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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Januar 1897
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Nr. 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0005

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Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u.
Feiertage «von« ememtspreiv mit dem wöchent-
lichen Unierhaltungsblatt „Der Sonntagsbote" für
Heidelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch
die Post bezogen viertelst 1.60 franco.

Organ für Walirlmt, Fmlmt L KeM.

Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
10H, Reklame 25 H. Für hiesige Geschäfts- und
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Expedition: Zwingerftratze 7.

M. 1. WMlg, MW, dm t. WMl 18S7. > st IM.

Für das erste Guartal 1897


«ehmen noch immer alle Postämter Bestellungen auf
die täglich erscheinende Zeitung
„Pfälzer Bottsblatt"
(mit der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntags-
bote",) sowie unsere Expedition Heidelberg
Zwingerftraße 7 entgegen.
Expedition des „Pfalzer Volksblatt".

Heidelberg, Zwingerstraße 7.


Zum neuen Jahr.
Wenn man im Leben einen Freund zu Grabe ge-
leitet, dessen Sinnen und Trachten, Denken u. Fühlen
eng mit dem unsrigen verknüpft war, dann füllen sich
unsere Augen mit Thränen und das Herz krampft
sich zusammen vor Schmerz und Wey, denn dahin
ist er für immer. Kein Wort der Liebe, der Er-
munterung ».des Trostes ertönt mehr von seinen er-
kalteten Lippen, kein warmer Druck der Hand ver-
sichert uns mehr seines Mitgefühls und seiner Theil-
uahme, nein, stumm ruht er im Grabe des Wieder-
sehens entgegen. Nur in unserer Erinnerung lebt er
fort und in dem Andenken an ihn empfinden wir das,
waS uns einst seine Liebe geboten. Und wie der
Freund unS in Erinnerung bleibt, so bleibt uns auch
jeder Zeitabschnitt im Gesächtniß aufbewahrt und noch
oft treten die Begebenheiten urd Vorkommnisse aus
demselben vor das geistige Auge. Jeder Lebensab-
schnitt prägt unS seine Eigenheiten auf; die Erfahr-
ung wird stets vermehrt und klarer schauen wir
hinein in daS Weltgetriebe.
Wann aber zögen die Erlebnisse in Hellem Lichte
an uns vorüber, als in dem Augenblicke, wo sich das
Grab über einem solchen Zeitabschnitte, Jahr genannt,
schließt. Wer würde nicht in seinem Innersten er-
schüttelt, wenn der Freund von ihm scheidet, der
während dreihundertfünfundsechzig Tage» unzertrenn-
lich mit ihm war? Der ihn umgab bei der Arbeit
und nicht verließ, wenn er ruhte, der ihm zur Seite
schritt, wenn die flatterhafte Freude sich ihm auf
Augenblicke nahte, und ihm folgte, wenn Gewitter-
wolken den Horizont bedeckten? Der das Jauchzen
in der seltenen Stunde des Glücks vernahm und Zeuge
" Stotz und Liede. L«
1.) Dem Amerikanischen nacherzählt.
1. Kopiikl.
Die Bewohner der alten Farm.
Der alte Mr. Marfhall saß rauchend unter dem schatti-
gen Bhornbaum, den er selber vor vielen Jahren gepflanzt
hatte- Er hatte damals kaum mehr Jahre gezählt als das
kleine Mädchen, düs jetzt auf der breite» Thürfchwelle
kauerte und der SoNne zusah, wie sie hinter den Bergen
im fernen Westen zur Ruhe ging- Der Baum war zu der
Zeit noch ein schwach-s Reis gewesen, und er felber ein
kleiner Knabe; aus Sem Reise hatte sich mittlerweile ein
mächtiger Baum entwickelt, der das alte verwitterte Farm-
haus mit seinem weiten Schatten umfing, während aus
dem Knaben ein grauhaariger Mann geworden war, der
viel Gutes und viel Böses seit jenem Morgen erlebt
hatte, da seine Mutter ihm geholfen, den im Walde gefun-
denen Wildling zu pflanzen und zu begießen.
Drüben, jenseits der weitgestreckten Felder, wo die Berge
schon ihre langen gespengstigen Schallen warfen, stand
eine Reihe kreuzgeschmückter Grabsteine. Bon seinem Sitze
aus konnte er sie alle zählen — seiner Mutter gehörte der
eine, seinem Vater der zweite, und unter dem dritten ruhte
seine blondhaarige Schwester. Wer möchte es dem alten
Manne verargen, daß schwere Thräne in seine Augen tra-
ten, als er belachte, daß er mehr geliebte Gräber auf je-
nem kleinen Friedhöfe besitze, als Stühle sich um sein Herd-
feuer reihten — selbst wenn er den einen mrtzähle, der seit
jener schrecklichen Nacht unbenutzt in der dunklen Ecke der
Küche stand, da sein einziger Sohn Seht ihm genommen
worden war l Für den zwar stand ein Stein in jener
melancholischen Reihe, aber doch erhob sich drüben noch
rin viertes Monument, und dessen Inschrift sagte dem Leser,
daß darunter zwei geliebte Menschen ruhen — das Weib
des alten Mannes selber und die Gattin seines Sohnes-
Bald nach der Nacht, da er seinen Sohn verloren, hatte
rr die beiden dort gebettet.
Vierzehnmal hatte schon der Nhornbau« seine Blätter
gewechselt, und aus dem großen Schmerze der unglückje-

war der Seufzer und der Nachtwachen, die Gram u.
Kummer forderten? Wahrlich, in der Abschiedsstunde
deS Jahres, da drängt sich unS die Erinnerung an
die verflossenen Tage gar mächtig auf und wie mit
einem Zauberschlage erstehen vor unS die Freuden
und Gramgebilde, die im scheidenden Jahre ihren
Reigen um uns aufführten. Wir erkennen mit klarem
Blick, was wir gethan, was wir unterlassen haben,
und Genugthuung und Reue finden sich ein, undkäm-
pfen um den Vorrang. O, daß die Letztere nicht
Siegerin sei, denn zu spät ist sie gekommen, zu spät
läßt sie uns alle unsere Fehler erkennen, denn das
Jahr, in dem wir sie begangen, es ist in das Grab
der Ewigkeit gesunken, wo es entgegenharrt der Stunde,
die es vor dem Richterstuhl des Höchsten ruft, Zeug-
niß abzulegen gegen uns. Doch waS sage ich!
Kommt auch die Reue spät, kann sie Geschehenes nicht
ungeschehen machen, so ist sie dennoch gern u. willig
aufzunkhmen. Sie treibt uns, die begangenen Fehler
zu sühnen, di« Schulden des alten Jahres in dem
neuen zu bezahlen. Die Reue ist dec erste Schritt zur
Besserung, mag geschehen sein, was da will, der
Weg zum Heile ist noch offen, noch verleiht unS die
Gnade GolleS Zeit, unS zu reinigen, uns vorzube-
reiten auf jenen dunklen Pfad, der zum Lichte und
zur Wahrheit führt! ES gilt daher diese neue Frist
zu benützen, keinen Augenblick zu versäumen, denn,
werweiß es, wie bald das Wort des Herrschers über Leben
u. Tod uns vor ihn hiufsrdert und Rechenschaft verlangt
über die Tage, die unS auf der irdischen Wanderschaft
sahen. Ueber der Schwelle des neuen Jahres laßt
uns daher befestigen die Worte: „Glaube, Hoffnung,
Liebe!" Sie seien die Losung, der wir unentwegt
folgen wollen. Glaube und Vertrauen zu Gott und
seiner heiligen Liebe in allen Lagen des Lebens,
Hoffnung auf den Sieg der Wahrheit und Gerechtig-
keit, Liebe für Alle, die unS auf dem Lebenswege
begegnen, das ist unsere Richtschnur im Jahre 1897.
Mag dann das Jahr in feinem Laufe bringen,
WaS immer eS wolle, wir werden hochaufgerichtet
eiuschreiten u. der etwaigen Gefahr muthig in'S Auge
sehen. Die Hoffnung auf Len Sieg der mit Gott
begonnenen Thateu wird unS beleben und die Liebe
zu unfern Mitbrüdern, sie wird uns eine reine und
heilige Freude bereiten. Kein Kampf wird uns schrecken,
kein Schmerz unS überwältigen, nein, gerüstet mit den
drei göttlichen Tugenden werden die Feinde vor uns
fliehen, und wir werde» dastehen als Sieger. Der
Anfang und das Ende bei allen unfern Thaten sei
Gott, mit ihm und durch ihn werden wir erlangen,
ligcn Tage waren für den alten Mann allmählich neue
Freuden, neue Sorgen und neue Liebe erwachsen; kaum,
daß seine ruhigen Züge etwas von dem verrathen hätten,
was er einst gelitten. Die Zeit heilt ja alle Wunden und
Schmerzen, und nur, wenn die Herbsttage herankamen,
warf die wiedererwachte Erinnerung ihre trüben Schatten
über das sonst heitere Antlitz.
Heute schienen die Schatten die seinen Geist bedrückten,
noch düsterer zu sein, als gewöhnlich, und selbst sein ge-
wähnter Sorgenbrecher, die von ihm unzertrennliche Pfeife,
hatte die Kraft verloren, das trübe Gewölk zur Erinner-
ung zu zerstreuen- Auf der breiten Straße näherte sich
eine Heerde wohlgenährter Kühe dem Hause und der kleine,
etwa vierzehnjährige Hirte hatte Mühe, die stattlichen Thiere
von den grünen Hecken wegzutrciben, welche den Weg be-
grenzten.
Walter Marsball, so hieß der Kleine, war der einzige
Enkel des alten Mannes unter dem Ahornbaume. Nie-
mand konnte in fern hübsches, offenes Antlitz und in sein
klares, ehrliches Auge blicken, ohne Gefallen an ihm zu
finden. Trotz seiner Jugend mochte sein Wesen schon den
Eindruck einer gew-ssen männlichen Selbstständigkeit, und
e>n seltsamer Zug um die festgeschlossinm Lippen schien
das Bemühen zu verrathen, eine unangenehme und quä-
lende Erinnerung zurückzudrängen.
Sein Großvater liebte ihn zärtlich, sowohl wegen der
edlin Eigenschaften seines Charakters, als auch wegen des
Unglücks, das in schon in frühester Jugend betroffen. Die
Thränen einer sterbenden Mutter hatten sich mrt seinem
vermischt, und der erste Gruß, dem die Welt ihm entgegen-
gebracht, war der Ton der Trauerglväen, die seine Mutter
zu Grabe läuteten.
An jenem Tage hatte er noch im Arme der Groß-
mutter geschlummert; aber schon acht Tage später hielt
eine Fremde ihn im Arm, während der alte Marshall
»um zweiten Male der schwarzen Bahre folgen und jein
Weib ins Grab legen mußte. Dann folgten trübe Tage,
und das muntere Wesen des Waisenkindes, — so nannten
sie ihn, — war der einzige Sonnenstrahl, der für lange
Zeit das alte Haus erhellte.

was unS zum Heile dient. Zum Heile! Ein iahalts
schweres Wort, das leider Vie Welt nicht versteh
oder nicht verstehen will, denn sie betrachtet als ihr
Ziel nur die irdischen Güter: Reichthum, Ehre und
Ring sind für sie der Inbegriff der höchsten, und
jene der Unsterblichkeit, die, wenn sie lange währt,
doch nur einige Jahrhunderte dauert, ist das Ziel,
nach dem Unzählige ringen, für das sie ihr Seelenheil
opfern. Der Gedanke an den großen Wahlspruch:
„Was nützt eS mir, wenn ich die ganze Welt gewinne,
aver an meiner Seele Schaden leide?" ist aus den
Herzen von vielen Millionen geschwunden und so
schauen wir denn auf dem Welttheater jenen unseligen
Kampf, der mit maßloser Erbitterung geführt wird,
uw daS, waS bald ein Raub der Würmer, nicht-
als eitel Staub ist. Dieser Kampf ist entbrannt
unter den Massen der Bevölkerung, weil man ihnen
den beseligenden Glauben an Gott und die einstige
Vergeltung aus der Brust gerissen, weil man der
Vernunft allein den Ehrenplatz eingeräumt, und den
Menschen als Wahrheit lehrt: „Genießet, so lange
die Erde euch trägt, so lange ihr im Lichts wandelt,
bald kommt die Nacht, das Grab deckt euch, ihr
werdet in die Uratome aufgelöst und die „Comödie"
eures Daseins ist za Ende!" Wahrlich wenn man,
das Leben auf dieser Erde eine Comödie nennt, dann
darf man sich nicht wundern, daß die Comödiauie«
auch mit aller ihr zu Gebote stehenden Kraft darnach
streben, ihre Rolle möglichst gut und mit Erfolg für
die Befriedigung ihrer Leidenschaften zu spielen.
Dann darf mau keiner Entrüstung Ausdruck geben,
wenn der Sozialismus sich drohender und drohender
erhebt und den Umsturz der ganzen gesellschaftlichen
Ordnung hecbeizuführen sein Ziel vennt. Dann
darf man nicht in ein Zetergeschrei auSbrechen, wenn
die Achtung vor jeglicher Autorität schwindet, wenn
die gesalbten Häupter der Fürsten bedroht werden
und feindliche Gestalten die Throne zu untergraben,
keine Mittel scheuen. Denn dies Alles ist die Consequenz
jener Lehre, die da sagt: „Mit dem Tode ist die
„Comödie" aus."
Der Mensch, auS dessen Brust noch nicht der
Glaube an Gott und seine einstige Wiedervergeltung
entschwunden, er schaut mit thränrnerfülltem Auge
dem unseligen Treiben seiner Brüder zu, Furcht und
Grauen erfaßt ihn bei dem Gedanken an die Zukunft,
und mit dem göttlichen Heiland möchte er den Bolks-
verführern zurufen: „O, die ihr erkänntet, was euch
und allen Menschen zum Heile dient!" Was ihnen
aber zum Heile dient, wir brauchen nicht lange darnach
Seit jenen Tagen hatte Mary, die Tochter Marshalls,
sich vermählt, hatte bei der Wiege eines zarten Töchter-
chens gelacht und am Sarge ihres jun- en Gatten Howlland
geweint. Ellen war das Töchterlein gerannt worden,
zu Erinnerung an Walters frühverstorbene Mutter.
Zu den genannten Hausgenossen gesellte sich endlich
noch die bejahrte Schwester des Hausherrn, Tante Debby
geheißen. Sie nahm eine bevorzugte Stellung in der Fa-
milie ein, und die liebevolle Art, wie jeder ihre kleinen
Schwächen ertrug, sprach noch lauter für ihren Werth, als
das offene Loo, das man ihren Tugenden spendete. Tante
Debby war unverwählt geblieben; jedoch behauptete
sie, das sei ihre Schuld nicht, und sie bestand hart-
näckig darauf, der Mann, der ihr zum Gatten be-
stimmt gewesen, sei in dem großen Kriege 1812 gefallen.
Nicht, als ob sie ihn jemals gekannt oder auch nur gesehen
hätte; aber einst hatte sich für fünszig Cents von einer
klugen Allen, welche vorgad, in der Zukunft lesen zu
können, ihr Schicksal Vorhersagen lassen, und in dem uner-
schütterlichen Glauben an das, was ihrgeofftnbart worden
war, hatte sie manche Thräne um den ihr bestimmten
Wittwer geweint, der tapfer dem Dode entgegen maschiert
und dadurch gezwungen gewesen war, sie einem einsamen
Leben zu überlassen. Um der vier Kinder willen, zu deren
Stiefmutter das Schicksal sie auserkoren, hatte sie eine
große Liebe zu allen Kindern gefaßt, namentlich aber zu
dem kleinen Walter, dessen Vater schon ihr Liebling ge-
wesen war.
„Genau wie sein Vater," sagte sie, als sie ihn an dem
Abend, von dem wir erzählen, Heimkommen sah. Die kleine
Ellen eilte ihrem Vetter entgegen, und als der Knabe mit
dem Kinde fröhlich umhersprang, fuhr die gute Alte leise
fort: „Gerade so spielte Seth sonst mit Mary. Gewiß,
Seth war ein guter Junge." Mit diesem Ausrufs pflegte
sie sich an der Unterhaltung zu betheiligen, so oft von
Seth gesprochen wurde. Jetzt sah sie, wie Walter einen
Brief aus der Tasche zog und ihn dem Großvater über-
reichte. Rasch trat sie heraus, in der ungewissen Hoffnung,
das Schreiben möchte etwa Nachricht von ihrem fernen
Liebling bringen. (Fortsetzung folgt.)
 
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