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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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September 1897
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Nr. 210
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0857

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Mtzer Volksblatt

Verantwortlicher Redakteur
Joseph Huber in Heidelberg.

Druck, Verb
Gebr. Huber
Zwingerkraße 7.

ziehen und agitatorische Reden hasten und auch nick t
einmal nach Berlin in den Reichstag reisen (Heiter-
keit), sondern er kann ganz gut ein treuer Hirte seiner
Gemeinde sein und sich doch um die soziale Frage
kümmern.
Wenn ich nun meinem Thema nähertrete, möchte
ich gleich von vornherein einen Jrrthum abschneiden.
Wenn ich sage, der Clerus hat das Recht und die
Pflicht, sich um die soziale Frage zu kümmern, so
meine ich dabei nicht die einzelne Persönlichkeit, da
würde ich mir keine Mühe geben, das zu beweisen,
daS versteht sich für jeden voruriheilsfreien Menschen
von selbst, sondern ich stelle meine Behauptung auf
für den Clerus als Stand, als den Lehr- u. Priester-
stand in der katholischen Kircbe. Da wende ich mich
gleich an die höchste Stelle. Ich denke mir, ich würde
unsern Heiligen Vater fragen: Heiligster Vater,
warum hast Du Deine große herrliche Arbeiter-Ency-
klika geschrieben? Hast Du das vielleicht geihan als
Privatperson, als Privatgelehrter? Meine Herren,
Leo XIll. würde gewiß sagen : „Nein, mein geliebter
Sohn, das habe ick gethan als Stellvertreter Jesu
Christi, daS habe ich wahrhaft gethan in meinem
Amte als Papst, das habe ich gethan als oberster
Hirte aller Gläubigen. Und, meine Herzen, wenn
wir einen Mann fragen könnten, dessen Geist, ich
denke es mir, in diesen Tagen unS unsichtbar um«
schwebt, wie er in seinem Leben den Generalversamm-
lungen der deutschen Katholiken nahe gestanden ist,
wenn ich den edlen Ketteler fragen könnte, warum
hast Du Deine großen socialen Gedanken gedacht, aus»
gesprochen und niedergeschrieben? Warum hast Du
Dein soziales Programm gerade den deutschen Katho«
likenverfamwlungen übergeben, warum hast Du iS
hinausgepredigt in das katholische Deutschland wie
eines große Prophezeihung der kommenden Dinge?
Hast Du daS gethan aus Privatliebhaberei oder
Humanität? So würde er mir sagen: „Ich habe
eS gethan als Bischof, als Apostel, als der von Gott
bestellten Lehrer meines Volker und als die Leuchte
meines Clerus. (Bravo!) Und, meine Herren, wenn
ich jene Priester fragen würde, die von den Katho«
likenversammlungen hniweggegcwgen in unsere Parla-
mente, die dort die socialen Gedanken praktisch aus-
gestaltet und verfochten und endlich zu leuchtendem
E> folge gebracht haben, jene Priester, die in schönen
Büchern uns und weite Kreise aufgeklärt haben über
die soziale Frage, — und leider sind auch da wieder
so ein paar gefährliche Jesuiten darunter, — (Heiter-
keit) —, jene Priester, die unermüdlich in Krbeiter-

H Klerus und sociale Frage.
des ?. Benno Auracher, gehalten
"idem Katholikentag zu Landshut.
bk^Edner wird mit lebhaftem, anhaltendem Beifall
i^Aansehnliche Versammlung! Ter Beifall, mit
di,» ""ch lupfangen, bringt mich eigentlich aus
"Pi, ehe ich anfange. (Heiterkeit.) Ich habe
" "ach dem Auftrage, der mir geworden ist, dar-
HvE"' daß der Klerus sick um die sociale Frage
Kaa ü" iE gehört, daß das mein Auf-
zx,"'N- und dennoch Hoden Sie opplaudirt, wie ich
bin. Darc uS schließe ich, daß Sie alle
"vi di s erzeugt sind, daß ich mit Fug u. Recht mich
NH Thema annehme, daß ich, Einer vom Kle-
sase'» § rim sociale Dinge kümmere; ich könnte also
di^' bie Versommluvg ist ohnedies überzeugt von
tvied.» S ich reden will, also kann ich umkehren und
U Sehen. (Heiterkeit.)
Knerrw ' w' H' 'ch *'be doch eigentlich ganz streng
luyg "ri, nicht bloS zu dieser umgrenzten Bersamm«
d,,,' EH bin mir der hohen Aufgabe bewußt, wir re-
an dieser Stätte vor dem ganzen katholischen
lhvlit!^ "b (Bravo I), und auch vor dem ganzen la-
Hleiii, Deutschland will ich cs aussprechen: der
"A d> dos Recht und hat die Pflicht, sich
Ihre»- l^iale Frage zu bekümmern. Warum, m. H,
djg .'ch diese Behauptung aus? Ist es nothwen-
ez F wir dos sogen? Ja, denn eS wird geleugnet,
bestntien, eS wird bezweifelt.
Eilläit ° Behar pturg leugnen einmal unsere
ibkrü,? offenen radikalen Gegner, md deren will ich
baß sie von ihrem Standpunkt aus nicht
^?schihabkn. Wem die Religion nur eine mensch-

ug u. Expedition
in Heidelberg,

LDetut tSakL mit Ausnahme der Sonn- u Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Gram für Kakckeit, Freiheit L KM.

WeldkU Mwch, dm 15. Minder 1897.
liche Sache ist, nur die Eifiudung einer mehr oder
minder aufgeregte Phantasie, — daß Der die Reli-
gion in daS stille Kämmerlein verweist u. dir Diener
der Religion höchstens in die Sacristei, das ist ganz
natürlich. Aber, m. H, wem die Religion eine That
Gottes, wem unser Glaube eine Offenbarung Gottes,
wem Christus der Herr der Sohn deS lebendigen
Gottes ist, für Den ist Christus der Mittelpunkt der
Geschichte, der Mittelpunkt der Wissenschaft, der Mit-
telpunkt des gesammten öffentlichen Lebens. (Bravo!)
Und wenn, m. H., Christus der Mittelpunkt des
öffemlichen Lebens ist, dann ist eS uicht zu verwun-
dern, daß die Diener Christi auch im öffentlichen Le-
brn erscheinen und ihr Gewicht auck mit ins öffent-
liche Leben hineinlegen. (Lebhafter Beifall.)
ES bestreiten meine Thesis Solche, die vielleicht
nicht gerade in allem unstre offenen Gegner sind; eS
wäre vielleicht manchmal sogar b'sser, sie würden mehr
als unsere offenen Gegner auftreteu. (Bravo!) Der
heil. Apostel Paulus würde Jene vielleicht „falsche
Brüder" nennen. Diese, m. H., nörgeln, tadeln, su-
chen Spaltungen herbeizusihren, da wo Vereinigen
nothwendig wäre. (Sehr richtig!) Sie suchen oft-
mals einen Keil hineinzutreiben gerade zwischen die
Priester, zwischen den Klerus und zwischen das Volk
Unter all den Spaltungen, die mau heutzutage ver-
sucht, ist vielleicht keine verhängnißvoller, als wenn
man das Laienthum loSreißt vom Klerus; daS mag
nun daS akademisch gebildete Laienthum sein, oder
es mag unser gutes schlichtes Landvolk sein. (Bravo!)
Endlich noch andere, die bezweifeln es, ob wir uns
wirklich nm so öffentliche Sachen kümmern sollen, wie
die sociale Frage ist. DaS sind vielleicht recht gut
gesinnte uns sehr, nahestrheude, aber allzu ängstliche
Seelen, die meinen, es könnte die stille geistliche
Wirksamkeit, die treue Pflichterfüllung in engem
Kreise Schaden leiden, durch die Beschäftigung mit
öffentlichen Fragen, sie meinen, eS könnte der heilige
Weihrouchduft, der an uns hängen soll, insicirt wer-
den durch daS Gestank der Fabrikschlote. Meine Her-
ren, Priester, die durch Gottes Ruf bestimmt sind, auf
Erden den armen Seelen zu Helsen, die müssen sich
oftmals besessen mit Seelen, die unappetitlicher an-
, zuschauen sind als etwa das rußige Gesicht eines
Fabrikarbeiters. (Lebhafter Beifall.) Und, meine
! Herren, die stille Wiiksamkeit leidet dadurch uicht
i Schaden. Einer, der mit der socialen Frage sich be-
t schästigt, muß deswegen nicht schon morgen seine
Pfarrei verlassen und nicht etwa Land auf Land ab

H Zur grfslligea Beachtung! A
H Auf das „Pfälzer V-lksvlatt" kann
U wriwähr ud hier in unserem ExPeditionS- M
N ^kale, Zwinger streße Nr. 7, auswärts bei M
H Elltt, Postämtern und Postboten abonnirt
Werden. M

Die einzige Tochter. BL
Schluß.
p"be ich ibn nicht gefragt. Aber waS er nicht
Me daß ich ihn nicht wieder nach Amsterdam in
M will Mwohnung und zu seiner Musik zurückkehren las-
- Das ,st «ne falsche Bescheidenheit, was meinst Du?"
Hube es auch, Onkel, um die Wahrheit zu ae-
Mter lch Will sehen, ob er dabei bleibt. Seine
M in „E'bt hier und geht zum Schloß, denn ihr Con-
Yen avV^L.urchi abgelaufen. Und da für die Fabrikmäd-
N«kr gesorgt ist, hat sie nichts zu thun, als zu
Hr virin„?rhaliuug zu musiziren, und was ich ferner von
orige. Du kannst nun ruhig nach Amsterdam gehen."
uem, Pap, wird mich nicht verlassen. Ist er nicht
"wo zu verwenden, Onkel?" - „Wozu?"
bekl-i^ Anfang könnte Herr Fritz die Organisten-
M Aiar-m ? Organist spielt gar falsch, und Frau-
'^Errie tz ko hat sich schon ost genug darüber geärgert,"
Pfarrer.
Adelbert, Du bist zu gut," wehrte Fritz ab.
^te ich schon längst."
Bl» Kllen die Leute sagen?"
daß „jsuu sie nicht schon genug gesagt hätten! Meinst
. Älei» Jeder weiß, in welcher Komödie das gnädige
s,-he Mx »AH erste Rolle gespielt hat? Aber es ist gut,
" kerbe» Ä^msterdam, wir werden wohl ohne ihn fer-
«m, nicht wahr, Margo?"
'a es nicht so ernst, Onkel, und dann haben
Mit. rU «nen neuen Organisten nöthig. Also es bleibt
"kt Nicht? .was Nicht nach Amsterdam zurück, besonders
nahende« Frühling, da es hier so prächtig ist."
.Di»» brauchen hier eine Haushälterin."
werde ich wohl versehen."
merlich«?..P?S Fräulein von Doornburg darf nur
wen UMßen als solche auftrete»."

„Fräulein Klipper also?"
„Sollte sie bereit sein?"
„Wie gerne, Onkel! Sie hatte schon früher fest darauf
gerechnet, und darum war sie an jenem Abend so verstimmt,
als Du auch so-"
„Dann ist Alles in Ordnung. Gehen Sie schon, Herr
Pfarrer ? Nehmen Sie doch das Diner mit uns ein, Margo
wird heute wohl dabei sein dürfen."
„Ja, aber dann muß ich erst das Eine und das Andere
in Ordnung bringen."
„Nach Ihrem Belieben. Ist Jemand da, Kathi?"
„Ja, Herr van Eiken ist eben angekommen und wollte
mit Ihnen sprechen."
„Ich komme, vielleicht habe» wir dann einen fünften
Mann zur Mahlzeit."
Marco war allein mit ihrem Vater. „Popa," fragte
sie schmeichelnd, „bist Du zufrieden und glücklich?"
„O, mein Kind!" rief er, sie umarmende „Ist es denn
wirklich wahr? Wer hätte das je denken können l"
„Ein neues Leben hebt für uns an "
„O, Margo, mein guter Engel, möge es lange so blei-
ben, nicht wahr ? Unsere Liebe wird Dir ja noch lange
genügen!"
„Wie meinst Du das, Papa? Mir däucht, Du bist viel
stiller, als früher, und mit Onkel ist es gerade umgekehrt!
Sag', was meinest Du?"
„Nichts, nichts, mein Kind I" Er dachte an die in Aus-
sicht gestellte Verlobung und drückte sie bewegt an sein Herz.

Vermischtes.
Wie es kam, daß im Augenblick der Abfahrt des fran-
zösischen Geschwaders von Kronstadt etwa hundert Matrose»
zurückblieben, welche inzwischen größtentheils durch Ver-
mittelung der russischen Polizei wieder aufgestöbert und mit
der Versicherung, daß sie keine Strafe zu gewärtigen hätte»,
au Bord des Dampfers Versailles heimgesandt worden sind,
wird heute nn Jour erzählt. Der Gewährsmann des hoch-
rothen Blattes, angeblich ein Seemann, wälzt alle Schuld
auf die „Erzbischöfe", d. h. auf die höheren Offiziere, die
dem gemeinen Mann nicht erlauben wollten, das Land des
Zaren zu betreten, wohl aus Furcht, sie könnten den Mu-
schrks gegenüber es an der gehörigen Distinctio» fehlen
lassen. Eines der drei Schiffe, der Surcouf, der am Quai
in St-Petersburg anlegte, wurde mit Einladungen russi-
scher Seeleute, Soldaten und Civilistcn förmlich überhäuft,
alle aber prallten an de» Starrsinn des Kommandanten
ab. Ein hoher russischer Offizier, der an Bord gekommen
war, um so Mann abzuholen, die mit seinem Regiment
fraternistren sollten, zog mit nur drei Bootsleuten ab Es
waren die einzigen Leute dieses Schiffes, die Urlaub batten
Jn.der Nacht vor der Abfahrt entschlüpften aber 93 Mann
von der 192 Köpfe starken Bemannung, um auf dem Lande
zu fraternistren. Auf den beiden andern Schiffen trua sich
ähnliches zu, und als die Anker gelichtet wurden fehlte»
wie erwähnt, Wohl hundert Mann, die dann in de» nach-
sten Tagen wieder gesucht werden mußten. Obwohl es sich
dabei um ein aller Welt bekanntes Faktum handelt und
obgleich der ofstciöse Telegraph semer Zeit ausdrücklich be-
nchtete, Kaiser Nikolaus habe Herrn Faure ersucht, den
Schuldigen die Strafe zu schenken, hat — einer St. Peters-
burger Meldung zufolge — die dortige französische Bot-
schaft sich doch verpflichtet geglaubt, die Nachricht vom Zu-
rückbleiben einer größeren Zahl von Seeleuten als voll-
kommen grundlos zu bezeichnen.
 
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