Pfälzer Wksblatt
Ür. M.
N«chdru-k
veriwtrn.
»Dir Minirarbrit der römischen Kirche."
Die Berliner Kreissynoden beginnen wieder zu
söen. Am Mittwoch trat die KreiSsynode von Berlin
« zusammen, die vorwiegend den Norden Berlins
"Maßt. Wie üblich, hat ihr der Superintendent
Ehen Bericht über die kirchlichen und sittlichen Zu-
Mde des Bezirkes vorgelegt, und womit beginnt
Mer Bericht? Mit einem großen Lamento über die
»Minirarbeit der römischen Kirche."
A wird einfach jede Aeußeruvg katholischen Lebens
Ar „römische Propaganda" erklärt. ES liegen in dem
^kzirk der Synode die katholische St. SebastranSkirche,
M Kloster der Dominikaner in Moabit, das HedwigS-
MkeuhauS, die Anstalt Maria-Victoria-Heil, eine
Niederlassung der grauen Schwestern und das St.
MephS-Kinberhospital. FlugS werden alle diese An-
halten für „Stützpunkte" der Propagande und „Cita-
Men" erklärt, „von denen ein beständiger Kampf
Merhaltrn wird." Man sieht, eS ist den Herren ein-
fach nicht recht, daß Katholiken >n Berlin existiren und
Archen und relig öse Anstalten unterhalten. Die bloße
hkistenz der Katholiken jagt ihnen so viel Angst ein,
"aß sie ringsum „Propaganda" wittern.
Doch nein, der Bericht führt auch Fälle „zur
Beleuchtung der römischen Propaganda" an. Und
h>as daraus in den Blättern mittgetheilt wird, ist m
M That haarsträubend. So hat man einen „evange-
Men Geistlichen" um eine Gabe für das Kinder-
heim gebeten. Die Katohliken Berlins werden zwar
h»n Sammlern für rein protestantische Zwecke über-
'?ufen, aber LaS ist recht und billig; wird dagegen
E>u Prediger aus Versehen um eine Gabe für eine
Lös
Schönfärberei nur zu deutlich erkennen. Da wird ge-
klagt, daß die Seelen „an dem Besitzstände der Evange-
lischen Kirche rütteln." ES wird geklagt über die
„wüste, glaubenslose, ja religionslose Masse", die nur
noch äußerlich gewisse kirchliche Dinge mitmache. Die
Socialdemokratie hat mit ihrer Propaganda für den
Austritt aus der Landeskirche keinen besonderen Erfolg
gehabt. Der Bericht gibt indeß ehrlich zu, daß die»
nicht an der Bekenntnißtreue der Massen liege, sondern
daran, daß man es nicht erst für der Mühe Werth
halte, sich die Umstände eines formellen Austrittes zu
machen; überdies könnte man nach dem Austritt ge-
wisse Unterstützungen nicht mehr erlangen. Man hat
in Berlin den Versuch gemacht, tagsüber die prote-
stantischen Kirchen offen zu halten. Mau hat den
Versuch wieder eingestellt, weil die Leute kein Bedürf-
uiß hatten, in die Kirche zu kommen und zu beten.
ES wird geklagt, daß viele Mischehen ungetraut
blieben. Da mau sich entrüstet über die Bemühung
katholischer Priester, die Trauung zu erreichen, so steht
der Berichterstatter offenbar auf dem Standpunkte,
lieber gar keine kirchliche Trauung, als eine katholische.
Dasselbe dürfte für die Taufe gelten.
DaS Coufistorium hatte diesmal die besondere
Frage gestellt: „Wie steht eS mit dem Fami-
lienleben in den Gemeinden der Diö-
cese?" Den „Leitsätzen" deS Berichterstatters hierzu
entnehmen wir die Behauptung, er sei noch „eine
beträchtliche Anzahl christlicher Familien vorhanden,
aber diesen stünden „andere in größerer Anzahl gegen-
über, deren Zusammenleben ein christliche- kaum
genannt werden kann"; die eheliche Treue werde
häufig, besonders seitens der Männer verletzt. Im
übrigen beschränken wir uns auf die Wiedergabe fol-
gender Stells des Berichtes: „Unkeuschheit und Un-
züchtigkeit in Warten und Werken ist den jungen
Leuten beiderlei Geschlechts etwas so Natür-
liches, daß der Ehrentitel „Jungfrau" in seiner wahren
Bedeutung kaum noch verstanden wird; und wo da-
nach der Fall ist, da kann man wohl der Meinung
begegnen, in Berlin sei eS überhaupt nicht mehr mög-
lich, eine „Jungfrau" zum Altäre zu führen."
Wenn eS so steht — und der Berichtstatter muß
eS ja wissen — so hätten, denken wir, die Synodalen
alle Ursache vor der eigenen Thüre zu fegen, statt sich
über die gar nicht existirende „römische Propa-
ganda" aufzuregen. Am Ende ist aber auch hier
das Princip: Besser gar nichts glauben, als katho-
lisch glauben.
Eben wollte sie sich erheben, u« Martha zu holen — die
Gegenwart deS Kindes, meinte sie, würde hinreiche», um
alle Schatten vollends zu zerstreuen — als Stimmen und
Schritte auf dem Gange vernehmbar wurden.
Bald darauf sprach Martha in dar Zimmer: „Die
Mama ist zurück, und ich bi« die Erste gewesen, die sie be-
grüßte I" meldete sie mit großem Stolz.
Zugleich steckte Gräfin Hollerbrunn ihr gutes Gesicht
durch die Thüre des Nebenzimmers herein. Ihre Auge»
waren geröthet — jedenfalls hatte sie mit der Trauernden
geweint; ihr Mund hatte aber sein freundliches Lächeln
bereit- wiedergefunden.
„Guten Tag, liebes Fräulein!" sagte sie. „Ich bin
lange ausgeblieben und muß rasch an meine Toilette gehe».
Aber . . unterbrach sie sich Plötzlich, „was ist Ihnen
Fräulein? Sie sehen furchtbar blaß und angegriffen aus"
„Ich habe starkes Kopfweh, Frau Gräfin," antwortete
Anna. „Dürfte ich vielleicht bitten, tzom Erscheinen bei«
Tanze di-p-nsirt zu werden?"
Die Gräfin sann einen Augenblick nach; durch daS
Fernbleiben der Erzieherin vom Feste wurde die gegen sie
erhobene Anklage allerdings am gründlichsten wiverlegt;
andererseits war eS ihr aber höchst lästig, daß dadurch
Martha sich gleichsam selbst überlassen blieb.
„Wenn Sie Kopfweh haben, muß Martha freilich ans
Ihre Aufsicht verzichten," lautete die etwas ärgerliche Ant-
wort. „Eine- jedoch kann ich Ihnen nicht erlassen; um
halb zehn Uhr holen Sie das Kind ab, begleiten eS hinaus
zum Feuerwerk, und um zehn Uhr bringen Sie es zu Bett"
„Ich werde pünktlich dort sein, Frau Gräfin."
Der Gräfin Herzensgüte hatte bereits über die momen-
tane übele Laune gesiegt. „Nun aber legen Sic sich auf«
Canape, Sie armes blasses Kind, und halten Sie sich ruhig
bis zum Abend!" sagte sie freundlich.
lFortsetzung folgt.)
Für den Monat
Zurri
?Eh«eu jetzt schon alle Postämter Bestellungen auf die
"Wich erscheinende Zeitung
..Pfälzer Bottsblatt"
Asst der wöchentlichen Gratisbeilage „Der EonntagS-
?*te",) sowie unsere Expedition Heidelberg
vitziugerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMzer VolksdlsU".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.
Leidvoll und freudvoll,
Novelle von L. v. Neid egg.
. Martha's frische Minderst mme, deren Laut von draußen
Meinklang, unterbrach sein Boltern- „Fräulein GraShoff l"
M sie, „liebes Fräulei«!" Ihre eiligen Schritte näherten
"4 der Thüre.
Rasch sprang Anna auf. Mit zitternder Hast flog sie
M entgegen, mit vorgrstrecktem Arm winkte sie dem Vater,
jUMzubleiben. Um jcoen Breis mußte sie es vermeiden,
M Martha seiner ansichtig wurde. Wäre seine Armuth
M unverschuldete gewesen, wie hätte sie ihn hoch gehalten !
Lumpen wären ihr dann als ein Ehrenkleid erschienen.
Un Anblick seiner Herabgekommenheit aber mußte sie vor
Mer Augen verbergen; vor Allen dem Kinde, ihrem Zög-
durste sie den Vater in seiner Erniedrigung nicht zei-
Sie eilte also hinaus und verhandelte mit Martha,
Mche Erlaubniß zu haben wünschte, über die bestimmte
5">i hinaus mit den Schwestern sich zu unterhalten. Selbst-
Mständlich wurde ihr dieselbe ertheilt, und Anna brachte
M Kind selbst bis zum Zimmer der Gräfinnen. Hierauf
Mrte sie zum Vater zurück.
Wie erschrack sie aber, als sie die Thüre zum Ankleide.
-MMcr offen und den Vater in demselben stehen sah.
> «O, Vater!' rief sie vorwurfsvoll. „Wenn man Dich
"°rt gefunden hätte I Was hast Du dort gesucht?"
. , „Soll ich mich hier nicht einmal umsehen dürfen?'
W er trotzig zur Antwort. „Habe selbst ein Schloß be-
M», beinahe so schön, wie dieses. Da sollte eS mir doch
Mgönnt fern, dasjenige eines Anderen zu beschauen! Oder
Wnen diese Reichen hier Unsereins nicht einmal Luft und
M? Deine Gräfin hat es aber gut, oas muß ich sagen.
U Aüsse» steinreiche Leute sein, diese Hollerbrunn's. Könn-
r? Dich wohl besser bezahlen! ... Auf ein paar Hundert
M Tausend mehr kommt es bei denen nicht an ... Ich
„""r Teufel muß aber weiter gehen; für Unsereins gibt
-7 Mu Äusruhen," sagte er mit widrigem Lachen. Al- er
erstaunte Gesicht der Tochter sah, die, von diesem
9'Mchkn Entschluß überrascht, ihn anftarrte, setzte er
katholische Anstalt angegangen, so muß darüber der
Synode berichtet werden, damit diese sich von der
„Minirarbeit der römischen Kirche" ein anschauliche-
Bild machen kann. In einer rein evangelischen Ehe
soll die Frau vor der Geburt des Kinder von katho-
lischer Seite wiederholt ausgefordert Word.« sein, daS
Kind katholisch taufen zu lassen.
Wenn die Geschichte wahr ist, so ist die „katho-
lische Seite" jedenfalls kein Geistlicher gewesen, sonst
würde man es gesagt haben. Offenbar falsch ist die
Erzählung, ein Kaplan, der den Sohn eine- verstor-
benen katholischen Vaters schon im „FirmungSunler-
richt" (?) hatte, habe dem Knaben, der nach seinem
und seiner Mutter Wunsche bei dem evangelischen
Geistlichen unterrichtet wurde, verboten, diesen Unter-
richt zu besuchen, mit dem Hinzufügen, eS sei besser,
sich die Stunde über auf der Straße aufzuhalten, er
brauche eS der Mutter ja nicht zu sagen. Durch diese
Geschichte schimmert deutlich hindurch, daß eS sich um
eine ungehörige protestantische Propaganda handelt,
die man mit Verleumdung des kath. Geistlichen zu
bemänteln sucht.
ES ist eine statistisch unanfechtbar erwiesene That-
sache, daß die Mischehen, besonders auch in Berlin,
dem Protestantismus zu Gute kommen. Gleichwohl
jammert der Bericht wieder, daß die kathol. Kirche die
Mischehen zur Propaganda benütze. Die katholischen
Geistlichen bemühen sich.pflichtmäßig, Ehepaare in
Mischehen zur kirchlichen Trauung und zur Taufe
der Kinder zu bewegen. Leider mit verhältnißmäßig
geringem Erfolg. Die Neidhammel auf protestantischer
Seite aber können dar nicht auSstehen. Daß die
Prediger sich an die Mischpaare heranmachen und sie
zur kirchlichen Trauung und zur Taufe der Kinder zu
bewegen suchen, ist selbstverständlich recht und billig;
thun katholische Geistliche dasselbe, so ist eS „Miuir-
arbeit" gegen daS Evangelium. Die Herren wagen
eS nur nicht offen auszusprechen, was sie denken.
Ihre wahre Meinung ist: die katholische Kirche darf
sich in Berlin überhaupt nicht bethätigen; Berlin ge
hört dem Protestantismus, auch die kathol. Bewohner
Berlins gehören ihm.
Vermuthlich soll daS Lamento über die Schlechtig-
keit „RomS" den Synodalen das Hinwegkommen über
den Jammer im eigenen Hause erleichtern. Je mehr
man sich mit Rom beschäftigt und ihm die Schuld an
dem protestantischen Jammer zuschieben kann, um
so weniger braucht man sich mit Selbstvorwürfen auf-
zuhalten. Und daß es sehr übel steht in der „Kirche
der Reformirten", läßt der Bericht trotz aller sichtbaren
höhnisch hinzu: „Oder glaubst Du etwa, Dein Graf würde
mich zum Bleiben auffordern?"
Traurig schaute sie zu ihm aus und fand kein Wort
der Entgegnung; dieser Spott über den eigenen Unwerth
verletzte sie tief.
„Hier, den Inhalt des Päckchens wollen wir heute
theilen," fuhr ihr Vater fort. „Den Rest hole ich ei» an-
deres Mal. Adieu, Anna." Er nahm einige Banknoten an-
dern Umschläge, reichte ihr das Üebrige hin — dann eine
flüchtige Berührung ihrer Hand — und er war verschwun-
den. Sie wollte ihn begleiten — er wehrte cs ihr: „Ich
finde meinen Weg allein!"
Verstört, beängstigt stand sie da und horchte auf des
Vaters verhallende Schritte. Sein Gehen befreite sie wohl
von einer drückenden «ast, sein Besuch hatte aber die Vor-
ahnung irgend eines Unglückes in ihr zurückgelaffe». So
oft er bei seiner Familie erschienen, immer und immer hatte
es Schmach, Sorge und Demüthiguua bedeutet. Was war
es wohl, das diesmal ihr bevorstand? Zu diesen Besorg-
nissen gesellten sich Selbftvorwürfe. Hatte die Kälte ihres
Empfanges ihn etwa so voreilig fortgetrieben? Der Mutter
batte sie gelobt, dem Vater niemals lieblos zu begegnen.
Hatte sie ihr Wort gehalten? Ihre Baarschaft hatte sie
wohl mit ihm gethrilt, ihm das Almosen gegeben, das man
keinem Bettler versagt; dabei hatte sie aber den Eckel, den
er ihr einflößte, den Schrecken, den sein Besuch ihr ver-
ursachte, ign nur zu deutlich empfinden lassen. Ach, sie fühlte
es: sie konnte nicht vergeben, daß er die Scheidewand ge-
bildet hatte zwischen ihr und ihrer Liebe.
Ihre Gedanken flogen zu Robert. Dem Bilde de- einst
geliebte» Mannes in seiner edeln stolzen Art stellte sie das
des verkommenen Vaters entgegen — und weinte auf in
bitterem Weh. Ja, er hatte nicht anders sein können; sie
durften einander nicht angehören. So wollte sie nicht wei-
ter gegen ihr Geschick sich aufbäumen und bedenken, daß
nur, wer siebenmal stebenzigmal vergirbt, der göttlichen
Barmherzigkeit für werth befunden wird.
Allmählich hatten ihre trüben Gedanken fich zerstreut.
Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und zwang sich, mit
Alltägliche«, Geringfügigem ihren Sinn zu beschäftigen.
scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. ?«s-rM- die IffPaltige PetttzeUe oder deren Raum
^?Uter?altunflM OlAM sÜk Äktlil- Priv'atanzeigen^owie für Jahres-Anzeigen bedeutende
Verantwortlicher Redakteur e
Jo sie pH Huber in Heidelberg.
Melders, ?
MM, den 23. Mn! 1897.
Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwingrrftraße 7.
l. I-
AS.
Ür. M.
N«chdru-k
veriwtrn.
»Dir Minirarbrit der römischen Kirche."
Die Berliner Kreissynoden beginnen wieder zu
söen. Am Mittwoch trat die KreiSsynode von Berlin
« zusammen, die vorwiegend den Norden Berlins
"Maßt. Wie üblich, hat ihr der Superintendent
Ehen Bericht über die kirchlichen und sittlichen Zu-
Mde des Bezirkes vorgelegt, und womit beginnt
Mer Bericht? Mit einem großen Lamento über die
»Minirarbeit der römischen Kirche."
A wird einfach jede Aeußeruvg katholischen Lebens
Ar „römische Propaganda" erklärt. ES liegen in dem
^kzirk der Synode die katholische St. SebastranSkirche,
M Kloster der Dominikaner in Moabit, das HedwigS-
MkeuhauS, die Anstalt Maria-Victoria-Heil, eine
Niederlassung der grauen Schwestern und das St.
MephS-Kinberhospital. FlugS werden alle diese An-
halten für „Stützpunkte" der Propagande und „Cita-
Men" erklärt, „von denen ein beständiger Kampf
Merhaltrn wird." Man sieht, eS ist den Herren ein-
fach nicht recht, daß Katholiken >n Berlin existiren und
Archen und relig öse Anstalten unterhalten. Die bloße
hkistenz der Katholiken jagt ihnen so viel Angst ein,
"aß sie ringsum „Propaganda" wittern.
Doch nein, der Bericht führt auch Fälle „zur
Beleuchtung der römischen Propaganda" an. Und
h>as daraus in den Blättern mittgetheilt wird, ist m
M That haarsträubend. So hat man einen „evange-
Men Geistlichen" um eine Gabe für das Kinder-
heim gebeten. Die Katohliken Berlins werden zwar
h»n Sammlern für rein protestantische Zwecke über-
'?ufen, aber LaS ist recht und billig; wird dagegen
E>u Prediger aus Versehen um eine Gabe für eine
Lös
Schönfärberei nur zu deutlich erkennen. Da wird ge-
klagt, daß die Seelen „an dem Besitzstände der Evange-
lischen Kirche rütteln." ES wird geklagt über die
„wüste, glaubenslose, ja religionslose Masse", die nur
noch äußerlich gewisse kirchliche Dinge mitmache. Die
Socialdemokratie hat mit ihrer Propaganda für den
Austritt aus der Landeskirche keinen besonderen Erfolg
gehabt. Der Bericht gibt indeß ehrlich zu, daß die»
nicht an der Bekenntnißtreue der Massen liege, sondern
daran, daß man es nicht erst für der Mühe Werth
halte, sich die Umstände eines formellen Austrittes zu
machen; überdies könnte man nach dem Austritt ge-
wisse Unterstützungen nicht mehr erlangen. Man hat
in Berlin den Versuch gemacht, tagsüber die prote-
stantischen Kirchen offen zu halten. Mau hat den
Versuch wieder eingestellt, weil die Leute kein Bedürf-
uiß hatten, in die Kirche zu kommen und zu beten.
ES wird geklagt, daß viele Mischehen ungetraut
blieben. Da mau sich entrüstet über die Bemühung
katholischer Priester, die Trauung zu erreichen, so steht
der Berichterstatter offenbar auf dem Standpunkte,
lieber gar keine kirchliche Trauung, als eine katholische.
Dasselbe dürfte für die Taufe gelten.
DaS Coufistorium hatte diesmal die besondere
Frage gestellt: „Wie steht eS mit dem Fami-
lienleben in den Gemeinden der Diö-
cese?" Den „Leitsätzen" deS Berichterstatters hierzu
entnehmen wir die Behauptung, er sei noch „eine
beträchtliche Anzahl christlicher Familien vorhanden,
aber diesen stünden „andere in größerer Anzahl gegen-
über, deren Zusammenleben ein christliche- kaum
genannt werden kann"; die eheliche Treue werde
häufig, besonders seitens der Männer verletzt. Im
übrigen beschränken wir uns auf die Wiedergabe fol-
gender Stells des Berichtes: „Unkeuschheit und Un-
züchtigkeit in Warten und Werken ist den jungen
Leuten beiderlei Geschlechts etwas so Natür-
liches, daß der Ehrentitel „Jungfrau" in seiner wahren
Bedeutung kaum noch verstanden wird; und wo da-
nach der Fall ist, da kann man wohl der Meinung
begegnen, in Berlin sei eS überhaupt nicht mehr mög-
lich, eine „Jungfrau" zum Altäre zu führen."
Wenn eS so steht — und der Berichtstatter muß
eS ja wissen — so hätten, denken wir, die Synodalen
alle Ursache vor der eigenen Thüre zu fegen, statt sich
über die gar nicht existirende „römische Propa-
ganda" aufzuregen. Am Ende ist aber auch hier
das Princip: Besser gar nichts glauben, als katho-
lisch glauben.
Eben wollte sie sich erheben, u« Martha zu holen — die
Gegenwart deS Kindes, meinte sie, würde hinreiche», um
alle Schatten vollends zu zerstreuen — als Stimmen und
Schritte auf dem Gange vernehmbar wurden.
Bald darauf sprach Martha in dar Zimmer: „Die
Mama ist zurück, und ich bi« die Erste gewesen, die sie be-
grüßte I" meldete sie mit großem Stolz.
Zugleich steckte Gräfin Hollerbrunn ihr gutes Gesicht
durch die Thüre des Nebenzimmers herein. Ihre Auge»
waren geröthet — jedenfalls hatte sie mit der Trauernden
geweint; ihr Mund hatte aber sein freundliches Lächeln
bereit- wiedergefunden.
„Guten Tag, liebes Fräulein!" sagte sie. „Ich bin
lange ausgeblieben und muß rasch an meine Toilette gehe».
Aber . . unterbrach sie sich Plötzlich, „was ist Ihnen
Fräulein? Sie sehen furchtbar blaß und angegriffen aus"
„Ich habe starkes Kopfweh, Frau Gräfin," antwortete
Anna. „Dürfte ich vielleicht bitten, tzom Erscheinen bei«
Tanze di-p-nsirt zu werden?"
Die Gräfin sann einen Augenblick nach; durch daS
Fernbleiben der Erzieherin vom Feste wurde die gegen sie
erhobene Anklage allerdings am gründlichsten wiverlegt;
andererseits war eS ihr aber höchst lästig, daß dadurch
Martha sich gleichsam selbst überlassen blieb.
„Wenn Sie Kopfweh haben, muß Martha freilich ans
Ihre Aufsicht verzichten," lautete die etwas ärgerliche Ant-
wort. „Eine- jedoch kann ich Ihnen nicht erlassen; um
halb zehn Uhr holen Sie das Kind ab, begleiten eS hinaus
zum Feuerwerk, und um zehn Uhr bringen Sie es zu Bett"
„Ich werde pünktlich dort sein, Frau Gräfin."
Der Gräfin Herzensgüte hatte bereits über die momen-
tane übele Laune gesiegt. „Nun aber legen Sic sich auf«
Canape, Sie armes blasses Kind, und halten Sie sich ruhig
bis zum Abend!" sagte sie freundlich.
lFortsetzung folgt.)
Für den Monat
Zurri
?Eh«eu jetzt schon alle Postämter Bestellungen auf die
"Wich erscheinende Zeitung
..Pfälzer Bottsblatt"
Asst der wöchentlichen Gratisbeilage „Der EonntagS-
?*te",) sowie unsere Expedition Heidelberg
vitziugerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMzer VolksdlsU".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.
Leidvoll und freudvoll,
Novelle von L. v. Neid egg.
. Martha's frische Minderst mme, deren Laut von draußen
Meinklang, unterbrach sein Boltern- „Fräulein GraShoff l"
M sie, „liebes Fräulei«!" Ihre eiligen Schritte näherten
"4 der Thüre.
Rasch sprang Anna auf. Mit zitternder Hast flog sie
M entgegen, mit vorgrstrecktem Arm winkte sie dem Vater,
jUMzubleiben. Um jcoen Breis mußte sie es vermeiden,
M Martha seiner ansichtig wurde. Wäre seine Armuth
M unverschuldete gewesen, wie hätte sie ihn hoch gehalten !
Lumpen wären ihr dann als ein Ehrenkleid erschienen.
Un Anblick seiner Herabgekommenheit aber mußte sie vor
Mer Augen verbergen; vor Allen dem Kinde, ihrem Zög-
durste sie den Vater in seiner Erniedrigung nicht zei-
Sie eilte also hinaus und verhandelte mit Martha,
Mche Erlaubniß zu haben wünschte, über die bestimmte
5">i hinaus mit den Schwestern sich zu unterhalten. Selbst-
Mständlich wurde ihr dieselbe ertheilt, und Anna brachte
M Kind selbst bis zum Zimmer der Gräfinnen. Hierauf
Mrte sie zum Vater zurück.
Wie erschrack sie aber, als sie die Thüre zum Ankleide.
-MMcr offen und den Vater in demselben stehen sah.
> «O, Vater!' rief sie vorwurfsvoll. „Wenn man Dich
"°rt gefunden hätte I Was hast Du dort gesucht?"
. , „Soll ich mich hier nicht einmal umsehen dürfen?'
W er trotzig zur Antwort. „Habe selbst ein Schloß be-
M», beinahe so schön, wie dieses. Da sollte eS mir doch
Mgönnt fern, dasjenige eines Anderen zu beschauen! Oder
Wnen diese Reichen hier Unsereins nicht einmal Luft und
M? Deine Gräfin hat es aber gut, oas muß ich sagen.
U Aüsse» steinreiche Leute sein, diese Hollerbrunn's. Könn-
r? Dich wohl besser bezahlen! ... Auf ein paar Hundert
M Tausend mehr kommt es bei denen nicht an ... Ich
„""r Teufel muß aber weiter gehen; für Unsereins gibt
-7 Mu Äusruhen," sagte er mit widrigem Lachen. Al- er
erstaunte Gesicht der Tochter sah, die, von diesem
9'Mchkn Entschluß überrascht, ihn anftarrte, setzte er
katholische Anstalt angegangen, so muß darüber der
Synode berichtet werden, damit diese sich von der
„Minirarbeit der römischen Kirche" ein anschauliche-
Bild machen kann. In einer rein evangelischen Ehe
soll die Frau vor der Geburt des Kinder von katho-
lischer Seite wiederholt ausgefordert Word.« sein, daS
Kind katholisch taufen zu lassen.
Wenn die Geschichte wahr ist, so ist die „katho-
lische Seite" jedenfalls kein Geistlicher gewesen, sonst
würde man es gesagt haben. Offenbar falsch ist die
Erzählung, ein Kaplan, der den Sohn eine- verstor-
benen katholischen Vaters schon im „FirmungSunler-
richt" (?) hatte, habe dem Knaben, der nach seinem
und seiner Mutter Wunsche bei dem evangelischen
Geistlichen unterrichtet wurde, verboten, diesen Unter-
richt zu besuchen, mit dem Hinzufügen, eS sei besser,
sich die Stunde über auf der Straße aufzuhalten, er
brauche eS der Mutter ja nicht zu sagen. Durch diese
Geschichte schimmert deutlich hindurch, daß eS sich um
eine ungehörige protestantische Propaganda handelt,
die man mit Verleumdung des kath. Geistlichen zu
bemänteln sucht.
ES ist eine statistisch unanfechtbar erwiesene That-
sache, daß die Mischehen, besonders auch in Berlin,
dem Protestantismus zu Gute kommen. Gleichwohl
jammert der Bericht wieder, daß die kathol. Kirche die
Mischehen zur Propaganda benütze. Die katholischen
Geistlichen bemühen sich.pflichtmäßig, Ehepaare in
Mischehen zur kirchlichen Trauung und zur Taufe
der Kinder zu bewegen. Leider mit verhältnißmäßig
geringem Erfolg. Die Neidhammel auf protestantischer
Seite aber können dar nicht auSstehen. Daß die
Prediger sich an die Mischpaare heranmachen und sie
zur kirchlichen Trauung und zur Taufe der Kinder zu
bewegen suchen, ist selbstverständlich recht und billig;
thun katholische Geistliche dasselbe, so ist eS „Miuir-
arbeit" gegen daS Evangelium. Die Herren wagen
eS nur nicht offen auszusprechen, was sie denken.
Ihre wahre Meinung ist: die katholische Kirche darf
sich in Berlin überhaupt nicht bethätigen; Berlin ge
hört dem Protestantismus, auch die kathol. Bewohner
Berlins gehören ihm.
Vermuthlich soll daS Lamento über die Schlechtig-
keit „RomS" den Synodalen das Hinwegkommen über
den Jammer im eigenen Hause erleichtern. Je mehr
man sich mit Rom beschäftigt und ihm die Schuld an
dem protestantischen Jammer zuschieben kann, um
so weniger braucht man sich mit Selbstvorwürfen auf-
zuhalten. Und daß es sehr übel steht in der „Kirche
der Reformirten", läßt der Bericht trotz aller sichtbaren
höhnisch hinzu: „Oder glaubst Du etwa, Dein Graf würde
mich zum Bleiben auffordern?"
Traurig schaute sie zu ihm aus und fand kein Wort
der Entgegnung; dieser Spott über den eigenen Unwerth
verletzte sie tief.
„Hier, den Inhalt des Päckchens wollen wir heute
theilen," fuhr ihr Vater fort. „Den Rest hole ich ei» an-
deres Mal. Adieu, Anna." Er nahm einige Banknoten an-
dern Umschläge, reichte ihr das Üebrige hin — dann eine
flüchtige Berührung ihrer Hand — und er war verschwun-
den. Sie wollte ihn begleiten — er wehrte cs ihr: „Ich
finde meinen Weg allein!"
Verstört, beängstigt stand sie da und horchte auf des
Vaters verhallende Schritte. Sein Gehen befreite sie wohl
von einer drückenden «ast, sein Besuch hatte aber die Vor-
ahnung irgend eines Unglückes in ihr zurückgelaffe». So
oft er bei seiner Familie erschienen, immer und immer hatte
es Schmach, Sorge und Demüthiguua bedeutet. Was war
es wohl, das diesmal ihr bevorstand? Zu diesen Besorg-
nissen gesellten sich Selbftvorwürfe. Hatte die Kälte ihres
Empfanges ihn etwa so voreilig fortgetrieben? Der Mutter
batte sie gelobt, dem Vater niemals lieblos zu begegnen.
Hatte sie ihr Wort gehalten? Ihre Baarschaft hatte sie
wohl mit ihm gethrilt, ihm das Almosen gegeben, das man
keinem Bettler versagt; dabei hatte sie aber den Eckel, den
er ihr einflößte, den Schrecken, den sein Besuch ihr ver-
ursachte, ign nur zu deutlich empfinden lassen. Ach, sie fühlte
es: sie konnte nicht vergeben, daß er die Scheidewand ge-
bildet hatte zwischen ihr und ihrer Liebe.
Ihre Gedanken flogen zu Robert. Dem Bilde de- einst
geliebte» Mannes in seiner edeln stolzen Art stellte sie das
des verkommenen Vaters entgegen — und weinte auf in
bitterem Weh. Ja, er hatte nicht anders sein können; sie
durften einander nicht angehören. So wollte sie nicht wei-
ter gegen ihr Geschick sich aufbäumen und bedenken, daß
nur, wer siebenmal stebenzigmal vergirbt, der göttlichen
Barmherzigkeit für werth befunden wird.
Allmählich hatten ihre trüben Gedanken fich zerstreut.
Sie nahm ihre Arbeit wieder auf und zwang sich, mit
Alltägliche«, Geringfügigem ihren Sinn zu beschäftigen.
scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. ?«s-rM- die IffPaltige PetttzeUe oder deren Raum
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MM, den 23. Mn! 1897.
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