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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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März 1897
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Nr. 68
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0281

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zu beschäftigt oder verdrießlich, um nickt mit ihm zu spie-
len. Er war der allgemeine Liebling. Seine Helle Stimme
wurde mit Lacken und Schreien überall vernommen, nur
neckt in des Großvaters Zimmern, dort dämpfte sie sich
zu vorsichtigem Flüstern. Aber dort war er auch selten
weil seine Mutter sein kleines Herz nicht durch die Ein-
drücke des Leidens und der Gebrechlichkeit betrüben wollte.
So lief er im Hos und Garten umher, ritt auf dem alten
Pony durch den Park und verbrachte auch manche Stunde
plaudernd, umherkramcnd oder kletternd bei mir, während
ich die Hausbaltungsrcchnungen machte oder in der Leinen-
kammer die Wäsche durchsah oder sonst eine Obliegenheit
meiner Stellung besorgte.
Das kleine Fenster meines Zimmers ging auf den Hof
hinaus. Unmittelbar hinter demselben floß der Bach vor-
über, an der Parkmauer hin und dem Flusse zu, in wel-
cken er sich bei Hillborouah Bridge, eine halbe Stunde von
Ravensbourne, ergießt. Er war tief und reißend, obwohl
nicht breit, und sein Rauschen drang freundlich, gleichsam
kühlend zu uns herauf, als Gerald an einem Sommer-
nachmittage in der breiten Fenster Vertiefung saß, ein Lied
zwitscherte und in einem Bilderbuche blätterte. Plötzlich
warf er das L tztere fort, drückte sein rosiges Gesichtchen
an die Fensterscheibe und rief aus:
„Hannah, siehst Du, wie das Wasser glänzt? Und die
Steine find alle naß und glänzen auch. Da sind eins —
zwei — drei große steine, die ich früher nie gesehen habe.'
Ich trat zu ihm und sah, daß der Bach wenig Wusser
hatte und mehrere Felsstücke entblöst waren. Ich suchte
ihm das zu erklären: „Die Sonne hat den Bach zum Theil
ausgetrecknet, und darum kommen die höheren Steine rum
Vorscheine, welche sonst unter Wasser sind."
„Dahin möchte ich," sagte er hastig, „ich werde mich
auf einen Stein setzen und mit den Füßen im Wasser spie-
len. Das muß gut sein. Laß mich aus dem Fenster springen."
Er machte wirklich Miene, das Fenster zu öffnen. Ich
hielt ihn davon ab und bemühte mich, ihm den Einfall
auszureden. Der Bach habe tiefe Löcher, in welchen er
sicher ertrinken würde, wenn er hineinfiele, und das Wasser
habe solche Gewalt, daß es ihn mitfortreißen werde. Aber

er wollte nichts hören, strampelte und schrie leidenschaft-
lich und wollte sich mit aller Gewalt von mir losmachen.
In dem Augenblicke hörte ich ein Geräusch und schaute
um; cs war Mrs. Weston, welche ein Packet Wasche auf
ven Tisch gelegt hatte. Sie erschrack, als ick sie ansah, und
stotterte hastig: Ich kam nur, um diese Sachen zu bringen.
Entschuldigen Sie, es war nickt meine Absicht . . >'
„was war nicht Ihre Absicht?" fragte ich erstaunt
und wohl in etwas scharfem Tone. „Master Gerald und
ich erzählen uns keine Geheimnisse, obwohl," fuhr ich mit
einem Blick aus ihn fort, „er sich in diesem Augenblick
wohl schämen wird, daß Jemand ihn so ungezogen gesehen
hat." Das Kind ließ den Kopf hängen und wehrte sich
nicht weiter, als ich es von dem Fensterbrett hinweg auf
den Fußboden setzte. Mittlerweile hatte Mrs. Weston sich
entfernt. Es war nicht das erste Mal, daß der kleine Ä-
rald starten Eigenwillen und Heftigkeit verrieth. Und lange
nachdem er schon fort war, überlegte ich noch hin und her,
ob ich darüber mit seiner Mutter sprechen sollte oder nickt.
Es schien mir Pflicht, es zu thun. Allein es wurde Abend,
bevor ich sie sah. Etwa um neun Uhr traf ich sie an der
Lhüre des Kinderzimmers. Sie winkte mich herbei, legte
den Finger aus den Mund, sührte mich in das Zimmer
und an das Bettchen, in welchem er schlief, und flüsterte
mit ganz glückseligem Gesichte: „Nicht wahr, Hannah, es
ist wirklich ein schönes Kind? Oder glaubt dar nur die
Mutter?"
Er war es wirklich. Das lockige Haar war über das
Kissen zerstreut, die Augen mit den langen Wimpern ge-
schlossen, die Röthe des Schlafes lag auf seinen Wanzen,
die Lippen waren halb geöffnet; man konnte sich kein rei-
zendercs Bild des gesunden, friedlichen Schlafes denken.
Und wie ich den Blick von ihm weg und wieder der Mut-
ter zuwandte, fiel mir auf, wie sehr das Kind der Mutter
ähnlich war und wie zufrieden und glücklich sie aussab,
so ost sie sich mit dem Kinde zu schaffen machte. Für ge-
wöhnlich bemerkte man tiefe Linien über ihren Braue»,
gezogen von mancherlei sorgenvollen Gedanken, die mir
nicht fremd waren; aber als sie sich über den schlafende»
Knaben beugte, erschien sie förmlich verjüngt. Und bei dem

Pfalzer Mkslcktt

Weidkig, WMM, dm 25. Mürz 1897.

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

r Unsere Freunde und Leser bitten wir, im Interesse
guten Sache, soweit eS dem Einzelnen möglich ist
Zimmer weitere Verbreitung unseres Blattes einzu-
le»"' mehr Leser eine Zeitung hat, desto
.^.iWläbiger wird sie auch und desto mehr ist sie
b'kten im Stande.
Probeblätter auf das CentrumSblatt
""siilzer Volksblatt" stehen jederzeit zur Verfügung.
Der Verlag des „Pfälzer Bolksblatt"

Bestellungen
die katholische, unverrückbar auf dem Bode»
Centrums stehende Zeitung
-Pfalzer Bolksblatt"
^tdrn für das 2. Quartal 1897 von jedem Post-
fe Md Briefträger, sowie von unserer Expedition
^geg«n genommen.
Das „Pfälzer Bolksblatt« welches sich in
k kurzen Zeit semeS bisherigen Bestehens bereits
?^rr unerwartet großen Leserkreis erworben hat,
."tt durch die Post bezogen vierteljährlich mit Zu-
k^ugsgkbilhr 1-60 Mk. frei ins HauS gebracht.
Wir wachen noch besonders darauf aufmerksam,
das „Pfälzer Bolksblatt« nicht bloß be-
ugte Wünsche hinsichtlich deS politischen TheileS
Hiedigs, sondcrn daß eS durch das 8seitigeUn-
?rhaltungSblatt (»Der S onnta gS b o te"),
."S über all großen Beifall findet, auch
Bedürfniß nach Unterhaltung der Familie im
Listen Maaße entgegeukommt.
H Anfang Mai wird der Sommer Fahrplan der
^vßh. Bgh Bahnen jedem Abonnent kostenlos

Die Abstriche sm Marine-Etat,
wie sie die Budget-Commission vorgenommen hatte,
sind vom Reichstage mit 204 gegen 143 Stimmen
bestätigt worden. Da der Reichstag 397 Mitglieder
zählt, fehlten genau 50, oder unter Berücksichtigung
der drei erledigten Mandate 47. DaS ist immerhin
schon eine stattliche Zahl. Auch vom Cenlrum fehlten
einige; w r wollen aber annehmen, daß sie alle aus
sehr zwingenden Gründen fehlten, wie z. B. der Abg.
Dr. Schädler, dem ein heftiger Influenza-Anfall die
Reise nach Berlin unmöglich machte, oder der Abg.
Weuzel, der schon den ganzen Winter hindurch wegen
Krankheit dem Reichstage hat fernbleiben müssen.
Wie das Ergebniß sich gestaltet hätte, wenn der
Reichstag vollbesetzt gewesen wäre, vermögen wir im
Augenblicke nicht festzustellen. Jedenfalls wären die
Abstriche auch daun gemacht worden.
Die Mehrheit setzte sich zusammen aus Centrum,
Freisinnigen und süddeutscher Volkspartei, Polen,
Soziaid-mokraten, einem Drittel der Freisinnigen
Vereinigung, Tkutsch-Hannoverancrn und einigen Mit-
gl edern der ganz kleinen Gruppen. Von den Polen
fehlten verhältnißmäßig viele. Das AbstimmungSer-
gebniß verursachte im Hause keine Aufregung und
wird eS auch wohl draußen nirgends thun. Man
sah es ja längst mit Sicherheit voraus, und hatte
Zeit genug gehabt, sich mit GemüthSruhe in das Un-
vermeidliche zu finden. Einige Flotten-Chauvinisten
werden ja Lärm schlagen, und auch die Presse der
Seeratten-Parteien wird auf das Centrum loshacken.
Weiter aber wird nichts geschehen, und wir sind
überzeugt, daß mancher, der krampfhafte Anstrengung
machen wird, um sich zur Entrüstung aufzuschwingen,
im Grunde dcs Herzens froh ist, daß das Centrum
sich nicht gefürchtet hat, der Katze die Schelle anzu-
binden.
Denn daS verhehlt sich ja doch im Ernste niemand,
daß wir mit der Bewilligung der Marineforderungen
frisch in dc n Ocean einer phantastischen Weh Politik
hinausgetriebm sein würden. Der Abg. Dr. Bachem,
der heute die einzige Rede von Bedeutung hielt, hat
das für jeden, der sehen will, handgreiflich klar gestellt.
Es ist eine geradezu kindische Vogelstraußpolitik, wenn
die Herren vom Marinekartell die Miene annehmen,
als existire die Hollmann'sche Denkschuft mit allem,
was noch dahinter kommt, gar nicht, und als sei die
Bewilligung der jetzigen Forderungen nicht zugleich
eine prinzipielle Zustimmung zu den ausschweifenden
Flottenplänen. Wenn der Reichstag jetzt A gesagt

hätte, so hätte er im nächsten Jahre B sagen müssen,
und so fort, bis dem Lande wohl no h vor dem W der
Athem ausgegangen wäre. Die Weltpolitik ist des-
halb so gefährlich, weil sie ein starkes Moment der
Beunruh gung und der G-fährdung deS Friedens ent-
hält. Wir sehen ja jetzt schon die Neigung, Deutsch-
land in alle Händel hineinzuziehen und die erste Geige
in Dingen zu spielen, die unS herzlich wenig angehcn.
Wie würde diese bedenkliche Neigung erst anwachsen,
wenn sie auf eine große Flotte pochen könnte! Bei
erster bester Gelegenheit würden wir uns einer krieger-
ischen Verwicklung gegen übersehen. Vorläufig aber
haben wir auch noch daheim ausreichende Arbeit, um
alle unsere Kräfte in Thätigkeit setzen zu können. Die
soziale Frage erfordert, wie der Abg. Dr. Bachem zu-
treffend ausführte, noch so viel Aufmerksamkeit, daß
wir unsere Augen gar nicht so weit in der Welt um-
herschweifen zu lassen brauche«, um nach Thätigkeit zu
suchen.
Die Weltpolitik würde ferner so kostspielig werden,
daß w r die Last nicht tragen könnten. Die Schön-
färberei deS Staatssekretärs Graf PosadowSky wurde
heute nochmals von dem Abgeordneten Dr. Bachem
gekennzeichnet als das, was sie ist. Hat doch der
Schatzsekretär, wie schon hervorgehoben, nach vielem
Wühlen in unserem Geldübeifluß schließlich gestehen
müssen, daß unS nichts übrig bleiben würde als neue
Schulden u. neue Steuern. Das halten sicher auch die
Herren vom Marinekartell nicht für ein erstrebens-
wirthes Ziel, ebensowenig wie sie sich verhehlen, daß
die Bewilligungen für die Marine, wieder Reichstag
sie beschlossen hat, ausreichend sind. Pompöse patri-
otische Redewendungen ändern nichts an der That-
sache, daß der Beschluß des Reichstages für daS
Land heilsam gewesen ist.
Die Mehrheit betrug 61 Stimmen. Es würde
wohl ein schweres Stück Arbeit sein, diese durch Neu-
wahlen aus der Welt zu schaffen. Wie knapp sind
nicht früher trotz alles Kriegslärms die Mehrheiten
der neugewählten Reichstage für die Militärvorlagen
gewesen. Und dabei zieht das Heer noch ganz ander-,
als die Marine. Wenn im Reichstage nicht so stark
die Parteipolitik und daS Parteiinteresse maßgebend
wäre, hätte die Mehrh-it gegen die Marineforderun«
gen noch bedeutend größer sein müssen; verschwindend
ist die Zahl der Abgeordneten, die eine phantastische
und gefährliche Wcltpolrtik unterstützen wollen und die
nicht einsehen, daß das Land unterdes ihm zugedachten
Lasten schwer seufzen müßte. Ein Reichstag, der sich
seiner Aufgabe voll bewußt wäre, hätte einstimmig die

i Nach langen Jahren.
Fremde trat an meine Stelle, ein schwächliches,
i« lk?'"eines Frauenzimmer mit einem unsicheren Blick
wafferdlauen Augen und einer gewissen nervösen
und Hast in ihrem Wesen. Sie hieß Sarah Weston
Hvrs, l'.e sich vor wenigen Monaten als Schneiderin im
Aiii.^edergelassen. Das Geschäft war auf keinen Fall
kiix gegangen, und als sie gehört hatte, Mylady suche
W n, muursrau, bot sie sich an mit der Versicherung,
Me. früher schon eine ähnliche Stellung eingenommen
siüzia,'Zörer Angabe nach war sie Wittwe und hatte ein
Kind, welches fern von hier bei Verwandten war,
Nie noch keine sichere Heimath wieder gefunden
Mick'n Hel etwas an ihr auf. So sehr sie sich um den
Nfk>," hemüht und so redselig sie war im Auszählen alles
Aja Kus sie leisten könne, schien sie sich dock nur wider-
Her"em Schritte zu entschlößen. Als Mylady, wel-
Ä^usagcn sckien, sie in Dienst nahm, ging es wie
v tz^Uuder über sie hin, sie wurde roih und machte ein
'M Gesicht, daß ich ernstlich fürchtete, sie sei
U daS ging vorüber, sie dankte mit vieler Wärme
. A»»^kuuen und trat ihren Dienst an.
M, verrichtete sie denselben bald ganz zur Zufrieden-
MWÄ'. was nölhig war, und fand sich in die Eigen-
Mt ^lten und Gewohnheiten unserer Gebieterin. Biel-
Um? eben dies, was mich mit einiger Eifersucht
Mr ich sie in Mylady'S Zimmer handiren sah,
N führte mich nur der furchtsame Ton ihrer Stimme
H kotz^.'wkue, unsichere Wesen so unangenehm; genug,
M sre nie betrachten, ohne eine gewisse widerwär-
düng. Uebrigens war sie gegen mich höchst
und ich hatte bei ihr nie über Mangel an
" einig'übcr ein unhöfliches Wort zu klagen, was
. Sian " ^"veren in der ersten Zeit wohl vor kam.
kÄ^urne wäre nun ein gar stilles, düsteres Haus
M Hw'°-Vutte Master Gerald nicht Sonnenschein und Le-
»>^ek)v?t?/iiracht. Der kleine Prinz war nun vier Jahre
liierte lief umher, wo er wollte, und jedes Gesicht
nch, Wenn er kam, und Niemand war jemals

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Lwtngrrstraße 7,

'Mage. tUb"nn^eutSpreiS^ - - ,, , _ ,, Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
ElkM jur Walirlmt, Fmlmt L AeÄ.
Post bezogen Viertels, -itz 1.60 franco, - .Rabattbewilligung. «
 
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