Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

DOI issue:
Mai 1897
DOI article:
Nr. 110
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0455

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Pfcher Volksblatt

ja auch erklärlich ist, denn eine Partei, welche als
obersten Programmpunkt die Abschaffung der Monarchie
aufstellt, neigt und erziehst zu einer abfälligen Beur-
theilung alles dessen, waS überhaupt mit monarchi-
schen Begriffen zusammenhängt. Aber anderseits
muß man sagen, daß die Häufigkeit der Strafanträge
und die Strengen dasjenige Maß, welches im Inte-
resse der öffentlichen Ordnung geboten ist, nach all-
gemeinenem Empfindung weit überschreitet. In
Magdeburg ist ein Redakteur, welcher das massen-
weise Abfchießeo auf Hofjagden ein Gemetzel nannte,
zu neun Monate Gesängniß verurtheilt worden, ob-
wohl er den Namen der Kaisers mit keiner Silbe
erwähnte. Wohin soll eS mit einer solchen Recht-
sprechung kommen?
ES ist daher wohl begreiflich, daß die Sozial-
Demokraten vor allen andern Bestimmungen des Straf
gesetzbucheS die MajestätSbeleidigungS - Paragraphen
beseitigt sehen wollen, und über einen solchen Antrag hatte
am letzten Mittwoch der Reichstag zu verhandeln. Ein
„großer Tag" war erwartet worden, wie die überfüllten
Tribünen bewiese!', auf denen sich insbesondere das weib-
liche Element bemerkbar machte. Auch das Centrum
und dis Linke im Saale waren besser vertreten, als
an den letzten Tagen; aber am Bundesrachstisch
gähnende Leere! Der Zufall wollte es, daß in dem
Augenblick, als der Abg. Munckel nach manchen bei-
ßenden Späßen auf die glänzende Abwesenheit der Bun-
deSrathSherrn aufmerksam machte, der Staatssekretär
Nieberding eintrat, der dann zur weiteren Erheiterung
des HauseS rief: Ich bin ja da! Aber er war der
einzige von den Spitzen des BundeSrathes, und er
ging auch bald wieder. Dafür waren um so mehr
Gehn»Polizisten auf den Tribünen erschienen. Mit
Kennerblick hatte sie schon gleich bei Beginn der Sitz-
ung der Abg. Singer herausgefunden und das um-
sitzende Trübinen-Publikum vor ihnen gewarnt. Der
Präsident Frhr. v. Buol fügte hinzu, er werde die
Tribünen räumen lassen, wenn sie sich nicht ruhig
verhielten. Die Tribünen verharrten denn auch in
musterhafter Ruhe, das Publikum enthielt sich jeg-
licher Majestätsbeleiviguagen, und die Geheimpolizisten
bekamen nichts zu thun — an Beifalls- und Miß-
fallens-Aeuß-rungen dachten beide nicht mehr, wenn
sie so etwas vor hatten.
Der Abg. Bebel begründete den sozialdemokrati-
schen Antrag zunächst mit einer unheimlichen Majestät--
beleidigungSstatistik und ging dann zu Vergleichen
über zwischen der heutigen Zeit und der früheren
Praxis; dabei entwickelte er ein interessantes Plauder-

fen Hollerbrunn aufbrach. Die Luft war durch heftige Ge-
witter der vorhergehenden Tage abgckühlt, der Staub war
gelöscht, das Laub erfrischt; das Gras prangte im saftigen
Grün. Ueber dem allen wö bte sich ein wolkenloser Himmel,
und die Svene beschien eine Schaar froher Menschen.
Die Heiterkeit der Jugend war um so lebhafter, als
ihr für die nächsten Tage ein weiterer Genuß in Aussicht
gestellt war: der Geburtstag des Grafen Hollerbrunn stand
bevor. Seit seine Töchter erwachsen waren, wurde er stets
außerordentlich festlich begangen. Diese wollten nämlich
entdeckt haben, es gäbe für den Vater keine angenehmere
Art, ihn ru seiern. Dem Grafen war diese Entdeckung der
Mädchen ebenso neu als unerwartet gewesen; er war aber
eine nachgiebige, gutherzige Natur, und so hatte er sich
geduldig hineingefunden. Ungern versagte er Denin, die er
liebte, einen Wunsch; am wenigsten mochte er seinen Töch-
tern erster Ebe entgegentreten, damit nicht die Langeweile
sie dazu treibe, seimr kleinen Frau LaS Leben schwer zu
machen. Diesmal halten die Gräfinnen beschlossen, durch
einen Ball und ein großes Feuerwerk des Vaters Wiegen-
fest zu feiern. Der Graf hatte sich diesem Beschlüsse der
Jugend gefügt
Elisebeth hatte heute ihre marmorne Gelassenheit ab-
gestreift ; sie hatte sich vorgenommen, Tiefenbach zu bezau-
bern. Der Erregung an jenem Abend war ruhige Ueber-
legung gefolgt, der Gedanke hatte sich in ihr Bahn ge-
brochen, daß jener eine Blick, den sie aufgefangcn und dem
ihre Eifersucht so große Bedeutung beigelegt, nichts wei-
teres bedeutet hatte, als daß der Graf in der Gouvernante
eine alte Bekannte entdeckt habe. Sie lachte jetzt über die
Besorgnisse, mit denen sie sich gequält hatte; der Glaube
an die eigene Zauberkraft hatte sie zerstreut. Es war ja
gar nicht möglich, daß Liefenbach jenes blonde, verblüht
aussehende Geschöpf ihr vorziehen könne. Sie erinnerte sich
allerdings, gehört zu haben, daß er vor langen Jahren für
diese Anna geschwärmt habe. Wer beirathet denn aber seine
erste Liebe? Wer konnte überhaupt auch sagen, ob der
Graf damals ernstlich an Heirath gedacht? Jetzt, wo er
den Gegenstand seiner knabenhaften Neigung verblüht,
verarmt, um da» tägliche Brod dienend wiedergefuudru

talent, wenn auch in seinen Ausführungen manche
schiefe geschichtliche Auffassung mit unterlief. Da auch
die Kritik der verschiedenen Äußerungen deS Kaiser-
zu MajestätSbeleidigungSprozeffen geführt hat, so be-
kam man selbstverständlich eine ganze Blumenlese da-
von zu hören. Schließlich schnitt er „auf Grund von
Zeitungsberichten" das Thema von den „vaterlands-
losen Gesellen" an — aber da war er denn auch am
Ende angekommen, der Präsident erinnerte an die
Gepflogenheit des Hauses, die Person deS Kaiser-
nicht in die Berathung zu ziehen oder doch nur in
nicht verletzender Weise. Bebel hatte übrigens auch
schon genug gesagt, und wir meinen, auch das, waS
die Presse aus Anlaß jener Zeitungsnachricht sagte,
konnte im Allgemeinen genügen. Da- Eingreifen deS
Präsidenten war unter den gegebenen Umständen un-
vermeidlich; eS erfolgte gewissermaßen al- ein Ereig-
niß, auf daS sich dar ganze HauS, und nicht zuletzt
der Abg. Bebel selbst, mit Vorsicht eingerichtet har.
Der Antrag der Sozialdemokraten wurde von kei-
ner andern Partei unterstützt, dagegen ergab sich bis
auf die Conservativen Einmüthigkeit im ganzen Hause,
daß eine Aenderung der strafgesetzlichen Bestimmungen
unbedingt nothwendig sei. Der Abg. Lieber befür-
wortete, die Genehmigung des Justizministers zur
Vorbedingung für die Einleitung von Majestätsbe-
leidigungsprozessen zu machen, und in demselben Sinne
äußerten sich auch die Freisinnigen und die Anti-
semiten; die Nationalliberalen wollten mindesten- un-
terschieden wissen zwischen vertraulichen Aeußerungen
unter vier Augen oder in engerm Kreise und zwischen
öffentlichen Aeußerungen. Die Sozialdemokraten und
Freisinnigen drangen außerdem auf eine Aenderung
der Geschäftsordnung, um auch am Kaiser selbst Kritik
üben zu können, doch zeigte die Mehrheit des Reichs-
tags keine Neigung, auf diese Gedanken einzugehen.
Die Conservativen zeigten sich unzugänglich gegen
alles, sie wollen höchstens eine „Reform" dahin, daß
die Strafen wegen Majestätsbeleidigung noch ver-
schärft werden sollen. Diesen bezeichnenden Vorschlag
machte Herr v. Levetzow, der ehemalige Präsident der
Reichstags! Unter ihm wäre eine solche Berathung
wie die heutige überhaupt nicht möglich gewesen. Ist
somit der Antrag der Sozialdemokraten auch gefallen,
indem die Ueberweisung an eine Commission mit seyr
großer Mehrheit abgelehnt wurde, so ist doch dar
erfreuliche Ergebniß zu verzeichnen: daß die Uuhalt-
barkeit der Zustände auf diesem Gebiete der Straf-
rechtspflege mit überwältigender Mehrheit anerkannt
wurde.

W» Ünterhaltunasblatt „Der Sonntagsbote" für
Adelberg monatlich 50 H mit Trägerlohn, durch
?^ie Post bezogen viertelj. 1.60 franco.

Halle, wäre es Wahnsinn gewesen, anrunebmen, er könne
noch einen liefern Antheil für jene Person bewahrt habe».
Ihr, der stolzen Schönheit, mußte der Preis zufallen; vor
der Rivalin Augen würde sie sich mit ihm verloben, das
erst setzte ihrem Sieg die Krone auf!
Und Anna? Auch sie nahm Theil an der allgemeinen
Fröhlichkeit. Ihre Augen glänzten, ihren Mund umspielte
ein lieblicher Lächeln. Die Natur hatte sie mit einem hei-
tern Sinn begabt, und so viel Stürme auch ihr Leben
durchbraust hatten, gänzlich hatten sie denselben nicht zu
unterdrücken vermocht. Ihre feuerige Seele empfand zwar
Kummer wie Freude mit großer, zuweilen leidenschaftlicher
Heftigkeit; nie jedoch hatte jener sie ganz niederzuschmettern
verstanden, niemals auch hatte die — allerdings selten ge-
nossene — Freude sie übermüthig gemacht. Sie gehörte zu
jenen Menschen, welche durch thatkräftigen Willen sich au-
ihrem Leid herausarbctten- Die erste Bestürzung, in welche
die Begegnung mit Tiefenbach sie versetzt hatte, war nieder-
gekämpft. und der feste Entschluß, sich dadurch nicht aus
ihrer ruhigen Bahn drängen zu lassen, war an die Stelle
getreten Gott hatte sie bis jetzt so gut geleitet; getrost
wollte sie sich weiter seinem Schutze anvertrauen. Wie
manche Erleichterungen ihrer Lage hatte sie gefunden:
der Gräfin Wohlwollen, Martha's Zuneigung Ganz zu-
letzt war noch ein Umstand dazu gekommen, der sie froher
aufathmen ließ: sie hatte die Üeberzeugung gewonnen, Ro-
bert Tiefenbach würde Elisabeth nicht heirathen! Mochte
er noch so viel mit ihr sich unterhalten — Liebe lag dabei
nicht in seinen Blicken. So oft sie sich auch wiederholte,
ihre Liebe zu Robert fei erloschen — der Gedanke, ihn an
die kalte herzlose Cousine verheirathet zu sehen, war ihr
unerträglich. Sie schalt sich neidisch, daß sie ihn derselben
nicht zu gönnen vermochte; doch konnte sie die kleinliche
Regung nicht überwinden.
Doch zurück zu der Landpartie! Genau, wie man in
Ebersburg festgesetzt hatte, wurde da» Programm inne-
gehalten. Von dem bestimmten Punkte aus zogen die Ge-
ladenen unter Tiefenbach'S Führung in den Wald.
(Fortsetzung folgt.)

u. Inserate die 1°spaltige Petitzeile oder deren'Raum
Organ für Maürljeff, FMttt L KM.
Expedition: Zwinaerftratze 7.

Eknlrumspartei in Kaden.
Die Herren Vertrauensmänner der Centrums-
pkrtei werden hiermit zu einer
Delegirtenversammlung
Mittwoch, de« iS. Mai, Nachmittags 2 Uhr,
? das „Kath. VereiuShaus" in Freiburg
feindlich st eingeladen.
Gegenstände der Verhandlung sind: B richt über
Ae Parteikasse; Besprechung der politischen Lage;
^richte aus den einzelnen Wahlbezirken; Wahl der
^litralkomitüs; Verschiedenes.
Wir bitten um möglichst zahlreiche Betheiligung.
Namens des Lentral-Lcmütos:
Der Vorsitzende:
Wilh. Fischer, Abgeordneter.
Die Mazkstätsdeleidigungs-Prozesse
Haben sich in den letzten Jahren dermaßen gehäuft,
?°ß der Unkundige auf den Gedanken kommen könnte,
M deutsche Volk sei Willens, den Kaiser mitsammt
"'n übrigen Fürsten und den „freien" Bürgermeistern
S?Nt Lande hinaus zu beleidigen. Die Häufigkeit
Äser Prozesse ist aber kein Wunder, wenn man er-
- W, daß die Staatsanwälte die Pflicht haben, alle
irgendwie angreifbaren Aeußerungen über die Majestät
»Erichtlich zu verfolgen, und an Zuträgern solcher
?Eist unbedachter Aeußerungen fehlt eS nicht in einem
Ande, in dem daS Denuncianten- und Spitzelthum
schule machen konnte. Im ReichSstrafgesetzbuch ist
"'E Bestimmung nicht enthalten, daß zur Einleitung
MajestätSbeleidiguvgS-Prozessen die vorherige
Mimmung deS JustizmmisterS oder des StaatSmini-
?Eri„mr erforderlich ist, eine Bestimmung, die in
Ain partikularen Strafrecht einer Anzahl deutscher
Mndesstaaten vorgesehen war. Dazu kommt das
Astreben mancher junger staatSrettenden Staatsan-
Mir, durch eine peinliche Controlle der opposition-
An Zxsiungen das allgemeine Wohlverhalten zu
tbkderrr, wobei der dolus evoutuaüs ihnen bis dahin
Mahnte Dienste leistete. Nachgerade hat dieser
^'sEr sogar das sonst nicht empfindsame preußische
^iistizministerium in einen gelinden Schrecken versetz',
es ergingen Anweisungen zu einer besonnener»
Andhabung dieses gefährlichen juristischen Jnstru-
Aills. Die Sozial-Demokraten leiden unter dem
WestätsbeleidiaunaS-Varaaravben am meisten, WaS
Leidvoll und freudvoll.
Novelle von L. v. Neid egg.
r. »Ei, welche Sachkenntnis!" spottete die Gräfin, und
i,7. au ihre Stieftöchter wendend, fragte sie: „habt Ihr
i iUalz Gefallsucht an Fräulein Grashoff beobachtet?"
K Gern hätten die Mädchen die Frage bejaht; mit gutem
I-ivlssen vermochten sie es jedoch nicht. Sie liebten die
^ilesuiutter nicht; ihre Eifersucht auf sie war eine un-
,-ürenzte, von vornherein Ware» ihnen alle Jene verhaßt,
k«en sie ibre Gunst zuwandte. Aber dennoch steckte zu viel
ihres Vaters Ehrlichkeit in ihnen, als daß sie mit Be-
Vllein eine direkte Unwahrheit selbst über die mißliebige
"iwernante hätten sagen mögen.
- »Personen, die mir nicht angenehm find, sehe ich über-
fsM nicht an," sagte endlich Carry. „Auf Fräulein Gras
Ms Benebwen gebe ich nicht Acht- Elisabeth aber sagt,
^m<eine Erzkokette, und Elisabeth wird jedenfalls Recht
e, .»Elisabeth wundert sich überhaupt darüber, wie man
8° bei Martha behalten kann," unterstützte Lori die Schwe-
", Mit weislicher Umgehung der Hauptfrage.
, »Elisabeth ist sehr gütig, an Martha so regen Bntheil
U.Ushmkn," erklärte die Gräfin, deren Geduld endlich er-
„Ich als Mutter bin am meisten interejstrt,
I-i» Md in guten Händen zu wissen. Mir erscheint Fräu-
j??„Grasbvff als eine vortresfltche Erzieherin. Ich will sie
za,lls?n ausmerksom beobachten, das verspreche ich Euch.
ll sind hier an meiner Thüre. Gute Nacht, Kinder!"
»Und nun soll die arme Grashoff erst recht die Partie
^»machen!" sagte die Gräfin am andern Morgen ärger-
i^Mr Baronin Burkersdorf. „Elisabeth meint sonst gar,
jA ftkße mich ron ihr ins Bccksborn jagen. Vielleicht hätte
M. .E Erzieherin zu Lause gelassen ohne jenen Zwischen-
' letzt thue ich es ganz gewiß nicht."
9.
vielbesprochene Laudpartie kam zu Stande, und
h».;.'b>ürdiger Weise verfolgte das Mißgeschick, das Land-
Lei» * arizuhängen pflegt, dieselbe nicht. Kem ungünstige-
^Eu war zu bemerken, al» man vom Schlöffe deS Gra-

kl. 110.
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
Heidelberg, SmiM, dm 16. W1897.
Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber m Heidelberg,
Zwingerstraße 7.
1. Ichrg.
 
Annotationen