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Expedition: Zwingerftratze 7.
Kr. 13.
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
WÄrrg, HmW, de« 17. Mmr 1897.
Druck,^Verlag u. Expedition:
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwingerstraße 7.
1. IM.
Ein Umschwung in der Finanzpolitik des
Crntrums
ist von dem so viel „umsclwunqenen" Finanzminister
Dr. Mquel entdeckt worden. Ec findet einen directen
Gegensatz zwischen der von den Ko.yphäen des Cen-
trnmS ehemals eingenommenen Haltung und der jetzi-
gen Haltung der Partei. Windthorst und Frarcken-
stein hätten die Sorge gehabt, daß die Finanzen der
Einzclstaaten durch das Reich erschüttert werden
könnten; jetzt wehre man sich im Centrum dagegen,
daß die Einzelstaaten das Reich auSgewoperten. Noch
Nie ist ein so großer Umschwung in der Finanzpolitik
einer Partei gesehen worden, wie im Centrum."
Wenn der Herr Minister nicht in solcher Aufreg-
ung wäre über den Mißerfolg seiner eigenen Reichs-
stnanzpolitik, so würde er ohne Mühe sehen können,
daß die Finanzpolitik des C-ntrumS noch ganz die-
selbe ist wie früher. Es Hot anzestrebt: 1) Aufrecht-
erhaltung des Föderativ Verhältnisses im Reiche; 2)
Möglichste Sparsamkeit. Daß die Franckenstein'iche
Klausel den Zweck hatte, das Föderativ-Berhältniß zu
stützen, bestreitet wohl auch Herr Dr. Miquel nicht.
Wer will denn nun diese Klausel abschaffen und wer
tritt für ihren Fortbestand ein. Die ReichLfinanz-
reformpläne des preußischen Finanzministers, die zu-
rrst darauf ausgingen, Vie Einzelstaaten auf eine feste
ReichSrevie von vierzig Millionen zu setzen, dann
darauf das Gleichgewicht zwischen Matrikularumlagen
und Ueberweisungen herzustellen, bedeuteten nichts
Weniger als die Außerkraftsetzung der Klausel. Die
Einzelstaaten verloren damit jedes Interesse an den
Reichsfinanzen und in Folge dessen auch jeden Ein-
stuß darauf. Wer aber in Geldsachen nichts mehr zu
sagen hat, der hat überhaupt nicht mehr viel zu sagen.
Die anspruchsvollen Reichsverw^ltungen konnten mit
immer neuen Anforderungen an die Steuerkraft der
Reichsbürger kommen, ohne daß die Regierungen der
Einzelstaaten eine feste Handhabe hatten, sich dagegen
Zu wehren; sie ging es ja nichts an, denn sie brauch
ten es ja nicht zu bezahlen. Gegen einen solchen
»Umschwung" hat sich das Centrum entschieden und
erfolgreich gewehrt. Es hat somit die Tradition auf-
recht erhalten, nicht aber eine neue Finanzpolitik ein-
tzeschlagen.
Ja zweiter Linie wollte die Franckenstein'sche
Elausel allerdings auch den Einzelstaaten Antheil an
An RüchSeinnahmen sichern und sie gegen übermäßige
Ansprüche des R iches schützen. Man wünschte in
der That, daß das Reich den Einzelstaaten von feinen
i Mh Md KÄt. WW
13) Dem Amerikanischen nacherzählt.
- Untcrdeß saß Jessie, in Nachdenken versunken, am
Schreibtisch. Die Woche der Anwesenheit Williams war
Amswegs spurlos an ihr vorübergegangen. Das Gift des
Zweifels, welches Billenger in ihr Herz geträufelt, hatte
M sich gefressen und mit boshafter Genugthuung hatte
Fblliam dies bemerkt, nichts versäumend, was der wu-
chernden Giftpflanze Nahrung geben konnte. Sein Zweck
M ja, durch tropfenweise verabreichtes Mißtrauen ein
Bild in dem Herzen des jungen Mädchens zu zerstören,
ew Welchem sie bikheran nichts so sehr bewundert hatte,
als die Wahrhaftigkeit und die Ehre. Offen ging William
wcht vor, um die Motive seiner Handlungsweise nicht zu
xttrathen. Vorficht-g und versteckt brach er seine Berdäch-
«gungen aus, ja manchmal hatte er gar einen Entschuldt-
WNgsgrund für Walter bereit. So erreichte er cs bald,
Lejsie sich höchst unzufrieden fühlte, ohne freilich recht
Men zu können, warum. Es fiel ihr nicht ein, Walter
wegen der Sünde seines Vaters zu takln, aber sie hätte
sehr gewünscht, seinen Namm ganz tadelfrei und
Menlvs zu sehen- In Folge dieser Gemüthsstimmung
Uhwand ihre Heiterkeit dahin, um einem ernsten, gedanken-
vollen Wesen Platz zu machen; ihr fröhliches Lachen
wurde nur noch felten gehört, und stundenlang konnte sie
LLLlnd dafitzen.
So war es auch an diesem Abend wieder und eine
Mvridere Veranlassung batte ihr hierzu noch ein Schreiben
n- 5 Großmutter, der Mrs. Bartow's, gegeben, welches
?Me in ihren Besitz gelangt war. Dee alte Dame hatte
'vre Enlelin eindringlich aufgefordert, heimzukehren und
«ewunscht, daß sie sich der angenehmen Reisebegleitung
-vellenge^'s bediene. Hierbei hatte Mrs- Bartow's es sich
ungelegen sein lassen, die Familie Bellenger insbesondere
Aue» hres aristokratischen Wesens heranszustreiäeu. Nur
«,"wal sei die Ehre dieser Familie befleckt worden durch
Ao Mß Ellen Bellenger, welche eine unglückliche Ehe
«ui einem obskuren Manne von üblem Rufe eingegangen
Einnahmen etwas zukommen lasse und weniger von
ihnen fordere, als es ihnen gebe. Auch hieran hat das
jetzige Ceutrum nichts geändert und wünscht es nichts
zu ändern. Dagegen ging die Finanzreform des Hrn.
Dr. Miquel darauf aus, die Einzelstaaten von jeder
Betheiligung an den wachsenden Einnahmen des Rei-
ch-Z auszuschließen. Wenn das Centrum im vorigen
Frühjahr beschlossen hat, den Einzelstaaten die Hälfte
des UeberschusseS der Ueberweisungen über die Matri-
kularumlagen vorzuenthalten und zur Schuldentilgung
zu verwenden, so ist es keine grundsätzliche Abweich-
ung von der Frarckenstein'schen Clausel, deren Wesen
ja nicht gerade in der Ziffer 130 Millionen lag, als
dsS Betrages, den das Reich von den Zöllen u. der
Tabaksteuer für sich vorwegnahm. Wenn das Reich
seine Schulden zahlt, so kommt dies auch den Einzel-
staaten zugute, da ja die Schulden des Reiches nichts
sind als Schulden der Einzelstaaten. Im Jahre 1879,
als die Clausel geschossen wurde, war die Reichsschuld
noch nicht halb so groß wie heute. Daß es mit dem
Schuldenmachen nicht so fortgehen darf, hat Windt-
horst immer betont; er wäre auch mit der beschlossenen
Schuldentilgung einverstanden gewesen, nie u. nimmer
aber mit der M'quel'scken ReichSfinavzreform.
Wenn man jetzt wohl im Crntrum von Der AuS-
potnrung des Reiches durch die Einzelstaaten redet,
so bedeutet das keineswegs, daß man den Einzelstaa-
ten von dem Feit des Reiches nicht mehr zukommen
lcssen wolle, sondern es richtet sich gegen dieM'quel'
sche Finanzpolitik. Liese geht darauf aus, durch
möglichst düstere und — wie die letzten beiden Finanz-
jahre drastisch bewiesen haben — für Preußen völlig
falsche Schilderung der Finanzlage Stimmung zu
machen für neue Steuern im Reiche, also den Reichs-
bürger im Interesse der Einzelstaaten mit neuen Steuern
zu besoffen, während die Einzelstaaten sich gar nickt
in der behaupteten finanziellen Nothlage befinden. Da-
bei waren sogar bewegliche Zuschläge zu den indirekten
Steuern im Reichs geplant, bloß damit die Finanzen
der Einzelstaaten doch ja nicht vom Reich unangenehm
berührt würden. Außerdem waren die neuesten Reichs-
steuern, wie die Thatsachen beweisen, gar nicht nöthig,
sondern sollten Geld auf Vorrath schaffen für künftige
Ausgaben. Das kann man in der That eine Aus-
poverung des Reiches zu Gunsten der Einzelstaaten
nennen, die dann leichten Herzens in die neuen Aus-
gaben hätten willigen können. Daß die Herren von
Franckenstein und Windhorst einer solchen Finanz
Politik zugestimmt haben würden, glaubt Herr Dr.
Miquel doch selbst nicht-
sei, der entweder am Galgen geendet oder im Zuchthause
sitze; genau wisse sie das nicht. Dann hatte die Groß-
mutter ihrer Enkelin anbefohlen, diese unliebsame Episode
aus der Geschichte des aristokratischen Hauses Bellenger
ja strenge geheim zu halten, besonders aber Sorge zu
tragen, daß Mrs. Reeves oder ihre Enkelin Charlotte
nichts davon erfahre. Diese Mrs. Reeves, eine Freundin
der Mrs. Bartow's — welche wir später noch kennen
lernen werden — war es auch, deretwegen cs die alte
Dame so sehr schmerzte, statt, wie es zum guten Ton ge-
hörte, im Seebade zu weilen, das Haus hüten zu müssen.
„Wie würde Mrs- Reeves die Nase rümpfen" — so schloß
das Schreiben an die Enkelin — „wenn sie erführe, daß
ich nach plebejischer Art den ganzen Sommer habe in der
Stadt bleiben müssen; darum kehre recht bald heim, damit
Du mich begleiten kannst."
Dieses Schreiben hatte den letzten Zweifel an der
Richtigkeit der Mittheilungcn, welche William über das
traurige Schicksal der Eltern Walters gemacht hatte, ge-
hoben. Bei all ihren Charaktervorzügen und bei ihrer
stark hervortretcndcn Neigung zur Selbstständigkeit hatte
Jessie sich doch nicht ganz den Einflüssen einer Gesellschaft
entziehen können, in welcher Albs eine ins Ung-mess ne
gesteigerte Eitelkeit athmete, wie das iittbesondere im
Hause ihrer Großmutter und bei den dort vornehmlich
verkehrenden Familien der Fall war- Mit wahrer Herzens-
freude hatte sie bis dahin daran gedacht, daß ihr Volk
Walter schon in nächster Zeit zu sich ins Geschäft nehmen
wolle; wie wonnig hatte sie es sich vorgestellt, daß dann
Walter ihr stets nahe sein, sie mit ihm verkehren und die
städtischen Vergnügungen des Winters genießen werde.
Das wonnige Gefühl war nunmehr getrübt- Was würde
ihre Großmutter sagen, wenn sie crsuhr, daß Walter der
Sohn jener Ellen Bellenger und des mit ihr verheiratheten
Luchihäuklings sei! Verborgen konnte es ihr auf die
Dauer nicht bleiben. Und nun erst die anderen wohlbe-
kannten Familienkreise, die Mrs. Reeves und ihre Enkelin
Charlotte mit ibrcm Parvennstolz an der Spitze! Diese
Erwägungen drückten Jessie und sie stand im Ksmpse mit
ihren besseren Gefühlen, weiche sie dennoch immer wieder
Deutsches Reich.
* Berlin, 15. Jan. Die Budgetkommissiou des
Reichstages bewilligte die ersten 32 Titel des Extra-
ordinariums des Postetats, darunter die ersten Raten
für Neubauten von Postgrundstücken in Dresden,
Bromberg, Köln, Crossen, Geestemünde, Gießen, Hal-
berstadt, Ulm, Hannover, Karlsruhe und Ham-
barg.
* Berlin, 15. Jan. Das Staatsministerium trat
beute Nachmittag unter dem Vorsitz; des Fürsten Ho-
henlohe im Reichstagsgebäude zu einer Sitzung zu-
sammen.
* Stuttgart, 15. Ja«. Zur Feier des lOOjäh-
rigen Geburtstages Kaiser Wilhelms, am 22. März
1897, beziv. zur Enthüllung des Denkmals für den
verewigten Kaiser, wird sich der König nach Berlin
begeben.
* München, 15. Jan. Zur Vorbereitung der
Feier des 100jährigen Geburtstages Kaiser Wilhelm l.
trat gestern Abend eine Comite von Herren aller Be-
rufsstände hier zusammen. Es wird eine großartige
Feier geplant. U. a. ein Frstakt im alten RathhauS-
saale und eine große Voiksfeier, wahrscheinlich im
Löwenbräukellersaale.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 14. Januar.
Abg. v. Huepeden (b. k. P.) wendet sich gegen die
gestrigen Ausführungen des Abg. Fchrn. v. Stumm,
worauf dieser erwidert und entschieden bestreitet, daß
er jemals die Abschaffung der Koalitionsfreiheit der
Arbeiter verlangt habe.
Auf Anfrage des Abg. Brühne (Soc.) bemerkt
Staatssekretär v. Bötiicher, die Verhandlungen über
die Ausdehnung des Gesetzes betreffend den Unter«
stützungSwohnsitz auf das Reichsland seien noch nicht
abgeschlossen. Inzwischen werde den hervorgetretenen
Mißständen nach Möglichkeit begegnet.
Bayerischer Bevollmächtigter von Hermann weist
daraus hin, daß die bayerische Kammer die Ausdeh-
nung des Unterstützungswohnsitzes auf Bayern nicht
wünsche.
Nach weiterer Erörterung wird Titel 1 „Gehalt
des Staatssekretärs" bewilligt.
Bei den weiter verhandelten Titeln bemerkt Staats-
sekretär v. Bötticher im Laufe der Verhandlung, laß
über eine eventuelle Kündigung des Vertrages mit
Holland über den Salmensang Verhandlungen schwe-
ben und daß Maßnahmen gegen die Veunreinigung
zu dem edlen Herzen ihres Jugendfreundes hinzozen. Ei-
nen Augenblick war sie unentschlossen, ob ste nicht dem
dringenden Wunsche ihrer Großmutter sofort folgen sollte,
ohne die Rückkehr Walters abzuwarten und ob sie nicyt
es ihrem Vater nahelegen sollte, Walter in einer anderen
Stadt eine ^angesehene Lebensstellung zu sichern, wo für
ihn die Gefahr, unter dem Bekanntwerden der Schuld
seines Vaters zu leiden, nicht vorhanden wäre. Bei dem
Gedanken an ihren Vater aber erinnerte sich Jesste, wie
gerade er diesen Walter hochachtete, wie oft er ihm itt
den überschwänglichsten Worten Lob gespendet und mit
Vergnügen der Zeit bedacht hatte, da er ihn stets um sich
haben werde. Vor dem Urtheite ihres Vaters aber hatte
Jesste große Achtung, das galt ihr als unanfechtbar. Da
ward es plötzlich lichter in den quälenden Sinnen des
jungen Mädchens, einmal weil sie in ihrem Vater eine
sichere Stütze für die zukünftige gesellschaftliche Stellung
Walters erblickte und andermal weil das Urtheil ihres
von ihr geliebten Vaters die Zweifel gebannt hatte, wflchs
sie in Folge der vergiftenden Einflüsterungen Williams
an der Integrität des Charakters ihres Jugendfreundes
zu hegen begonnen.
Sie stand auf. „Nein, ich gehe nicht!" sagte sie ent-
schlossen. — „Ich will Walter ins Auge sehen; ich will
ihm Alles bekennen und ihm Abbitte leisten für das Un-
recht, was ich ihm in meinem Herzen zugefügt. Und er
wird mir die ganze Wahrheit sagen, Bin ich denn nicht,"
so fuhr sie in ihrem Selbstgespräche fort, „verpflichtet, die
Ehre Walters, wo sie angegriffen wird, mit meinem Na-
men zu drckcn! Kann er denn vernünftigerweise verant-
wortlich dafür gemacht werden, wenn sein Vater eine
schwere Schuld auf sich geladen haben sollte?"
Dann setzte sie sich hin und stellte ihrer Großmutter
in einem längern beruhigenden Schreiben vor, wie sie eben
jetzt noch nicht Heimkehrer! könne, bald aber werde sie dort
fein. William sollte diesen Brief morgen mitnehmsn und
Je sie war froh in dem Gedanken, daß ste wieder mit
Ellen allein fein werde, ohne die beunruhigenden, ern ge-
ordnetes Nachdenken verhindernden Zerstreuungen, welche
Feiertage. Abonnementspreis mit dem wöchent-
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1. IM.
Ein Umschwung in der Finanzpolitik des
Crntrums
ist von dem so viel „umsclwunqenen" Finanzminister
Dr. Mquel entdeckt worden. Ec findet einen directen
Gegensatz zwischen der von den Ko.yphäen des Cen-
trnmS ehemals eingenommenen Haltung und der jetzi-
gen Haltung der Partei. Windthorst und Frarcken-
stein hätten die Sorge gehabt, daß die Finanzen der
Einzclstaaten durch das Reich erschüttert werden
könnten; jetzt wehre man sich im Centrum dagegen,
daß die Einzelstaaten das Reich auSgewoperten. Noch
Nie ist ein so großer Umschwung in der Finanzpolitik
einer Partei gesehen worden, wie im Centrum."
Wenn der Herr Minister nicht in solcher Aufreg-
ung wäre über den Mißerfolg seiner eigenen Reichs-
stnanzpolitik, so würde er ohne Mühe sehen können,
daß die Finanzpolitik des C-ntrumS noch ganz die-
selbe ist wie früher. Es Hot anzestrebt: 1) Aufrecht-
erhaltung des Föderativ Verhältnisses im Reiche; 2)
Möglichste Sparsamkeit. Daß die Franckenstein'iche
Klausel den Zweck hatte, das Föderativ-Berhältniß zu
stützen, bestreitet wohl auch Herr Dr. Miquel nicht.
Wer will denn nun diese Klausel abschaffen und wer
tritt für ihren Fortbestand ein. Die ReichLfinanz-
reformpläne des preußischen Finanzministers, die zu-
rrst darauf ausgingen, Vie Einzelstaaten auf eine feste
ReichSrevie von vierzig Millionen zu setzen, dann
darauf das Gleichgewicht zwischen Matrikularumlagen
und Ueberweisungen herzustellen, bedeuteten nichts
Weniger als die Außerkraftsetzung der Klausel. Die
Einzelstaaten verloren damit jedes Interesse an den
Reichsfinanzen und in Folge dessen auch jeden Ein-
stuß darauf. Wer aber in Geldsachen nichts mehr zu
sagen hat, der hat überhaupt nicht mehr viel zu sagen.
Die anspruchsvollen Reichsverw^ltungen konnten mit
immer neuen Anforderungen an die Steuerkraft der
Reichsbürger kommen, ohne daß die Regierungen der
Einzelstaaten eine feste Handhabe hatten, sich dagegen
Zu wehren; sie ging es ja nichts an, denn sie brauch
ten es ja nicht zu bezahlen. Gegen einen solchen
»Umschwung" hat sich das Centrum entschieden und
erfolgreich gewehrt. Es hat somit die Tradition auf-
recht erhalten, nicht aber eine neue Finanzpolitik ein-
tzeschlagen.
Ja zweiter Linie wollte die Franckenstein'sche
Elausel allerdings auch den Einzelstaaten Antheil an
An RüchSeinnahmen sichern und sie gegen übermäßige
Ansprüche des R iches schützen. Man wünschte in
der That, daß das Reich den Einzelstaaten von feinen
i Mh Md KÄt. WW
13) Dem Amerikanischen nacherzählt.
- Untcrdeß saß Jessie, in Nachdenken versunken, am
Schreibtisch. Die Woche der Anwesenheit Williams war
Amswegs spurlos an ihr vorübergegangen. Das Gift des
Zweifels, welches Billenger in ihr Herz geträufelt, hatte
M sich gefressen und mit boshafter Genugthuung hatte
Fblliam dies bemerkt, nichts versäumend, was der wu-
chernden Giftpflanze Nahrung geben konnte. Sein Zweck
M ja, durch tropfenweise verabreichtes Mißtrauen ein
Bild in dem Herzen des jungen Mädchens zu zerstören,
ew Welchem sie bikheran nichts so sehr bewundert hatte,
als die Wahrhaftigkeit und die Ehre. Offen ging William
wcht vor, um die Motive seiner Handlungsweise nicht zu
xttrathen. Vorficht-g und versteckt brach er seine Berdäch-
«gungen aus, ja manchmal hatte er gar einen Entschuldt-
WNgsgrund für Walter bereit. So erreichte er cs bald,
Lejsie sich höchst unzufrieden fühlte, ohne freilich recht
Men zu können, warum. Es fiel ihr nicht ein, Walter
wegen der Sünde seines Vaters zu takln, aber sie hätte
sehr gewünscht, seinen Namm ganz tadelfrei und
Menlvs zu sehen- In Folge dieser Gemüthsstimmung
Uhwand ihre Heiterkeit dahin, um einem ernsten, gedanken-
vollen Wesen Platz zu machen; ihr fröhliches Lachen
wurde nur noch felten gehört, und stundenlang konnte sie
LLLlnd dafitzen.
So war es auch an diesem Abend wieder und eine
Mvridere Veranlassung batte ihr hierzu noch ein Schreiben
n- 5 Großmutter, der Mrs. Bartow's, gegeben, welches
?Me in ihren Besitz gelangt war. Dee alte Dame hatte
'vre Enlelin eindringlich aufgefordert, heimzukehren und
«ewunscht, daß sie sich der angenehmen Reisebegleitung
-vellenge^'s bediene. Hierbei hatte Mrs- Bartow's es sich
ungelegen sein lassen, die Familie Bellenger insbesondere
Aue» hres aristokratischen Wesens heranszustreiäeu. Nur
«,"wal sei die Ehre dieser Familie befleckt worden durch
Ao Mß Ellen Bellenger, welche eine unglückliche Ehe
«ui einem obskuren Manne von üblem Rufe eingegangen
Einnahmen etwas zukommen lasse und weniger von
ihnen fordere, als es ihnen gebe. Auch hieran hat das
jetzige Ceutrum nichts geändert und wünscht es nichts
zu ändern. Dagegen ging die Finanzreform des Hrn.
Dr. Miquel darauf aus, die Einzelstaaten von jeder
Betheiligung an den wachsenden Einnahmen des Rei-
ch-Z auszuschließen. Wenn das Centrum im vorigen
Frühjahr beschlossen hat, den Einzelstaaten die Hälfte
des UeberschusseS der Ueberweisungen über die Matri-
kularumlagen vorzuenthalten und zur Schuldentilgung
zu verwenden, so ist es keine grundsätzliche Abweich-
ung von der Frarckenstein'schen Clausel, deren Wesen
ja nicht gerade in der Ziffer 130 Millionen lag, als
dsS Betrages, den das Reich von den Zöllen u. der
Tabaksteuer für sich vorwegnahm. Wenn das Reich
seine Schulden zahlt, so kommt dies auch den Einzel-
staaten zugute, da ja die Schulden des Reiches nichts
sind als Schulden der Einzelstaaten. Im Jahre 1879,
als die Clausel geschossen wurde, war die Reichsschuld
noch nicht halb so groß wie heute. Daß es mit dem
Schuldenmachen nicht so fortgehen darf, hat Windt-
horst immer betont; er wäre auch mit der beschlossenen
Schuldentilgung einverstanden gewesen, nie u. nimmer
aber mit der M'quel'scken ReichSfinavzreform.
Wenn man jetzt wohl im Crntrum von Der AuS-
potnrung des Reiches durch die Einzelstaaten redet,
so bedeutet das keineswegs, daß man den Einzelstaa-
ten von dem Feit des Reiches nicht mehr zukommen
lcssen wolle, sondern es richtet sich gegen dieM'quel'
sche Finanzpolitik. Liese geht darauf aus, durch
möglichst düstere und — wie die letzten beiden Finanz-
jahre drastisch bewiesen haben — für Preußen völlig
falsche Schilderung der Finanzlage Stimmung zu
machen für neue Steuern im Reiche, also den Reichs-
bürger im Interesse der Einzelstaaten mit neuen Steuern
zu besoffen, während die Einzelstaaten sich gar nickt
in der behaupteten finanziellen Nothlage befinden. Da-
bei waren sogar bewegliche Zuschläge zu den indirekten
Steuern im Reichs geplant, bloß damit die Finanzen
der Einzelstaaten doch ja nicht vom Reich unangenehm
berührt würden. Außerdem waren die neuesten Reichs-
steuern, wie die Thatsachen beweisen, gar nicht nöthig,
sondern sollten Geld auf Vorrath schaffen für künftige
Ausgaben. Das kann man in der That eine Aus-
poverung des Reiches zu Gunsten der Einzelstaaten
nennen, die dann leichten Herzens in die neuen Aus-
gaben hätten willigen können. Daß die Herren von
Franckenstein und Windhorst einer solchen Finanz
Politik zugestimmt haben würden, glaubt Herr Dr.
Miquel doch selbst nicht-
sei, der entweder am Galgen geendet oder im Zuchthause
sitze; genau wisse sie das nicht. Dann hatte die Groß-
mutter ihrer Enkelin anbefohlen, diese unliebsame Episode
aus der Geschichte des aristokratischen Hauses Bellenger
ja strenge geheim zu halten, besonders aber Sorge zu
tragen, daß Mrs. Reeves oder ihre Enkelin Charlotte
nichts davon erfahre. Diese Mrs. Reeves, eine Freundin
der Mrs. Bartow's — welche wir später noch kennen
lernen werden — war es auch, deretwegen cs die alte
Dame so sehr schmerzte, statt, wie es zum guten Ton ge-
hörte, im Seebade zu weilen, das Haus hüten zu müssen.
„Wie würde Mrs- Reeves die Nase rümpfen" — so schloß
das Schreiben an die Enkelin — „wenn sie erführe, daß
ich nach plebejischer Art den ganzen Sommer habe in der
Stadt bleiben müssen; darum kehre recht bald heim, damit
Du mich begleiten kannst."
Dieses Schreiben hatte den letzten Zweifel an der
Richtigkeit der Mittheilungcn, welche William über das
traurige Schicksal der Eltern Walters gemacht hatte, ge-
hoben. Bei all ihren Charaktervorzügen und bei ihrer
stark hervortretcndcn Neigung zur Selbstständigkeit hatte
Jessie sich doch nicht ganz den Einflüssen einer Gesellschaft
entziehen können, in welcher Albs eine ins Ung-mess ne
gesteigerte Eitelkeit athmete, wie das iittbesondere im
Hause ihrer Großmutter und bei den dort vornehmlich
verkehrenden Familien der Fall war- Mit wahrer Herzens-
freude hatte sie bis dahin daran gedacht, daß ihr Volk
Walter schon in nächster Zeit zu sich ins Geschäft nehmen
wolle; wie wonnig hatte sie es sich vorgestellt, daß dann
Walter ihr stets nahe sein, sie mit ihm verkehren und die
städtischen Vergnügungen des Winters genießen werde.
Das wonnige Gefühl war nunmehr getrübt- Was würde
ihre Großmutter sagen, wenn sie crsuhr, daß Walter der
Sohn jener Ellen Bellenger und des mit ihr verheiratheten
Luchihäuklings sei! Verborgen konnte es ihr auf die
Dauer nicht bleiben. Und nun erst die anderen wohlbe-
kannten Familienkreise, die Mrs. Reeves und ihre Enkelin
Charlotte mit ibrcm Parvennstolz an der Spitze! Diese
Erwägungen drückten Jessie und sie stand im Ksmpse mit
ihren besseren Gefühlen, weiche sie dennoch immer wieder
Deutsches Reich.
* Berlin, 15. Jan. Die Budgetkommissiou des
Reichstages bewilligte die ersten 32 Titel des Extra-
ordinariums des Postetats, darunter die ersten Raten
für Neubauten von Postgrundstücken in Dresden,
Bromberg, Köln, Crossen, Geestemünde, Gießen, Hal-
berstadt, Ulm, Hannover, Karlsruhe und Ham-
barg.
* Berlin, 15. Jan. Das Staatsministerium trat
beute Nachmittag unter dem Vorsitz; des Fürsten Ho-
henlohe im Reichstagsgebäude zu einer Sitzung zu-
sammen.
* Stuttgart, 15. Ja«. Zur Feier des lOOjäh-
rigen Geburtstages Kaiser Wilhelms, am 22. März
1897, beziv. zur Enthüllung des Denkmals für den
verewigten Kaiser, wird sich der König nach Berlin
begeben.
* München, 15. Jan. Zur Vorbereitung der
Feier des 100jährigen Geburtstages Kaiser Wilhelm l.
trat gestern Abend eine Comite von Herren aller Be-
rufsstände hier zusammen. Es wird eine großartige
Feier geplant. U. a. ein Frstakt im alten RathhauS-
saale und eine große Voiksfeier, wahrscheinlich im
Löwenbräukellersaale.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 14. Januar.
Abg. v. Huepeden (b. k. P.) wendet sich gegen die
gestrigen Ausführungen des Abg. Fchrn. v. Stumm,
worauf dieser erwidert und entschieden bestreitet, daß
er jemals die Abschaffung der Koalitionsfreiheit der
Arbeiter verlangt habe.
Auf Anfrage des Abg. Brühne (Soc.) bemerkt
Staatssekretär v. Bötiicher, die Verhandlungen über
die Ausdehnung des Gesetzes betreffend den Unter«
stützungSwohnsitz auf das Reichsland seien noch nicht
abgeschlossen. Inzwischen werde den hervorgetretenen
Mißständen nach Möglichkeit begegnet.
Bayerischer Bevollmächtigter von Hermann weist
daraus hin, daß die bayerische Kammer die Ausdeh-
nung des Unterstützungswohnsitzes auf Bayern nicht
wünsche.
Nach weiterer Erörterung wird Titel 1 „Gehalt
des Staatssekretärs" bewilligt.
Bei den weiter verhandelten Titeln bemerkt Staats-
sekretär v. Bötticher im Laufe der Verhandlung, laß
über eine eventuelle Kündigung des Vertrages mit
Holland über den Salmensang Verhandlungen schwe-
ben und daß Maßnahmen gegen die Veunreinigung
zu dem edlen Herzen ihres Jugendfreundes hinzozen. Ei-
nen Augenblick war sie unentschlossen, ob ste nicht dem
dringenden Wunsche ihrer Großmutter sofort folgen sollte,
ohne die Rückkehr Walters abzuwarten und ob sie nicyt
es ihrem Vater nahelegen sollte, Walter in einer anderen
Stadt eine ^angesehene Lebensstellung zu sichern, wo für
ihn die Gefahr, unter dem Bekanntwerden der Schuld
seines Vaters zu leiden, nicht vorhanden wäre. Bei dem
Gedanken an ihren Vater aber erinnerte sich Jesste, wie
gerade er diesen Walter hochachtete, wie oft er ihm itt
den überschwänglichsten Worten Lob gespendet und mit
Vergnügen der Zeit bedacht hatte, da er ihn stets um sich
haben werde. Vor dem Urtheite ihres Vaters aber hatte
Jesste große Achtung, das galt ihr als unanfechtbar. Da
ward es plötzlich lichter in den quälenden Sinnen des
jungen Mädchens, einmal weil sie in ihrem Vater eine
sichere Stütze für die zukünftige gesellschaftliche Stellung
Walters erblickte und andermal weil das Urtheil ihres
von ihr geliebten Vaters die Zweifel gebannt hatte, wflchs
sie in Folge der vergiftenden Einflüsterungen Williams
an der Integrität des Charakters ihres Jugendfreundes
zu hegen begonnen.
Sie stand auf. „Nein, ich gehe nicht!" sagte sie ent-
schlossen. — „Ich will Walter ins Auge sehen; ich will
ihm Alles bekennen und ihm Abbitte leisten für das Un-
recht, was ich ihm in meinem Herzen zugefügt. Und er
wird mir die ganze Wahrheit sagen, Bin ich denn nicht,"
so fuhr sie in ihrem Selbstgespräche fort, „verpflichtet, die
Ehre Walters, wo sie angegriffen wird, mit meinem Na-
men zu drckcn! Kann er denn vernünftigerweise verant-
wortlich dafür gemacht werden, wenn sein Vater eine
schwere Schuld auf sich geladen haben sollte?"
Dann setzte sie sich hin und stellte ihrer Großmutter
in einem längern beruhigenden Schreiben vor, wie sie eben
jetzt noch nicht Heimkehrer! könne, bald aber werde sie dort
fein. William sollte diesen Brief morgen mitnehmsn und
Je sie war froh in dem Gedanken, daß ste wieder mit
Ellen allein fein werde, ohne die beunruhigenden, ern ge-
ordnetes Nachdenken verhindernden Zerstreuungen, welche