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Die Kunst-Halle — 7.1901/​1902

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Nr. 22
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Marasse, Margarete: Am Hofe der Gonzaga, [1]
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Heilmeyer, Alexander: Die Münchener Kunstausstellungen 1902, Schluss [3]
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https://doi.org/10.11588/diglit.62513#0389

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— ꝛ2


ſichtige Atmoſphäre, das Spiel der Natur mit ſpuk-
haften Duftgebilden. —

Ich ſehnte mich nach dem Extragenuß von
Mantegnas Werken im Castello- di Corte, dieſer
älteſten Beſidenz der feudalen Condottieri, einem Bau,
der bereits von Lodovico II. im 14. Jahrhundert
begonnen, als Lodovico I. 1328 nach dem Sturz der
Volksherrſchaft Generalkapitän von Mantua geworden
war. Es iſt in kleinen italieniſchen Städten ſehr
empfehlenswerth, ſich von einem halbwüchſigen
Bürſchlein nicht nur zu den Sehenswürdigkeiten,
ſondern auch zu dem Urquell humoriſtiſchen Volks-
lebens führen zu laſſen. Zu dieſen poſſirlichen,
liebenswürdigen Schildknappen iſt weit mehr zuzu-
raten, als zu den mit Genuß betrügenden, in der
Cokalgeſchichte nicht unterrichteten Kutſchern.

Freilich, Zeit erfordern die Wanderungen mit
den ſo luſtig aufſchneidenden Typen bubenhaften
Uebermuthes, aber ihre gefälligen Lügen ſind ſtets
bezeichnend für die Kultur des Grtes, ihr ſchlum-
mernder Sinn erwacht nicht nur bei dem Geräuſch
klimpernder Münzen, und ihr munteres Geplauder
bildet für den Hellhörigen, den Uenner und aufrich-
tigen Verehrer Italiens eine Fundgrube inſtruktiver Be-
obachtungen. Mein Führer auf Mantuas verſchlungenen
Pfaden hieß Otello; dieſe kleine ruppige Perſönlichkeit
mit den unergründlichen tiefen Augen ſeiner Baſſe
zeigte anmuthige Rhetorik, eine königliche Einbildungs-
kraft und den lebhafteſten Trieb, mich zu erforſchen.
Als er mein Deutſchthum erfuhr, heuchelte er mit
bedeutungsvollen Geſtikulationen große Ehrfurcht,
glaubte gehört zu haben, daß die Gonzaga von
einem mächtigen deutſchen Kaiſer, Carlemagno, ab-
ſtammten, und daß eine Barbara von Brandenburgo
— wie er beſtimmt annehme, deutſcher Nation —
am Hofe zu Mantua erzogen ſei, um ſpäter den
Herzog Lodovico zu heirathen:

„Dieſe Barbara war eine ſehr tüchtige, geſunde,
kluge, thatkräftige Frau, die hat die Soldi nicht für
Putz und Tand verthan, wie ſo manche andere,“
ſagte er voll Eifer, und da er glaubte, daß er mir
mit dem guten Führungsatteſt der Barbara eine be-
ſondere Art von Geneigtheit bewieſen habe, ſah er
mich ſtrahlend an, ſeine ſchwarzen Augen leuchteten
wie eitel Sonnenſchein. Ich gab meinem Erſtaunen
ob ſolch' tiefer Gelehrſamkeit würdigen Ausdruck.
Machtbewußt erklärte der ſtruppige Bub', daß er m
unermeßlicher Geiſtesarbeit Tag und Nacht über
Büchern zu liegen pflege, die Schule beſuche er nur
ſelten, da die trockene regelmäßige Ordnung ſeiner
künſtleriſchen Individualität nicht zuſage.

So ſuchten wir im Nebel unſeren Weg, wobei
mich der beherzte Bub' mit ſeinem liebenswürdigen
lateiniſchen Volksinſtinkt trefflich unterhielt.

Im Castello di Corte, jetzt Arebivio notarile,
kam ich nicht ſo leicht zum Ziel, wie ich angenommen
hatte, ſelbſt der bedeutſame Händedruck, die Magie

der klingenden Münze, wurde zurückgewieſen; es ſeien
keine Amtsſtunden und mein Eindringen nicht in der
Ordnung. Meine verzweifelten Mienen rührten die
verknöcherten Herzen nicht, aber die Staatskunſt
GOtellos, der dem Bedrängten mit allerlei köſtlichem
Gaukelſpiel zu Hülfe kam und ihn für ein bedeut-
ſames Menſchenexemplar teutoniſchen Urſprungs aus-
gab, verurſachte ſchließlich erfolgreich eine entſcheidende
Sinnesänderung.

Eortſetzung folgt.)

2

Die Münchener
Kunſtausſtellungen 1902,

Don Alexander Heilmeyer,

III. Das Figurenbild Schluß).

aphael Schuſter-Woldans Bild weiſt
auf eine Bichtung des künſtleriſchen Schaffens
hin, nach der nicht allein die maleriſchen
Eindrücke, der Rhythmus der Linie und die Harmonie
der Farben für die Geſtaltung maßgebend ſind,
ſondern vielmehr ein beſtimmtes inhaltliches Motiv.
Dieſe Künſtler gehen nämlich vom Stoffe aus.
Georg Schuſter-Woldans Bild „Phantaſien zum
heiligen Dreikönigsabend“ iſt ein Beiſpiel. Wir ſehen
an einem nebligen Wintertage in eine Dorfgaſſe die
drei Könige einziehen. Eine Schaar Kinder geleitet
ſie; mit allerhand Inſtrumenten vollführen ſie einen
tollen Lärm. Wie ein Ueil ſchiebt ſich der Zug vor-
wärts. Neugierige werden ſichtbar, Fenſterläden thun
ſich auf, Alte treten unter die Thüren. Die drei
Könige aber ſchreiten gelaſſen fürbaß. Dieſem Stoff-
kreiſe iſt auch Hengeler nahe verwandt. Auch er
geſtaltet ein Bild frei aus ſeiner eigenen Vorſtellung
heraus und ſucht für das, was er ſagen will, den
einfachſten und kürzeſten Ausdruck. Das Motiv geht
in ſeinen Bildern ganz in der maleriſchen Darſtellung
auf. Schöpfungen wie „Madonna im Walde“, „St.
Nikolaus“, „Der Bauer“, „Die Geigerin“ ſind poetiſch
empfunden und einfach, aber würzig in der maleriſchen
Wiedergabe. „Die Geigerin“ iſt ein liebliches Idyll.
Ein Quell rauſcht friedlich in kühler Marmorſchale,
der Wind wiegt ſich leiſe in den Zweigen und die
Gegenwart verdämmert lauſchig im Buſch. Seine
Muſe geleitet uns ins Freie, an ſtillen Gärten vor-
über, an bebuſchten Hängen entlang, in eine heitere
Welt. Seinen Bildern iſt jene Stimmung eigen, die
uns überkommt, wenn wir an einem ſchönen Sonntags-
morgen von freier Höhe aus ein uns wohlvertrautes
Fleckchen Erde im Sonnenglanze vor uns liegen ſehen.
Ein Theil jener Anſchauung, die Schwind und Spitz-
weg eigen war, lebt nunmehr in Hengeler fort.
Weltis iſt hier noch Erwähnung zu thun. Mit ur-
ſprünglicher Freude an friſchen Farben ſchildert er
uns ſeine kleine Welt. Gewiß läßt ſich ſein Stamm-
baum auf Maler zurückführen, die ſich daran er-
götzten, allerlei Hausgeräthe mit bunten Bildern und
ſinnigen Sprüchen zu ſchmücken.
Die Malerei, die ſich vorzugsweiſe mit der Dar-
ſtellung von Tand und Leuten beſchäftigt und aller-
hand Erlebniſſe in Bildern ſchildert — woraus man
 
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