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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 7
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Imhof, Franz: Berliner Kunstschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0124

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auf das Dolk zu wirken, die menſchliche Seele zu erheben,
deſſen künſtleriſchen Werth er überhaupt beſtreitet, wieder-
holt einen unzweideutigen Ausdruck geliehen. Aber ſo
erſchöpfend und ſcharf hat er den „Unwerth“ dieſer Richtung
für das deutſche Volk noch niemals dargelegt. Und wenn
man auch, bei aller Würdigung der Grundgedanken des
kaiſerlichen Bortrags, der von den Anweſenden mit Be-
geiſterung gehört wurde, gewiß nicht jeden Satz des Rai-
ſonnements unterſchreiben kann, ſo darf man dabei nicht
vergeſſen, daß eine aus dem Stegreif gehaltene Rede eines
noch ſo unterrichteten Kunſtfreundes wohl kaum jeder
künſtleriſchen Erſcheinung ſofort die völlig zutreffende Er-
klärung zu geben vermag.

Eine Würdigung der in der Berliner Siegesallee
geſchaffenen Statuen und Büſten hiſtoriſcher Perſonen
müſſen wir uns heute verſagen. Die künftige Kritik wird
nach dieſer wuchtigen bildneriſchen Geſammtleiſtung, die
einem wahrhaft kaiſerlichen Willen ihre Exiſtenz verdankt,
nicht nur am meiſten die gegenwärtige Berliner Bildhauer-
ſchule beurtheilen, ſondern ſie wird auch aus dem künſtleriſchen
Charakter des Objekts einen Werthmeſſer gewinnen für die
heute in der preußiſchen Metropole maßgebenden geiſtigen
Qualitäten monumentaler Plaſtik. Und hierin dürfte das
künftige Urtheil vielleicht die Verhältniſſe verkennen. Denn
weder identifizirt ſich das Wollen und Können der Ber-
liner Bildhauer überhaupt mit den ihnen für die Sieges-
allee geſtellten Aufgaben, noch ſind alle namhaften und
fähigen Kräfte des Faches — ich brauche nur an Max
klein, M. Kruſe, Klimſch, Heinemann, Lewin- Funcke,
Wandſchneider u. ſ. w. zu erinnern — unter den dort be-
rückſichtigten Meiſtern vertreten. So ſehr ſich ferner ohne
Frage jeder Einzelne der letzteren auch ehrlich bemüht.
hat, ſeine volle Kraft für das Werk einzuſetzen, ſo iſt
es dennoch Manchem nicht gelungen, ſein Beſtes hier zu
geben. Andere ſeiner Leiſtungen führen uns ſeine künſt-
leriſche Fähigkeit und Eigenart ſtärker zum Bewußtſein,
Werke, die ihm geſtatteten, frei von gegebenen hiſtoriſchen
Typen den Schwingen der Phantaſie jegliche Bewegung zu
gönnen. Selbſt von Reinhold Begas, dem ehrwürdigen
Führer dieſer Schaar, will man ſolches behaupten.

So hoch man aber auch dieſe brandenburgiſchen
Fürſtenſtatuen ſtellen mag, zu einer Parallele mit den
idealen Schöpfungen der Renaiſſance oder gar der
Antike liegt eine ernſthafte Veranlaſſung nicht vor.
Grade der zum Vergleich herangezogene pergameniſche
Fries zeigt, in wie völlig anderer Weiſe ein ſieggekrönter
antiker Fürſt die Thaten ſeiner Vorläufer in monumentaler
Form überlieferte, beweiſt, daß ſelbſt noch in helleniſtiſcher
Zeit die Traditionen der hohen Kunft kräftig genug lebten,
um jedes dynaſtiſche Intereſſe zu verdrängen. So ließ
könig Eumenes II (197 -1359 v. Chr.) hier nicht die
Heldengeſtalten der Attaliden zum Mittelpunkt einer Schil-
derung damaliger Gallierkämpfe, ſondern das ſymboliſche
Gewand einer idealen Gigantomachie wählen. Wie er,
als Fürſt eines helleniſtiſchen Kulturſtaates, in dem Siege
der göttlichen Träger einer ſittlichen Weltordnung über
die rohen Naturgewalten die mächtigſte That bewunderte,
ſo mußte er auch darin die höchſte Aufgabe der monu-
mentalen Uunſt erblicken.

Dieſe Schöpfung aus dem alten Pergamon hat jetzt
erſt ihre definitive Aufſtellung in einem eigenen Gebäude
auf der Muſeumsinſel, jenſeits des Säulenganges der

Nationalgallerie, erhalten. Ob es zugleich eine würdige
Aufſtellung zu nennen iſt, darüber kann die Meinung
immerhin getheilt ſein; der Architekt Geh. Baurath Eritz
Wolf hat größtmögliche Schlichtheit für angemeſſen er-
achtet. Eine abſolut ſchmuckloſe Dorhalle führt in einen
weißgetünchten, annähernd quadratiſchen Saal mit grader
Dachkonſtruktion und Seitenlicht rings an den Oberwänden.
Die geſchloſſenen Unterwände ſind zur Aufſtellung minder
bedeutſamer Fundſtücke aus Pergamon, z. B. des Frieſes
mit der Telephos-Mythe ausgenutzt worden. Inmitten
des Saales aber ſteigt bis zur Dachhöhe, den Abmeſſungen
des Hriginals entſprechend, ein vereinfachtes Modell des
pergameniſchen Altars des Zeus und der Athena empor.
Dieſer oben freie Burg-Altar hatte eine ungefähr qua-
dratiſche Grundform; nur die weſtliche Eingangsſeite war,
zur Aufnahme einer Freitreppe, um 8 m zurückgelegt,
ſodaß die Nord- und Südſeite hier vorgeſchobene Flügel
bildeten. Auf dieſem Unterbau lief eine zierliche joniſche
Säulenhalle herum, die nur in der Achſe der Freitreppe
einen Eingang offen ließ als Zugang zum Altarraum, an
deſſen innerer Umgrenzung jener Telephosfries die wunder-
bare Geſchichte des mythiſchen Gründers von Pergamon,
des Sohnes des Herkules und der arkadiſchen Prinzeſſin Auge,
umſtändlich ſchilderte.

Außen am Unterbau des Altars, in einer Höhe von
21 m, 30g ſich der berühmte Hochrelief-Fries hin,
deſſen Entdeckung für die Kulturmenſchheit, zunächſt für
Berlin, das unvergängliche Verdienſt eines Karl Humann
repräſentirt. Die Ergebniſſe der preußiſchen Ausgrabungen
bis 1886 waren ſo beträchtlich, daß man mit Hilfe der
gefundenen Inſchriften wagen konnte, die erhaltenen Theile
und Bruchſtücke der rieſigen, in die beiden abgeſtuften
Treppenwangen einſchneidenden Kompoſition an ihren ur-
ſprünglichen Stellen einzufügen. Die leider reichlich vor-
handenen Lücken der Eriesfläche konnten, zum Theil
wenigſtens, mit den Namen der hier fehlenden Haupt-
geſtalten bezeichnet werden. Die Götternamen ſieht man
übrigens an der oberen Umrahmung eingemeißelt, die
Gigantennamen am unteren Bahmen, und noch etwas
tiefer laſſen ſich verſchiedene Künſtler-Inſchriften ent-
ziffern 3. B. die Namen Theorretos, Dionyſiades und
Hreſtes.

Der bläulich-weiße Marmor des 2,30 m hohen Frießes
ſetzt ſich aus Blöcken von 0,60 bis 1,10 m Breite bei
0,50 m Dicke zuſammen. Aach der Zerſtörung des Altars
dienten dieſe Blöcke glücklicherweiſe zum Aufbau einer
byzantiniſchen Feſtungsmauer, wobei man die Bildwerke
nach innen in Mörtel einbettete, ſodaß ſie im Gegenſatz
zu den ſpäter verſchütteten Stücken nur wenig verwitterten.
Doch hat die Zeit den Köpfen wie den oberen und unteren
Extremitäten der Figuren übel mitgeſpielt. Zu den beſt-
erhaltenen Geſtalten gehören außer mehreren jugendlichen
und älteren Giganten, der prachtvolle Torſo des Zeus,
die Pallas Athena und vor Allem die junoniſche Geſtalt
der Nix, die in der That eine untadelige Schönheit der
übrigen Göttinnen ahnen läßt. Von männlichen Köpfen
ſind einige bärtige Gigantenhäupter in der geſammten
Kunſt einzig ſchöne Exemplare voll titaniſcher Kraft. Die
Phantaſtik, die hier und dort an den als Schlangenpaaren ge-
bildeten Bewegungsorganen der Giganten, an ihren Flügeln,
Händen u. ſ. w. ſich offenbart, ordnet ſich dennoch völlig
der wunderbaren Aeſthetik der Geſammtkompoſition unter.
 
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