Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 3.1911
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2. Heft
DOI article:Ausstellungen
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AUSSTELLUNGEN
find leider in einer derartigen Menge zufammen-
gebracht, daß ein Genießen der guten Werke
recht fchwer fällt; man glaubt eher ein Kaufhaus
zu betreten als einen Kunftfaal. Und außerdem
hätte unter den Gemälden da fchärfer gefichtet
werden müffen, wo das Tier zur Staffage ge-
worden ift und der genreartige Inhalt das Tier
nur zur Nebenfache werden läßt; derartige Bil-
der gehören nicht in diefe Äusftellung. Von
diefen beiden Mängeln abgefehen, hat die Ver-
anlagung manch prächtiges Tierftück aufzu-
weifen, wie befonders von Willem Maris eine
rote Kuh vor graubraunem und hellblauem
Hintergrund. Beachtenswert ift auch die aus-
geftellte Plaftik. Ein genaues Eingehen auf die
einzelnen Kunftwerke und die Entwicklung des
Tierbildes in der holländifchen Kunft feit 1840
ift hier nicht am Plat$. Kurt Erasmus.
WIEN DerHagenbund brachte im Rahmen
feiner Winterausftellung zum erften Male das
Werk Otto Hettners nach Wien. Die hochge-
fteckten Ziele des Künftlers verdienen auch dort
volle Würdigung, wo dem Einzelwerk ein ganzes
Gelingen verfagt geblieben ift. Hettner hat fich
bisher nur feiten dem gefährlichen Bannkreis
überragender moderner Künftlerperfönlichkeiten
entziehen können; doch macht ihm fchon die
Wahl feiner Vorbilder alle Ehre. Zudem ift ja
der 35jährige Künftler noch kaum in der Mitte
feines Weges angelangt; und gerade die Werke
feiner vorläufig lebten Entwicklungsftufe, die mir
etwa durch das Harlekinbild Nr. 170 gegeben
zu fein fcheint, laffen ein fremder Führung lediges,
felbftändiges Weiterfchreiten auf einem bisher nur
von einer kleinen Gruppe betretenen Pfade er-
hoffen. Die Entwicklung des Künftlers geht von
den großen franzöfifchen Impreffioniften zur Syn-
thefe Cezannes und feiner kühnften Jünger. Nach
der kurzen biographifchen Skizze des Kataloges
verdankte er einem längeren Parifer Aufenthalt
(feit 1895) die Bekanntfchaft mit der modernen
franzöfifchen Kunft, von der er die erfte ent-
fcheidende Anregung empßng. In einigen Land-
fchaftsbildern macht er fich die neoimprefponi-
ftifche Technik völlig zu eigen, die fchließlich in
dem großpgurigen Bilde der „Bogenfchüßen“
(Nr. 166) zu mofaikhafter Wirkung gefteigert
wird. Bei jenen Bildern, die einem erften
italienifchen Aufenthalte entftammen („Jüngling
in Abendfonne“ [Nr. 151], „Mann mit Pferd“)
fühlt man fich wie an Hans von Marees, der
kürzlich bei diefer Gelegenheit genannt wurde
(Deutfche Kunft und Dekoration, November 1910),
auch an Ludwig von Hofmann erinnert, deffen
Einfluß ebenfo in dem großen Ölgemälde
„Ruhender Mann“ und anderwärts merkbar ift.
Schon in Nr. 151 meldet fich van Gogh in man-
chen Äußerlichkeiten, der in dem „Stilleben“
Nr. 152 geradezu fklavifdi nachgeahmt wird.
(Einige Skizzen, z. B. Nr. 179, zeigen auch ent-
fernte Anklänge an Gauguin). Leider fehlen
hier zum vollen Verftändnis der weiteren Ent-
wicklung die im Katalog erwähnten Parifer
Arbeiten Hettners auf dem Gebiete der
Plaftik ebenfo wie die „als ein Fremdkörper
unterdrückten“ Temperabilder, mit denen der
Künftler, der 1904 dauernd nach Florenz über-
fiedelte, 1905 zuerft in Deutfchland hervortrat.
Ein Hauptwerk der Wiener Äusftellung „Der
Aufbruch“ (1908) zeigt Hettner fchließlich in
Hodlerfchen Bahnen; freilich erreicht er weder
Hodlers ehernen Rhythmus in der Kompofition,
noch deffen fchlichte Monumentalität in der
Einzelpgur. Hettners Entwicklung gipfelt, wie
fchon eingangs gefagt, in dem Freskoentwurf
„Schlafender Harlekin“ (Nr. 170). Eine machtvolle
Vifion ift darin zu wuchtigem Ausdruck gebracht.
Hier wie in der ftilverwandten „Nachtphantafie“
(Nr. 173) übernimmt Hettner die Tendenzen einer
Gruppe der modernften Franzofen, die unter Ver-
zicht auf räumliche Tiefe und ftoffliche Charak-
teriftik nur durch ruhige, durch kräftige Konturen
gegliederte Farbenßächen wirken wollen. In
einigen Studien (Nr. 160 — 164) crweift fich Hettner
als kraftvoller Zeichner.
Über dem Intereffe an dem feltenen Gaft
kommen die bewährten Mitglieder des Hagen-
bundes, die wie z. B. Baar, Barth, Gollj, Groß,
Huck, Parin, Roth u. v. a. m. meift mit guten,
für ihre Eigenart typifchen Arbeiten vertreten
find, allzu kurz. Hampel verliert fich immer
mehr in belanglofe Spielereien; fehr füßlich
die zahlreichen Bilder Böttingers, unangenehm
in ihrer fchreienden Koloriftik die Arbeiten
Uziemblos. Eine befondere Uberrafchung bieten
die wißigen Aquarelle des Architekten Laske;
man denkt an gewiffe franzöfifche Illuftratoren,
etwa Pierlis vom „Rire“. Sehr reizvoll vor allem
Nr. 40 (Gouache: „Untergehende Sonne“), viel
weniger glücklich die größeren Kompofitionen
wie „Der Nafchmarkt“ (Nr. 42), wo der faft als
trockener Architekturriß wirkende Hintergrund
mit dem übrigen Bilde nicht recht zufammen-
geht. Auch die Graphik ift gut vertreten; hier
find vor allem Junks idyllifches Weimarer
Goethehaus, dann die (in ihrer Häufung etwas
eintönigen) Radierungen Simons, die Mono-
typien, Lithographien und Radierungen Michls
und Stretti-Zamponis zu nennen.
Bei MIETHKE fieht man jeßt die leßten Ar-
beiten Emil Orliks, die diefen unermüdlichen
Virtuofen aller Techniken kaum von einer neuen
Seite zeigen. Auch hier verrät fich mitunter
73
find leider in einer derartigen Menge zufammen-
gebracht, daß ein Genießen der guten Werke
recht fchwer fällt; man glaubt eher ein Kaufhaus
zu betreten als einen Kunftfaal. Und außerdem
hätte unter den Gemälden da fchärfer gefichtet
werden müffen, wo das Tier zur Staffage ge-
worden ift und der genreartige Inhalt das Tier
nur zur Nebenfache werden läßt; derartige Bil-
der gehören nicht in diefe Äusftellung. Von
diefen beiden Mängeln abgefehen, hat die Ver-
anlagung manch prächtiges Tierftück aufzu-
weifen, wie befonders von Willem Maris eine
rote Kuh vor graubraunem und hellblauem
Hintergrund. Beachtenswert ift auch die aus-
geftellte Plaftik. Ein genaues Eingehen auf die
einzelnen Kunftwerke und die Entwicklung des
Tierbildes in der holländifchen Kunft feit 1840
ift hier nicht am Plat$. Kurt Erasmus.
WIEN DerHagenbund brachte im Rahmen
feiner Winterausftellung zum erften Male das
Werk Otto Hettners nach Wien. Die hochge-
fteckten Ziele des Künftlers verdienen auch dort
volle Würdigung, wo dem Einzelwerk ein ganzes
Gelingen verfagt geblieben ift. Hettner hat fich
bisher nur feiten dem gefährlichen Bannkreis
überragender moderner Künftlerperfönlichkeiten
entziehen können; doch macht ihm fchon die
Wahl feiner Vorbilder alle Ehre. Zudem ift ja
der 35jährige Künftler noch kaum in der Mitte
feines Weges angelangt; und gerade die Werke
feiner vorläufig lebten Entwicklungsftufe, die mir
etwa durch das Harlekinbild Nr. 170 gegeben
zu fein fcheint, laffen ein fremder Führung lediges,
felbftändiges Weiterfchreiten auf einem bisher nur
von einer kleinen Gruppe betretenen Pfade er-
hoffen. Die Entwicklung des Künftlers geht von
den großen franzöfifchen Impreffioniften zur Syn-
thefe Cezannes und feiner kühnften Jünger. Nach
der kurzen biographifchen Skizze des Kataloges
verdankte er einem längeren Parifer Aufenthalt
(feit 1895) die Bekanntfchaft mit der modernen
franzöfifchen Kunft, von der er die erfte ent-
fcheidende Anregung empßng. In einigen Land-
fchaftsbildern macht er fich die neoimprefponi-
ftifche Technik völlig zu eigen, die fchließlich in
dem großpgurigen Bilde der „Bogenfchüßen“
(Nr. 166) zu mofaikhafter Wirkung gefteigert
wird. Bei jenen Bildern, die einem erften
italienifchen Aufenthalte entftammen („Jüngling
in Abendfonne“ [Nr. 151], „Mann mit Pferd“)
fühlt man fich wie an Hans von Marees, der
kürzlich bei diefer Gelegenheit genannt wurde
(Deutfche Kunft und Dekoration, November 1910),
auch an Ludwig von Hofmann erinnert, deffen
Einfluß ebenfo in dem großen Ölgemälde
„Ruhender Mann“ und anderwärts merkbar ift.
Schon in Nr. 151 meldet fich van Gogh in man-
chen Äußerlichkeiten, der in dem „Stilleben“
Nr. 152 geradezu fklavifdi nachgeahmt wird.
(Einige Skizzen, z. B. Nr. 179, zeigen auch ent-
fernte Anklänge an Gauguin). Leider fehlen
hier zum vollen Verftändnis der weiteren Ent-
wicklung die im Katalog erwähnten Parifer
Arbeiten Hettners auf dem Gebiete der
Plaftik ebenfo wie die „als ein Fremdkörper
unterdrückten“ Temperabilder, mit denen der
Künftler, der 1904 dauernd nach Florenz über-
fiedelte, 1905 zuerft in Deutfchland hervortrat.
Ein Hauptwerk der Wiener Äusftellung „Der
Aufbruch“ (1908) zeigt Hettner fchließlich in
Hodlerfchen Bahnen; freilich erreicht er weder
Hodlers ehernen Rhythmus in der Kompofition,
noch deffen fchlichte Monumentalität in der
Einzelpgur. Hettners Entwicklung gipfelt, wie
fchon eingangs gefagt, in dem Freskoentwurf
„Schlafender Harlekin“ (Nr. 170). Eine machtvolle
Vifion ift darin zu wuchtigem Ausdruck gebracht.
Hier wie in der ftilverwandten „Nachtphantafie“
(Nr. 173) übernimmt Hettner die Tendenzen einer
Gruppe der modernften Franzofen, die unter Ver-
zicht auf räumliche Tiefe und ftoffliche Charak-
teriftik nur durch ruhige, durch kräftige Konturen
gegliederte Farbenßächen wirken wollen. In
einigen Studien (Nr. 160 — 164) crweift fich Hettner
als kraftvoller Zeichner.
Über dem Intereffe an dem feltenen Gaft
kommen die bewährten Mitglieder des Hagen-
bundes, die wie z. B. Baar, Barth, Gollj, Groß,
Huck, Parin, Roth u. v. a. m. meift mit guten,
für ihre Eigenart typifchen Arbeiten vertreten
find, allzu kurz. Hampel verliert fich immer
mehr in belanglofe Spielereien; fehr füßlich
die zahlreichen Bilder Böttingers, unangenehm
in ihrer fchreienden Koloriftik die Arbeiten
Uziemblos. Eine befondere Uberrafchung bieten
die wißigen Aquarelle des Architekten Laske;
man denkt an gewiffe franzöfifche Illuftratoren,
etwa Pierlis vom „Rire“. Sehr reizvoll vor allem
Nr. 40 (Gouache: „Untergehende Sonne“), viel
weniger glücklich die größeren Kompofitionen
wie „Der Nafchmarkt“ (Nr. 42), wo der faft als
trockener Architekturriß wirkende Hintergrund
mit dem übrigen Bilde nicht recht zufammen-
geht. Auch die Graphik ift gut vertreten; hier
find vor allem Junks idyllifches Weimarer
Goethehaus, dann die (in ihrer Häufung etwas
eintönigen) Radierungen Simons, die Mono-
typien, Lithographien und Radierungen Michls
und Stretti-Zamponis zu nennen.
Bei MIETHKE fieht man jeßt die leßten Ar-
beiten Emil Orliks, die diefen unermüdlichen
Virtuofen aller Techniken kaum von einer neuen
Seite zeigen. Auch hier verrät fich mitunter
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