Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Die Kunst-Halle — 4.1898/​1899

DOI Heft:
Nummer 5
DOI Artikel:
Galland, Georg: Von kleiner und grosser Kunst
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.63302#0082

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
66 —Die Aunst-^alte 5

Elemente abzuweisen, die trotz ihrer allmälich an-
gejahrten Praxis doch noch immer im Stadium des
Gährens, des Sturmes und Dranges, künstlerischer Un-
reife sich befinden. Es scheint, sie wollen niemals mit
ihrer angeblich „großen" Sache fertig werden. Zur
Schonzeit der Moderne haben sie ja so bequem im
Trüben fischen können und, Dank der Schlagworte ihrer
Intimen, sich noch dazu interessant zu machen gewußt.
Aber schließlich hat auch die sanfteste Geduld ein
Ende, wenn manzusieht, daß manchmal die neumodische
Raupe anstatt ein liebreizend schöner Schmetterling
zu werden, vielmehr so garstig von Aussehen bleibt
wie ehedem. So hat man anfänglich z. B. er-
wartungsvoll zugeschaut, wohin Dieser oder Jener
mit seinen Phantasien in Roth und Gelb, in Violett,
in Blau und Grün, oder wie sonst die Entleerungen
von Farbentuben euphemistisch heißen, schließlich ge-
langen werde. Man dachte etwa an Vorarbeiten
und hoffte, die Urheber würden dann dazu übergehen,
die koloristischen Spiele irgend welchen geistigen Ideen
in ihren Bildern unterzuordnen. Aber weit gefehlt.
Ein paar Maler fahren noch unverdrossen fort, ihre
gefüllten Tuben wie üblich auf die Leinwand zu
entleeren. Das geberdet sich wohl gar als Ueber-
zeugungstreue, ist aber in Wahrheit nur in Permanenz
erklärter Stumpfsinn.
Manche haben sich indeß glücklich durchgerungen
wie L. von Hofmann. Doch wenn man sieht, wie
korrekt er jetzt u. A. seine jugendlichen Akte malt,
begreift man schwer, wie jene Aufregung damals
im Gründungsjahr der „XI.", angesichts seiner un-
reifen künstlerischen Versuche bei Schulte, entstehen
konnte, versteht man aber auch ebensowenig das über-
schwängliche Urtheil, das gegenüber einer so schnell
gezähmten Ultra-Modernität von Urwüchsigkeit und
starker künstlerischer Persönlichkeit redet. So wohlfeil
wie Brombeeren ist der unverwelkliche Kranz unseres
nationalen künstlerischen Heroenthums denn doch nicht.
Und wer, wie Herr von Hofmann, sich als ein deutsch-
englischer sXaeraffaelit entpuppte, oder wie Herr
Liebermann seine persönliche Note mit Hilfe bald
von Munkacsy und Menzel, bald von Millet und
Israels hergestellt hat, kann wohl als ein kluger,
zielbewußter und geschickter Meister gelten, aber bei
Leibe nicht mehr, zumal wenn er, wie der Letztere,
sich neuerdings künstlerisch nicht weiter entwickelte,
seit ihn die großen Muster vorzeitig im Stich
ließen. Wenn Böcklin, Klinger, Menzel heute
in erster Reihe und danach Lenbach, Stuck,
Thoma und einige Andere rangiren, gehören die
Uhde, Hofmann, Liebermann u. s. w. unzweifelhaft
in den dritten Rang. Von den Meistern jener beiden
Gruppen möchten wir keinen Einzigen missen, ihret-
wegen beneiden wir das Ausland nicht um seine
Größen. Aber die Künstler der dritten Gruppe
würden uns wegen eines eventuellen Ersatzes von
auswärts nicht in Verlegenheit setzen. Daß freilich

oft der Beifall, der ihnen gilt, gerade dort laut genug
klingt, ist psychologisch verständlich: hat man doch
z. B. im tonangebenden Haris sür die transvogesischen
Kunstempfindungen bei uns ein sehr feines Gefühl
der Dankbarkeit. Das kann natürlich kein Grund
sein, unser Urtheil zu modifiziren. . .
Noch weiter unterwärts verliert die Kritik vollends
den Halt. Da giebt's meist gar keinen Maßstab
mehr, da wird blind darauflos gelobt oder getadelt,
je nachdem. Das hat kürzlich wieder in Berlin die
Ausstellung der hiesigen „Novembervereinigung"
im Künstlerhause bewiesen. Was konnte man da von
gewissen Leuten für Hymnen hören, als wenn Gott
weiß was für Ingenien die kunstarme Welt mit
Wunderthaten beschenkt hätten! Weil an dem Orte
sonst noch viel Schlechteres zu sehen war, sollte doch
wohl nicht schon den Werth der Sache bewiesen haben,
ebensowenig, daß etwa ein halbes Hundert Arbeiten von
durchschnittlich annehmbarer Tüchtigkeit hier eine
künstlerische Totalität ergab, die einen gewissen
Eindruck unleugbar hinterlassen hat. Geschickt
sind sie ja mehr oder minder Alle, das sieht man
schon an dem verständigen Arrangement ihrer Bilder,
und Einzelne, wie Dettmann und Uth, haben sich das
ehrliche Wohlwollen des Beschauers gewiß verdient.
Aber ihr Begabtester, R. Lepsius, den man sogar
zu einem Genie zu stempeln versucht hat —- was ist
denn dieses Salontalent mehr als ein handsicherer
Eklektiker, der von Lenbach das Hrinzip borgte, ein
Hortrait durch sorgfältige Herausmodellirung des
beleuchteten Kopfes aus dem skizzenhaften Ganzen
pikant zu gestalten und zugleich von gewissen Franzosen,
von denen immer wieder Larriere genannt wird,
die Idee des verschleierten Tones, der hier freilich
in seiner bleigrauen Kompaktheit höchst manierirt
wirkt? was indeß bei seinen Mustern ein einheit-
liches Gepräge, einen echten Gesammtausdruck besitzt,
wirkt, wie gesagt, bei dem Herrn dieser Vereinigung
lediglich gesucht und gekünstelt und der Beifall, den er
fand, beweist nur, wie heutzutage ein Maler von
scheinbar gewähltem Geschmack das Publikum zu
blenden vermag.
Lepsius' Aschermittwochskolorit wird trotzdem für
Viele eine interessante Sonderart repräsentiren. Die
Vertreter der Hhantasiekunst hier, die Max Zürcher
und Franz Lippisch, haben selbst das bis jetzt noch
nicht erreicht. Man frägt nach den Ursachen ihrer
Sinnesweise, ihrer Richtung und erhält keine tiefere
Begründung dafür. Man hat vor ihnen das Gefühl,
das mir u. A. auch der alte Ferd. Bol einsiößt, der
einst Rembrandt so trefflich zu imitiren wußte, daß
kürzlich Jemand, dem es einsiel die Kunstgeschichte
an Haupt und Gliedern zu reformiren, den kläglich
geendeten Versuch wagte, Rembrandt zu Gunsten
von Bol zu entthronen, auch weil dieser u. A. ein so
wackerer Haushalter gewesen war. Der Herr hätte
sich vorher von Fachleuten sagen lassen sollen, daß
 
Annotationen