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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Oktober 1897
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Nr. 231
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0941

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Melders, HmM, den 9. Owder 1897.

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

Freilich über Baden darf man mcht prophezeien.
Schon im Jahre 1893 waren die Nationalliberalen
auf 30 herabgedrückt; aber obwohl sie bei ihrer Cul-
turkämpferei verharrten und mit Hülfe der Conserva-
tiven die Zulassung von Mäunerorden in Baden Hin-
tertrieben, gelang eS ihnen 1895 doch, wieder eine
„einstimmige" Mehrheit zu erreichen, während daS
Centrum von 23 auf 2l Mitglieder zurückging. Auch
schon zu Anfang deS vorigen Jahrzehnts hatten die
Nationalliberalen ein Mal ihre Mehrheit verloren;
1881 standen 30 Nationalliberalen 22 CevtrumS-
männern, 5 Domokraten, 3 Conservativen und 3
Wilden gegenüber. Aber mit Hülfe des Ministeriums
Turban, das alle Beamten für die Nationalliberalen
mobil machte, kamen diese 1883 schon wieder auf 34
Mann, während das Centrum auf 19 fiel. Dann
brachen Streitigkeiten in der CentrumSpartei aus, und
eS ging gewaltig mit ihr bergab. In den Jahren
1885 und 1887 verlor sie je 5 Mandate, so daß sie
auf 9 zusammenfchmolz. Alsdann 1888 die National-
liberalen aus der kirchenpolitischen Vorlage den Ar-
tikel über d-e Zulassung kirchlicher Orden strichen
(vermuthlich mit heimlicher Zustimmung der Regier-
ung), bemächtigte sich der Katholiken eine große Er-
bitterung, die vertrauensselige Richtung unter ihuen
verlor an Boden und bei den Wahlen von 1889 stieg
die Zahl der Cemruwsabgeordneten wieder auf 14.
Bei den Wahlen von 1891 brachte das Centrum eS
auf 21 Mandate, und die nationolliberale Mehrheit
Wurde eine einstimmige, bis sie 1893, wie gesagt,
verschwand, 1895 aber wiederhergestellt wurde.
Daß Baden mit seiner katholischen Bevölkerungs-
mehrheit sich seit mehr als drei Jahrzehnten von den
Nationallideralen beherrschen, ja terroisiren läßt, ist
für außerbadische Katholiken vielfach unbegreiflich, in-
deß doch Wohl erklärlich. In dem vor bald 100
Jahren aus protestantischen und katholischen Theilen
zusammengeschweißten Lande ist eS sozusagen Regie-
run gStradition, daß die Katholiken sich die Behand-
lung müssen gefallen lassen, die in früher» Jahrhun-
derten unter den urduldsamen Markgrafen von Baden
ihnen als der Minderheit zu Theil wurde. Wurden
sie doch schon unter dem ersten Großherzog, dem Na-
poleon katholische Gebiete geschenkt hatte, derart als
Bürger zweiter Klasse behandelt, daß der Franzosen-
kaiser 1810 dem Großherzog deshalb ernste Vorhal-
tungen machen ließ. Unter dem Großherzog Karl,
der die Stieftochter Nopoleon'S geheirathet hatte,
wurde eS besser; als dieser aber 1818 starb und die
Nebenlinie der Hochberg zur Regierung kam, wurde

die protestantische Tradition wieder ausgenommen.
Die Regierung begünstigte den Josephinismus, Weffen-
berglaniSmuS, später den RongeaniSmuS und Altkalho-
liciSmus auf alle Weiie. An der stiftungsmäßig ka-
tholischen Universität Freiburg wurden mit Vorliebe
ungläubige Protestanten angestellt; auch die Gym-
nasien, Lehrerseminare usw. waren zum Theil Stätten
des Unglaubens. K-in Wunder, daß eS da mit der
Katholicität in den Mussen bergab ging. Allmäl'g
wurde eS freilich wieder besser, insbesondere als der
Nationalliberalismus an'S Ruder kam und die Cultur»
kämpferei in Sc-ne setzte.
Für die Dauer der Herrschaft des Nationallibe-
raliSmuS war außer durch die Arbeit des gesammten
Regierungs-Apparates durch die Wahlkreis-Arithmetik
und Geometrie gesorgt. Die Mandate sind so ver-
theilt, daß auf die Städte 20, auf das Land da-
gegen 43 fallen, wiewohl dies Verhältniß keineswegs
der BeölkerungSzahl entspricht. Mannheim mit
91,000, Karlsruhe mit 84,000 Seelen wählen je
drei Abgeordnete, Heidelberg und Pforzheim mit
35,000 und 33,000 je zwei, desgleichen Freiburg
mit 53,000 zwei, mehrere Städte mit etwa 10—15,000
Einwohner je einen. Durlach hat gar nur 9000
Einwohner, desgleichen Rastatt ohne die Garmfion;
beide wählen aber für sich einen Abgeordneten. Die
ländlichen Wahlkreise, die nur je einen Abgeordneten
wählen, habe» dagegen 24,000 bis gegen 50,000 Ein-
wohner. Bei den ganz großen Städten hat sich in
Folge der Bevölkerungszunahme das Verhältniß gegen-
über dem Lande mit der Zeit ein wenig gebessert.
Aber auch sie find immer noch bevorzugt. Daß nun
gar aber eine Reihe von Städtchen, die drei, vier,
fünf Mal kleiner sind als Landbezirke, eben so gut
ein Mandat zu vergeben haben wie diese, ist ein
schreiendes Unrecht und trifft vor allem die Katholiken.
Was die Wahlkreis-Arithmetik noch übrig gelassen
hat, besorgt dann die Wahlkreis Geometrie. Um den
Protestanten möglichst viele Mandate zuzuschanzen,
den Katholiken möglichst wenig zu überlassen, hat
man unbekümmert um geschichtliche, wirthschaftliche
und natürliche Beziehungen die Wahlkreise willkürlich
abgegrenzt. Wo Protestanten saßen, wurde ein mög-
lichst kleiner Wahlkreis gebildet, für die Katholiken
ein möglichst großer. Katholische Landstriche wurden
zerstückelt und mit protestantischen zu Wahlkreisen
vereinigt, um die Katholiken, die, hätte man sie bei-
sammen gelassen, die Mehrheit befassen, in die Minder-
heit zu bringen. So sind z. B. im Kreise MoSbach
63 pCt. Katholiken, 37 pCt. Nichtkatholiken; durch

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7, entgegen. Die bereits erschienenen Num-
werden nachgeliefert.
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Heidelberg, Zwiugerstraße 7

, Gestellungen
das

Die badischen Landtags-Wahlen
bekanntlich in diesem Monat abgehalten. Die
W» f wipartei hat in 17 Wahlkreisen Candidaten
stik, 12 davon b-saß sie bereits. Im ganzen
31 Mandate in 29 Wahlkreisen zur Neuwahl;
gehörten bisher 16 den Nationallideralen, 12
i Matrum, 1 den Conservativen, 1 den Demokraten,
dleib^ "Wilden" (Stegmüller). In der Kammer ver-
«SN;.? 15 Nationalliberale und 1 ihnen zuzurechnender
tzy.'dir", 9 ErntrumSwitgliidir, 3 Demokraten, 1
hort -^uver, 1 Antisemit. Das Ziel der Centrums-
h,?' H vor ollem, die nationalliberale Mehrheit zu
do«Diese ist bekanntlich «ine „einstimmige", 32
jrh KZ Abgeordneten sind nationalliberal. Die
dkkw Mehrheit ist also leicht in eine Minderheit zu
handeln, wenn die übrigen Parteien sich nur de-
dat k ""d den Nationolliberale» ein einziges Man-
sy>,^bgewinner. Hoffentlich gelingt nicht nur daS,
Wh» .v"hr. In Karlsruhe, wo die Nationallibe-
tz," Wit drei Mandaten zur Neuwahl stehen, haben
ike-ü^en und Sozialdemokraten ein Wahlbündniß
ist geschlossen, baS alle Aussicht auf Sieg bie-
Hü„.Dos Centrum hofft, den Nationallideralen die
tziiii,» für die vier Bezirke Meßkirch—Stockach,
Stockach, Bonndors—Jestetten und Dovau-
z<l, gev- säwmtlich mit fast ganz kath. Bevölkerung,

tLglich Mt Ausnahme der Sonn- u.
Oroan für MMMt, Freilmt L KM
^berg monatlich 8« H mit Trägerlohn, durch " '




Ein Frauenschicksal.
2. F o l g e n d e s F a l l e s.
Wie könnt' ich sonst so tapfer schmälen,
Wenn thät ein armes Mägdlein fehlen!
A>e könnt' ich über andere Sünden,
Acht Wort genug der Zunge finden!
We schien mir's schwarz, und schwärzt'S noch gar,
«ur's immer doch nicht schwarz a'nug war.
Und segnet mich und that so groß!
Und bin nun selbst der Sünde bloß.
A Goethe.
bewußt, dem göttlichen Gesetze und dem
"w, Vaters schnurstracks entgegengchavdelt zu ha-
N ikreü.*L>ks Bewußtsein bohrte wie ein glühender Wurm
.W: «»kurzen! Hiezu kam aber noch ein weiterer Schre-
br-i«- sfw mit Entsetzen der Strafe gefallener Mäd-
L.gegeben, die darin bestand, daß dieselben mit ei-
?»der s^ivps. angethan, vor Beginn des Gottesdienstes
jststen ArWthure ausgestellt wurden und nur in dem hin-
D,Aue der Kirche, in der sogenannten Armensünder-
nehmen, bet ihrer Hochzeit aber keinen Kranz
Alle Schrecken der Hölle fielen über daS
M ihr? en her; fie hielt sich für ewig unglücklich, sich
ihre w braven Eltern entehrt. Ihre Blüthe fiel ab,
Ulte Möbelt schwankte und doch brachte es das unglück-
^tdechn. nicht über sich, ehre Lage ihrer Mutter zu
Mdern 8? williger hörte sie auf Wilhelm, der ihr ja,
!^r eimia^ Aott und Eltern auf die Seite gesetzt hatte,
Wand-s blieb. Er wußte auch eine Auskunft und
7>Ilig en I^Ivna damit vertraut und für seinen Rath
Derselbe b,stand darin, gemeinschaftlich
. I in t» fliehen und bei seinen Eltern eine Unter-
Ä stnnial Er versicherte, daß seine Eltern, wenn er
z* .nA B'oltttung von Anna bei ihnen erscheine,
Ud vMngs ungehalten sein werden, aber gewiß
würden, wenn fie einmal erfahren und
" baiür verschaffen, daß Anna die Tochter an-
**d »»»ögticher Eltern sei und sich nur wegen

ihres Fehltrittes vorübergehend von ihrer Familie entfernt
habe, die, da Anna daS einzige Kind und von jeher sehr
geliebt worden sei, nicht anstehen werden, sich zu versöhnen.
Anna schreckte freilich anfangs von diesem Plan zurück,
da sie, wenn fie darauf eingmg, durch ihre Flucht mit ei-
nem Fremden ihren so guten Eltein eine neue Beleidigung
und große Unannehmlichkeiten zufüge. Zudem entsetzte fie
sich bei dem Gedanken, daß sie fick dann blindlings ganz
m die Nacht ihres Liebhabers und dem Wohlwollen frem-
der Leute hingebe. Allein alle diese Bedenken schwanden,
wenn die Angst vor Entdeckung und vor der Schande ihr
fast alle Besinnung raubte.
Unter dieser Folter und diesen Todesqualen wurde die
Gesundheit von Anna untergraben, die Eltern wurden be-
sorgt, bestürmten sie mit Fragen und wollten durchaus ei-
nen Arzt zu Hilfe rufen oder doch wenigstens bei dem Seel-
sorger sich Ratb erholen. Das aber fürchtete sie am aller-
meisten und bestimmte sie noch vollends, Wilhelm nachzugeben.
Nachdem einmal Anna keinen andern Weg mehr kannte,
als ihrem Wilhelm zu folgen, wurden nun auch die Mittel
berathen, um zu ihrem Ziele zu gelangen. Es war Spät-
jahr geworden und nun keine Zeit mehr, sich lange zu be-
sinn er. Wilhelm wußte, daß sein Meister in dieser Zeit
von seinen Kunden viele Rechnungen bezahlt erhalten und
daß er zudem von einem Kausschilling für ein Stück Wald,
welches er vorigen Jahres an einen Nachbarn abgetreten,
einen großen Termin bezogen, und daß all' Liefes Geld in
einem Kasten in der Schlafstube der Eltern aufbewahrt
wurde.
ES kostete ihn aber große Mühe, Anna zu diesem neuen
Vergehen zu bewegen; sie schauderte bei der Mittheilung
deS Gedanken-, ihren Eltern auch noch dieses Leid zuzu-
fügen, fie mußte sich aber zuletzt selbst gestehen, daß e»
ihnen ohne hinreichende Mittel nicht möglich sei, ihre Flucht
zu bewerkstelligen und aus'S Aeußerste getrieben, willigte
sie ein, ihre« Baler eine namhafte Summe zu entwenden.
Wilhelm suchte fie damit einigermaßen zu beruhige», daß
ja, da Anna daS einzige Kind sei, dieses Gelb doch dereinst

ihr gehören werde. Um sich des Geldes bemächtigen zu
können, ersann Wilhelm folgende List.
In wenigen Tagen war Michaelis und dieser der
Namenstag des Meisters, an welchem ihm alle seine Be-
kannten und Freunde und selbst einige Patres aus dem
Kloster zu gratuliren pflegten. Unter dem Vorwand nun,
die Schlafstube des Vaters auf diesen Besuch zu reinigen
und stattlicher herzurichten, sollte derselbe während eines
Tages in die anstoßende Stube gebracht werden, denn da
er noch immer das Bett hüten mußte, so mußte man ihn
dorthin tragen, und war er einmal in jene Stube gebracht,
so konnte er daS Bett nicht verlassen. Während Anna die
Schlafstube aufräumte und den Boden reinigte, sollte sie,
die recht gut wußte, daß der Schlüssel zu dem Kasten auf
der Rückseite desselben an einem Nagel aufgchängt war,
aus dem Verschluß eine hinreichende Summe herauSnehmen,
einen kleineren Betrag aber an dem gewöhnlichen Platze
zum Hausgebräuche siegen lassen.
In der darauf unmittelbar folgenden Nacht, sobald
die Eltern eingeschlafen wären, sollte dann die Flucht aus-
aesührt werden. Zu diesem Behuse wurden dann auch alle
die Gegenstände, welche den Beiden zu ihrer Flucht er-
forderlich waren, in Bündel gepackt und außerhalb des
Hauser versteckt.
Nur mit Aufwendung alles Scharfsinnes und nur
durch die Hinweisung auf die Gefahren der Entdeckung
ihres Zustandes konnte Anna dazu bewogen «erden, daS
Geld zu entwenden. Meine Mutter bemerkte mir, daß, als
fie im Begriff war, das Geld in dem Kasten zu holen, es
ihr vorgekommen sei, als wenn eine unsichtbare Hand fie
zurückgezogen, und daß fie vor Schrecken nicht zur Aus-
führung gekommen wäre, wenn nicht Wilhelm vor dem
Fenster der Schlafstube gestanden wäre und ihr mit heftigen
Geberden Muth erugeflößt hätte. Sie habe dann mehrere
gefüllte lederne Geldbeutel ergriffen und ihrem Geliebten
durch daS Fenster gereicht, der daS Geld sofort versteckte.
(Fortsetzung folgt.)
 
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