Pfälzer Wksblatt
K. 89^
Edition
> elberg.
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
Gebr. Huber in Heid
Lwtngrrstraße 7.
Ausland.
* Wie«, 20. April. Heute fand die Beeidigung
Dr. LuegerL' S im Festsaale des RathhauseS unter
großem Gepränge statt. Genossenschaften, Turner-
und Feuerwchrvereine zogen mit Fahnen auf. Der
Bürgermeister Lueger erflehte den Beistand Gottes.
Seine Wahl sei ein erfreuliches Zeichen der christ-
lichen Gesinnung der Bevölkerung. Er sei ein Deut-
scher und halte trm zur Nation. Nie dürfe der na-
tionale Kampf einseitige Voriheile verfolgen und so
ousarten, wie es geschehen ist, wodurch den Deutschen
Für die Monate
Mai und Juni
*rhmeu jetzt schon alle Postämter Bestellungen auf
täglich erscheinende Zeitung
.PMzer Bottsblatt"
(vit der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntags«
^te",) sowie unsere Expedition Heidelberg
8t»ivgerstraße 7 entgegen.
Expedition des „Pfälzer Vslksblatt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.
Dr. v. Delbrück,
ehemalige ReichSkanzleramtS-Präsidevt, im vorigen
^ohre geadelt durch Verleihung des Schwarzcn Adler-
^dkus, vollendete am 17. dS, wie wir in der gestri-
An Nummer bereits mittheilten, in Berlin das 80.
Abens jahr. Aus diesem Anlaß gedenken die liberalen
Zeitungen seiner langen amtlichen Thätigkeit, die 1837
Aüaun und bis zum Mai 1876 dauerte, und inSbe-
wvdere seiner „Verdienste- um die Einführung der
sreiziigigkrit, der Gewrrbefreiheit und deS Freihandels.
Akrin wir die Verdienste in Gänsefüßchen setzen, so
wollen wir damit keineswegs bestreiten, daß die Zu-
bünde auf g» werblichem und wirthschaftlichem Gebiete,
welche Delbrück in den Staaten des Norddeutschen
Fundes vorfand, verbtsserungSbedürftig waren, wir
weinen nur, daß Delbrück mit seinen Reformen zu
Aical vorgegangeu ist, oder, wie man zu sagen
Mgt, das Kind mit dem Bade auSgeschüttet hat.
A Zeitströwung begünstigte die Niederreißung oller
Franken, welche dem wirrhschaftlichen Wettbewerb
w Inland« und des Auslandes mit dem Jnlande
?Mgenstandrn; ober >he ein Jahrzehnt verging,
swach sich sowohl im Groß- wie im Kleingewerbe
wirirr mehr die Ueberzeugur g Bahn, daß Deutschland
Artige radicale Euren nicht vertragen könne, ohne
Östlichen Schaden an seiner volkswirthschaftlichen
^sundhnt zu nehmen.
Dieser Umschwung der Verhältnisse veranlaßte
«k rück, seine Entlassung zu nehmen, nachdem er sich
^Augt hatte, daß auch Fürst BiSmarck von der
-
Bereitwillig ging Herr v. Neudingen, den Arzt zu
holen. Es war ihm ganz lieb, cincn Vorwand zu haben,
das Haus zu v.rlassen.
Der Arzt kam. Es gelang ihm, die Kranke aus ihrer
Ohnmacht zu erwecken und die Gefahr für den Augenblick
abzuwenden.
Mit der Besferung wollte es aber nicht vorangehen.
Die Baronin hatte eine geistige Erschütterung erlitten, die
vechänanißvoll werden mußte. An manchen Tagen der-
mochte sie dos Bett nicht zu verlassen. Allerdings kamen
auch Augenblicke, in denen sie aufzuleben schien. Ihre
Stimme klang dann kräftiger, die Augen gewannen etwas
von ihrem alten Glanze wieder. Sobald aber der Baron
erschien mit seinem dröhnenden Schritte, seiner rauhen
Stimme, schwand sofort jede Spur von Besserung. Bei fei-
nem Anblick zuckte die zarte Frau zusammen, wie von ei-
nem plötzlichen Schmerze getroffen. Wenn sie sich auch zu
überwinden und den Eintretenden freundlich zu begrüßen
versuchte, so trug gerade diese Anstrengung nur zur Ver-
schlimmerung ihres Zustandes bei. Sie vermochte nicht,
über den Eindruck hmwegzukommen, der ihr von jener
schrecklichen Stunde verblieben war-
Der Arzt kam täglich, und immer bedenklicher wurde
seine Miene. Wenn es nur Mittel und Wege gäbe, den
Monn zu entfernen, dachte er oft; dies arme Leben lönnts
dadurch vielleicht um Wochen, um Monate verlängert
werden. Was ihn hier nur festhalten mag? Liebe zu den
Seinen getwß nicht- Soll ich ihm zur Abreise rathen? Dos
würde e, fvlglos bleiben. Gott allein kann da helfen!
Eines Tages, als er die Kranke besuchte, drängte sich
ihm von Neuem die Ueberzeugung auf, daß sie rasch dem
Grabe sich nähere.
Anna, welche die Züge des Arztes bei jedem Besuche
mit gespannter Aufmerksamkeit studirte, mochte etwas von
dem, was in ihm vorging, aus seinem Gesichte lesen. Sie
folgte ihm hinaus und hielt ihn aus dem Hausgange fest.
„Sie finden eine Verschlimmerung im Zustande der Mut-
ter ?" begann sie sofort. „Bitte, Herr Doktor, beantworten
Sie die Frage ganz aufrichtig.- Sie stand vor ihm, die
mit NnSnnbnii- der Sonn- u Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Oman für «MM, Fräßest L KM.
Heidelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch »
die Post bezogen Viertels, 1,60 franco._ Expedition^Zwingerftratze 7.
heit und eine erstaunliche Arbeitskraft. DaS BundeS-
und Reichskanzleramt umfaßte eine Reihe von Ver-
waltungen, die inzwischen besondere Reichsämter ge-
worden sind und von verschiedenen Staatssekretären
geleitet werden. — Delbrück besorgte damals so gut
wie alles allein. Er konnte das aber auch nur durch
die gewissenhafteste Zeiteintheilung und durch die
Fernhaltung alles Formelwesens; jede Anrede der
vortragenden Räthe hatte er sich verbeten, jeder mußte
unter Vermeidung aller Redensarten sofort auf den
Kern der Sache kommen, alles Schriftliche, das ihm
vvrgüegt wurde, mußte aufs knappste abgefaßt sein,
ohne Excrllenz, hochgeneigtest, ganz ergebenst, u. was
cs sonst für Kanzleiblüthen gibt. In diesem Punkte
war Delbrück das Gegentheil von einem Bureaukraten.
Er war ein wirklich überzeugter Freihändler, und er
ist es wohl auch heute noch. Zur besonderen Ehre
gereicht ihm, daß er keine Anstalten mach e, im Amte
zu bleiben auf Kosten seiner wirthschaftlichen Ueber-
zeugung, sondern alsbald seinen Abschied nahm. Diesen
Radikalismus der That lassen wir uns gefallen._
Hände fest in einander gepreßt, sichtlich bemüht, ruhig zu
erscheinen, trotz der Aufregung, in der sie sich befand.
Der Arzt, dem dies nicht entging, antwortete aus-
weichend: „Ich wünschte allerdings, die Kräfte könnten sich
rascher heben. Bei der zarten Natur Ihrer Mutter wäre
es durchaus nothwendtg, ihr jede Gemüthsbewegung fern
zu halten."
Sie sah zu ihm auf und seufzte: „Sie meinen wohl,"
bcmerkte sie nach kurzem Nachsinnen, „daß ... daß die
Mutter ruhiger im Gemüth sein könnte, wenn . . "sie
stockte unwillkürlich. „Sie meinen, wenn der Vater nicht
Ein Arzt ist den Anblick vielen Elendes, vielen Kum-
mers gewöhnt; dennoch berührte cS Doktor Heimburg
schmerzlich, als das junge Geschöpf an ihn diese Frage
stellte. Was mußte sie gelitten, war mußte sie durchgemacht
haben, um zu dieser Erkenntniß zu kommen? Umsonst
suchte er nach einer Passenden Antwort.
. «Nehmen Sie keinen Anstoß an meiner Frage,- be-
gann Anna sehr trau.ig. „DaS Leben hat mir so viel Bit-
terkeit gebracht, daß ich anders, bin ter geworden bin, als
Mädchen meines Alters cs wohl sind. Sagen Sie mir dir
Wahrheit, rückhaltslos, als handele eS sich um einen Frem-
den, nicht um den eigenen Vater." S:e hatte sich hart ge-
nannt, und doch war in diesem Augenblick keine Spur von
Härt- auf ihrem Gesicht zu entdecken. Sie war das Bild
selbstloser Hingebung, als sie, ausschließlich von Sorge um
die kranke Mutter erfüllt, vor dem Doktor stand, Thränen
in den Auren, die L ppen bebend vor unterdrücktem Weh.
Der alte Herr war tief bewegt, als er' antwortete:
„Nun denn, ja l Ich glaube, wäre Ihre Mutter allein mit
Ihnen, ihre Kräfte würden sich heben; jedenfalls würde
ihr Gemütszustand sich entschieden bcff.rn."
„Ist sie . . . ist sie denn überhaupt noch zu retten?"
fragte nach kurzem Schweigen Anna weiter, indem sie die
Augen fest auf den Arzt geheftet hielt.
Wieder verstummte dieser. Wie schwer erschien ihm m
diesem Augenblick sein Berus!
(Fortsetzung folgt-)
Leidvoll und freudvoll. AL
Novelle von L- v- Neidegg.
«w sprang auf und suchte zu entfli-hen; er ergriff sie
und riß sie mit solcher Gewalt zurück, daß ihr
jckustäauchclte und sie zu Boden fiel. Unwillkürlich ent-
tzsMte ihr ein Schrei. Der Gedanke, man könne herbei-
brachte den vor Wuth halb wahufinnigcn Mann
, neuvr um alle Besinnung. Er warf sich auf seine Toch-
die' seiner sehnigcn Hän-e legte sich ihr auf den Mund,
° Vdere schnürte ihr die Kehle zu-
st»» -^mselben Augenblick ging die Tbüre auf. Lang-
ß„.!.Usterbleich erschien die Baronin auf der Schwelle;
Hi.! blickten die weil g< öffneten Augen. „Willst Du Dein
w?°rben?" kam cs über die blutleeren Lippen.
Re -Mötzlich ernüchtert, prallte der Baron zurück und ließ
slr Achter los, die rasch aussprang und zur Thüre eilte;
gerade früh genug, um die Mutter in ihren Armen
tzUMaen und zu halten, bis der Vater ihr die Ohn-
ml?* "us baS Bett tragen half.
ter AU"" war turchglüht von Entrüstung gegen den Va-
p>enn cs nur Gottes heiliger Wille wäre, daß die
Äw ttst abberuien würde, auf den Knieen würde ich
kn für diese Gnade! so dachte sie in wild auf-
tzor."bkM, maßlosem Schmerze. Befreit wäre sie von allen
Rsr-j?' besreit von der Bürde, die sie zu Boden drückte,
hi« „ HM Anblick ihres — unseres Peinigers I N mm sie
'^.Gvtt! nimm sie hin I Und nimm auch mich I
Heid, i^kideuschastliche Klage blieb unerhört. Sie sollten
. noch weiter tragen.
Hütt, Mbem Anna lange vergeblich alle Mittel angewandt
Rei-'M. die Bewußtlose iu'S Leben zurückzurufen, schlug
litz j^dlich die Augen auf. Ihr Blick begegnete dem Ant-
üalt- Mannes, ein Schauder durchflog dir zarte Ge>
icka Kranke kehrte sogleich ihr Gesicht der Wand zu
bie Äugen- Die unwillkürliche Regung deS Ab-
Anna nicht entgangen-
Mo» "E, Vater, hole Doktor Heimburg," sagte sie zum
«Uftlliiu c-^us ist t in gewöhnlicher O^nmachtsanfall; der
°nd Mutter scheint mir bedenklich."
Deutsches Reich.
* Berlin, 20. April. Staatssekretär v. Mar-
schall hatte heute vor der Abreise des Kaisers
Audienz.
* Berlin, 20. April. Der gestern hier abgehal-
tene zweite deutsch-nationale (antisemitische) Handlungs-
gehilfentag beschloß eine Resolution, betr.die Abänderung
des Handelsgesetzbuches an den Bundesrath, worin
die Beseitigung der Frauenarbeit im Handelsgewerbe
uud die Ausdehnung des Befähigungsnachweises auf
daS Handels gewerbe verlangt wird. Anwesend waren
etwa 50 Delegirte, die nach Angabe deS Vorsitzenden
185 Städte vertreten. Gegner (Sozialdemokraten u.
Freisinnige) blieben den Verhandlungen fern.
HMberg, WmerDg, den 22. Ml IM.
Seite der Freihändler abzurücken im Begriff stand.
1879 wurde die vollständige Umkehr zur Schutzzoll-
politik vollzogen. Als der Zolltarif damals dem
Reichstage vor gelegt wurde, versprach sich die national-
liberale und die Fortschrittspartei noch Wunderdinge
von Delbrück, der das Mandat für Jena angenommen
hatte. Delbrück war denn auch der erste Redner, der
von der Linken gegen den Zolltarif vorgeschickt wurde,
aber er fiel vollständig ab und enttäuschte seine man-
chesterlichen Gesinnungsgenossen im größten Maßstabe.
Er war nie ein leidenschaftlicher Redner, im Gegen-
theil, er sprach tonlos und stets so nüchtern sachlich,
daß er im Parlomrnt, auch vom BundeSrathStische
her, niemals eine größere Wirkung erzielte. Später
trat er kaum noch hervor, und nach Ablauf der Le-
gislaturperiode bewarb er sich um kein neues Mandat,
sondern zog sich vom politischen Leben ganz zurück.
Einen ähnlichen Mißerfolg wie Delbrück hatte unseres
Wissens von allen ehemaligen Minister Parlamentariern
nur noch Falk, als dieser ebenfalls in die Reihen der
Nationalliberalcu hinabstieg, um die Culturkampfgesetz-
geburg dcr sieberziger Jahre zu retten.
Sie waren beide Träger verkehrter Systeme und
schieden rühmlos aus dem politischen Leben. Windt-
horst stieg erst zur Höhe empor, als er dm Minister-
rock auSgezogcn hatte, und errang sich sogar eine
beherrschende Stillung im Reichstage, Delbrück und
Falk waren politisch todte Männer, sobald sie die
amtliche Macht für ihre Gedanken nicht mehr einsetzen
konnten. Im übrigen hatte Delbrück mit Falk nicht-
gemein ; ersterer war zweifellos die gewinnendere Per-
sönlichkeit im Parlament, von Gestalt ist er so klein,
wie Windthorst war, seine Rcden entbehrten aber zum
Unterschied von denen des CentrumSführerS jeden
Schwunges und jede« Humors, und der Reichstag
kam höchstens ein Mal zum Lachen, wenn Delbrück
bei der Anrede eines Abgeordneten entgleiste. Delbrück
nannte die Abgeordneten nur mit ihren Mandatsnamen,
nicht mit ihrnr persönlichen, urd so widerfuhr ihm
denn wiederholt das Mißgeschick, daß er den „Abge-
ordneten für Meppen- kurzweg den Abgeordneten
„Mi ppen" nannte. Zu den äußerlichen Besonder-
heiten des Reich! kanzleramtSPräsidenten gehörte es
auch, daß er immer gelbe Hosen trug, er war ohne
diese Farbe nach unten hin eigentlich gar nicht zu
denken, und er wird derselben wohl auch treu geblie-
ben sein.
An dem Abschluß der Bündnißverträge mit den
süddeutschen Staaten war cr hervorragend betheiligt,
er besaß überhaupt eine große geschäftliche Gewandt-
K. 89^
Edition
> elberg.
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
Gebr. Huber in Heid
Lwtngrrstraße 7.
Ausland.
* Wie«, 20. April. Heute fand die Beeidigung
Dr. LuegerL' S im Festsaale des RathhauseS unter
großem Gepränge statt. Genossenschaften, Turner-
und Feuerwchrvereine zogen mit Fahnen auf. Der
Bürgermeister Lueger erflehte den Beistand Gottes.
Seine Wahl sei ein erfreuliches Zeichen der christ-
lichen Gesinnung der Bevölkerung. Er sei ein Deut-
scher und halte trm zur Nation. Nie dürfe der na-
tionale Kampf einseitige Voriheile verfolgen und so
ousarten, wie es geschehen ist, wodurch den Deutschen
Für die Monate
Mai und Juni
*rhmeu jetzt schon alle Postämter Bestellungen auf
täglich erscheinende Zeitung
.PMzer Bottsblatt"
(vit der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntags«
^te",) sowie unsere Expedition Heidelberg
8t»ivgerstraße 7 entgegen.
Expedition des „Pfälzer Vslksblatt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.
Dr. v. Delbrück,
ehemalige ReichSkanzleramtS-Präsidevt, im vorigen
^ohre geadelt durch Verleihung des Schwarzcn Adler-
^dkus, vollendete am 17. dS, wie wir in der gestri-
An Nummer bereits mittheilten, in Berlin das 80.
Abens jahr. Aus diesem Anlaß gedenken die liberalen
Zeitungen seiner langen amtlichen Thätigkeit, die 1837
Aüaun und bis zum Mai 1876 dauerte, und inSbe-
wvdere seiner „Verdienste- um die Einführung der
sreiziigigkrit, der Gewrrbefreiheit und deS Freihandels.
Akrin wir die Verdienste in Gänsefüßchen setzen, so
wollen wir damit keineswegs bestreiten, daß die Zu-
bünde auf g» werblichem und wirthschaftlichem Gebiete,
welche Delbrück in den Staaten des Norddeutschen
Fundes vorfand, verbtsserungSbedürftig waren, wir
weinen nur, daß Delbrück mit seinen Reformen zu
Aical vorgegangeu ist, oder, wie man zu sagen
Mgt, das Kind mit dem Bade auSgeschüttet hat.
A Zeitströwung begünstigte die Niederreißung oller
Franken, welche dem wirrhschaftlichen Wettbewerb
w Inland« und des Auslandes mit dem Jnlande
?Mgenstandrn; ober >he ein Jahrzehnt verging,
swach sich sowohl im Groß- wie im Kleingewerbe
wirirr mehr die Ueberzeugur g Bahn, daß Deutschland
Artige radicale Euren nicht vertragen könne, ohne
Östlichen Schaden an seiner volkswirthschaftlichen
^sundhnt zu nehmen.
Dieser Umschwung der Verhältnisse veranlaßte
«k rück, seine Entlassung zu nehmen, nachdem er sich
^Augt hatte, daß auch Fürst BiSmarck von der
-
Bereitwillig ging Herr v. Neudingen, den Arzt zu
holen. Es war ihm ganz lieb, cincn Vorwand zu haben,
das Haus zu v.rlassen.
Der Arzt kam. Es gelang ihm, die Kranke aus ihrer
Ohnmacht zu erwecken und die Gefahr für den Augenblick
abzuwenden.
Mit der Besferung wollte es aber nicht vorangehen.
Die Baronin hatte eine geistige Erschütterung erlitten, die
vechänanißvoll werden mußte. An manchen Tagen der-
mochte sie dos Bett nicht zu verlassen. Allerdings kamen
auch Augenblicke, in denen sie aufzuleben schien. Ihre
Stimme klang dann kräftiger, die Augen gewannen etwas
von ihrem alten Glanze wieder. Sobald aber der Baron
erschien mit seinem dröhnenden Schritte, seiner rauhen
Stimme, schwand sofort jede Spur von Besserung. Bei fei-
nem Anblick zuckte die zarte Frau zusammen, wie von ei-
nem plötzlichen Schmerze getroffen. Wenn sie sich auch zu
überwinden und den Eintretenden freundlich zu begrüßen
versuchte, so trug gerade diese Anstrengung nur zur Ver-
schlimmerung ihres Zustandes bei. Sie vermochte nicht,
über den Eindruck hmwegzukommen, der ihr von jener
schrecklichen Stunde verblieben war-
Der Arzt kam täglich, und immer bedenklicher wurde
seine Miene. Wenn es nur Mittel und Wege gäbe, den
Monn zu entfernen, dachte er oft; dies arme Leben lönnts
dadurch vielleicht um Wochen, um Monate verlängert
werden. Was ihn hier nur festhalten mag? Liebe zu den
Seinen getwß nicht- Soll ich ihm zur Abreise rathen? Dos
würde e, fvlglos bleiben. Gott allein kann da helfen!
Eines Tages, als er die Kranke besuchte, drängte sich
ihm von Neuem die Ueberzeugung auf, daß sie rasch dem
Grabe sich nähere.
Anna, welche die Züge des Arztes bei jedem Besuche
mit gespannter Aufmerksamkeit studirte, mochte etwas von
dem, was in ihm vorging, aus seinem Gesichte lesen. Sie
folgte ihm hinaus und hielt ihn aus dem Hausgange fest.
„Sie finden eine Verschlimmerung im Zustande der Mut-
ter ?" begann sie sofort. „Bitte, Herr Doktor, beantworten
Sie die Frage ganz aufrichtig.- Sie stand vor ihm, die
mit NnSnnbnii- der Sonn- u Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Oman für «MM, Fräßest L KM.
Heidelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch »
die Post bezogen Viertels, 1,60 franco._ Expedition^Zwingerftratze 7.
heit und eine erstaunliche Arbeitskraft. DaS BundeS-
und Reichskanzleramt umfaßte eine Reihe von Ver-
waltungen, die inzwischen besondere Reichsämter ge-
worden sind und von verschiedenen Staatssekretären
geleitet werden. — Delbrück besorgte damals so gut
wie alles allein. Er konnte das aber auch nur durch
die gewissenhafteste Zeiteintheilung und durch die
Fernhaltung alles Formelwesens; jede Anrede der
vortragenden Räthe hatte er sich verbeten, jeder mußte
unter Vermeidung aller Redensarten sofort auf den
Kern der Sache kommen, alles Schriftliche, das ihm
vvrgüegt wurde, mußte aufs knappste abgefaßt sein,
ohne Excrllenz, hochgeneigtest, ganz ergebenst, u. was
cs sonst für Kanzleiblüthen gibt. In diesem Punkte
war Delbrück das Gegentheil von einem Bureaukraten.
Er war ein wirklich überzeugter Freihändler, und er
ist es wohl auch heute noch. Zur besonderen Ehre
gereicht ihm, daß er keine Anstalten mach e, im Amte
zu bleiben auf Kosten seiner wirthschaftlichen Ueber-
zeugung, sondern alsbald seinen Abschied nahm. Diesen
Radikalismus der That lassen wir uns gefallen._
Hände fest in einander gepreßt, sichtlich bemüht, ruhig zu
erscheinen, trotz der Aufregung, in der sie sich befand.
Der Arzt, dem dies nicht entging, antwortete aus-
weichend: „Ich wünschte allerdings, die Kräfte könnten sich
rascher heben. Bei der zarten Natur Ihrer Mutter wäre
es durchaus nothwendtg, ihr jede Gemüthsbewegung fern
zu halten."
Sie sah zu ihm auf und seufzte: „Sie meinen wohl,"
bcmerkte sie nach kurzem Nachsinnen, „daß ... daß die
Mutter ruhiger im Gemüth sein könnte, wenn . . "sie
stockte unwillkürlich. „Sie meinen, wenn der Vater nicht
Ein Arzt ist den Anblick vielen Elendes, vielen Kum-
mers gewöhnt; dennoch berührte cS Doktor Heimburg
schmerzlich, als das junge Geschöpf an ihn diese Frage
stellte. Was mußte sie gelitten, war mußte sie durchgemacht
haben, um zu dieser Erkenntniß zu kommen? Umsonst
suchte er nach einer Passenden Antwort.
. «Nehmen Sie keinen Anstoß an meiner Frage,- be-
gann Anna sehr trau.ig. „DaS Leben hat mir so viel Bit-
terkeit gebracht, daß ich anders, bin ter geworden bin, als
Mädchen meines Alters cs wohl sind. Sagen Sie mir dir
Wahrheit, rückhaltslos, als handele eS sich um einen Frem-
den, nicht um den eigenen Vater." S:e hatte sich hart ge-
nannt, und doch war in diesem Augenblick keine Spur von
Härt- auf ihrem Gesicht zu entdecken. Sie war das Bild
selbstloser Hingebung, als sie, ausschließlich von Sorge um
die kranke Mutter erfüllt, vor dem Doktor stand, Thränen
in den Auren, die L ppen bebend vor unterdrücktem Weh.
Der alte Herr war tief bewegt, als er' antwortete:
„Nun denn, ja l Ich glaube, wäre Ihre Mutter allein mit
Ihnen, ihre Kräfte würden sich heben; jedenfalls würde
ihr Gemütszustand sich entschieden bcff.rn."
„Ist sie . . . ist sie denn überhaupt noch zu retten?"
fragte nach kurzem Schweigen Anna weiter, indem sie die
Augen fest auf den Arzt geheftet hielt.
Wieder verstummte dieser. Wie schwer erschien ihm m
diesem Augenblick sein Berus!
(Fortsetzung folgt-)
Leidvoll und freudvoll. AL
Novelle von L- v- Neidegg.
«w sprang auf und suchte zu entfli-hen; er ergriff sie
und riß sie mit solcher Gewalt zurück, daß ihr
jckustäauchclte und sie zu Boden fiel. Unwillkürlich ent-
tzsMte ihr ein Schrei. Der Gedanke, man könne herbei-
brachte den vor Wuth halb wahufinnigcn Mann
, neuvr um alle Besinnung. Er warf sich auf seine Toch-
die' seiner sehnigcn Hän-e legte sich ihr auf den Mund,
° Vdere schnürte ihr die Kehle zu-
st»» -^mselben Augenblick ging die Tbüre auf. Lang-
ß„.!.Usterbleich erschien die Baronin auf der Schwelle;
Hi.! blickten die weil g< öffneten Augen. „Willst Du Dein
w?°rben?" kam cs über die blutleeren Lippen.
Re -Mötzlich ernüchtert, prallte der Baron zurück und ließ
slr Achter los, die rasch aussprang und zur Thüre eilte;
gerade früh genug, um die Mutter in ihren Armen
tzUMaen und zu halten, bis der Vater ihr die Ohn-
ml?* "us baS Bett tragen half.
ter AU"" war turchglüht von Entrüstung gegen den Va-
p>enn cs nur Gottes heiliger Wille wäre, daß die
Äw ttst abberuien würde, auf den Knieen würde ich
kn für diese Gnade! so dachte sie in wild auf-
tzor."bkM, maßlosem Schmerze. Befreit wäre sie von allen
Rsr-j?' besreit von der Bürde, die sie zu Boden drückte,
hi« „ HM Anblick ihres — unseres Peinigers I N mm sie
'^.Gvtt! nimm sie hin I Und nimm auch mich I
Heid, i^kideuschastliche Klage blieb unerhört. Sie sollten
. noch weiter tragen.
Hütt, Mbem Anna lange vergeblich alle Mittel angewandt
Rei-'M. die Bewußtlose iu'S Leben zurückzurufen, schlug
litz j^dlich die Augen auf. Ihr Blick begegnete dem Ant-
üalt- Mannes, ein Schauder durchflog dir zarte Ge>
icka Kranke kehrte sogleich ihr Gesicht der Wand zu
bie Äugen- Die unwillkürliche Regung deS Ab-
Anna nicht entgangen-
Mo» "E, Vater, hole Doktor Heimburg," sagte sie zum
«Uftlliiu c-^us ist t in gewöhnlicher O^nmachtsanfall; der
°nd Mutter scheint mir bedenklich."
Deutsches Reich.
* Berlin, 20. April. Staatssekretär v. Mar-
schall hatte heute vor der Abreise des Kaisers
Audienz.
* Berlin, 20. April. Der gestern hier abgehal-
tene zweite deutsch-nationale (antisemitische) Handlungs-
gehilfentag beschloß eine Resolution, betr.die Abänderung
des Handelsgesetzbuches an den Bundesrath, worin
die Beseitigung der Frauenarbeit im Handelsgewerbe
uud die Ausdehnung des Befähigungsnachweises auf
daS Handels gewerbe verlangt wird. Anwesend waren
etwa 50 Delegirte, die nach Angabe deS Vorsitzenden
185 Städte vertreten. Gegner (Sozialdemokraten u.
Freisinnige) blieben den Verhandlungen fern.
HMberg, WmerDg, den 22. Ml IM.
Seite der Freihändler abzurücken im Begriff stand.
1879 wurde die vollständige Umkehr zur Schutzzoll-
politik vollzogen. Als der Zolltarif damals dem
Reichstage vor gelegt wurde, versprach sich die national-
liberale und die Fortschrittspartei noch Wunderdinge
von Delbrück, der das Mandat für Jena angenommen
hatte. Delbrück war denn auch der erste Redner, der
von der Linken gegen den Zolltarif vorgeschickt wurde,
aber er fiel vollständig ab und enttäuschte seine man-
chesterlichen Gesinnungsgenossen im größten Maßstabe.
Er war nie ein leidenschaftlicher Redner, im Gegen-
theil, er sprach tonlos und stets so nüchtern sachlich,
daß er im Parlomrnt, auch vom BundeSrathStische
her, niemals eine größere Wirkung erzielte. Später
trat er kaum noch hervor, und nach Ablauf der Le-
gislaturperiode bewarb er sich um kein neues Mandat,
sondern zog sich vom politischen Leben ganz zurück.
Einen ähnlichen Mißerfolg wie Delbrück hatte unseres
Wissens von allen ehemaligen Minister Parlamentariern
nur noch Falk, als dieser ebenfalls in die Reihen der
Nationalliberalcu hinabstieg, um die Culturkampfgesetz-
geburg dcr sieberziger Jahre zu retten.
Sie waren beide Träger verkehrter Systeme und
schieden rühmlos aus dem politischen Leben. Windt-
horst stieg erst zur Höhe empor, als er dm Minister-
rock auSgezogcn hatte, und errang sich sogar eine
beherrschende Stillung im Reichstage, Delbrück und
Falk waren politisch todte Männer, sobald sie die
amtliche Macht für ihre Gedanken nicht mehr einsetzen
konnten. Im übrigen hatte Delbrück mit Falk nicht-
gemein ; ersterer war zweifellos die gewinnendere Per-
sönlichkeit im Parlament, von Gestalt ist er so klein,
wie Windthorst war, seine Rcden entbehrten aber zum
Unterschied von denen des CentrumSführerS jeden
Schwunges und jede« Humors, und der Reichstag
kam höchstens ein Mal zum Lachen, wenn Delbrück
bei der Anrede eines Abgeordneten entgleiste. Delbrück
nannte die Abgeordneten nur mit ihren Mandatsnamen,
nicht mit ihrnr persönlichen, urd so widerfuhr ihm
denn wiederholt das Mißgeschick, daß er den „Abge-
ordneten für Meppen- kurzweg den Abgeordneten
„Mi ppen" nannte. Zu den äußerlichen Besonder-
heiten des Reich! kanzleramtSPräsidenten gehörte es
auch, daß er immer gelbe Hosen trug, er war ohne
diese Farbe nach unten hin eigentlich gar nicht zu
denken, und er wird derselben wohl auch treu geblie-
ben sein.
An dem Abschluß der Bündnißverträge mit den
süddeutschen Staaten war cr hervorragend betheiligt,
er besaß überhaupt eine große geschäftliche Gewandt-