Ideen der gegebenen Situation anzupaſſen und
ſich nach Maßgabe derſelben in ſeinem Ausdruck zu
beſchränken. Auch eine Kunſt, die nicht Jeder verſteht.
Leider kamen die Entwürfe nicht zur Ausführung.
Erler zeigt uns in ſeinen Wandgemälden für ein
Muſikzimmer angewandte dekorative Malerei. Die
Harmonie der Farben und der Rhythmus der Linien
ſind jedenfalls der unmittelbaren Umgebung ange-
paßt, es ſoll dieſe darin weiterklingen. Auch Philipp
Otto Schaefer ſtrebt danach, in ſeinen Bildern
einem Raume das feſtliche Gepräge einer entwickelten
Kultur zu geben. Darſtellungen wie der „Bacchus-
zug“ wirken wie ein Gobelin, andere, wie „Venus
Anadyomene“, wie ein Fresko.

In Schäfers wie in Erlers Bildern iſt das de-
korative Moment klar erſichtlich. Nur läßt ſich Erler
mehr von der modernen Illuſtration und dem Plakat
beeinfluſſen, während ſich Schäfer mehr an die
Tradition anſchließt. Zu bedauern iſt nur, daß für
dieſe Kunſt wenig Gelegenheit gegeben iſt, ſich aus-
zubreiten; Schöpfungen dieſer Art müſſen leider in
das Prokruſtesbett des Staffeleibildes gezwängtwerden.
An Wänden und Decken zur Bemalung würde es
nicht fehlen, aber ſie ſcheinen für die Künſtler das
zu bedeuten, was für die Juden die Klagemauer in
Jeruſalem. Nicht leicht fällt Einem eine ſolche Auf-
gabe zu, wie ſie Prell geworden iſt!

Sehen wir uns nun auf unſerem kritiſchen Gange
nach weiteren Werken um, welche deutlich vernehm-
lich den Pulsſchlag der Seit fühlen laſſen und aus
den unmittelbaren Bedürfniſſen und geiſtigen Strö-


wir auf dem Gebiete des Figurenbildes nur eine ge-
ringe Auswahl treffen können. In der Sezeffion iſt
Uhde mit einem Bilde „Der barmherzige Samariter“
und einem Interieurſtück, Albert von Keller mit „Er-
gebung“, „Auferweckung“ und „Ein Wunder“ ver-
freten. Aile dieſe Werke laſſen uns in ihm einen
erfahrenen Künſtler und raffinixten Hourmet er-
kennen. Stuck ſtellt faſt ausſchließlich Porträts aus.
weiter ſind noch zu erwähnen Erter, Hutz und
Piepho mit bemerkenswerthen Bildern, in denen ein
harmoniſches Suſammenklingen von Landſchaft und
Figur angeſtrebt iſt.

Dieſẽ Harmonie erſtrebte auch Baffael Schuſter-
woldan Euitpold⸗-Gruppe) bei ſeinem „Weihlicher
Akt“ benannten Bilde. Wir ſehen eine nackte ſitzende
Figur innerhalb einer reichen Landſchaft. Wie an
ſchönen, ruhigen Tagen ſtrahlt die Natur Licht und
 
Annotationen