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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 9
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Galiardi, E.: Vorbereitung zur Romfahrt
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0155

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nach, daß die Sommerſitze der Nepoten-Geſchlechter
in der weiteren Umgebung Boms unerreicht daſtehen.
Nach dieſer ungewöhnlich feſſelnden Lektüre wird
ſchwerlich ein Bompilger ſich den Beſuch der den
Borgheſen gehörigen Villa Caprarola, ſowie der
villa Lante — jahrhundertelang Sommerfriſche der
Erzbiſchöfe von Viterbo und mehrerer Päpſte —
entgehen laſſen. Fortan wird dann die Villa d'Eſte
in ſeiner Erinnerung nicht mehr ein Unikum ſein und
der Gedanke an dieſe den Olympiern würdigen Sommer-
ſitze ſeine Sehnſucht nach der Stadt der Cäſaren
immer aufs Neue anfachen.

Unentbehrlich zur würdigen Vorbereitung des
Romwallfahrers iſt ſchließlich eine Beſichtigung der
„Tesori d’arte inediti di Roma“ und einer Sammlung
Photographien der Gemälde Raphaels. In jenem
Werke macht uns Profeſſor Adolfo Venturi mit
40 Meiſterwerken der italieniſchen Malerei bekannt,
die für das Fremdenpublikum ſo gut wie nicht vor-
handen ſind. Sie gehören ausnahmslos zu dem
Allerbeſten, was Rom auf künſtleriſchem Gebiet auf-
zuweiſen hat. Man kann es den römiſchen Patriziern
nicht verdenken, wenn ſie ihre koſtbarſten Schätze,
ſtatt ſie den öffentlichen Gallerien einzureihen, eifer-
ſüchtig vor profanen Augen verbergen, um in der
traulichen Stille ihrer Privatgemächer einen deſto
reineren und ungetrübteren Genuß davon zu haben.
Gleichwohl gelingt es bisweilen dem Fremden, der
jene geheimen Schlupfwinkel kennt, die ängſtlich ge-
hüteten Schwellen zu überſchreiten und eine oder die
andere köſtliche Perle zu betrachten, bei welcher Ge-
legenheit ſich zu dem lockenden Beiz der verbotenen
Früchte oft noch ein Gefühl der Ueberraſchung über
die Auffaſſung der alten Meiſter, die man modern
nennen könnte, geſellt. Ein Beiſpiel dafür bietet
Botticellis „Derelitta“ — die Verſtoßene — in der
Sammlung der Fürſten Pallavicini, ein Stimmungs-
bild voll erſchütternder Tragik, das keiner unſerer
Modernen eindringlicher und realiſtiſcher darſtellen
könnte.

Die Alinariſchen und noch mehr die Anderſon-
ſchen Photographien ſind in ſich ſelbſt echte Kunſt-
leiſtungen, die jeden deutlich erkennen laſſen, wie fehr
der Begriff „Raphael“ unter ſeinem Werth geſchätzt
wird. So gehören die drei ſchwebenden Engel ſeines
unvergleichlichen Freskogemäldes „la Disputa“ im
Vatikan zu den herrlichſten Schöpfungen, die er der
Nachwelt hinterlaſſen hat. Deſſenungeachtet geht
die Mehrheit der Fremden, von der Fülle des Schönen,
das der Vatikan birgt, überſättigt, achtlos an ihnen
vorbei. Wer aber dieſe wunderbaren Einzelheiten
herauszufinden weiß, verdankt ihnen eine der köſt-
lichſten Stunden ſeines römiſchen Aufenthaltes. Erſt
an Ort und Stelle überſieht er die Größe dieſer
Schöpfungen eines wirklich gottbegnadeten Geiſtes.
Sie ſind von demſelben übermenſchlichen Gefühl —
das dämoniſche, nennt es Goethe — getragen, wie

die erhabenſten Geſänge Dantes und Miltons, jener
beiden, die in das Weſen der hehrſten Poeſie, in ihre
lichtvollſten Sphären am tiefſten eingedrungen ſind.
Ein nicht gering anzuſchlagender praktiſcher Vortheil
einer ſolchen Beſichtigung iſt auch die Möglichkeit,
ſchon daheim ungefähr die Angebinde wählen zu
können, die mit heimzunehmen ſind.

Nur jemand, der derartige Werke gebührend


welt hineinzuverſetzen, in der Goethe lebte, als er
immer wieder dem getreuen Eckermann Abbildungen
römiſcher Denkmäler und Meiſterwerke zeigte und
erläuterte. Keine Lektüre, kein Univerſitätsvortrag
ſchärft das Urtheil, verfeinert den Geſchmack in ſo
hohem Grade, wie das verſtändnißvolle Anſchauen
dieſer bildlichen Darſtellungen Boms vom Alterthum
an bis in die Veuzeit. Selbſt dem oberflächlichen
Beſchauer bieten ſie eine prägnante Chronik Roms
in wundervollen Bildern. Sie gewähren ihm die
Möglichkeit, jeden Augenblick von der Chronik zur
Geſchichte überzugehen, indem ſie ihn lehren, an Grt
und Stelle mit ſicherem Griff die gediegenſten Er-
läuterungen zu dem herauszufinden, was ihn am
meiſten feſſelt und anregt. Ferner ermöglichen dieſe
Werke dem Keiſenden, ſich unter den Denkmälern
Roms, in ſeinen Kirchen und Paläſten mit der geiſtigen
Sicherheit und der äußeren Gewandtheit zu bewegen,
wie etwa Schiller in der waldigen Heimath Tells,
die er doch nur im Geiſte durch die Augen Goethes
geſchaut hatte. Wie ein Botaniker auf einer Blumen-
flur zahlloſe, dem achtlos ſchweifenden Blicke ver-
borgene Schönheiten entdeckt, ſo wird der ſorglich
vorbereitete Rompilger auf jedem Gebiete der kunſt
das unendlich reiche und mannigfaltige Detail wahr-
nehmen, das der Mehrbeit entgeht, obſchon es der
Schlüſſel zu dem wahren Weſen des Ganzen iſt.
Ar der Hand von ſolchen zuverläſſigen Führern wird
dem Ankommenden klar, welch' ein Glück es iſt,
römiſchen Boden zu betreten, jede Stunde des Auf-
enthaltes wird zum Tage, jeder Tag zur Woche!
Auch wenn die erſehnte Keiſe vereitelt werden ſollte,
hebt das Gefühl, mit dem Geiſte ſo andachtvoll an
den hehren Stätten geweilt und ihre Schönheit beſſer
verſtanden zu haben, als mancher Blaſirte, der ſie
mit leiblichen Augen ſchaute, über die Enttäuſchung
empor. Solche Vorbereitungen erweitern den Ge-
ſichtskreis unendlich, ſie machen Jeden zum Weltbürger,
der es, nachdem er einmal Freude daran gefunden,
verſteht, ſich nach demſelben Prinzip zu jeder ihn
intereſſirenden Fahrt — und werde ſie auch nur in Ge-
danken verwirklicht — vorzubereiten.

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