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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

DOI issue:
Dezember 1897
DOI article:
Nr. 288
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.42846#1189

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Erscheint tägtttz mit Ausnahme der Sonn- u.
Feiertage. tKSo»»em8«t»prets mit dem wöchent-
lichen Unterhaltungsblatt »Der Sonntagsbote" für
Ketdelberg monatlich KS H mit Trägerlohn, durch
die Post bezogen Viertels. 1.60 franco.

... Inserats die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
OrM für KalükÄ, Fnikeit L AM
Expedition: Zwingerftratze 7.

Kl. 288.

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

WMg, Mag dm U.DkMder 1897.

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Iwingerstraße 7.

I. Mg.

Ma« abormire
schon jetzt auf das Pfälzer Bolksblalt bei allen
Postanstalten, bei allen Briefträgern, bei
«»seren Agenturen und bei unseren Träger»
innen.
Alle neu hinzu tretenden Abonnenten
erhalten — nach Einsendung der Postqaittungs-
scheineS — vom Tage der Bestellung an, bis zum 1.
Januar 1898 das „Pfälzer Bolksblatt" gratis zu.
gesandt. Desgleichen diejenigen neuen Leser, welche
das „Pfälzer Volks blatt- beiden Agenturen
oder bei den Trägerinnen bestellen.
Den Wünschen vieler unserer Leser entsprechend,
Werden wir eS unS angelegen sein lassen, im wöchent-
lichen 8seitigen UnterhaltungSblatt „Der Sonn-
tagSbote" belehrenden und spannenden Artikeln
Raum zu gewähren.
Kurz nach Neujahr beginnen wir mit der Ver-
dffeutlichung eines neuen, höchst interessanten Ro-
ManeS.
ES wird stets unser Bestreben sein, möglichst viel
Nützliches, Belehrendes, Unterhaltendes unserm Leser-
kreis zu bringen, so daß doch allen Wünschen möglichst
Rechnung getragen ist.
Ein schön ausgestatteter Wandkalender wird
Wit Beginn des neuen Jahres jedem Abonnenten
des „Pfälzer Volksbla tteS" gratis zugestellt.
Der Preis des täglich erscheinenden „Pfäl-
Zer BolkSblatteS" bleibt derselbe wie bisher.
Vierteljährlich nur M 120 bei der Post abgrholt,
Von der Post täglich in'S Haus gebracht M. 160,
bei unseren Agenturen M. 120 ohne Träger-
lohn.
Im Interesse einer ununterbrochenen Zustellung
des „Pfälzer BolkSblatteS" bitten wir recht
frühzeitig, also schon jetzt zu bestellen.
Probenummern werden in beliebiger Anzahl
gratis und franco versendet.
Lo . Melisne. UL
Erzählung von Melativ Iva- Aus cm ö - a bischen von
L- v. Heemftede-
Als er ganz angekleidet war, trat er in den schon ganz
dunklen Gang; alle Thüren links und rechts waren ge-
schlossen. Nur ihm gegenüber glitt ein Lichtftreifen aus ei-
ner angelehnten Thüre, da würde er gewiß Menschen fin-
den. Er dachte nicht an seinen verbundenen Kops, an sei-
nen noch wankenden Gang. Er wollte Menschen sehen und
Wit ihnen reden, fragen, wo er Leo finden könne. Eine
andere Sorge hatte er nicht.
Er klopfte an der Thüre. Keine Antwort! Nun drehte
er an der Krücke und stand erstaunt still: ein matter Duft
von brennenden Kerzen und Weihrauch strömte ihm ent-
oegen; im Anfänge sah er nichts, allmälig ward alles deut-
licher. Die Wände waren mit schwarzem Flor verhüllt.
Worauf silberne Kreuze von Lilien, Todtenköpse, Sanduhren
und dergleichen mehr gestickt waren. Ja der Mitte stand
auf einem drei bis vier Stufen hohen Gerüste ein Parade-
bett von weißem und schwarzem Sammet zwischen riesigen
Kandelabern, worauf goldgelbe Kerzen brannten; aus sil-
bernen Gesäßen stiegen blaue duftige Weihrauchwölkchen
empor.
„ Wie von einer unwiderstehlichen Macht getrieben, ging
Hilverda weiter: er war allein, Niemand sah ibn, Nie-
mande» konnte er fragen, was das zu bedeuten habe. Es
wäre ihm auch nicht möglich gewesen, seine Kehle war wie
wsamme//geschraubt, sein Denkvermögen wie vernichtet.
Poch giss er weiter zwischen den Leuchtern und Weihrauch-
ichalen und sah im Vorbeigehen, daß die Stufe» mit Blu-
Arn bestreut und mit einem Teppich bedeckt waren. Alle
ble -Kleinigkeiten prägten sich in seinen Geist ein wie mit
eir»»m Grabstichel, der tiei ins Kupfer schneidet; unten an
ve--.Stufen stand er still und drückte die Hände gegen die
he g pochenden Schläfen.
Es lag eine weihe Gestalt aus dem Bette, das sehr
schräg stand. Ein Spitzenschleier bedeckte alles; Hilverda
tonnte »och nichts unterscheiden, doch «ar es, als wenn,
stm.Blut nicht mehr strömte, fein Herz nicht mehr klopfte

Jeder Abonnent deS „Pfälzer Volks-
blatt eS" möge eS sich angelegen sein lassen, min-
destens einen neuen Abonnenten für unser
Blatt zu gewinnen.
Expedition des „Pfaher VolksblaU".
Heidelberg Zwirrgerstraße 7

Eine französische Umfrage über die
Revanche.
Die Unwetter, welche vor einigen Monaten Mit-
teldeutschlaud heimsuchten, haben auch in den Reichs-
landen gehauSt. Der französische Dichter Francois
Coppee glaubte nun, daß ein Aufruf zum Besten der
„losgerissenen Brüder" jenseits der Vogesen in Frank-
reich mit Freuden ausgenommen und reiche Sammlungen
zur Folge haben würde. Einzelne Franzosen glaubten
dabei sogar, Coppee werde durch se.nen Aufruf den
Chauvinismus und die Revanche zu sehr beleben, zu
sehr, weil die Unbesonnenheiten der Chauvinisten für
Elsaß Lothringen unangenehme Folgen haben könnten.
Aber nichts davon. Francois Coppee mußte im Jour-
nal zugeben, daß eS sehr schwer sei, Wohlthätigkeit
zu üben; sein Aufruf für Elsaß habe nur ein unbe-
friedigendes Echo zu erwecken vermocht. Ein franzö-
sischer Blatt wurde auf diesen Mißerfolg des namhaf-
ten Schriftstellers aufmerksam und beschloß eine Um-
frage bei einer Reihe bekannter Tagesschriftsteller usw.,
um festzvstellen, ob in dem Denken der Franzosen der
Protest gegen den Frankfurter Frieden abgeflaut sei,
ob man weniger an Elsaß.Lothringen denke (vergl.
Gambetta : „Nicht davon sprechen, stets daran denken");
ob der Zeitpunkt nahe sei, wo man den Krieg von
1870/71 rein als eine geschichtliche Thatsache in Frank-
reich betrachten werde, und endlich, ob ein etwa aus-
brechender Krieg in Frankreich günstig ausgenommen
werden würde? Das Blatt — bezeichnenderweise
ein Blatt Jungsrankreichs — wandte sich mit diesen
seinen Fragen an mehrere hundert Personen, von de-
nen ein persönliches Urtheil, das Urtheil Jungfrank-
reichs und das DurchschuittSurtheil des Landes, wie
es ihnen dünke, verlangt wurde. Aus den Antworten
geben wir hier einige wieder.
Camille Samt SaenS — man kennt ja auch in
Deutschland dieses Mitglied deS Institut de France
gut — hält denjenigen für unwürdig, den Namen
alles in ihm erstarrte; schweigend blieb er stehen, und wie
von einer magnetischen Kraft getrieben, starrte er unbe-
weglich auf die Hülle, worunter ein menschlicher Körper
zu liegen schien. Plötzlich faßte er einen Entschluß, stieg die
stufen hinan, mechanisch zwar uud automatisch, doch er
wußte, daß er jetzt Gewißheit haben mußte, daß sein Leben
von dieser Gewißheit abhing. Rasch zog er den Schleier
fort uvb erblickte die ruhigen, friedlichen Züge des Tobten,
worüber die Kerzen ihr flimmerndes Licht warfen. Sein
Kopf lag noch seitwärts, das süße Lächeln spielte um seine
L PPen; seine dunkeln Locken kontrastirten seltsam mit dem
marmorbleichen Antlitz und dem rahwfarbigen Sammet-
kiffen; er schien ruhig zu schlafen und man erwartete jeden
Augenblick, daß die Lider sich öffnen würden, um den Stahl
der freundlichen blauen Augen durchzulafsen.
Hilverda starrte nur ein paar Sekunde» auf das ruhige
Antlitz, aber in den paar Sekunden überblickte er in blen-
deuder Klarheit sein eigenes und deS Tobten Leben, den
Morgen von Leo's Geburt, den Zug der Enttäuschung auf
dem Angesichte seiner Mutter, den Tod seiner Tante und
die Betrübniß des alten Junkers, der ihm sagte: „Erich,
bleibe ei» guter Freund für mein Knäblein!" Später ihre
Entfremdung, sein herablassendes Mitleid, seinen bitteren
Neid . . . Meliane ... die Szene im Pavillon . . - seine
Reise ... der Gletscher . . - Mit einem lauten Schrei ließ
er den Schleier lvs, der Boden wankte unter seinen Füßen
und bewußtlos sank er auf de» Stufen des Katafalke-
nieder.
24.
Als Frau Hilverda nach einer dreitägigen Reise mit
ihrem Gefolge in Chamounix ai kam, fand sie ihren Neffen
schon begraben und ihren Sohn viel schlimmer krank, als
sie erwartet halte.
Nachdem man ihn bewußtlos bei Leo's Leiche gefunden
hatte, war er heftigen Fiebern anheimgefallen. Seine Mut-
ter kam an sein Bett, doch er schien sie nicht zu kennen.
„Mein armer Sohn!" schluchzte sie, „das wäre doch
schrecklich, jetzt zu sterben, nun seine Lage so günstig ist,
gerade wie er immer gewünscht hat."

Franzose zu tragen; der ohne Erregung an den
Frankfurter Frieden denken kann, sich mehr oder we-
niger über den Verlust von Elsaß Lothringen tröstet
und nicht bereit ist, die Waffen zu seiner Wiederge-
winnung zu ergreifen. Die Ansichten anderer kennt
Saint-Säens nicht.
Albert Vandal, Mitglied der französischen Aka-
demie, meint, ein Nachlassen der ReoanchegefühlS
würde ein Seelenopfer sein, schlimmer als alle andern.
„Wenn wir Freunde gefunden haben, müssen wir des-
halb vergessen, daß wir Brüder verloren haben? Daß
die Jüngern anders darüber denken, begreife ich und
mißbillige ich nicht; sie haben ja nicht, wie wir, die
Wunden gefühlt." Frankreich sei das Land der plötz-
lichen Aufwallungen und darum könne man betreffs
des DurchschnittSurtheilS sich täuschen.
Andreas Weber, ein Mitglied des Pariser Ge-
meinderaths hält dafür, daß dieselben physologischen
Gesetze für den nationalen Schmerz wie für das per-
sönliche Leid gelten, und darum glaubt er, daß man
nach und nach Elsaß Lothringen vergessen werde, da
allmählich noch die theuersten Gefühlen abstumpfen.
Damit will er aber nicht zugestehen, daß die Deut-
schen im Frankfurter Frieden nicht etwa Frankreich
„vergewaltigt" haben.
Joseph Reinach, einer von den heute so stark ver-
dächtigten sog. „deutschen Juden", Abgeordneter für
die Niederalpen, kann persönlich die verlorenen Pro-
vinzen nicht vergessen, um so weniger, als er ja selbst
ein Werk über den Verlust von Elfaß-Lothringea ge-
schrieben hat. Auch hofft er, daß die Jungen daran
denken, aber er ist überzeugt, daß die Durchschnitts-
meinung deS Landes den Krieg mißbilligt.
Jules Clarietie, Mitglied der Akademie und Leiter
der Comedie Francaise: „Die Wunde bleibt allzeit
schmerzhaft; man spricht weniger von den verlorenen
Provinzen als früher, aber diejenigen, die sUts daran
denken sollen, thun eS auch."
Marke! Prevost stellt den Umfragrrn drei Gegen-
fragen. Ob man das zeitlich so genau bestimmen
könne, wann ein Land einen Verzicht, wie den frag-
lichen, leiste; ob man einen Schatten von einer Pro-
testpartei in Deutschland finden werde, wenn Elsaß-
Lothringen wieder Frankreich angefüzt werde, und ob
ein Land, in dem jeoer ein Soldat sei, einen moderne«
Krieg günstig aufnehmen werde? „In Deutschland
war der Krieg von 1870 ausnehmend unpopulär.
Und doch!"
Remy de Gourmont sieht in Deutschland nicht
mehr den Feind und hält die Phrase vom Erbfeind
Ein dumpfes Stöhnen entführ der Brust des Kranken
„Hörst Du mich. Erich?" srug sie weinend.
„Laß mich in Ruhe!' stieß er hervor und drehte sich
um. — „Ach Gott! es steht sehr schlecht mit ihm," klagte
sie fort, „er erkennt seine eigene Mutter nicht. Und ich bin
doch so weit gereift und schlechtes Welter hatten wir und
ungebahnte Wege. Wie kam Leo dazu, in einem solchen
Neste zu logiren? Wäre er nicht hingekommen, so würde
er noch leben und Erich nicht krank sein."
Es war eine Eigsnthümlichkeit von Frau Hilverda.
daß sie nie über zwei Dinge zugleich besorgt sein konnte.
Nun nahm Erich's Krankheit sie ganz in Anspruch, so daß
sie Leo's Tod fast darüber vergaß. Leo und tsdl! dar war
auch so schwer zu reimen. Sie war sich nur vuntel bewußt,
daß ihr Sohn Herr und Meister von Schönburg wurde,
an Leo dachte st- einfach nicht.
Der Holländer, der bei seinen letzten Athemzägen zu-
gegen gewesen war, machte den Damen seins Aufwartung,
und als er die bleiche G-fine mit ihren starrbfickenden
Augen und zusammmgepreßten Ltppm gewahrte, sagte er:
„Sre sind gewiß diezärtltch geliebte Braut des Verstorbenen?"
„Nein," entgegnete das Mädchen kurz, „aber warum
fragen Sie das?"
Er überreichte den Damen den Streifen Papier und
das Bouquet des Todten «nd fügte das Briefchen Hinz«
das er dtktirt hatte.
Gesine las es und wurde noch bleicher. „Wo ist er
begraben?" frug sie.
Man führte sie zum Kirchhofe ; sie ließ sich die kaum
geschloffene Gruft zeigen und blieb mit gerungenen Hän-
den eine Zeit lang bei dem Grabe stehen, auf die schwarze
Erde starrend, „Laß mich allem!" sagte sts zu dem Kinde
deS Todtengräbers, das mit rhr gegangen war. Uno als
das Kind sie verlassen hatte, warf st; sich nieder und drückte
ihr Gesicht in den Hügel und schluchzte und jammerte wie
eine schmerzlich Verwundete, ohne eine Thrans zu vergießen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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