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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 22
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Marasse, Margarete: Am Hofe der Gonzaga, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0388

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ward in Italien kein Künſtler in ſeiner Entwicklung
gehemmt, haftete ſeiner Perſönlichkeit nichts Scheues,
Unſicheres, Gedrücktes an, fand ſein Genie leicht
ſchaffensfrohen Ausdruck in ruhmreicher Arbeit, die
den Lebensgehalt des Kraftvollen bildet.

Wie bekannt, waren Maler, Baumeiſter und
Bildhauer oft aus vornehmem Geblüt, jedoch auch
bei illegitimem Urſprung durften ſie in natürlicher
Freiheit mit erlauchten Fürſten vertraut verkehren, ſo-
fern ihr künſtleriſches Empfinden nicht ſchablonenhaft,
ihre Technik gereift, kurzum, ihre Kompoſitionen, ihre
Phantaſie von augenfälligen Schönheitsgedanken
durchdrungen, ihre Arbeiten des Lorbeers der Un-
ſterblichkeit würdig waren. Die großen Herren, die
ſo feinſinnig Geiſt und Talent ehrten, haben ihren
geadelten Geſchmack nie beklagt, denn wahrlich, es
blieb vortheilhaft, den Genius zu bewirthen, und die
Gaſtgeſchenke, die der Pinſel vielgeprieſener Meiſter
an den Wänden von Paläſten und Kirchen zurück-
ließ, die Marmorbilder, die uns in ſteilen Zypreſſen-
Alleen märchenhaft verwilderter Prunkgärten oder
aus ſchweigenden Hallen verwunſchener Schlöſſer trotz
ihrer ſteinernen Unbeweglichkeit ſo Vieles lebendig zu
erzählen wiſſen, ſind Kulturdenkmäler, die noch nach
Jahrhunderten zu ſpät geborene Geſchlechter an die
eingeweihten Stätten locken.

Ein mittelalterlicher Muſenhof par préférence
iſt Mantua, die Stadt der Honzaga, der empor-
ſtrebenden Capitani, die, mit geiſtvollen, humaniſtiſch
gebildeten Frauen vermählt, durch Generationen mit
faſt raffinirter Gewandtheit blühendes Kunſtleben an
ihrem Hofe entfalteten. In einer vornehmen Miſchung
von heiterer Freude an dem ſchillernden Treiben leicht
beflügelter Talente, fördernder Anerkennung jedes
Schaffenden mit zielbewußtem Eingreifen in politiſche
Verwicklungen organiſirten ſie ihren jungen Staat
feſter und veranlaßten gründlichſte Produktivität
maleriſcher Anwandlungen, beſonders zur Aus-
ſchmückung ihrer Palazzi und Villen.

Dieſe Gonzaga, ein aus eigener Kraft emporge-
kommenes Geſchlecht, deſſen thatendurſtige Mitglieder,
von den deutſchen Kaiſern Ludwig dem Baver und
Sigismund begünſtigt, zu Herzögen, Fürſten, Mark-
grafen erhoben wurden, ſchleppten die Bauſteine einer
einſchmeichelnden Kunſt in Mantua zuſammen; als
ſtarkes Leitmotiv klingt ihr Name noch heute durch die
ſtillen Gaſſen. Mantua, die Hauptſtadt der gleich-
namigen Provinz, liegt in einer ſumpfigen, waſſerreichen
Gegend zwiſchen Seen, gebildet durch den ungeſtümen
Mincio, häufigen Ueberſchwemmungen ausgeſetzt, die
durch ein gewaltiges Schleuſenwerk zur Vertheidigung
der ſehr bedeutenden Feſtung auch abſichtlich herbei-
geführt werden können.

Obgleich der Aquila d'Oro ſich als ganz vor-
treffliche Unterkunft erwies, obgleich Mantua zum
Studium des Florentiner Architekten Leon Battiſta
Alberti, des gelehrten Erforſchers klaſſiſchen Alter-

thums, Andrea Mantegnas, des Malers im großen
Style, zur Erkenntniß und Beurtheilung ſeines
ſtrengen, herben, ehrlichen Strebens nach wahrheits-
getreuer Ausprägung des Charakters in all ſeinen
Fresken, des unermüdlichen, mit leicht luſtiger, ja
kecker Phantaſie begabten größten Schülers und vor-
züglichſten Mitarbeiters Baffaels, Giulio Romano,
abſolut nothwendig iſt, da ſich das Können der
Meiſter in der dortigen Atmoſphäre gipfelt, beklagt
die Stadt der Stilllebenbilder, des Gedanklichen, Ver-
ſonnenen, doch die faſt gänzliche Abweſenheit wiß-
begieriger und Soldi zahlender Fremder. Und das
hat mit ihrem harten Worte die rothgebundene Keiſe-
Lorelei, bekannt unter dem Namen „Bädecker“, ge-
than. Steht doch in den allwiſſenden Blättern, die
die Welt erläutern, abſchreckungsvoll geſchrieben:
„Im Sommer viel Mücken, daher vor dem Ueber-
nachten zu warnen! Bei nur 4 bis Zſtündigem,
immerhin ſehr lohnendem Aufenthalt — — 2c.“
Gnädige Götter, was fängt man bei heftigem
Verlangen nach Kunſtgenuß in 4 bis 5 Stunden in
Mantua zuerſt an? Bädecker ſagt, man fährt nach
dem Palazzo del Te. Und die ſchweigſame Stadt
in ihrer ruhigen Gelaſſenheit, mit den umfangreichen
Plätzen, den ſchützenden Bogengängen, dem alten
Baronalſchloß der Gonzaga, im Schmuck der trutzigen
Thürme, der Sinnen, umgeben von Gräben, eine
mittelalterliche Welt für ſich, all dieſe Beſte eines
praktiſchen Feudalismus, der einſtmals zu Ruhm
und Wohlſtand führte, die ſollten wir mißachten,
unſeren Wiſſenstrieb auf das Nothwendigſte be-
ſchränken ? —
Die Frage kann kaum zu lebhaften Erörterungen
führen; wo die Zeiten, die vergangen ſind, ſo leb-
haft, anſchaulich ſprechen wie zu Mantua, büßt der
Beſucher eine Horizont-Erweiterung nicht zu theuer,
ſollten auch einige Moskitos unter den Leuten, „die
ihre Hütten aufgeſchlagen, wo ſie der Sumpf rings-
um mit Schutz verſah“, den nächtlichen Schlummer
ſtören. Aus eigener Erfahrung kann ich kein Liedchen
von den ſchwärmenden zweigeflügelten Inſekten im
Sumpfbereich ſingen, aber dieſes wird, um mit Dante
zu ſprechen, verderblich oft in Sommertagen. Ich
aber bringe Kunde aus Mantua im Winter, wo die
nebelgeſättigte Luft weiß geballte Gebilde in Land-
ſchaft und Stadt ein Weſen treiben ließ, dem ſelbſt
die gemeinſte Stechmücke mit ihren Gelüſten nicht Stand
zu halten vermochte. Dieſer ſchwermüthig leidvolle
Nebel, der vom Lago superiore aufſtieg und das ganze
Tiefland in weiche Wolle verpackte, vernichtete völlig
den unerſchöpflich verführeriſchen Schönheitszug, den
ſinnlichen Reiz, der dem Begriff Italien zu Grunde
liegt, aber die Stimmung des Seitloſen, der Unend-
lichkeit, des verdämmerten Traumes eines weltbe-
rühmten Geſchlechtes, der Hauch vom Moder des
Waffenrockes und der Verweſung eines Herzogs-
mantels, dies Alles ward verſtärkt durch die undurch-
 
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