Melders, SdmtU dm 19. Kni 1897.
Verantwortlicher Redakteur
Joseph Huber in Heidelbe!rg.
Zum Abonnement auf
das HI Quartal
laden wir ergeben st ein. Das Pfälzer Vollsblatt
Kft auf dem Boden des CentrumS stehend, ist mit
Erfolg bestrebt, die politischen Fragen mit Ruhe und
Klarhe.t in frischer volkSthüwlicher Form zu behandeln,
den Interessen aller Stände gerecht zu werden, nament-
lich aber die berechtigten Forderungen drS Bauern-,
Handwerker- und Arbeiterstander hervorzuheben und
K Vertheidigen.
Grundsatz der redaktionellen Leitung des Pfälzer
Vvlkßblott ist kurze, kroppe, aber alles Wesentliche
^ringende Berichterstattung auf allen Gebieten, wo-
durch eine Reichhaltigkeit deS Inhalt S erzielt wird,
i tvie sie in keinem anderen Blatte gleichen Umfangs zu
Ariden ist.
In den nächsten Monaten stehen dieLandtags-
kahlen bevor. Im Monat August findet inLandS-
hut die deutsche Katholiken-Bersamm-
lung statt. Das Pfälzer VolkSdlalt wird über
! die Verhandlungen deS Katholikentages schnell und
Angehend berichten.
Für Unterhaltung und Belehrung sorge» zahlreiche
Feuilletons und das sonntägliche 8seitige Unterhaltung»-
dlatt der „So nn t a g Sb o te". Mit aller Sorgfalt
wird au» drm Pfälzer Volksblatt Jedwedes fern-
sehalten, wa» das jugendlicheGemüth verletzen
könnte. Deshalb eignet sich dar Pfälzer Volksblatt
ganz besonders zur täglichen Familienlektüre.
Inserate finden in Folge de» großen Leser-
kreiseS des Pfälzer Volksblatt größlmöglichste Ver-
breitung.
Probenummern stehen Jedermann in jeder
- wünschten Anzahl zur Verfügung.
Redaktion u. Verlag -eS
„Mälzer Mlksölatt".
Drs AUenIsk aus Felix F«»re
wird allgemein als der Anschlag eines Wahnwitzigen
ohne eigentlich politische Seite beurtheilt. Dasselbe
konnte, wie sich ,etzt herauSstellt, unmöglich gelingen.
Die kleine, mit Pulver gefüllte Röhre befand sich
in einer Entfernung von 27 Meter von der Mitte
der Straße, wo der Wage» Vorbeifohren mußte, und
die Explosion hätte in lewem Falle auf die Hälfte
dieser Entsernung wirken können. Vom Wagen auS
war nach dem Knalle der Explosion nur ein schwacher
Rauch zu sehen, der hinter den Zuschauern ausstieg,
die sich am Rande der Straße aufgestellt hatten.
Der Präsident ließ sich denn auch nicht aus der
Fassung bringen. Er ließ den Wagen langsamer fahren,
und Frau Faure begnügte sich mit der Erklärung des
Obersten Menetrez, daß man eine Rakete habe
steigen lassen. DaS größte Unglück war, daß die
Menge den Beheimpol zistrn Rostand, welcher in bür-
g-rlicher Kleidung steckte, da er sofort auf den Ort
der Explosion zulirf und die geplatzte Röhre aufhob,
für den Thäter hielt und mit Stöcken, Fußtritten
und Faustjchlägen derart b-arbeitete, daß er mit schweren
Wunden an Kopf, Hals und Brust in'- Spital ge-
bracht wurde, nachdem eS dem Municipal-Gardisten
gelungen war, ihn der Wuth der Menge zu entreißen.
Außer der geplatzte« Röhre wurden am Orte der
Thal auch ein Ta,chenmesser von alterthümlicher Form
und eine mit Schrot geladene altmodische Pistole ge-
funden, auf deren Handgriff die Worte Alsace-Lorraine,
Pologne, eingegraden waren. Daneben lag eine
zerr sseue Nummer der Autorite Cassagnac'S, deren
Papier offenbar zum Zustvpfen der Pulverröhre ge-
dient hatte. Die Autorite behauptet, das Attentat
sei von der Polizei arcangirt worden und die Mcnge
habe instiactiv richtig gebandelt, indem sie den Ge-
heimpolizisten lynchte. Rochefort ist, wie immer,
der gleichen Ansicht. Nach ihm wäre der Geheim-
polizist nicht im Stande gewesen, die geplatzte Röhre
sofort zu finden und hätte nicht den Muth gehabt,
sie in die Hand zu nehmen, wenn er nicht schon im
voraus von allem unterrichtet gewesen wäre. Die
Petite Republique, bei der eS ebenfalls Mode ist,
alle mißlungenen Attemate als bestellte Arbeit anzu-
sehen, hatte am Tage zuvor fast einen prophetischen
Blick gezeigt, indem sie in einem humoristischen Ar-
tikel schrieb: „Man beschäftigt sich sehr ernsthaft
auf der Polizei Präfektur mit der Organisation eines
Attentats aus Felix Faure, welches einer der CtouS
der Reise des Präsidenten nach Rußland sein wird." Der
Deutsches Reich.
* Berlin, 16. Juni. v. Tausch erhielt einen
sechswöchigen Erholungsurlaub. Von der Einleitung
eines DiScizltnar- oder andern gerichtlichen Verfahrens
gegen ihn ist bisher keine Rede.
* Potsdam, 16. Juni. DerKaiseristum8Uhr
Morgens zum Jubiläum des Leibregiments sowie zur
Grundsteinlegung des Kaiser-Wilhelms-Denkmals nach
Liegnitz abgereist.
* Liegnitz, 16. Juni. Um 2 ein Viertel Uhr
traf der Kaiser unter dem Geläute der Glocken u.
jubelnden Zurufen am Denkmalsplatze ein. Die
erste Compagnie des Jubelregiments als Ehcenkom-
pagnie präsentirte unter den Klängen des Pcäsentir-
Marsches. Der Kaiser ritt die Front ab und nahm
sodann in dem Kaiserzelte Platz. Nach kurzer An-
spräche deS Regierungspräsidenten Dr. v. H:y;r trat
der Kaiser an den Grundstein heran und führte
drei H^mmerschläge mit folgenden Worten: Den Heim-
... Inserate die 1-fpaltige Petitzeile oder deren Raum
ch^tunqsbla^ ElAW jül WPrw^mz/ige^
Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Lwingergraße 7.
Soleil knüpft an diese Prophezeiung an, um zu erklären,
daß er nicht an die Fabel der orzanisirten Attentate
glaube. Em merkwürdiges Zusammentreffen ist, daß
die Umgebung des Wasserfalles im Bois de Boulogne
nun schon zum vierten Mal der Schauplatz miß-
lungener Attentate auf hohe Persönlichkeiten war.
Hier schoß Beresowski im Jahre 1867 auf den Zaren
Alexander 11 Hier wurde zur Zeit deS BoulangismuS
auf den Präsidenten Cnrnot und am letzten 14. Juli
auf den Präsidenten Faure gefeuert. Es versteht
sich daher von selbst, daß die Polizei gerade diesen
Punkt besonders eifrig bewacht und die Attentäter hier
weniger als anderswo Aussichten haben, an ihr Ziel
zu gelangen. Einige Blätter melden auch, daß die
Inschrift „Hinrichtung von Felix Faure" neben der
Pistole gefunden worden sei. Der Figaro theilt die An-
sicht des Polizei Präfekten Lupine mit, der nicht an ein
Attentat glauben will, sondern nur da- Werk eines Ver-
rückten oder eines „Spaßvogels" annimmt. Alles schien
so combinirt, um niemanden wehe zu thun. Die
Explosion fand an einem abgelegenen Orte statt; sie
war sehr schwach, und die Pistole und daS Messer
waren mit theatralischer Ostentation niedergelegt
worden. Der erste Souverain, welcher den Präsi-
denten Faure zu seiner Rettung beglückwünschte,
war die- Mal weder der deutsche Kaiser noch der
Zar, sondern der König Umberto, welcher vor kurzer
Zeit einer ähnlichen, aber viel ernsthaftern Gefahr
entging.
pfcher Volksblatt
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. "
Heidelberg monatlich bv H mit Trägerlohn,
die Post bezogen viertel;, 1.60 franco.
53
ich einer bin, ohnehin kein Platz ist. So lange es Einem
gut geht, ist das Leben schön. Ist man aber am Grunde
des Geldbeutel- an gelangt, so ist'- aus mit aller Lebens-
freude — dann lieber fort, fort aus der Welt I"
„Aber Vater l Wenn Du in der That heimgerufen
würdest?" fagte Anna traurig, und in ihren Augen glänz
len Tbränen. „Bet Deiner schweren Krankheit ist eS wohl
möglich. Ist denn gar nicht-, wirklich gar nichts, waS Du
ungeschehen machen möchtest?"
„Ungeschehen möchte ich Vieles machen," antwortete er
mit dem alten Trotz. „Ich habe Vieles unNug r-nd un-
geschickt gemacht. Das Unglück war mir stet» auf der Ferse,
nie ist wir etwas nach Wunsch gegangen. Vieles würde ich
klüger machen, finge ich das Leben von v-rn an. Aber der
Pfaffe?" Er sann nach, seine Stirne zog sich in tief« Fal-
ten. „Wozu sollte der dienen?"
„Vaier," begann Anna wieder, „auch die liebe Mutter,
die wie eine Heilige lebte, hat sich vor ihrem Tode noch
ihrer Sünden angeklagt. Folge ihrem Beispiele! ES war
einer ihrer litzten Wünsche, Du möchtest das thun."
Ein weicherer Ausdruck trat in die Augeu des Kranken.
.Wünschte sie daS?" fragte er. .Zu was führen aber diese
Anklagen? Wa- gewesen, ist vorbei- Finge ich mit Selbst-
vorwürfen an, ich wüßte nicht, wo aufhvren; darum lasse
ich lieber alle solche Bedenken bei Seite."
„Vater I" sagte Anno flehend, und ergriff seine fluchten,
obg,magerten Hände- „Äaler! ich b-schwöre Dich, höre
auf «eine Bitte l Ich weiß, ich habe sehr ost gefehlt ge-
Pei-voU und freudvoll.
Novelle von L-v- Neidegg.
„Ich brauche ihn nicht. Seine Gegenwart, ist über-
flüssig, sie wäre mir lästig," antwortete der Baron mit lei-
ser Stimme, aber in ferner alten rohen Weise- „Lasse den
Schwozrock nicht zu mir, wenn er kommt "
„Vater I du weißt nicht, ob eS nicht bald dem Ende zu-
gehen mag. Der Tod sollte Niemand von uns unvorberei-
tet finden "
„Der Tod? Kommt also der Tod? Nun meinetwegen I
Ich gehe gern au- der Welt, in der für arme Teufel, wie
ich einer bin, - - - -
gen Dich. Ich habe es aber bereut, ich habe eS gut zu
machen gesucht nach Kräften. Freiwillig habe ich Schande
und Entehrung auf mich genommen, um Dich vor Verfol-
gung zu reiten; ich wollte, es solle Dir Zeit bleiben zur
Buße, zur Umkehr. Laß doch mein Opfer kein vergebliche»
gewesen sein I Gönne mir den Trost, zu denken: Deine
Seele sei gerettet, wenn Du hinüber gehst, und ich zurück-
bleibe."
Der Baron sah die Tochter mit weit geöffneten Augen
an, feine Brust hob und senkte sich. Da kam etwas wie
Reue über dies verhärlerte G^müth. „Nun ja!" stieß er
hervor. „Du hast viel für mich gethan. Wenn es Dir
Trost gewährt, zu wissen, daß ich manches bereue, so kann
ich Dir die Genugtbuung gönnen, es einzugestehen. Ich
bitte Dich, mir zu verzeihen."
„Nicht mich ... nicht mich, Vater! Mir bist Du nicht-
schuldig ; wohl aber Gott, der für Deine, für unser Aller
Sünden gestorben ist, — Gott, der ein zerknirschtes Herz
niemals verschmäht. Vor dem klage Dich an I . . . Vater,
nebenan höre ich den Geistlichen- Darf er hereinkommen?"
Im Auge des Kranken schimmerte eine Thräne; er
nickte bejahend- Eilig ging Anna hinaus; an ihrer Stelle
trat der Pfarrer herein, derselbe Priester, der auch ihre
Mutter zum Tode vorbereitet hatte. Sünder und Beichtvater
blichen allein.
In späteren Jahren wiederholte sich Anna öfter, daß
von allen Gnaden, die Gott ihr erwiesen, die größte gewe-
sen sei, daß er sie die rasche Entschlossenheit hatte finden
lassen, jenen lebten Lichtblick ihres Vaters zu seinem Heile
aurzunutzen. Auf den Augenblick der Klarheit war eine
lange Bewußtlosigkeit gefolgt, die bis zum Tode des Kranken
nur von heftigen Delirien unterbrochen, andauerte. AIS der
Morgen des folgenden Tages zu grauen begann, hatte der
Baron seine Seele in die Hände seines Schöpfers zurück-
gegeben- Wenn er noch in der elften Stunde, um Barm-
herzigkeit flehend, am Thore der Gnade angeklopft hatte,
so war eS geschehen, weil die Hand der Tochter ihn ge-
führt, seine widerstrebenden Schritte gelenkt hatte.
Nach dem herrschenden Gebrauche wurde gleich am sel-
ben Nachmittag der entseelte Körper in da» Leichenhaus
auf dem Gottesacker übergeführt. Anna blieb allein zurück,
p ysisch und moralisch erschöpft. Sie war weil entfernt, sich
überschwänglicher Rührung hinzugeben oder nach Art senti-
mentaler Naturen den Tobten mit allen möglichen edel»
Eigenschaften zu bekleiden, die er niemals besessen. Sie sah
recht wohl ein, daß Gott unendliche Langmutd an ihm ge-
übt, und daß er das Maß seiner Barmherzigkeit erschöpft
als er den Kranken nach vollbrachter Buße abveries und.
dem ruhelosen durch eigene Schuld zerstörten Leben ein
Ende setzte. Aber das Mitleid, das sein Leiden ihr einflößte,
die unermüdliche Pflege, die sie ihm angedeihen ließ, hatten
ihn ihr näher gebracht, als er es je gewesen. Das lockere
Band, dar sie bis dahin mit ihm verknüpft, wir gefestigt
worden durch ihre Sorge um ihn. Darum flössen ihre
Thräncn, und ein Gefühl der Vereinsamung überkam sie
Todmüde warf sie sich aus den Divan, der seit de»
Vaters Anwesenheit ihr als Ruhestätte gedient hatte, und
dachte nach über Alles, was in diesen letzten Tagen über
sie gekommen war. Gegenwart und Vergangenheit zogen
an ihr vorüber . . . immer wirrer und unklarer wurden
ihre Gedanken und verschwamme» zuletzt wie Nebelbilder. ..
Die übermüdete Natur hatte ihr Recht gefordert, sie war
eingeschlafrn.
Lange mochte sie da gelegen haben in erquickendem,
traumlosem Schlaf, wie sie seit vielen Tagen ihn nicht ge-
kannt hatte. Da klopfte es an die Tdüre — erst leise, dann
immer lauier. Endlich wurde dieselbe vo»sichtig geöffnet
und ein Man« trat herein. Sein Blick glitt forschend durch
das Gemach und blieb auf der Schläferin vor ihm haften.
Aufmerksam betrachtete er sie.
Es war ein wehmüthigeS Bild, das sie darbot. Alles an
ihr deutete auMiefste Erschöpfung; ihr Kopf war zurück-
gesunken und ruhtejanf dem einen Arme, während der
andere schlaff am Körper herab hing. Das reiche, goldblonde
Haar, etwas in Unordnung gerathen, umrahmte ein recht
schmal gewordenes Gesichtchen, dessen durchsichtige Bläffe
noch hervorgehoben wurde durch die tiefen blauen Schatten
unter den Augen. DaS Einzige, wa» das Traurige der
Erscheinung milderte, war der Ausdruck des Friedens, der
auf de» bleichen Zügen gelagert war. (Fortsetzung folgt.)
Verantwortlicher Redakteur
Joseph Huber in Heidelbe!rg.
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Kft auf dem Boden des CentrumS stehend, ist mit
Erfolg bestrebt, die politischen Fragen mit Ruhe und
Klarhe.t in frischer volkSthüwlicher Form zu behandeln,
den Interessen aller Stände gerecht zu werden, nament-
lich aber die berechtigten Forderungen drS Bauern-,
Handwerker- und Arbeiterstander hervorzuheben und
K Vertheidigen.
Grundsatz der redaktionellen Leitung des Pfälzer
Vvlkßblott ist kurze, kroppe, aber alles Wesentliche
^ringende Berichterstattung auf allen Gebieten, wo-
durch eine Reichhaltigkeit deS Inhalt S erzielt wird,
i tvie sie in keinem anderen Blatte gleichen Umfangs zu
Ariden ist.
In den nächsten Monaten stehen dieLandtags-
kahlen bevor. Im Monat August findet inLandS-
hut die deutsche Katholiken-Bersamm-
lung statt. Das Pfälzer VolkSdlalt wird über
! die Verhandlungen deS Katholikentages schnell und
Angehend berichten.
Für Unterhaltung und Belehrung sorge» zahlreiche
Feuilletons und das sonntägliche 8seitige Unterhaltung»-
dlatt der „So nn t a g Sb o te". Mit aller Sorgfalt
wird au» drm Pfälzer Volksblatt Jedwedes fern-
sehalten, wa» das jugendlicheGemüth verletzen
könnte. Deshalb eignet sich dar Pfälzer Volksblatt
ganz besonders zur täglichen Familienlektüre.
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kreiseS des Pfälzer Volksblatt größlmöglichste Ver-
breitung.
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- wünschten Anzahl zur Verfügung.
Redaktion u. Verlag -eS
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Drs AUenIsk aus Felix F«»re
wird allgemein als der Anschlag eines Wahnwitzigen
ohne eigentlich politische Seite beurtheilt. Dasselbe
konnte, wie sich ,etzt herauSstellt, unmöglich gelingen.
Die kleine, mit Pulver gefüllte Röhre befand sich
in einer Entfernung von 27 Meter von der Mitte
der Straße, wo der Wage» Vorbeifohren mußte, und
die Explosion hätte in lewem Falle auf die Hälfte
dieser Entsernung wirken können. Vom Wagen auS
war nach dem Knalle der Explosion nur ein schwacher
Rauch zu sehen, der hinter den Zuschauern ausstieg,
die sich am Rande der Straße aufgestellt hatten.
Der Präsident ließ sich denn auch nicht aus der
Fassung bringen. Er ließ den Wagen langsamer fahren,
und Frau Faure begnügte sich mit der Erklärung des
Obersten Menetrez, daß man eine Rakete habe
steigen lassen. DaS größte Unglück war, daß die
Menge den Beheimpol zistrn Rostand, welcher in bür-
g-rlicher Kleidung steckte, da er sofort auf den Ort
der Explosion zulirf und die geplatzte Röhre aufhob,
für den Thäter hielt und mit Stöcken, Fußtritten
und Faustjchlägen derart b-arbeitete, daß er mit schweren
Wunden an Kopf, Hals und Brust in'- Spital ge-
bracht wurde, nachdem eS dem Municipal-Gardisten
gelungen war, ihn der Wuth der Menge zu entreißen.
Außer der geplatzte« Röhre wurden am Orte der
Thal auch ein Ta,chenmesser von alterthümlicher Form
und eine mit Schrot geladene altmodische Pistole ge-
funden, auf deren Handgriff die Worte Alsace-Lorraine,
Pologne, eingegraden waren. Daneben lag eine
zerr sseue Nummer der Autorite Cassagnac'S, deren
Papier offenbar zum Zustvpfen der Pulverröhre ge-
dient hatte. Die Autorite behauptet, das Attentat
sei von der Polizei arcangirt worden und die Mcnge
habe instiactiv richtig gebandelt, indem sie den Ge-
heimpolizisten lynchte. Rochefort ist, wie immer,
der gleichen Ansicht. Nach ihm wäre der Geheim-
polizist nicht im Stande gewesen, die geplatzte Röhre
sofort zu finden und hätte nicht den Muth gehabt,
sie in die Hand zu nehmen, wenn er nicht schon im
voraus von allem unterrichtet gewesen wäre. Die
Petite Republique, bei der eS ebenfalls Mode ist,
alle mißlungenen Attemate als bestellte Arbeit anzu-
sehen, hatte am Tage zuvor fast einen prophetischen
Blick gezeigt, indem sie in einem humoristischen Ar-
tikel schrieb: „Man beschäftigt sich sehr ernsthaft
auf der Polizei Präfektur mit der Organisation eines
Attentats aus Felix Faure, welches einer der CtouS
der Reise des Präsidenten nach Rußland sein wird." Der
Deutsches Reich.
* Berlin, 16. Juni. v. Tausch erhielt einen
sechswöchigen Erholungsurlaub. Von der Einleitung
eines DiScizltnar- oder andern gerichtlichen Verfahrens
gegen ihn ist bisher keine Rede.
* Potsdam, 16. Juni. DerKaiseristum8Uhr
Morgens zum Jubiläum des Leibregiments sowie zur
Grundsteinlegung des Kaiser-Wilhelms-Denkmals nach
Liegnitz abgereist.
* Liegnitz, 16. Juni. Um 2 ein Viertel Uhr
traf der Kaiser unter dem Geläute der Glocken u.
jubelnden Zurufen am Denkmalsplatze ein. Die
erste Compagnie des Jubelregiments als Ehcenkom-
pagnie präsentirte unter den Klängen des Pcäsentir-
Marsches. Der Kaiser ritt die Front ab und nahm
sodann in dem Kaiserzelte Platz. Nach kurzer An-
spräche deS Regierungspräsidenten Dr. v. H:y;r trat
der Kaiser an den Grundstein heran und führte
drei H^mmerschläge mit folgenden Worten: Den Heim-
... Inserate die 1-fpaltige Petitzeile oder deren Raum
ch^tunqsbla^ ElAW jül WPrw^mz/ige^
Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Lwingergraße 7.
Soleil knüpft an diese Prophezeiung an, um zu erklären,
daß er nicht an die Fabel der orzanisirten Attentate
glaube. Em merkwürdiges Zusammentreffen ist, daß
die Umgebung des Wasserfalles im Bois de Boulogne
nun schon zum vierten Mal der Schauplatz miß-
lungener Attentate auf hohe Persönlichkeiten war.
Hier schoß Beresowski im Jahre 1867 auf den Zaren
Alexander 11 Hier wurde zur Zeit deS BoulangismuS
auf den Präsidenten Cnrnot und am letzten 14. Juli
auf den Präsidenten Faure gefeuert. Es versteht
sich daher von selbst, daß die Polizei gerade diesen
Punkt besonders eifrig bewacht und die Attentäter hier
weniger als anderswo Aussichten haben, an ihr Ziel
zu gelangen. Einige Blätter melden auch, daß die
Inschrift „Hinrichtung von Felix Faure" neben der
Pistole gefunden worden sei. Der Figaro theilt die An-
sicht des Polizei Präfekten Lupine mit, der nicht an ein
Attentat glauben will, sondern nur da- Werk eines Ver-
rückten oder eines „Spaßvogels" annimmt. Alles schien
so combinirt, um niemanden wehe zu thun. Die
Explosion fand an einem abgelegenen Orte statt; sie
war sehr schwach, und die Pistole und daS Messer
waren mit theatralischer Ostentation niedergelegt
worden. Der erste Souverain, welcher den Präsi-
denten Faure zu seiner Rettung beglückwünschte,
war die- Mal weder der deutsche Kaiser noch der
Zar, sondern der König Umberto, welcher vor kurzer
Zeit einer ähnlichen, aber viel ernsthaftern Gefahr
entging.
pfcher Volksblatt
Erscheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. "
Heidelberg monatlich bv H mit Trägerlohn,
die Post bezogen viertel;, 1.60 franco.
53
ich einer bin, ohnehin kein Platz ist. So lange es Einem
gut geht, ist das Leben schön. Ist man aber am Grunde
des Geldbeutel- an gelangt, so ist'- aus mit aller Lebens-
freude — dann lieber fort, fort aus der Welt I"
„Aber Vater l Wenn Du in der That heimgerufen
würdest?" fagte Anna traurig, und in ihren Augen glänz
len Tbränen. „Bet Deiner schweren Krankheit ist eS wohl
möglich. Ist denn gar nicht-, wirklich gar nichts, waS Du
ungeschehen machen möchtest?"
„Ungeschehen möchte ich Vieles machen," antwortete er
mit dem alten Trotz. „Ich habe Vieles unNug r-nd un-
geschickt gemacht. Das Unglück war mir stet» auf der Ferse,
nie ist wir etwas nach Wunsch gegangen. Vieles würde ich
klüger machen, finge ich das Leben von v-rn an. Aber der
Pfaffe?" Er sann nach, seine Stirne zog sich in tief« Fal-
ten. „Wozu sollte der dienen?"
„Vaier," begann Anna wieder, „auch die liebe Mutter,
die wie eine Heilige lebte, hat sich vor ihrem Tode noch
ihrer Sünden angeklagt. Folge ihrem Beispiele! ES war
einer ihrer litzten Wünsche, Du möchtest das thun."
Ein weicherer Ausdruck trat in die Augeu des Kranken.
.Wünschte sie daS?" fragte er. .Zu was führen aber diese
Anklagen? Wa- gewesen, ist vorbei- Finge ich mit Selbst-
vorwürfen an, ich wüßte nicht, wo aufhvren; darum lasse
ich lieber alle solche Bedenken bei Seite."
„Vater I" sagte Anno flehend, und ergriff seine fluchten,
obg,magerten Hände- „Äaler! ich b-schwöre Dich, höre
auf «eine Bitte l Ich weiß, ich habe sehr ost gefehlt ge-
Pei-voU und freudvoll.
Novelle von L-v- Neidegg.
„Ich brauche ihn nicht. Seine Gegenwart, ist über-
flüssig, sie wäre mir lästig," antwortete der Baron mit lei-
ser Stimme, aber in ferner alten rohen Weise- „Lasse den
Schwozrock nicht zu mir, wenn er kommt "
„Vater I du weißt nicht, ob eS nicht bald dem Ende zu-
gehen mag. Der Tod sollte Niemand von uns unvorberei-
tet finden "
„Der Tod? Kommt also der Tod? Nun meinetwegen I
Ich gehe gern au- der Welt, in der für arme Teufel, wie
ich einer bin, - - - -
gen Dich. Ich habe es aber bereut, ich habe eS gut zu
machen gesucht nach Kräften. Freiwillig habe ich Schande
und Entehrung auf mich genommen, um Dich vor Verfol-
gung zu reiten; ich wollte, es solle Dir Zeit bleiben zur
Buße, zur Umkehr. Laß doch mein Opfer kein vergebliche»
gewesen sein I Gönne mir den Trost, zu denken: Deine
Seele sei gerettet, wenn Du hinüber gehst, und ich zurück-
bleibe."
Der Baron sah die Tochter mit weit geöffneten Augen
an, feine Brust hob und senkte sich. Da kam etwas wie
Reue über dies verhärlerte G^müth. „Nun ja!" stieß er
hervor. „Du hast viel für mich gethan. Wenn es Dir
Trost gewährt, zu wissen, daß ich manches bereue, so kann
ich Dir die Genugtbuung gönnen, es einzugestehen. Ich
bitte Dich, mir zu verzeihen."
„Nicht mich ... nicht mich, Vater! Mir bist Du nicht-
schuldig ; wohl aber Gott, der für Deine, für unser Aller
Sünden gestorben ist, — Gott, der ein zerknirschtes Herz
niemals verschmäht. Vor dem klage Dich an I . . . Vater,
nebenan höre ich den Geistlichen- Darf er hereinkommen?"
Im Auge des Kranken schimmerte eine Thräne; er
nickte bejahend- Eilig ging Anna hinaus; an ihrer Stelle
trat der Pfarrer herein, derselbe Priester, der auch ihre
Mutter zum Tode vorbereitet hatte. Sünder und Beichtvater
blichen allein.
In späteren Jahren wiederholte sich Anna öfter, daß
von allen Gnaden, die Gott ihr erwiesen, die größte gewe-
sen sei, daß er sie die rasche Entschlossenheit hatte finden
lassen, jenen lebten Lichtblick ihres Vaters zu seinem Heile
aurzunutzen. Auf den Augenblick der Klarheit war eine
lange Bewußtlosigkeit gefolgt, die bis zum Tode des Kranken
nur von heftigen Delirien unterbrochen, andauerte. AIS der
Morgen des folgenden Tages zu grauen begann, hatte der
Baron seine Seele in die Hände seines Schöpfers zurück-
gegeben- Wenn er noch in der elften Stunde, um Barm-
herzigkeit flehend, am Thore der Gnade angeklopft hatte,
so war eS geschehen, weil die Hand der Tochter ihn ge-
führt, seine widerstrebenden Schritte gelenkt hatte.
Nach dem herrschenden Gebrauche wurde gleich am sel-
ben Nachmittag der entseelte Körper in da» Leichenhaus
auf dem Gottesacker übergeführt. Anna blieb allein zurück,
p ysisch und moralisch erschöpft. Sie war weil entfernt, sich
überschwänglicher Rührung hinzugeben oder nach Art senti-
mentaler Naturen den Tobten mit allen möglichen edel»
Eigenschaften zu bekleiden, die er niemals besessen. Sie sah
recht wohl ein, daß Gott unendliche Langmutd an ihm ge-
übt, und daß er das Maß seiner Barmherzigkeit erschöpft
als er den Kranken nach vollbrachter Buße abveries und.
dem ruhelosen durch eigene Schuld zerstörten Leben ein
Ende setzte. Aber das Mitleid, das sein Leiden ihr einflößte,
die unermüdliche Pflege, die sie ihm angedeihen ließ, hatten
ihn ihr näher gebracht, als er es je gewesen. Das lockere
Band, dar sie bis dahin mit ihm verknüpft, wir gefestigt
worden durch ihre Sorge um ihn. Darum flössen ihre
Thräncn, und ein Gefühl der Vereinsamung überkam sie
Todmüde warf sie sich aus den Divan, der seit de»
Vaters Anwesenheit ihr als Ruhestätte gedient hatte, und
dachte nach über Alles, was in diesen letzten Tagen über
sie gekommen war. Gegenwart und Vergangenheit zogen
an ihr vorüber . . . immer wirrer und unklarer wurden
ihre Gedanken und verschwamme» zuletzt wie Nebelbilder. ..
Die übermüdete Natur hatte ihr Recht gefordert, sie war
eingeschlafrn.
Lange mochte sie da gelegen haben in erquickendem,
traumlosem Schlaf, wie sie seit vielen Tagen ihn nicht ge-
kannt hatte. Da klopfte es an die Tdüre — erst leise, dann
immer lauier. Endlich wurde dieselbe vo»sichtig geöffnet
und ein Man« trat herein. Sein Blick glitt forschend durch
das Gemach und blieb auf der Schläferin vor ihm haften.
Aufmerksam betrachtete er sie.
Es war ein wehmüthigeS Bild, das sie darbot. Alles an
ihr deutete auMiefste Erschöpfung; ihr Kopf war zurück-
gesunken und ruhtejanf dem einen Arme, während der
andere schlaff am Körper herab hing. Das reiche, goldblonde
Haar, etwas in Unordnung gerathen, umrahmte ein recht
schmal gewordenes Gesichtchen, dessen durchsichtige Bläffe
noch hervorgehoben wurde durch die tiefen blauen Schatten
unter den Augen. DaS Einzige, wa» das Traurige der
Erscheinung milderte, war der Ausdruck des Friedens, der
auf de» bleichen Zügen gelagert war. (Fortsetzung folgt.)