Wilberg, Mitwitz, Le« 13. Iww 1897.
G
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
^scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- n.
AM für Walicktti, Fmlttti L KM.
^idelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch » r '
^die Post bezogen viertelj. 1.60 franco. _ ___
Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
10H, Reklame 25 Für hiesige Geschäfts- und
Privatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
Rabattbewilligung.
Expedition: Zwingerstratze 7.
Druck, Verlag u. Expedition:
ebr. Huber in Heidelberg,
Zwingrrstraße 7.
I. MU
Annette v. Drofle-Hütshoff.
Zur hundertjährigen Gedenkfeier ihrer Geburt
(10. Januar 1797).
»Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden,
'M nach fünfzig Jahren möchte ich gelesen werden."
hatte etwa eiy halbes Jahrhundert durchlebt, als
diese Worte schrieb, heute schließen wir das erste
Urhundert seit ihrer Geburt ab, und ihr bescheidener
Msch hat sich in einer Weise erfüllt, von der sie
"iHt geträumt haben wird. Damals war sie nur in
^L«n litterarischen Kreisen bekannt und geschätzt, und
A ganz langsam ist dem deutschen Volke bie Erkennt-
M vufgegange», daß eS seine unbestritten „größte
Mtenn" war, die am 10. Januar 1797 auf Schloß
Erhoff bei Münster geboren wurde und am 24. Mai
^48 in Meersburg am Bodensee starb.
, Man braucht an diese Thatsache nicht die üblichen
-iivermüthigen Betrachtungen über den verspäteten
'Lrbktr auf Dichtergräbern zu knüpfen, und sie selbst
^te die letzte, die eine solche Elegie für sich bean-
Nuchte. Sie, die so fest entschlossen war, „nie auf
Mt zu arbeiten", würde lächelnd sagen: „Ich bin
k selbst daran schuld". Sie würde an den Satz er
Nein, den sie einer ihrer Lustspiel-Figuren in den
Mnd., legt: „Ein bedeutendes Talent, wenn Sie
aber es scheint ihr auch so gar nichts daran
?"Egen, ob sie verstanden wird oder nicht." Das
der eine Grund, welcher der raschen Verbreitung
MS dichterischen Rufes im Wege stand und selbst
Ae noch im Wege steht, und noch evidenter ist der
: Niemand wird berühmt durch Werke, die r-och
M gedruckt sind. Man vergesse nicht, daß bei ihrem
nichts vorlag als eine kleme und größere Samm-
W ihrer Gedichte, eine Novelle, die anonymen
kMderuvge» aus Westfalen und allenfalls noch
. Einigkeiten hier und da in Zeitschriften zerstreut;
versteht man, daß sie erst allmälig entdeckt wer-
Mußte.
^ Weitaus das Meiste, waS sie geschrieben, ist erst
jA ihrem Tode erschienen: alle ihre Jugcndwrrke,
^.durchweg Fragment geblieben sind, neben zahl-
,I^n roch unbekannten Gedichten aus späterer Zeit
Theil von hohem Werth, ein Lustspiel in unge-
- r.Mer Form und mehrere Prosa-Erzählungen, die
AM an sich, theils als Stufen ihrer schriftstellerischen
tz Mckelung volle Beachtung verdienen, eine köstliche
d.",?ipondenz, und namentlich ihr tiefsinniges Lebens -
das Geistliche Jahr. Als sie starb, war von
Stolz und Lieke. SSS
Tem Amerikanischen uacherzählt.
Und l^te mich?" wiederbvlte Jessie gedehnt und fragend,
vt Mr fort: „Glaubst Du denn, daß Walter mich auch
"Mhaßt?"
> Frage überraschte Ellen und sie erwiederte rasch;
das nicht gemeint, es war damals, als Du nach
o kamst, als Stadtkind aus Newyork. ScitdeA ist
' Jahr verflossen und Du und Walter habt Euch
' AMd lieben gelernt."
, i«m entging Ellen nicht, Laß ihre Antwort auf Jessie
> e Mgenebmen Eindruck gemacht hatte. Sinnend saß
, zerpflückte die Blumen, welche in ihrem Schooße
A. ' Sie träumte, wie junge Mädchen zu träumen
Ellen ließ ihre Gedanken umherschwcisen in
' Ebenheit und Zukunft und cs zog eine Sehnsucht in
> ich-» rz ein, über welche sie sich keine Rechenschaft zu
- «ir>!„oermochte. War es eine Ahnung, welche in dem
Z üyM dcs kranken Mädchens aufftieg. was sie sitzt zu-
L »klV„'>Kauern ließ? Obichon die Sonne noch am Him-
n unterbrach sie das Schweiz en der letzten Mwu-
« kh^Es ist kalt, Jessie, komm, wir wollen nach Hause
!ö sil ^Dreckt fuhren die jungen Mädchen auf, als sich
n ^.Me die Zweige auseinandsrbogen und nun eln
<1 Herr vor ihnen stand.
n Leser errathen: es war William Bellenger,
8 M am Nachmittag in Deerwood eingetroffen
« zum alten, ihm wohlbekannten Farmhause ge
!! ; hier hatte er die Tante Debly allein angetroffen,
, nrickend vor der Thür des Hauses gesessen- Die
!l hatte sich in ihrer redseligen Art nicht wenig
i G rt, daß William so bärtig geworden; denn seit
! Mbenjahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie
ȟitec N guten Nachrichten, welche William von
Me -Mächte und als endlich William ungeduldig nach
tle» i'^8, bemerkte Tante Debbh, die jungen Mädchen
ven Wald binausgegangen und Ellen werde wohl
ihrem Leben noch weit weniger bekannt, als von ihren
Schöpfungen. Die große Oeffentlichkeit wußte nicht
viel mehr, als daß eine westfälische adelige Dame auf
einigen wenigen Gebieten, namentlich in Lyrik und
Ballade, Ausgezeichnetes geleistet habe. Heute erst,
nachdem Schückivg, Kreiten und Hüffen wetteifernd
das Material zusammengetragm, steht sie vor uns,
wie sie war und wie sie wurde.
Sie war eine echte Tochter Westfalens, und kein
dichterischer Landsmann bat die bescheidene Schönheit
der enger» Heimath so zum Gemeingut der Gebildeten
gemacht, keiner hat für den träumerischen Sinn, auch
für den naiven Gespensterglauben der Bewohner des
Münsterlandes Umrisse von solch' packender Plastik
gefunden. Aber weit hat ihr mächtiger Geist über
die engen Grenzen hinauSgegriffrn, die verschiedensten
poetisch brauchbaren Elemente mit sicherm Blick er-
kannt und künstlerisch verwerthet. Die Pracht der
Alpenwelt, obwohl sie dieselbe nie anders als von den
Gestaden des Bodensee's auS gesehen hatte, orientalische
Fmbenglvth, die Greuel erbarmungslosen Kriegesund
zart idyllischeScenen, schalkhasler Humor ».brennende
Leidenschaft, dichterisch verklärte Realistik und innigstes
menschliches wie religiöses Fühlen — alles das und
noch vieles andere hat dieser hohe Geist klar erfaßt
und in hinreißenden Formen gestaltet. Kaum sollte
man in einem Weib, dessen Leben meist in enggezoge-
nen Schranken sich bewegte, das so selten sichhinauS-
wagte auf den Strom der Welt, die Urheberin so
vieler und manchfaltiger Schöpfungen voll männlicher
Kraft suche», und doch hat sie nie auch nur „mit
einem Schritte die Grenze verletz', welche das feinste
weibliche Zartgefühl gezogen hat". Schon in den
erste» mangelhaften Versuchen ihrer frühern Mädchen-
jahre springen Züge von überraschender Ursprünglich-
keit heraus, und als sie die krankhaften Stimmungen
ihrer körperlich und seelisch getrübten Jugend über-
wunden hat, ist sie ein poetisches Original durch und
durch, ohne dabei der bizarren Einseitigkeit zu ver-
fallen, welche den sogenannten Originalen die Flügel
zu brechen pflegt. Epen wie Die Schlacht im Loener
Bruch, Balladen wie Der Graue, Landschaftsstim-
mungen wie die Haidebilder finden in unserer ganzen
nationalen Literatur kaum ein Seitenstück. Oft hat
sie mit der Form gerungen, viele schreckt auch heute
noch der spröde Ausdruck, die herbe Kürze von der
Lcctüre zyrück, aber wie wenig wirklich Unbedeutendes
ist in dem Bielen, das wir ihr verdanken, und je
tiefer der Leser in ihr Ecbe emdcingt, desto mehr
wird er finden.
wieder am feuchten Boden sitzen, was sie nicht thun solle,
da sie noch schwach und angegriffen auSsehs.
William ließ sich die Richtung, welche die Mädchen
eingeschlagen hatten, zeigen und schritt mit leichtem Gruße
davon.
Als William Len Waldweg erreicht hatte, dachte er
darüber nach, was Jessie wohl an Deerwood fesseln möchte.
Das alte schlichte Farmhaus und die nicht minder alte
gutmüihige Tante Debbh konnte cs nicht sein; die Ge-
gend war reizend, aber es gab doch viel anziehendere und
großartigere Lhäler, als das, in welchem Deerwood lag.
Die Jugenderirimrungen allein konnten es nicht sein. Da
er nach sann, erblickte er in der Ferne das Schimmern
eines weißen Kleides und weil er nun recht unbemerkt sich
den Mädchen näh-rn und diese überraschen wollte, bog er
vom Wege ab. Atsbaid hatte er die Stelle, wo die junge»
Mädchen saßen, soweit erreicht, daß er dieselben beobachten
konnte. Er sah die beiden lieblichen Gestalten; zwar war
ihm das heitere Antlitz Jessies zugewandt, aber die lieber-
raschung über einen andern Anblick ließ ihn gar nicht da-
zu kommen, ihr seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Williams Schönheitssinn liebte eine zarte, anmuthige Ge-
stalt mehr, als eine glänzende und auffallende, und in
Ellen Howland fand er dasselbe mehr als verwirklicht,
was er sich von jeher als das Ideal einer Frau gedacht
hatte. S e hatte sich gegen «inen Baumstamm gelehnt;
ihr blaues Hauskleid legte sich in angenehmen Falten um
den zarten Kö per; ihr goldenes, von einem rochen Bands
durchflochtenes Haar war aus der hohen durchsichtigen
Stirne zurückgekämmt; die langen Wimpern beschatteten
die farblosen Wangen und ihre lilienweißen Hände ruhten
zusammengefalten auf dem Schooße. Das war ein Bild
vollendeter Schönheit, welches William überraschte.
„Bei Gott!" dachte er, „ich hatte Deerwood nicht für
fähig gehalten, eine solche Schönheit hervorzubringen."
Dann schlich er der Stells näher und wurde Zeuge
des Gesprächs, welches die Mädchen über Walter pflogen;
aber er schenkte demselben nicht volle Beachtung, da er
seine Blicke von Ellen nicht abwenden konnte. Es waren
Und nicht nur groß war sie, sie war auch gut!
Das weiß man erst so recht, seit man ihren Brief«
wechsel kennt, sprudelnd von Witz und Laune, manch-
mal auch von treffendem Spott, aber durchtränkt von
rücksichtsloser Selbstkritik, von warmem Gefühl, von
Beweisen, wie sie leibliche und geistige Barmherzigkeit
geübt. Selbstbewußt ist sie, aber nicht eitel, aristo-
kratisch im guten Sinne, reservirt, aber das Gegenteil
von hochfahrend, ein starker Geist mit einem weichen
H rzen; nur so war eS möglich, daß sie die verschieden-
artigsten Menschenkinder zur Bewunderung hinriß —
man braucht nur Freiligrath, Schückmg und Schlüter
zu nennen.
Das Leben ist ihr nicht leicht geworden. Schon
auf ihre Jugend haben körperliche Leiden ihren
Schatten geworfen, und noch mehr seelisches Leid, die
Qual eines hochfliegenden, unbefriedigten Geistes, die
in den Briefen von Spcickmann so ergreifend Her-
vortritt und auch in ihren Erstlingsarbeiren deutliche
Spuren hinterlassen hat. Starkmüthig hat sie die
trostlosen .Stimmungen, die sich bis zur furchtbaren
Angst vor Geistesstörung steigerten, überwunden; statt
mit sich selbst weltschmerzlichen Geniecultus zu treiben,
hat sie sich selbst bezwungen und zu der Reise der
späteren Jahre durchgekämpst. Ganz ausgekämpst
freilich war dieser Kampsnichtein kränklicher Körper war
das Haus dieser starken Seels bis zum Ende, und
religiöse Zweif t haben sie gepeinigt bis in ihre letzten
Jahre. Es ist ^erklärlich, daß über ihre kirchliche
Stellung in vertrauten Kreisen und später auch in
der umfangreichen Droste-Litteratur Meinungsverschie-
denheiten auftauchten, daß der kindlich fromme Schlüter
sie nicht verstand und daß Schücking versucht hat,
sie bis zu einem gewissen Grade für seine „freien"
Anschauungen in Anspruch zu nehmen, aber der erstere
hat ihr nachträglich in aller Form Abbitte gethan
und über den rief religösen und kirchlichen Grnridzuz
ihres Wesen kann kaim ein ernstliches Bedenken
bestehen. Stets wird den festesten Beweis erbringen
ihr Geistliches Jahr, ihr Lebenswerk, das sie als
junges Mädchen begann und an der Schwelle des
Todtes zum Abschluß brachte. ES ist das schönste
Denkmal ihres innern Lebens; in ihm hat sie nieder«
gelegt ihr Hoffen und Bangen, ihr Zweifeln und Glau-
ben, ihre Kämpfe und Siege, und besiegelt hat den
Sieg ihr christlicher Tod, auf den sie sich längere
Zeit täglich vorbereitet hatte, all' ihre sonstigen
Fehler und Schwächen ablegend, nur mehr für andere
lebend".
- . .!. .
Blicke, dts nicht fre> von der Begierlichkeit eines jungen
Lebemannes schienen.
Als er nun so plötzlich vor den jungen Mädchen stand,
war es Jessie, welche sich zunächst von ihrem Schrecken
erholte. William entschuldigte sich bei den Mädchen wegen
des verursachten Schreckens und stellte sich denselben vor.
Jesfse ries erstaunt: „Mr- Bellsnger! Woher kommen
denn Sie?"
William erzählte kurz, wie er durch Jesfie'S Groß-
mutter den Weg nach New Haven und von dort durch
Walter die Spur nach Deerwood gefunden habe und fuhr
fort: „Vor einer halben Stunde traf ich ein und weil ich
Sie nicht zu Hause fand, b-n ich herausgekommen, freilich
ohne zu denken, hier zwei Waidr-ymphen, anstatt einer zu
staden," und aberma's ruhte sein Blick auf Ellen, die
wieder auf die Bank zurückgesunken war und ihre Augen
unter feinem Blicke, der sie beängstigte, schließen mußte.
Die kurze Vorstellung war vorüber und Ellen erhob
sich, um wegzugchen, weil sie kalt und müde sei.
„Dann wollen wir auch gehen," sagte Jessie, indem sie
ihren Hut ergriff.
Ellen aber wehrte ab; sie hatte das BedürfuG allein
zu sein mit ihren Gedanken; dann aber wußte sie auch,
daß der Besuch aus der Stadt nicht ihr, sondern Jessie
gelte, und sie bemerkte:
„Bleibet doch und genießet den schönen Nachmittag;
ich finde den Weg schon allem."
NA als wollte sie jeder Einrede zuvorkommen, eilte
Ellen flüchtigen Schrates davon.
William kam es nicht ungelegen, mit Jessie im Walde
jurückbleiben zu dürfen. Mit der Gewandtheit, welche er
sich im gesellschaftlichen Verkehre angeeignet, gab er zu-
nächst seinem Entzücken über das Wiedersehen Ausdrnck,
was nicht ohne einige verbindliche Schmeicheleien für
Jessie herging. Bald aber wußte er das Gespräch auf
Watter zu lenken; denn vor allem verlangte ihn zu wisse»,
ob und welche Gefühle sie bereits für Walter gefaßt hatte.
(Fortsetzung folgt.)
G
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Druck, Verlag u. Expedition:
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I. MU
Annette v. Drofle-Hütshoff.
Zur hundertjährigen Gedenkfeier ihrer Geburt
(10. Januar 1797).
»Ich mag und will jetzt nicht berühmt werden,
'M nach fünfzig Jahren möchte ich gelesen werden."
hatte etwa eiy halbes Jahrhundert durchlebt, als
diese Worte schrieb, heute schließen wir das erste
Urhundert seit ihrer Geburt ab, und ihr bescheidener
Msch hat sich in einer Weise erfüllt, von der sie
"iHt geträumt haben wird. Damals war sie nur in
^L«n litterarischen Kreisen bekannt und geschätzt, und
A ganz langsam ist dem deutschen Volke bie Erkennt-
M vufgegange», daß eS seine unbestritten „größte
Mtenn" war, die am 10. Januar 1797 auf Schloß
Erhoff bei Münster geboren wurde und am 24. Mai
^48 in Meersburg am Bodensee starb.
, Man braucht an diese Thatsache nicht die üblichen
-iivermüthigen Betrachtungen über den verspäteten
'Lrbktr auf Dichtergräbern zu knüpfen, und sie selbst
^te die letzte, die eine solche Elegie für sich bean-
Nuchte. Sie, die so fest entschlossen war, „nie auf
Mt zu arbeiten", würde lächelnd sagen: „Ich bin
k selbst daran schuld". Sie würde an den Satz er
Nein, den sie einer ihrer Lustspiel-Figuren in den
Mnd., legt: „Ein bedeutendes Talent, wenn Sie
aber es scheint ihr auch so gar nichts daran
?"Egen, ob sie verstanden wird oder nicht." Das
der eine Grund, welcher der raschen Verbreitung
MS dichterischen Rufes im Wege stand und selbst
Ae noch im Wege steht, und noch evidenter ist der
: Niemand wird berühmt durch Werke, die r-och
M gedruckt sind. Man vergesse nicht, daß bei ihrem
nichts vorlag als eine kleme und größere Samm-
W ihrer Gedichte, eine Novelle, die anonymen
kMderuvge» aus Westfalen und allenfalls noch
. Einigkeiten hier und da in Zeitschriften zerstreut;
versteht man, daß sie erst allmälig entdeckt wer-
Mußte.
^ Weitaus das Meiste, waS sie geschrieben, ist erst
jA ihrem Tode erschienen: alle ihre Jugcndwrrke,
^.durchweg Fragment geblieben sind, neben zahl-
,I^n roch unbekannten Gedichten aus späterer Zeit
Theil von hohem Werth, ein Lustspiel in unge-
- r.Mer Form und mehrere Prosa-Erzählungen, die
AM an sich, theils als Stufen ihrer schriftstellerischen
tz Mckelung volle Beachtung verdienen, eine köstliche
d.",?ipondenz, und namentlich ihr tiefsinniges Lebens -
das Geistliche Jahr. Als sie starb, war von
Stolz und Lieke. SSS
Tem Amerikanischen uacherzählt.
Und l^te mich?" wiederbvlte Jessie gedehnt und fragend,
vt Mr fort: „Glaubst Du denn, daß Walter mich auch
"Mhaßt?"
> Frage überraschte Ellen und sie erwiederte rasch;
das nicht gemeint, es war damals, als Du nach
o kamst, als Stadtkind aus Newyork. ScitdeA ist
' Jahr verflossen und Du und Walter habt Euch
' AMd lieben gelernt."
, i«m entging Ellen nicht, Laß ihre Antwort auf Jessie
> e Mgenebmen Eindruck gemacht hatte. Sinnend saß
, zerpflückte die Blumen, welche in ihrem Schooße
A. ' Sie träumte, wie junge Mädchen zu träumen
Ellen ließ ihre Gedanken umherschwcisen in
' Ebenheit und Zukunft und cs zog eine Sehnsucht in
> ich-» rz ein, über welche sie sich keine Rechenschaft zu
- «ir>!„oermochte. War es eine Ahnung, welche in dem
Z üyM dcs kranken Mädchens aufftieg. was sie sitzt zu-
L »klV„'>Kauern ließ? Obichon die Sonne noch am Him-
n unterbrach sie das Schweiz en der letzten Mwu-
« kh^Es ist kalt, Jessie, komm, wir wollen nach Hause
!ö sil ^Dreckt fuhren die jungen Mädchen auf, als sich
n ^.Me die Zweige auseinandsrbogen und nun eln
<1 Herr vor ihnen stand.
n Leser errathen: es war William Bellenger,
8 M am Nachmittag in Deerwood eingetroffen
« zum alten, ihm wohlbekannten Farmhause ge
!! ; hier hatte er die Tante Debly allein angetroffen,
, nrickend vor der Thür des Hauses gesessen- Die
!l hatte sich in ihrer redseligen Art nicht wenig
i G rt, daß William so bärtig geworden; denn seit
! Mbenjahren hatte sie ihn nicht mehr gesehen. Sie
ȟitec N guten Nachrichten, welche William von
Me -Mächte und als endlich William ungeduldig nach
tle» i'^8, bemerkte Tante Debbh, die jungen Mädchen
ven Wald binausgegangen und Ellen werde wohl
ihrem Leben noch weit weniger bekannt, als von ihren
Schöpfungen. Die große Oeffentlichkeit wußte nicht
viel mehr, als daß eine westfälische adelige Dame auf
einigen wenigen Gebieten, namentlich in Lyrik und
Ballade, Ausgezeichnetes geleistet habe. Heute erst,
nachdem Schückivg, Kreiten und Hüffen wetteifernd
das Material zusammengetragm, steht sie vor uns,
wie sie war und wie sie wurde.
Sie war eine echte Tochter Westfalens, und kein
dichterischer Landsmann bat die bescheidene Schönheit
der enger» Heimath so zum Gemeingut der Gebildeten
gemacht, keiner hat für den träumerischen Sinn, auch
für den naiven Gespensterglauben der Bewohner des
Münsterlandes Umrisse von solch' packender Plastik
gefunden. Aber weit hat ihr mächtiger Geist über
die engen Grenzen hinauSgegriffrn, die verschiedensten
poetisch brauchbaren Elemente mit sicherm Blick er-
kannt und künstlerisch verwerthet. Die Pracht der
Alpenwelt, obwohl sie dieselbe nie anders als von den
Gestaden des Bodensee's auS gesehen hatte, orientalische
Fmbenglvth, die Greuel erbarmungslosen Kriegesund
zart idyllischeScenen, schalkhasler Humor ».brennende
Leidenschaft, dichterisch verklärte Realistik und innigstes
menschliches wie religiöses Fühlen — alles das und
noch vieles andere hat dieser hohe Geist klar erfaßt
und in hinreißenden Formen gestaltet. Kaum sollte
man in einem Weib, dessen Leben meist in enggezoge-
nen Schranken sich bewegte, das so selten sichhinauS-
wagte auf den Strom der Welt, die Urheberin so
vieler und manchfaltiger Schöpfungen voll männlicher
Kraft suche», und doch hat sie nie auch nur „mit
einem Schritte die Grenze verletz', welche das feinste
weibliche Zartgefühl gezogen hat". Schon in den
erste» mangelhaften Versuchen ihrer frühern Mädchen-
jahre springen Züge von überraschender Ursprünglich-
keit heraus, und als sie die krankhaften Stimmungen
ihrer körperlich und seelisch getrübten Jugend über-
wunden hat, ist sie ein poetisches Original durch und
durch, ohne dabei der bizarren Einseitigkeit zu ver-
fallen, welche den sogenannten Originalen die Flügel
zu brechen pflegt. Epen wie Die Schlacht im Loener
Bruch, Balladen wie Der Graue, Landschaftsstim-
mungen wie die Haidebilder finden in unserer ganzen
nationalen Literatur kaum ein Seitenstück. Oft hat
sie mit der Form gerungen, viele schreckt auch heute
noch der spröde Ausdruck, die herbe Kürze von der
Lcctüre zyrück, aber wie wenig wirklich Unbedeutendes
ist in dem Bielen, das wir ihr verdanken, und je
tiefer der Leser in ihr Ecbe emdcingt, desto mehr
wird er finden.
wieder am feuchten Boden sitzen, was sie nicht thun solle,
da sie noch schwach und angegriffen auSsehs.
William ließ sich die Richtung, welche die Mädchen
eingeschlagen hatten, zeigen und schritt mit leichtem Gruße
davon.
Als William Len Waldweg erreicht hatte, dachte er
darüber nach, was Jessie wohl an Deerwood fesseln möchte.
Das alte schlichte Farmhaus und die nicht minder alte
gutmüihige Tante Debbh konnte cs nicht sein; die Ge-
gend war reizend, aber es gab doch viel anziehendere und
großartigere Lhäler, als das, in welchem Deerwood lag.
Die Jugenderirimrungen allein konnten es nicht sein. Da
er nach sann, erblickte er in der Ferne das Schimmern
eines weißen Kleides und weil er nun recht unbemerkt sich
den Mädchen näh-rn und diese überraschen wollte, bog er
vom Wege ab. Atsbaid hatte er die Stelle, wo die junge»
Mädchen saßen, soweit erreicht, daß er dieselben beobachten
konnte. Er sah die beiden lieblichen Gestalten; zwar war
ihm das heitere Antlitz Jessies zugewandt, aber die lieber-
raschung über einen andern Anblick ließ ihn gar nicht da-
zu kommen, ihr seine volle Aufmerksamkeit zu schenken.
Williams Schönheitssinn liebte eine zarte, anmuthige Ge-
stalt mehr, als eine glänzende und auffallende, und in
Ellen Howland fand er dasselbe mehr als verwirklicht,
was er sich von jeher als das Ideal einer Frau gedacht
hatte. S e hatte sich gegen «inen Baumstamm gelehnt;
ihr blaues Hauskleid legte sich in angenehmen Falten um
den zarten Kö per; ihr goldenes, von einem rochen Bands
durchflochtenes Haar war aus der hohen durchsichtigen
Stirne zurückgekämmt; die langen Wimpern beschatteten
die farblosen Wangen und ihre lilienweißen Hände ruhten
zusammengefalten auf dem Schooße. Das war ein Bild
vollendeter Schönheit, welches William überraschte.
„Bei Gott!" dachte er, „ich hatte Deerwood nicht für
fähig gehalten, eine solche Schönheit hervorzubringen."
Dann schlich er der Stells näher und wurde Zeuge
des Gesprächs, welches die Mädchen über Walter pflogen;
aber er schenkte demselben nicht volle Beachtung, da er
seine Blicke von Ellen nicht abwenden konnte. Es waren
Und nicht nur groß war sie, sie war auch gut!
Das weiß man erst so recht, seit man ihren Brief«
wechsel kennt, sprudelnd von Witz und Laune, manch-
mal auch von treffendem Spott, aber durchtränkt von
rücksichtsloser Selbstkritik, von warmem Gefühl, von
Beweisen, wie sie leibliche und geistige Barmherzigkeit
geübt. Selbstbewußt ist sie, aber nicht eitel, aristo-
kratisch im guten Sinne, reservirt, aber das Gegenteil
von hochfahrend, ein starker Geist mit einem weichen
H rzen; nur so war eS möglich, daß sie die verschieden-
artigsten Menschenkinder zur Bewunderung hinriß —
man braucht nur Freiligrath, Schückmg und Schlüter
zu nennen.
Das Leben ist ihr nicht leicht geworden. Schon
auf ihre Jugend haben körperliche Leiden ihren
Schatten geworfen, und noch mehr seelisches Leid, die
Qual eines hochfliegenden, unbefriedigten Geistes, die
in den Briefen von Spcickmann so ergreifend Her-
vortritt und auch in ihren Erstlingsarbeiren deutliche
Spuren hinterlassen hat. Starkmüthig hat sie die
trostlosen .Stimmungen, die sich bis zur furchtbaren
Angst vor Geistesstörung steigerten, überwunden; statt
mit sich selbst weltschmerzlichen Geniecultus zu treiben,
hat sie sich selbst bezwungen und zu der Reise der
späteren Jahre durchgekämpst. Ganz ausgekämpst
freilich war dieser Kampsnichtein kränklicher Körper war
das Haus dieser starken Seels bis zum Ende, und
religiöse Zweif t haben sie gepeinigt bis in ihre letzten
Jahre. Es ist ^erklärlich, daß über ihre kirchliche
Stellung in vertrauten Kreisen und später auch in
der umfangreichen Droste-Litteratur Meinungsverschie-
denheiten auftauchten, daß der kindlich fromme Schlüter
sie nicht verstand und daß Schücking versucht hat,
sie bis zu einem gewissen Grade für seine „freien"
Anschauungen in Anspruch zu nehmen, aber der erstere
hat ihr nachträglich in aller Form Abbitte gethan
und über den rief religösen und kirchlichen Grnridzuz
ihres Wesen kann kaim ein ernstliches Bedenken
bestehen. Stets wird den festesten Beweis erbringen
ihr Geistliches Jahr, ihr Lebenswerk, das sie als
junges Mädchen begann und an der Schwelle des
Todtes zum Abschluß brachte. ES ist das schönste
Denkmal ihres innern Lebens; in ihm hat sie nieder«
gelegt ihr Hoffen und Bangen, ihr Zweifeln und Glau-
ben, ihre Kämpfe und Siege, und besiegelt hat den
Sieg ihr christlicher Tod, auf den sie sich längere
Zeit täglich vorbereitet hatte, all' ihre sonstigen
Fehler und Schwächen ablegend, nur mehr für andere
lebend".
- . .!. .
Blicke, dts nicht fre> von der Begierlichkeit eines jungen
Lebemannes schienen.
Als er nun so plötzlich vor den jungen Mädchen stand,
war es Jessie, welche sich zunächst von ihrem Schrecken
erholte. William entschuldigte sich bei den Mädchen wegen
des verursachten Schreckens und stellte sich denselben vor.
Jesfse ries erstaunt: „Mr- Bellsnger! Woher kommen
denn Sie?"
William erzählte kurz, wie er durch Jesfie'S Groß-
mutter den Weg nach New Haven und von dort durch
Walter die Spur nach Deerwood gefunden habe und fuhr
fort: „Vor einer halben Stunde traf ich ein und weil ich
Sie nicht zu Hause fand, b-n ich herausgekommen, freilich
ohne zu denken, hier zwei Waidr-ymphen, anstatt einer zu
staden," und aberma's ruhte sein Blick auf Ellen, die
wieder auf die Bank zurückgesunken war und ihre Augen
unter feinem Blicke, der sie beängstigte, schließen mußte.
Die kurze Vorstellung war vorüber und Ellen erhob
sich, um wegzugchen, weil sie kalt und müde sei.
„Dann wollen wir auch gehen," sagte Jessie, indem sie
ihren Hut ergriff.
Ellen aber wehrte ab; sie hatte das BedürfuG allein
zu sein mit ihren Gedanken; dann aber wußte sie auch,
daß der Besuch aus der Stadt nicht ihr, sondern Jessie
gelte, und sie bemerkte:
„Bleibet doch und genießet den schönen Nachmittag;
ich finde den Weg schon allem."
NA als wollte sie jeder Einrede zuvorkommen, eilte
Ellen flüchtigen Schrates davon.
William kam es nicht ungelegen, mit Jessie im Walde
jurückbleiben zu dürfen. Mit der Gewandtheit, welche er
sich im gesellschaftlichen Verkehre angeeignet, gab er zu-
nächst seinem Entzücken über das Wiedersehen Ausdrnck,
was nicht ohne einige verbindliche Schmeicheleien für
Jessie herging. Bald aber wußte er das Gespräch auf
Watter zu lenken; denn vor allem verlangte ihn zu wisse»,
ob und welche Gefühle sie bereits für Walter gefaßt hatte.
(Fortsetzung folgt.)