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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Dezember 1897
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Nr. 279
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#1139

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Der heutigen Nummer liegt „Der Sonntags-
b°te" Nr. 48 bei.

Induprieksrnpfe in England.
Die Aussperrung und der Ausstand in der engli-
schen Metallindustrie, die jetzt ungefähr 70,000 Mann
außer Arbeit gesetzt hat, wird mehr und mehr zu
'wem erbitterten Ringen zwischen Unternehmern und
Arbeitern um das Bestehen der Arbeiterorganisationen
Und um deren Einfluß auf die Arbeitsbedingungen.
Geführt von dem in England etablirten deutschen Un-
ternehmer Siemens, verfolgt der coalirte Theil der
Anterr ehmrrschaft seine gleich anfangs aufgenommene
Taktik der Offensive in immer schärferer Weise. Um
durch Vermehrung der Zahl der Beschäftigungslosen
den Genossenschaften deren Unterstützung unmöglich
zu machen, wird eine jener Firmen nach der anderen,
die den Achtstundentag eingeführt hatten, zur Rückkehr
Zum Neunstundentag gedrängt und zur Aussperrung
der Arbeiter, welche sich dem nicht unterwerfen wollten.
Zugleich wird versucht, die vereinigten Schiffbauge-
tverkschaften in den Kampf einzubeziehen Auf den
Schffsreparaturwerften des östlichen London, wo seit
EsU'ger Zeit der Achtstundentag eingeführt war, sind
die Unternehmer nun plötzlich zum Neunstundentage
öurückgekehrt. Die- ist nach englischem Brauche so

Lohn während der Dauer eines Jahres um uuhr als
5 P'vzent herabzusetzen.
Die Arbeiter sind gut orgamsirt, und ihre Gk-
welksscküftSkasseu sind voll. Sie sind nicht ohne Ein-
sicht in die Gründe, welche ihnen die Unternehmer
für dir beabsichtigte Lohr Minderung geben — auslän-
dische Concurrenz, wirthschaftliche Krisen und des-
halb Mangel au Kaufkraft in wichtigen Absatzländern rc.
— aber sie meinen, daß in schlechteren Zeiten Unter-
nehmer an sich selbst und an den hohen Gewinn
ziehenden Commisfionären, die den Absatz vermitteln,
zu sparen orfangen sollten, und nicht an ihren Ar-
beitern ; daß der Arbeitslohn in jedem Falle hinreichen
müsse zum menschenwürdigen Lebensunterhalte des
männlichen Arbeiters und seiner Familie, und daß,
wenn man nicht diese Grenze als unüberschreitbar
betrachte, daS tiefste Hinabsinken des Lohnes und
damit deS Arbeiters unter das Culturniveau nicht
mehr gehindert werden könne. Treten Krisen ein, so
müßten sich die Unternehmer über dieselben auf andere
Weise helfen, als indem sie ihren Arbeitern den ihnen
für ihre Leistung gebührenden Lohn kürzten.
Solche Krisen wie die gegenwärtige hat die Baum«
Wollenindustrie Englands bekanntlich schon öfter durch»
gemacht. Die Hauptursache ist fast immer und auch
diesmal daS Mißverhältniß zwischen dem Angebote
der Produzenten an Waare und der Nachfrage durch
kauffähige Abnehmer. Es gibt in den Ländern mit
einigermaßen bedeutender Textilindustrie (so theilt
der „Standard" mit) inSgesammt ungefähr 97 Mill.
Spindeln und 1,920,000 Webmaschinen. Davon be-
finden sich — wie bereits erwähnt — in England
45,270,000 und 660,000. 3 Millionen ihrer Spin-
deln und 60,000 ihrer Webmaschinen haben sich die


KMerg, KMg lM 5. KMer 1897.

Die


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Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwirrgergraße 7.

gut wie eine Kriegserklärung an die Abrisse der zu-
nächst betroffenen und der verwandten Genossenschaften.
Es frägt sich run, ob diele darauf eingehen und da-
durch die Posmon der Metallarbeiter noch schwächen,
oder ob sie den Kampf aus einen günstigeren Zeit-
punkt verschieben werden.
Die Organisationen der Metallarbeiter haben ihre
HilfSmittkl schon beinahe vollständig erschöpft und
wenden sich in dringenden Aufrufen an die anderen
Gruppen, erinnernd, daß auch sie denselben zur Zeit
der Noth beistanden. Es wird denn auch von ande-
ren Gewerkschaften viel gegeben, sowohl an Spenden
al» an Darlehen. So beschloß z. B. eine Eisen-
babnerorganisatior, die nur 7000 Mitglieder zählt,
auf ihrer diese Tage stattgifundenen Generalversamm-
lung, den Metallarbeitern 20,000 M. zu schenken
und 200,000 M. auf 3 Jahre zinserfrei zu leihen.
Daß die coalirten Unternehmer auf vollständigen
Sieg rechnen, geht c-us ihrer entscheidende» Zurück-
weisung all»r Vermittlungsversuche, selbst des Aner-
bietens deS Handelsministeriums, hervor. Diese Hal-
tung hat manchen Tadel g-weckt.
Während dieser Kampf roch die englische Jndu-
striewelt beunrnhigt und schädigt, droht ein neuer,
von roch größerem Umfange, auszubrechen.
Webereibesitzer von Lavcashire haben sich geeinigt, den
Arbeitslohn um 10 Prozent, die Spinmreibesitzer de»
ihren um 5 Prozent herabzusetzen. Ihre Arbeiter
aber wollen darauf nicht eingehen, und wenn eS nicht
zu einrm Ausgleiche kommt, werden sie aller Wahr-
scheinlichkeit nach in Ausstand treten.
WaS ein solcher Ausstand bedeutet, mögen fol-
gende Zahlen erklären.

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die Post bezogen Viertels. 1.



Der hohe Rang, den Engbr -d in d r Textilindu-
strie aller Jndust estaaten einmmmt, ist bekannt. Nun
befinden sich von den ungefähr 45 Millionen Spindeln
und 660,000 mechanischen Webstühlen Englands 38
Millionen Spindeln und 500,000 dieser Maschinen in
Lancashirr. Das in diesem Betriebe angelegte Capital
wird auf mehr dein 60 Millionen Pfund St. (unge-
fähr 1200 Millionen Mark) berechnet. Es werden
über 400,000 Arde ter beschäftigt, und die Summe,
welche die Spinner unter denselben durch die beab-
sichtigte Lohnherabsttzung verlieren würden, b:trägt
285,000 Pfund Sterling; jene, welche die Weber ver-
lieren würden, 750,000 Psd. St. Daß die Spinnerei-
besitzer den Lohn nur um 5 Prozent mindern wollen,
hat seinen Grund in einem Vertrage, den sie 1892
mit ihren Arbeitern schlossen und der sie hindert, den

Engländer während der letzten zehn Jahre angeschafft.
In derselben Zeit »ahm jedoch die Baumwoll-
waaren-Ausfuhr aus England nicht zu, sondern ab.
Vor dreißig Jahren lieferte England den größten
Thsil deS WeltbedarfeS an baumwollenen Garnen und
Geweben. Aber mehr und mehr suchten sich im«
portirende Staaten eine eigene Baumwollenindustrie
zu verschaffen. Und mit Hülfe der englischen Ma-
jchinenindustrie, welche die ausländischen Fabriken aus«
stattete, mit Hülfe englischer Werkführer, welche den
ausländischen Betrieb leiteten, erreichten jene Länder
auch ihre Absicht; sie wurde ihnen erleichtert durch
hohe Einfuhrzölle, welche dem englischen Erzeugnisse
den Eintritt und des Wettbewerb mit dem einheimischen
Fabrikate erschwerten. Wohl werden in Indien,
Japan, China nur die minderen Waaren hergestellt,

so ' - " Meliane. "
Krählung von Melativ Iva. A R n v ! ä' bischen vou
L- v. Heemftede.
, „Mein Herr!" entgegnete Miliaue so ruhig wie mög-
lich, „ich wüßte nicht, war Sie mir zu sagen vaben könn-
en- Ich halte eS für überflüssig, Ihnen diese Zusammen -
'unft zu gewähren."
„Dann wären Sie heute nicht hierher gekommen, wenn
Eie das meinten- Ihr Erscheinen in Schönburg nach mei-
ne« Briefe ist ein Zeichen, daß Sie eine Erklärung von
wir erwarten."
Miliane fühlte wieder daS niederdrückende Bewußtsein,
Sanz von Hilverda's starkem Willen abhängig zu sein; sie
batte sich seinem Einflüsse nicht entzogen, als es noch Zeit
war, nun l:eß er sie immer sein Uebergewicht empfinden.
. Die Stelle, wo sie standen, war eine sonnige Wiese und
bei der Glühhitze war kein Gedanke daran, hier ein Ge-
wräch zu führen; sie mußten also entweder in den Pavillon
Sehen oder in den Wald zurückkehren, aber da konnten sie
leicht den beiden Anderen beg-gnen und das wollte Miliane
Um keinen Preis. „Nun, so mag eS sein," sagte sie, „aber
lo kurz wie möglich!"
Er ließ sie vorangehen in den Pavillo», der nach allen
Seiten bin offen war. obschon Jalousien die Sonnenstrahlen
abhielten; nach der Wasserseite war eine mit Blumen ver-
tierte Terrasse darangebaut.
. Erich schien zu erwarten, daß Miliane sich setzen würde,
loch sie blieb stehen und sah ihn erwartungsvoll an. „Mein
'betragen an jenem Abend war unverzeihlich," so begann
er. „ich habe mich vergangen gegen Sie und — gegen ihn,
aber ich habe nur eine Entschuldigung, die aber bet Ihnen
Sicht gelten wird. Doch muß ich es Ihnen sagen, mag da-
laus werden, was da will. Miliane, ich habe Sie lieb!'
. Sie blieb mit gesenkten Auge« am Tische stehen, ihr
Herz klopfte zum Zerspringen, ihr Puls jagte und ihre
Zunge schien wie gelähmt. War eS Freude, die ihr Herz
"füllte, oder unsäglicher Jammer? Sie wußte es nicht.

„Ich weiß es, ich entsage all' meinen Pflichten, all'
meinen Prinzipien durch dieses und noch mchr dadurch,
daß ick eS Jgnen sage. Aber einmal, nur einmal mußte es
sein! O Miliane, sehen Sie mich an! Sagen Sie mir ein
Wort, sagen Sie mir, daß Sie mich nicht verachten!" Er
nahm ihre kalten Hände m die seinen und sie ließ ihn ge-
währen, als wenn sie eine Nachtwandlerin gewesen. „Wer-
den Sie fortan ohne Zorn und Bitterkeit an mich denken,
Miliane?" frug er in einem Ton, so zärtlich, so melodiös,
wie sie noch nie von einer menschlichen Stimme gehört
batte, und, wie durch eine unwiderstehliche Macht gezwungen,
schlug sie die Augen zu ihm auf. Die lebendigen Augen,
die Alles sagten, was in ihrer Seele vorging, und worin
Erich nun deutlich lesen konnte, was er schon lange wußte.
„Miliane I" rief er fast jauchzend, „täusche ich wich? So
hast Du Leo nie angesehen. Miliane, darf ich Dir Alles
sagen? Willst Du mich anhören bis zum Ende? Und dann
— Es ist noch nicht zu spät, Alles kann vielleicht noch
anders werden."
Sie sank auf die Bank nieder und entzog ihm ihre
Land. „Gehen Sie!" flüsterte sie, „gehen Sie und sagen
Sie nichts weiter. Es ist besser für Sie und für mich!"
„Besser? Warum besser? Nein, nach diesem Blick lasse
ich Dich nicht mehr von mir gehen, nein Miliane, nein!
Nun sollst Da Alles wissen, war ich vor Dir verborgen
habe, und dann magst Du entscheiden. Vom ersten Augen-
blick an als ich Dich sah und Deine Stimme hörte, ist
Dein Bild mir nicht mehr aus dem Sinn gekommen. O
wie war es mir, als ich Dich zurückfand als seine Braut!
Ich habe gegen mein Gciühl gekämpft, ich bin Dir ausge-
wichen, habe Dich unhöflich behandelt, aber leider, ich
konnte nicht von Dir lassen, und mein Stolz, der nie mein
inneres Gefühl verrathen wollte, ist besiegt. Wäre eS besser
gewesen, wenn ich abgereist wäre, ohne Dich noch einmal
zu sehen, noch einmal mit Dir zu reden? Ich wollte Dich
nicht suchen, ich überließ Alle- dem Zufalle und nun finde
ich Dich, und Deine Augen. Miliane, Deine schönen Augen
verrathen es mir, daß ich mich nicht täuschte, daß Du den
armer« Literaten höher stellst als Deinen Verlobte», daß
Du mich verstehst und mir verzeihst ... Ist es nicht so,

Miliane? Leugne es nun, daß Du mich liebst, daß Du
immer an mich gedacht hast, sowie ich Drch keinen Augen-
blick vergaß von jener ersten Stunde an, als Du noch nicht
wußtest, daß ein Leo auf der Welt bestand . . ."
„Es kommt nickt darauf an," sagte sie verwirrt, „WaS
ich fühle; meine Pflicht ist klar. ES ist zu spät, ich muß
mein Wort halten!"
„Mit einer anderen Liebe im Herzen Deinem Bräuti-
gam den Eid der Treue schwören? Deine Schuld ihm u.
Dir selbst gegenüber noch vergrößern? Doch ich vergaß
es, Leo ist reich, Leo ist Herr von Schönburg u. Kaprice,
und ich bin nichts, nichts! Wie kann meine Persönlichkeit
all' jene Reichthümer und Ländereien, all jene Diamanten,
die Deine Brust bedecken, aufwiegen 7"
Mit einer raschen Bewegung löste Miliane ihre Ketten
und warf sie von sich. „Nein, das ist es nicht! Ich ver-
achte jene goldenen Ketten, sie find keinen Funken wchrer
Liebe werth!"
„Du wählst also zwischen ihm und mir?"
„Nein, ich habe mein Wort gegeben; ich darf es nicht
zurücknehmen!"
„Miliane, eine Verlobung ist weiter nichts als ein
Versprechen zu näherer Bekanntschaft, aber eine Ehe ohne
Liebe ist das schwerste Joch 3», wenn «u verheirathet
wärest, dann wäre es eine andere Sache, wenn auch Biele,
von mir selbst abgesehen, darin nur eine leere Form er-
blicken."
„Aber ich nicht! Für mich ist die Ehe heilig und un-
verletzlich. Selbst in Gedanken würde ich nicht dagegen
sündigen, und nun ist mein größter Kummer, daß ich Leo
schon halb untreu geworden bin."
„Ich achte Dich nur um so mehr darum und doch,
trotz Deiner erhabenen Ansichten, hast Du in eine Verbin-
dung ohne Liebe, nur aus Nebenabsichten geschloffen, ein-
gewrligt!"
(Fortsetzung folgt.)
 
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