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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 22
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Zum Wiederaufbau des Campanile in Venedig
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0393

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Yir: 22

geprägt modernes Gewand erhalten müſſe, ohne Rückſicht
erſtens auf die ehrwürdige Geſchichte ſeines früheren Zu-
ſtandes und ſeine wunderbare Stätte, und dann auch ohne
Rückſicht auf ſeine einzigartige architektoniſche Umgebung,
ſpeziell auf die Anlage der Markuskirche, die doch ebenſo
wenig Modernität verträgt, wie etwa der Parthenon oder
der Kölner Dom. Und zu ſeiner Kirche hat auch der ab-
ſeits errichtete Glockenthurm nicht nur in einem unleug-
baren inneren, ſondern ſelbſt in einem gewiſſen äußerlichen
Zuſammenhange geſtanden.

wenn heute abermals, wie in der erſten Hälfte des
19. Jahrhunderts, der Bau der Kölner Domthürme in
Frage käme, ſo würden natürlich dieſelben unentwegten
Modernen aus prinzipiellen Gründen für einen Veubau
ganz im „Geiſte der Zeit“, bei Leibe nicht im Geiſte des
romantiſchen Mittelalters ſein. Und dann würden die
folgenden Generationen das mehr als zweifelhafte Der-
gnügen beſitzen, die Weſtfront dieſes Kölner Domes nicht
in den erhabenen Formen reiner und edler Gothik, ſondern
in dem einmal „modern“ geweſenen, inzwiſchen aber mo-dern
(der Accent auf der erſten Silbe) gewordenen Stile etwa
des Herrn Peter Behrens oder des Herrn Otto Wagner
vor Augen zu haben. Sollte dies gar das in der That
unverdiente Schickſal des Campanile Denedigs werden ?

Man kann die ſelbſtſtändige künſtleriſche Thätigkeit
unſerer Generation noch ſo hoch achten und würde dennoch für
eine architektoniſche Aufgabe ſolcher Art eine Löſung in
jenem Sinne beklagen. Sie würde eine maßloſe Ueber-
ſchätzung des eigenen Werthes, des Werthes der Gegen-
wart gegenüber der wuchtigen Großartigkeit einer tauſend-
jährigen Vergangenheit bedeuten. Und die, welche ſo
hohen Mangel an Einſicht offen zur Schau tragen, rühmen
ſich nicht bloß ihrer Gleichgiltigkeit gegenüber den geſchicht-
lichen Beziehungen, ſondern ſie bekunden dabei eine Ober-
flächlichkeit in der Würdigung der vorliegenden Bauauf-
gabe, die dieſe ſicherlich nicht verdient. Für die Herren
erſcheint hier offenbar kein Beiz ſo groß und ausſchlag-
gebend wie der, einen Glockenthurm in modernen Formen
zu errichten. Ihnen ſchwebt ſo etwas wie eine rieſige
Reklame für irgend eine herrſchende Geſchmacksrichtung vor;
und man hat das Gefühl, den Herren bleibe es gleich,
ob an der Tagune oder in Leipzig, Darmſtadt oder Wien.

Dennoch hört man das Wörtchen „individuell“ oder
„eigenartig“ bekanntlich nirgends häufiger als auf jener
Seite. Individuell und ſchöpferiſch pflegt man ſolche bau-
liche Erneuerungen früherer Jahrhunderte zu nennen, da
Architekten und Bildhauer den Ergänzungsarbeiten der
Monumente völlig naiv gegenüberſtanden und ohne Scheu
und Skrupel jedwedem Werke der Vergangenheit den
Stempel ihrer perſönlichen Faktur, den „Geiſt der Zeit“
aufprägten. So erhielten damals gothiſche Thurmpyramiden
barocke Glockenhallen und Helme, antike Skulpturen in der
Regel falſch gerichtete und bewegte Gliedmaßen. In
einzelnen Fällen iſt trotzdem unleugbar manche maleriſch
wirkſame und geſchickte Thurmlöſung z. B. in alten hol-
ländiſchen Städten entſtanden, auch manches antike Bild-
werk inſtinktiv richtig ergänzt worden.

Aber es ſind dies lediglich Ausnahmen, keineswegs
muſtergültige Zeugniſſe eines richtigen Verfahrens. Wir
heutzutage pflegen nach wie vor bei derartigen Bauauf-
gaben an dem „wiſſenſchaftlichen“ Verfahren feſtzuhalten,
das ſicherlich einen bewußten Gegenſatz zur Vaivität der
früheren Jahrhunderte bildet, aber vielleicht gerade darum

den eigenthümlichen Geiſt unſerer Zeit offenbart. Indem
die Modernen immer wieder von jener Naivität ſprechen,
predigen ſie doch nur die Nachakmung einer in Wahr-
heit uns längſt abhanden gekommenen Naivität. Wir
haben es ſeit einiger Zeit dagegen als einen wirklichen
Gewinn erkannt, bei derartigen Reſtaurationen hiſtoriſcher
Monumente nicht naiv, ſondern nach reflektiven Geſichts-
punkten zu verfahren. Wir folgen darin weder der Barock-
zeit noch irgend einer anderen Epoche, ſondern lediglich
unſerer eigenen ſelbſtſtändigen Erkenntniß. Wir glauben
dieſe Dinge, indem wir unſere gewachſene bauhiſtoriſche
Bildung nicht verleugnen, konkreter zu behandeln als
frühere Zeiten, die nur darauf bedacht waren, für das
verlorene irgend welchen künſtleriſchen Erſatz zu ſchaffen.

Wir dagegen wollen, reflektiv wie wir nun einmal als
Kinder der Gegenwart veranlagt ſind, auch das hiſtoriſche
Gefäß wieder herſtellen, um ſo den durch Jahrhunderte
und Jahrtauſende geweihten Geiſt und die Fülle ehr-
würdiger Erinnerungen in dem Bauwerke liebevoll bewahrt
zu ſehen. Das gehört für uns mit zu dem Programm
dieſer Art Aufgaben. Für uns ſind die alten Meiſter, auf
die unſere Modernen, freilich nur, wenn es ihnen in den
Kram paßt, anſpielen — nur ſchlechte Pfleger alter Bau-
denkmäler geweſen, ſo hoch ihre ſelbſtſtändige künſtleriſche
Arbeit uns Allen ſteht. Die rechte und echte Denkmals-
pflege iſt eben ganz ein Kind unſerer Zeit, und in ihrem
Sinne eine Wiederherſtellung des Campanile und auch der
Loggetta Sanſovinos auf archäologiſch ſtrenger Grundlage
durchzuführen, erſcheint uns als eine unabweisbare Pflicht
Venedigs und Italiens. O6

*

2
*

Die obigen Zeilen waren geſchrieben, als mir ein
Artikel Friedrich Adlers in der „Nat.-Ztg.“ zu Geſicht
kam. Der berühmte Bauhiſtoriker nimmt, wie nicht anders
zu erwarten war, denſelben Standpunkt ein, den ich hier
zu betonen für zweckmäßig halte. Die vorſchläge, die
Adler zu einem rationellen, den Illuſionen einer voll-
kommenen Rekonſtruktion am beſten dienenden Neubau des
Campanile macht, erſcheinen ſo bemerkenswerth, daß wir
einen Theil ſeiner Ausführungen hier wiedergeben:

„. . . Aus hiſtoriſchen wie künſtleriſchen Gründen muß
der Glockenthurm auf ſeiner alten Stelle und in unver-
änderter Form wiedererſtehen. Er iſt ganz unentbehrlich
für das Stadtbild wie für den Platz ſelbſt. Man hatte
ihn aus ſehr triftigen Gründen nicht in der Axe der Kirche,
ſondern zwar vor ihr, aber ſeitwärts, nach Süden hin auf-
geſtellt, und dennoch bildete er in dem Kranze der ſechs
Prachtbauten, die ihn umſtanden, — Dopenpalaſt, Markus-
kirche, Uhrthurm, Bibliothek und beide Prokurazien — den
mächtigen Mittelpunkt. Majeſtätiſch wie ein König über-
ragte er alle bei Tage wie bei Nacht. Seit Jahrhunderten
war er das winkende Seezeichen für Lagunenfiſcher und
Seefahrer und gleichzeitig der Gebetsrufer für Pilger und
Kirchgänger. Seine auffallende Höhe und eigenartige
Struktur erklärten ſich aus dem Vorbilde, welches er ſehr
verkleinert und etwas vereinfacht wiederholte. Es war
der Pharos von Alexandria, deſſen Betrieb die Araber zum
Nutzen des Handels fortgeſetzt hatten, und deſſen Form,
Struktur und Einrichtungen von den aufblühenden See-
ſtädten oder adriatiſchen Inſeln frühzeitig übernommen
wurden. Zuerſt um 200 von Torcello, und 180 Jahre
ſpäter, bald nach der 828 in Alexandria glücklich bewirkten
Erwerbung des Leichnams des Evangeliſten Markus von
 
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