trübender. Rachsucht und DenuuciationSsucht, ost
unter den nächsten Anverwandten, sind die Motive
zur Anzeige. DaS WirthShauS ist der gewöhnliche
Schauplatz, wo die Majestätsbeleidigungen begangen
werden, und mehr oder minder große Trunkenheit der
Zustand, in welchem eS geschieht. Die „Germania"
brachte vor einigen Tagen einen Bericht über die Ber-
urtheilung eines TaglöhnerS zu vier Monaten Ge-
fängniß durch das Landgericht Stuttgart, welcher
nach seiner Angabe 21—23 Glas Bier und einen
halben Liter Wein vertilgt hatte, so daß er sinnlos
betrunken war, und dann über Kaiser und König und
die — preußischen Unteroffiziere schimpfte. Neben
diesen Fällen stehen jene, in welchem allzueifrige
Staatsanwälte ihre Anklagen erheben, die Gerichte
aber daS Verfahren einstrllen. Eine anonyme Denun-
ciation, der unvollständige Abdruck einer Parlaments-
rede über einschlägige Themata, Sitzenbleiben bei ei-
nem Kaiserhoch reichen ja hin, um die Anklagethätig-
knt in Bewegung zu setzen, Darf man dabei daS
Zutrauen haben, daß die Gerichte, objectiv und un-
parteiisch, wie sie sein müssen, ihre Aufgabe in der
Gesetzesanwendung und -Interpretation auch dann
nicht zu weit stecken, wenn eS sich um Angriffe auf
hohe Persönlichkeiten handelt, so mag eS noch hiu-
gehen. Weitgehende Beunruhigung muß eS aber auch
Hervorrufen, wenn infolge einer unverstandenen und
formalistischen Rechtsprechung dieses Zutrauen schwin-
den muß. Einem berühmten Juristen redet man
nach, daß er alles beweisen könne. So möchte man
fast meinen, daß auch eine in irgendwelcher Aeußerung
gefundene MajestätSbeleidigung unter allen Umständen
bewiesen werden müßte. Auch wenn nachgewiesen ist,
daß der Thäter nicht beleidigen wollte, dann hat er
möglicherweise eine indirekte oder mittelbare Majestäts-
beleidigung verübt oder es liegt doch äolus ovontua-
Ii8 vor.
Die Verwerfung der Revision Liebknechts, welcher
wegen der bekannten, bei Eröffnung des sozialdemo-
kratischen Parteitages am 6. Okt. 1895 gebrauchten
Aeußerungen von der Breslauer Strafkammer wegen
Majestätsbeleidigung zu 4 Monaten Gefängniß ver-
urtheilt worden war, ist keineswegs der erste Fall, der
Befremden erregen muß. Vielmehr ist die Rechtspre-
chung der letzten Jahre reich an sonderbaren juristi-
schen Leistungen auf dem Gebiete der Begriffes und
der Ausdehnung der Majestätsbeleidigungen. Noch gar
nicht lange ist eS her, da hat die Frage, ob durch die
kritische Beurtheilung der Vorfahren einer fürstlichen
Person diese selbst beleidigt werden könne, den 3. und
den 4. Strafsenat des Reichsgerichts beschäftigt. Zwei
Redakteure sozialdemokratischer Blätter hatten denselben
Zeitungsartikel gebracht. Der eine Redakteur wurde
in BreSlau verurtheilt, der andere in Hannover frei-
gesprochen. Gegen die Freisprechung wurde vom
Staatsanwalt Revision eingelegt, aber vom Reichs-
gericht verworfen, weil daS Landgericht Hannover fest-
gestellt hatte, daß der Artikel weder unmittelbar noch
mittelbar auf den Kaiser sich bezog und daß der Wille
des Angeklagten nicht dahin ging, den Kaiser zu tref-
fen. Eine Apostrophe an den Kaiser in dem Artikel
sei zwar nicht angemessen, aber keine Beleidigung.
Wegen des gleichen Unheils trat in BreSlau Verur-
theilung ein. DaS Breslauer Gericht hatte den Ar-
tikel anders auSgelegt, und an den thatsächlichen Fest-
stellungen kann daS Reichsgericht als RevistonSinstanz
nichts ändern. Die Revision wurde daher verworfen.
Auch ein Kieler Redakteur war wegen des gleichen
Artikels sreigesprochen, hinwiederum ein Redakteur in
Brandenburg verurtheilt und seine Revision verworfen.
Und daS Reichsgericht sagte zu den Freisprechungen
und den Verurtheilungen Ja und Amen, es war nicht
im Stande, an dieser thatsächlichen Feststellung etwa-
zu ändern. Nebenbei bemerkt, ein trefflicher Beweis
für die Nothwendigkeit der Berufung gegen Straf-
kammerurtheile. Vom Standpunkte der juristischen
Formalismus mag eine solche Verschiedenheit der
Rechtsprechung erklärlich sein; aber dem Laien wird
er unbegreiflich vorkommen, der keine Kenntniß von
juristischen Tüfteleien und Spitzfindigkeiten hat. Ihm
scheint die Rechtsprechung wie eine Lotterie, bei der
eS vom Zufall abhängt, ob die Staatsanwaltschaft oder
der Angeklagte gewinnt, ob eine Freisprechung oder
Btrurtheilung erfolgt.
Ueber den Fall Liebknecht und die UrtheilSbegrün-
düng wollen wir nicht allzuviel der Worte verlieren.
Die „Germania" nennt er eine haarscharfe juristische
Theorie, auf Grund welcher die Verurtheilung erfolgte.
ES läßt sich nicht leugnen, sie ist eS, wie so manche
andere Theorie des Reichsgerichts. Aber deswegen
muß sie noch nicht richtig sein. Es gibt auch falsche
Theorien. Offenbar falsch ist es, wenn aus dem
Schweigen Liebknechts, mit dem eben eine Majestäts-
beleidigung vermieden werden sollte, abgeleitet wird,
er wollte eine solche begehen. DaS Breslauer Gericht
führte aus, daß angesichts der den Hörern bekannten
politischen Kundgebungen des Kaisers die Behauptung
des Angeklagten in einer, jede Beziehung zu den Kai-
serworten ausschließenden Weise geschehen mußte, und
daß Angeklagter diese Beziehung nicht ausgeschlossen
Wtzer Volksblatt
Wellierg, MU, den 22. UMr 1897.
Druck, Verlag u. Expeditton
Gebe. Huber in Heidelberg,
Lwtngrrstraße 7.
MsIkststsbelridigung.
j. skd fünf Monate her, daß im Reichs-
h der Antrag der Sozialdemokraten auf Aushebung
^-.MajkstäisbeleidigungSparogrophen des Strafgesetz-
arl Diskussion stand. Der Antrag wurde ab-
Wut. Aber die von den Parteivertretern aller
Hungrn gemachten Aeußerungen sind heute noch
v ^zjgknswerth, und die jüngste Vergangenheit ries
von Neuem ins Gedächtniß zurück. Leider kann
nicht sagen, daß jene Verhandlungen und Anreg.
-»^^bereitS Früchte getragen hätten.
w Die Begründung der Antrag- durch den Abg.
" hat erwiesen, daß man eS mit der wachsenden
H"Uvh«e der Majestätsbeleidigungsprozesse und der
BolkSbewußtsrin unverfiändlichkn oberstrichterlichen
Mrechung als mit einem wirklichen Nothstande
S" thun hat, der der Abhilfe dringend bedarf. Bebel
Reihe von Fällen zur Begründung angeführt,
Mse Reihe ließe sich seit dieser Zeit um Dutzende
»Mehren. Die Presse, namentlich die sozialdkwokra-
- sorgt ja dafür, daß solche Fälle publik werden,
h, „Chronik der MajestätSbeleidigungSprozesse" bil-
I- veben jener über die „Begnadigungen von Duel-
tii» " in gewissen Blättern, wie der sozialdemokra-
k^u .Münchener Post", eine ständige Rubrik. Wir
behaupten, daß diese Fälle, natürlich in
Kriechender Auswahl zur Erreichung gewisser
fl^e gebracht, ein Mittel zur Erhöhung des An-
d" verletzten Autorität und der rechtsprechenden
tia? e . dienten. Wir glauben vielmehr, daß derar-
«U lediglich referirende Angaben ein weit besseres u.
?j.i?dtticheres AgitationSmittrl als die besten Hetzar-
M d^den. Aber auch für den objektiven Leser, der
Ding« verfolgt, ist der Eindruck gar oft ein be-
M Lokale, Zwingerstraße Nr. 7, auswärts bei
R ollen Postämtern und Postboten abonnirt M
H iverden.
WWWMMWWWWMWM
A»t»t tLaNch «tt Ausnahme der Sonn- n. . Inserate die 1-spaltige Petttzeile oder deren Raum
Aae. «bonnemevtsprei» mit dem wöchent- 10--^, Reklame25 öürhiesige Geschäfts- und
^Unterhaltunasblatt .Der Sonntagsbote" für WMW ßUD SbklMU W SLLull,» Prrvatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
^lberg monatlich »0 F mit Trägerkohn, durch » * -^^.ÄL°ttbewcklgung.
--Lie Host bezogen viertelt, 1.60 franco.____Expedition: Zwingerstratze 7._
< ! Verantwortlicher Redakteur-:
^^26- JosephHuber in Heidelberg.
Ringende Mächte.
i.
DaS Goldstück.
tzszAvr könnt es kaum glauben, wie nett und sauber das
HjUWwer ist, in daS ich euch einsühren will. Ta ist kein
su»,elchen, 'n welchem ein Stäubchen da« Auge des Be°
Oem» .leidigen könnte; alles steht wohl geordnet an sei-
Lrdn» ve und mit dem Suchen kann bei dieser peinlichen
Nr '"n Augenblick verloren gehen, wenn man etwas
«and hMn will.
Möbel find gewiß aus dem vorigen Jahrhundert,
R» alte, wurmstichige Hol» glänzt täglich in neuem
blank-.*"? Leugnttz, daß eine fleißige Sand sie spiegel-
i>eg!„,.iu halten weiß. Auf dem Kaminsimse stehen bunt
Und ni-i-Ank» mit den dazu gehörigen Untertassen so frisch
«in»?"Wank, als wären sie erst gestern in der Lotterie
Haut- Üblichen Kirchweih gewonnen und freudig nach
v>enn ^"ragkn worden. An der Wand zeigt ein sauberer,
vrrblnL?^ Ächt mehr ganz Heller Spiegel in einem etwas
Nr».U«n Goldrahmen das Bild des gegenüberhängenden
taa? das so hell aus seinem, am letzten Palmsonn-
M»""vethten BuchSkränzchen herausschaut. Das Bett,
vaL edrig, aber mit schneeweißem Linnen bedeckt, das
bieten l „rwci Kissen zu urtheilen für zwei Personen Raum
nimmt für sich selbst fast den ganzen Raum des
Hvrbnn?ttrH°ns in Anspruch. Ein einfacher Moussilin-
Einrin.?' om Fenster niederwaüend, vervollständigt die
Mazdieser zwar säubern aber armen Wohnung.
Ich Over einen ganz eigenen Retz verleiht und etwas,
di« wie Freunblichanheimelndes verleiht, das ist
si» Weidenruthen geflochtene Wiege, in welcher
zig M.süß schlummert. Rosig angehaucht, rund und her-
»M,?t die Kleine darin wie eine Perle in ihrer Meeres-
Mt. Dem Ansehen nach mag es etwa ein Jahr alt sein.
dreiUM ist der erste Montag des Monats. Eben hat eS
de« ä-vr nachmittags geschlagen. Magdalena, die Matter
viisiWveS, geht siill und sorgfältig jedes Stäubchen weg-
"v m dem kleinen Gamache herum. In der Nähe des
Fensters, durch welches sie von Zeit zu Zeit nach der Uhr
am Thurme auSschaut, hat sie mit schneeigem Linnen ein
Tischlein gedeckt. Der Zeiger c.n der Kirchenuhr rückt immer
weiter; die Minuten fliehen, aber Niemand läßt sich sehen.
Sie fängt an, ungeduldig zu werden. Ihr Lauschen, ob sich
noch immer keine Schritte nahen, wird plötzlich unterbrochen
durch ein dreimaliges, deutliches Anklopfen an der Thüre-
Sie öffnet und steht einer Dame gegenüber, die zwar reich
aber ohne Spuren äußerlicher Eitelkeit gekleidet ist-
Was steht zu Diensten? fragt Magdalena die Dame.
Ich wünschte mit einer Spitzenfabrikantin zu sprechen.
Sie müssen sich geirrt haben, denn so viel ich weiß,
ist keine Spitzenmacherin in diesem Hause- —
Eine junge Frau, eine Mutter. —
Wie ich.
Ah, Sie sind Mutter!
Ich arbeite im Geschäft während der wenigen Zeit,
welche die Sorge für mein Kind mir übrig läßt.
Die Dame trat einige Schritte zurück und lehnte sich
an die Treppenlehne.
Es ist ziemlich hoch dieses fünfte Stockwerk, sagte sie
freundlich lächelnd.
Und die Stiege steil. Bitte mich gütigst zu entschuldigen,
sagte Magdalena, daß ich Sie noch nicht eingeladen habe,
einzutreten. Mit diesen Worten öffnete sie die Eingangs-
thüre vollständig und ersuchte mit einer freundlichen Hand-
bewegung zum Eintritt.
Die Unbekannte trat ein und nahm anstandslos Platz.
Es ist mir je länger, wie mehr, wie eine Erinnerung,
wenn ich Sie anfehe, sagte sie zu Magdalena.
— Ah! Madame irrt sich. Ich kann mich nicht ent-
sinnen, daß wir uns je gesehen hätten.
— Vielleicht. Sind Sie nicht die junge Frau, die, am
letzten Samstag waren es zwei Labre, in der Muttergottes-
kapelle der Pfarrkirche St. Eustachius, getraut wurde.
— Doch, Madame, eS ist so.
Sie waren wohl recht glücklich an diesem Tage.
— Oh, ja! . . Es war in dem Tone ihrer Stimme
ein gewisses Etwas, etwas still Trauriges, das der Unbe-
kannten zu Herzen ging.
Sie sind heute nicht mehr glücklich? Oder wenigstens
nicht mehr so sehr wie damals.
Magdalena antwortete nicht, sondern deutete auf die
Wiege und ihr kleines Mädchen, das soeben mit einem
Seufzer von seinem Erwachen Kunde gab. Sie nahm es
auf und in ihre Arme, um es zu befriedigen.
Oh! Welch niedliches Kind, sagte die Unbekannte mit
wachsendem Interesse . . . Erinnern Sie sich, daß am sel-
ben Tage, zur selben Stunde, am gleichen Orte noch ein
anderes Paar getraut wurde.
Wie hätte ich das vergessen können, Madame? Am
folgenden Tage erhielten wir, mein Mann und ich, eine
Kiste voll Leinwand und Stoffe jeglicher Art mit der ein-
fachen Bezeichnung: .Von zwei Neuvermählten." Oftmals
seither wollten wir die großmüthigen Geber ausfindig
machen, doch es war unmöglich, es waren zu viel Hochzeiten
an demselben Tage gewesen. Sehen Sie da, auf dem Tische
ist gerade das Tischtuch aus jenem Geschenke, das uns da-
mals so unerhofft gemacht wurde.
Die Besucherin stand auf und trat auf den Tisch zu.
Könnten Sie mir die wohlthätige Seele wohl nenne»,
sprach Magdalena, der ich diese Wohlihat verdanke? Ge-
wiß, Madame, Sie müssen sie kennen!
Ah, unterbrach sie sich nach einem kleinen Augenblicke,
wenn Sie es selbst wären! Gewiß, Sie find es, sprach sie
nicht ohne einen Anflug von innerer Rührung.
Da sehen Sie, es ist ein kleiner Riß in Ihrem Tischtuch
Mit diesen Worten, durch welche sie offenbar die ge-
stellten Fragen überhört haben wollte, hob die Besucherin
das Tuch auf und zeigte einen kleinen Riß.
Magdalena erröthete.
(Fortsetzung folgt.)
unter den nächsten Anverwandten, sind die Motive
zur Anzeige. DaS WirthShauS ist der gewöhnliche
Schauplatz, wo die Majestätsbeleidigungen begangen
werden, und mehr oder minder große Trunkenheit der
Zustand, in welchem eS geschieht. Die „Germania"
brachte vor einigen Tagen einen Bericht über die Ber-
urtheilung eines TaglöhnerS zu vier Monaten Ge-
fängniß durch das Landgericht Stuttgart, welcher
nach seiner Angabe 21—23 Glas Bier und einen
halben Liter Wein vertilgt hatte, so daß er sinnlos
betrunken war, und dann über Kaiser und König und
die — preußischen Unteroffiziere schimpfte. Neben
diesen Fällen stehen jene, in welchem allzueifrige
Staatsanwälte ihre Anklagen erheben, die Gerichte
aber daS Verfahren einstrllen. Eine anonyme Denun-
ciation, der unvollständige Abdruck einer Parlaments-
rede über einschlägige Themata, Sitzenbleiben bei ei-
nem Kaiserhoch reichen ja hin, um die Anklagethätig-
knt in Bewegung zu setzen, Darf man dabei daS
Zutrauen haben, daß die Gerichte, objectiv und un-
parteiisch, wie sie sein müssen, ihre Aufgabe in der
Gesetzesanwendung und -Interpretation auch dann
nicht zu weit stecken, wenn eS sich um Angriffe auf
hohe Persönlichkeiten handelt, so mag eS noch hiu-
gehen. Weitgehende Beunruhigung muß eS aber auch
Hervorrufen, wenn infolge einer unverstandenen und
formalistischen Rechtsprechung dieses Zutrauen schwin-
den muß. Einem berühmten Juristen redet man
nach, daß er alles beweisen könne. So möchte man
fast meinen, daß auch eine in irgendwelcher Aeußerung
gefundene MajestätSbeleidigung unter allen Umständen
bewiesen werden müßte. Auch wenn nachgewiesen ist,
daß der Thäter nicht beleidigen wollte, dann hat er
möglicherweise eine indirekte oder mittelbare Majestäts-
beleidigung verübt oder es liegt doch äolus ovontua-
Ii8 vor.
Die Verwerfung der Revision Liebknechts, welcher
wegen der bekannten, bei Eröffnung des sozialdemo-
kratischen Parteitages am 6. Okt. 1895 gebrauchten
Aeußerungen von der Breslauer Strafkammer wegen
Majestätsbeleidigung zu 4 Monaten Gefängniß ver-
urtheilt worden war, ist keineswegs der erste Fall, der
Befremden erregen muß. Vielmehr ist die Rechtspre-
chung der letzten Jahre reich an sonderbaren juristi-
schen Leistungen auf dem Gebiete der Begriffes und
der Ausdehnung der Majestätsbeleidigungen. Noch gar
nicht lange ist eS her, da hat die Frage, ob durch die
kritische Beurtheilung der Vorfahren einer fürstlichen
Person diese selbst beleidigt werden könne, den 3. und
den 4. Strafsenat des Reichsgerichts beschäftigt. Zwei
Redakteure sozialdemokratischer Blätter hatten denselben
Zeitungsartikel gebracht. Der eine Redakteur wurde
in BreSlau verurtheilt, der andere in Hannover frei-
gesprochen. Gegen die Freisprechung wurde vom
Staatsanwalt Revision eingelegt, aber vom Reichs-
gericht verworfen, weil daS Landgericht Hannover fest-
gestellt hatte, daß der Artikel weder unmittelbar noch
mittelbar auf den Kaiser sich bezog und daß der Wille
des Angeklagten nicht dahin ging, den Kaiser zu tref-
fen. Eine Apostrophe an den Kaiser in dem Artikel
sei zwar nicht angemessen, aber keine Beleidigung.
Wegen des gleichen Unheils trat in BreSlau Verur-
theilung ein. DaS Breslauer Gericht hatte den Ar-
tikel anders auSgelegt, und an den thatsächlichen Fest-
stellungen kann daS Reichsgericht als RevistonSinstanz
nichts ändern. Die Revision wurde daher verworfen.
Auch ein Kieler Redakteur war wegen des gleichen
Artikels sreigesprochen, hinwiederum ein Redakteur in
Brandenburg verurtheilt und seine Revision verworfen.
Und daS Reichsgericht sagte zu den Freisprechungen
und den Verurtheilungen Ja und Amen, es war nicht
im Stande, an dieser thatsächlichen Feststellung etwa-
zu ändern. Nebenbei bemerkt, ein trefflicher Beweis
für die Nothwendigkeit der Berufung gegen Straf-
kammerurtheile. Vom Standpunkte der juristischen
Formalismus mag eine solche Verschiedenheit der
Rechtsprechung erklärlich sein; aber dem Laien wird
er unbegreiflich vorkommen, der keine Kenntniß von
juristischen Tüfteleien und Spitzfindigkeiten hat. Ihm
scheint die Rechtsprechung wie eine Lotterie, bei der
eS vom Zufall abhängt, ob die Staatsanwaltschaft oder
der Angeklagte gewinnt, ob eine Freisprechung oder
Btrurtheilung erfolgt.
Ueber den Fall Liebknecht und die UrtheilSbegrün-
düng wollen wir nicht allzuviel der Worte verlieren.
Die „Germania" nennt er eine haarscharfe juristische
Theorie, auf Grund welcher die Verurtheilung erfolgte.
ES läßt sich nicht leugnen, sie ist eS, wie so manche
andere Theorie des Reichsgerichts. Aber deswegen
muß sie noch nicht richtig sein. Es gibt auch falsche
Theorien. Offenbar falsch ist es, wenn aus dem
Schweigen Liebknechts, mit dem eben eine Majestäts-
beleidigung vermieden werden sollte, abgeleitet wird,
er wollte eine solche begehen. DaS Breslauer Gericht
führte aus, daß angesichts der den Hörern bekannten
politischen Kundgebungen des Kaisers die Behauptung
des Angeklagten in einer, jede Beziehung zu den Kai-
serworten ausschließenden Weise geschehen mußte, und
daß Angeklagter diese Beziehung nicht ausgeschlossen
Wtzer Volksblatt
Wellierg, MU, den 22. UMr 1897.
Druck, Verlag u. Expeditton
Gebe. Huber in Heidelberg,
Lwtngrrstraße 7.
MsIkststsbelridigung.
j. skd fünf Monate her, daß im Reichs-
h der Antrag der Sozialdemokraten auf Aushebung
^-.MajkstäisbeleidigungSparogrophen des Strafgesetz-
arl Diskussion stand. Der Antrag wurde ab-
Wut. Aber die von den Parteivertretern aller
Hungrn gemachten Aeußerungen sind heute noch
v ^zjgknswerth, und die jüngste Vergangenheit ries
von Neuem ins Gedächtniß zurück. Leider kann
nicht sagen, daß jene Verhandlungen und Anreg.
-»^^bereitS Früchte getragen hätten.
w Die Begründung der Antrag- durch den Abg.
" hat erwiesen, daß man eS mit der wachsenden
H"Uvh«e der Majestätsbeleidigungsprozesse und der
BolkSbewußtsrin unverfiändlichkn oberstrichterlichen
Mrechung als mit einem wirklichen Nothstande
S" thun hat, der der Abhilfe dringend bedarf. Bebel
Reihe von Fällen zur Begründung angeführt,
Mse Reihe ließe sich seit dieser Zeit um Dutzende
»Mehren. Die Presse, namentlich die sozialdkwokra-
- sorgt ja dafür, daß solche Fälle publik werden,
h, „Chronik der MajestätSbeleidigungSprozesse" bil-
I- veben jener über die „Begnadigungen von Duel-
tii» " in gewissen Blättern, wie der sozialdemokra-
k^u .Münchener Post", eine ständige Rubrik. Wir
behaupten, daß diese Fälle, natürlich in
Kriechender Auswahl zur Erreichung gewisser
fl^e gebracht, ein Mittel zur Erhöhung des An-
d" verletzten Autorität und der rechtsprechenden
tia? e . dienten. Wir glauben vielmehr, daß derar-
«U lediglich referirende Angaben ein weit besseres u.
?j.i?dtticheres AgitationSmittrl als die besten Hetzar-
M d^den. Aber auch für den objektiven Leser, der
Ding« verfolgt, ist der Eindruck gar oft ein be-
M Lokale, Zwingerstraße Nr. 7, auswärts bei
R ollen Postämtern und Postboten abonnirt M
H iverden.
WWWMMWWWWMWM
A»t»t tLaNch «tt Ausnahme der Sonn- n. . Inserate die 1-spaltige Petttzeile oder deren Raum
Aae. «bonnemevtsprei» mit dem wöchent- 10--^, Reklame25 öürhiesige Geschäfts- und
^Unterhaltunasblatt .Der Sonntagsbote" für WMW ßUD SbklMU W SLLull,» Prrvatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
^lberg monatlich »0 F mit Trägerkohn, durch » * -^^.ÄL°ttbewcklgung.
--Lie Host bezogen viertelt, 1.60 franco.____Expedition: Zwingerstratze 7._
< ! Verantwortlicher Redakteur-:
^^26- JosephHuber in Heidelberg.
Ringende Mächte.
i.
DaS Goldstück.
tzszAvr könnt es kaum glauben, wie nett und sauber das
HjUWwer ist, in daS ich euch einsühren will. Ta ist kein
su»,elchen, 'n welchem ein Stäubchen da« Auge des Be°
Oem» .leidigen könnte; alles steht wohl geordnet an sei-
Lrdn» ve und mit dem Suchen kann bei dieser peinlichen
Nr '"n Augenblick verloren gehen, wenn man etwas
«and hMn will.
Möbel find gewiß aus dem vorigen Jahrhundert,
R» alte, wurmstichige Hol» glänzt täglich in neuem
blank-.*"? Leugnttz, daß eine fleißige Sand sie spiegel-
i>eg!„,.iu halten weiß. Auf dem Kaminsimse stehen bunt
Und ni-i-Ank» mit den dazu gehörigen Untertassen so frisch
«in»?"Wank, als wären sie erst gestern in der Lotterie
Haut- Üblichen Kirchweih gewonnen und freudig nach
v>enn ^"ragkn worden. An der Wand zeigt ein sauberer,
vrrblnL?^ Ächt mehr ganz Heller Spiegel in einem etwas
Nr».U«n Goldrahmen das Bild des gegenüberhängenden
taa? das so hell aus seinem, am letzten Palmsonn-
M»""vethten BuchSkränzchen herausschaut. Das Bett,
vaL edrig, aber mit schneeweißem Linnen bedeckt, das
bieten l „rwci Kissen zu urtheilen für zwei Personen Raum
nimmt für sich selbst fast den ganzen Raum des
Hvrbnn?ttrH°ns in Anspruch. Ein einfacher Moussilin-
Einrin.?' om Fenster niederwaüend, vervollständigt die
Mazdieser zwar säubern aber armen Wohnung.
Ich Over einen ganz eigenen Retz verleiht und etwas,
di« wie Freunblichanheimelndes verleiht, das ist
si» Weidenruthen geflochtene Wiege, in welcher
zig M.süß schlummert. Rosig angehaucht, rund und her-
»M,?t die Kleine darin wie eine Perle in ihrer Meeres-
Mt. Dem Ansehen nach mag es etwa ein Jahr alt sein.
dreiUM ist der erste Montag des Monats. Eben hat eS
de« ä-vr nachmittags geschlagen. Magdalena, die Matter
viisiWveS, geht siill und sorgfältig jedes Stäubchen weg-
"v m dem kleinen Gamache herum. In der Nähe des
Fensters, durch welches sie von Zeit zu Zeit nach der Uhr
am Thurme auSschaut, hat sie mit schneeigem Linnen ein
Tischlein gedeckt. Der Zeiger c.n der Kirchenuhr rückt immer
weiter; die Minuten fliehen, aber Niemand läßt sich sehen.
Sie fängt an, ungeduldig zu werden. Ihr Lauschen, ob sich
noch immer keine Schritte nahen, wird plötzlich unterbrochen
durch ein dreimaliges, deutliches Anklopfen an der Thüre-
Sie öffnet und steht einer Dame gegenüber, die zwar reich
aber ohne Spuren äußerlicher Eitelkeit gekleidet ist-
Was steht zu Diensten? fragt Magdalena die Dame.
Ich wünschte mit einer Spitzenfabrikantin zu sprechen.
Sie müssen sich geirrt haben, denn so viel ich weiß,
ist keine Spitzenmacherin in diesem Hause- —
Eine junge Frau, eine Mutter. —
Wie ich.
Ah, Sie sind Mutter!
Ich arbeite im Geschäft während der wenigen Zeit,
welche die Sorge für mein Kind mir übrig läßt.
Die Dame trat einige Schritte zurück und lehnte sich
an die Treppenlehne.
Es ist ziemlich hoch dieses fünfte Stockwerk, sagte sie
freundlich lächelnd.
Und die Stiege steil. Bitte mich gütigst zu entschuldigen,
sagte Magdalena, daß ich Sie noch nicht eingeladen habe,
einzutreten. Mit diesen Worten öffnete sie die Eingangs-
thüre vollständig und ersuchte mit einer freundlichen Hand-
bewegung zum Eintritt.
Die Unbekannte trat ein und nahm anstandslos Platz.
Es ist mir je länger, wie mehr, wie eine Erinnerung,
wenn ich Sie anfehe, sagte sie zu Magdalena.
— Ah! Madame irrt sich. Ich kann mich nicht ent-
sinnen, daß wir uns je gesehen hätten.
— Vielleicht. Sind Sie nicht die junge Frau, die, am
letzten Samstag waren es zwei Labre, in der Muttergottes-
kapelle der Pfarrkirche St. Eustachius, getraut wurde.
— Doch, Madame, eS ist so.
Sie waren wohl recht glücklich an diesem Tage.
— Oh, ja! . . Es war in dem Tone ihrer Stimme
ein gewisses Etwas, etwas still Trauriges, das der Unbe-
kannten zu Herzen ging.
Sie sind heute nicht mehr glücklich? Oder wenigstens
nicht mehr so sehr wie damals.
Magdalena antwortete nicht, sondern deutete auf die
Wiege und ihr kleines Mädchen, das soeben mit einem
Seufzer von seinem Erwachen Kunde gab. Sie nahm es
auf und in ihre Arme, um es zu befriedigen.
Oh! Welch niedliches Kind, sagte die Unbekannte mit
wachsendem Interesse . . . Erinnern Sie sich, daß am sel-
ben Tage, zur selben Stunde, am gleichen Orte noch ein
anderes Paar getraut wurde.
Wie hätte ich das vergessen können, Madame? Am
folgenden Tage erhielten wir, mein Mann und ich, eine
Kiste voll Leinwand und Stoffe jeglicher Art mit der ein-
fachen Bezeichnung: .Von zwei Neuvermählten." Oftmals
seither wollten wir die großmüthigen Geber ausfindig
machen, doch es war unmöglich, es waren zu viel Hochzeiten
an demselben Tage gewesen. Sehen Sie da, auf dem Tische
ist gerade das Tischtuch aus jenem Geschenke, das uns da-
mals so unerhofft gemacht wurde.
Die Besucherin stand auf und trat auf den Tisch zu.
Könnten Sie mir die wohlthätige Seele wohl nenne»,
sprach Magdalena, der ich diese Wohlihat verdanke? Ge-
wiß, Madame, Sie müssen sie kennen!
Ah, unterbrach sie sich nach einem kleinen Augenblicke,
wenn Sie es selbst wären! Gewiß, Sie find es, sprach sie
nicht ohne einen Anflug von innerer Rührung.
Da sehen Sie, es ist ein kleiner Riß in Ihrem Tischtuch
Mit diesen Worten, durch welche sie offenbar die ge-
stellten Fragen überhört haben wollte, hob die Besucherin
das Tuch auf und zeigte einen kleinen Riß.
Magdalena erröthete.
(Fortsetzung folgt.)