pfcher Volksblatt
täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spalttge Petitzeile oder deren'Raum
Wertage. «bonnemeutsprei» mit dem wöchent- K 10^, Reklame 25 . Für hiesige Geschäfts- und
Wen Unterhaltunasblatt »Der Sonntagsbote" für Privatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
veidelbera monatlich KV L mit Trägerlohn, durch " ' Rabattbewilligung.
.die Post bezogen Viertels. Ft 1.60 franco. Expedition: Zwingerftratze 7.
K 148. Melders, MM de« 4. I«li 1897. > j i. Mz.
MesteL^ungen
sür das
III. Quartal
nehmen immer noch alle Postämter auf die täglich er-
scheinende Zeitung
»Pfälzer Bolksblatt"
s^it der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntag--
övte",) sowie unsere Expeditton Heidelberg
Zwivgerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMxer Volksblatt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.
Hum Regierungs-Jubiläum der Königin
Viktoria von England.
Es neigt dem Ende zu, und im irnersten Herzen
sagt wohl jeder, die Königin Vcioria eingeschlrssen:
Dar ist gut. Tenn nichts ist schwerer zu ertragen,
als eine Reihe von schönen Tagen. Wir sind alle
Juk'täumS müde geworden. Am 28. v. M, am
NrörungLtoge, kam die Königin wieder mit Kaiserin
Friedrich und Prinzessin Beatrice von Windsor noch
London, rm den Bockinghompolost zu besuchen, wo
stk geboeen und wo ihr der Tod Wilhelms IV. und
damit ihre Thronbesteigvng mitten in der Nacht von
einig,n StomS Würdenträger ongekündigt wurde. In
Kensington wurde der Königin wieder ein festlicher
Trrpsang bereitet, und wo sie sich zeigte, herrschte ein
^vbeschreiblicher Jubel. D«e Hunderttausend?, die am
TubilöumStage aus Angst vor dem Gedränge und den
öorbercitetln 140 Särgen zu House blieben, schienen
Vtzt dos Versäumte nachholen zu wollen, und in den
braßen herrschte ein schlimmeres Gedränge, als beim
großen Umzug am denkwürdigen 22. Juni. Vorwie-
gend waren eS Damen urd Kinder, die es der Koni-
8>n Donk wußten, daß sie langsam sshren ließ und
vllen Gelegenheit bot, sie „gründlich" zu sehen. Nach.
Mittags war dann Gartenfest in den Parkanlagen des
BrckinghampalofteS, zu dem sich aber auch alles ein-
Md, was zur Gesellschaft gehört. Die Königin, die
Mitglieder der königlichen Familie, auswärtige könig-
liche Prinzen und Hoheiten, Fürsten, Botschafter, Ge-
nerale, Admirale, Spitzen der englischen Aristokratie
von Geburt, des Geldes und deS Geistes, die Blüthe
der englischen Domenwelt in reizenden Toiletten, Eis
zur Abkühlung, Champagner zur Begeisterung, Ku
chen und Süßigkeiten, Musik — olles war vereinigt,
und das Gartenfest damit ein würdiger Abschluß
der Jubiläumsfeier. Die „gemeinen" Parlamentsmit-
glieder kamen noch ihrem schlimmen Empfang im Pa-
last in solchen Schaoren in den Garten, daß doS
Unterhaus verwaist schien. Die Rechte namentlich
suchte Heilung für die ihrer Würde geschlagene Wunde
und ließ die Regierung im Hause so im Stich, daß
sie drei Mal nacheinander geschlagen wurde und wei-
tern Niederlagen nur durch schnell herbeigeholle HülfS-
truppen U"d Schluß der Sitzung entging. DieCere-
wonnnmerster im Buckinghampalast thaten durch den
Mund Bolfom's für den urceremoniären Empfang
der Gemeinen Abbitte, was auch die Radikalen ver-
söhnte und sie bewog, nach der Sitzung euch der Kö-
nigin die Ehre zu erweisen urd zrm Gartenfest zu
gehen. Ende gut, Alles gut. Nach dem Fest kommt
aber das Fegen, und da findet sich allerlei Kehricht,
mit dem aufgeiäumt wird, das Brummen fängt an.
Der Cbor der Enttäuschten macht sich, nachdem die
Fesimvsik verklungen ist, hörbar. Er klingt noch nicht
laut, aber «r klingt schon. Froh sind nur die Armen
und die Leute mit bescheidenen Mitteln, die jetzt am
Markt billig eirkausen können. London wurde zu stark
verproviavtirt; man mechte zu große Vorbereitungen
und jetzt muß geräumt werden. Am Somstag Abend
wurde in Smithfield (der Cent,almarktt alle) um jedLn
Preis loSgeschlagen. Hur einige der erzielten Preise:
Schweinefleisch 10 Pfg., Rindfleisch lOPfg., Hühner
30 Plg., Sparfeikel 60 Pfg. dos Stück, Kirschen u.
Erdbeeren 5 Pfg. doS Pfund. Schließlich kaufte ein
Arbeiter ein ganzes Schwein für einen Schilling. Er
feierte euch ein Jubiläum!
Gestern gab eS Festlichkeiten in Windsor, darunter
den Vorbeimarsch von 3060 militärisch gedrillten,
uniformirien und mit Gewehren ausgerüsteten Schul-
knaben vor der Königin, während in Portsmouth die
Offiziere der fremden Kriegsschiffe durch die dortigen
Werste und Arsenale geführt und am Abend von der
Admiralität bei einer Festtafel mit darauffolgendem
Boll bewirthet wurden. Heute sind die Mannschaften,
soweit sie beurlaubt werden können, Gäste des Lord
Mayors von Portsmouth, der zu ihren Ehren nach
der Tafel ein wabreS Volksfest orrangirt bat. Mor-
gen findit die große militärische Revue in Aldershot
statt. DaS Hauptereigniß sind aber die Reparatur-
arbeiten, um die Dummheiten gut zu machen, die der
englische BureaukratismuS, dem auch der Zopf nach
hinten hängt, begangen hat. Den deutschen Offizieren
gegenüber, die zur Flottenrevue auf ihre Posten fahre«
wußten, hat der Prinz von Wales die gebührende
Entschuldigung in einer Weise angebracht, die jeden
Schotten des MißmuthS beseitigte und auch zum Wi-
derruf der aubefohlemn Abfahrt des Königs Wilhelm
führte. Den durch offizielle Schnitzer arg verletzten
Colonialtruppen und Parlamentsmitgliedern hat die
Königin mit ihrem bewuudernSwerthen Takte daS
heilende Pflaster aufgelegt und damit gut gemacht,
was von der Admiralität, dem Colonialministerium,
der Armeeleitung und dem Hofamt in rührendem
Zusammenwirken in heillose Verwirrung gebracht wor-
den war. Die Verstimmung der „treuen Gemeinen"
über ihren kuriosen Ewpfang im Buckinghampalaste
ist dem Jubel gewichen. Zum Schluß der gestrige»
Sitzung verkündigte nämlich Minister Balfour im
Namen der Königin, daß Ihre Majestät untröstlich
über daS Mißverständniß sei, welches beim Empfange
ihrer getreuen Gemeinen vorgekommen und wovon sie
erst durch die Zeitungen Kenntniß erlangt habe.
Ihre Majestät sei dadurch des Vergnügens beraubt
worden, alle Mitglieder des Unterhauses um sich z«
sehen und sie wünsche nun, sie alle mit ihren Frauen
am Samstag Nachmittag in Windsor zum Thee zu
empfangen. Damit sind natürlich die guten Bezie-
hungen zwischen Parlament und Königin, wie sie 60
Jahre lang ungetrübt bestanden Haven, wieder herge-
stellt und nur die Königin konnte den Riß und be-
stimmt richt schneller und besser heilen als sic es ge--
than hat. Den Colonialtruppen, an 800 Mann,
wurde dasselbe Pflaster aufgelegt. Sie sind zum
Freitag zum Lunch nach Windsor und sür Samstag
vom Prinzen und der Prinzessin von Wales nach
dem Buckhingpalast eingeladen. Das muß alle Ver-
stimmung beseitigen und in den Colonieen nachhallen;
es sind Weltreichs Wickelbänder, geschickt gewoben,
billig und gut. — Die Kaiserin Friedrich besuchte
am letzten Mittwoch die St. Georges-Kapelle in
Windsor und verweilte einige Zeit au dem dort er-
richteten Denkmal für Kaiser Friedrich. Der Prinz
und die Prinzessin Friedrich Karl von Hessen sind
am 30. Juni in Windsor zum Besuche der Kö-
nigin eingetroffe«.
10
Blind und -och sehend.
. Inzwischen rückte die Zeit heran, wo Clelia's Bruder
«u dem „berühmten" Kovenbagcner Augenärzte kommen
urd das liebe Mädchen sah diesem Zeiipunkte iäg-
"w unruhiger entgegen. Sie ersehnte und fürchtete ihn zu-
9>klch. Mit Ergebung batte sie bisher ihr LooS ertragen,
1° Ne hatte schon auf die Wiedererlangung des Lichtes
Michwt — aber dos liebende Weib wünschte doch nicht
»Uetn den Geliebten zu fehen, sondern mehr noch ibm so
vollkommen als möglich gegenüber zu stehen. Auch sie hoffte
Ms der schon ost genug gemachten Erfahrungen seine
sreffprechung, und dann — das sagte ihr ihr Herz, dann
nand jhr ein namenlos, s Glück bevor. Dennoch zitterte sie
auch vor einer Operation, die von nicht ganz kundiger Hand
"vllzogen, leicht jede Hoffnung aus Wiedergewinnung ihrer
Achkrast zerstören könnte. Zuletzt konnte sie nicht umhin,
«rudolf das rhr Bevorstehende rmtzuiheilen. Dieser erschrack
Mig; dennoch wagte er nicht, sich vorzudrängen. Es
konnte ja sein, daß der angekündigte Arzt viel geübter war
er, und gern gönnte er einem Geschickteren die Ehre
und das Glück, die Geliebte sehend zu machen — wenn es
M nur gelang. Aber gleichwohl beunruhigte ihn die Mit-
thnlung fürchterlich. Clelia merkte es sofort. „Wenn Sie
sneenen, es sei nicht gut gethan, so lassen wir die Operation,"
Mk ffe. .Nein, nein!" rief er — „ich hoffe gewiß, daß
Me Angen zu retten find — aber es gehört große Ge>
ichrauchknt dazu — ich werde darüber wachen, daß Sie
keinem Cbarlatan in die Hände fallen- Lossen Sie die
Operation hier in meiner Gegenwart vollziehen."
als Widerhold versprach dies, und s-wohl Rudolf
«'s Clelia saben nun ruhiger dem verhängnißvollen Tage
Er kom. Ter GefängmßvnWalter begab sich mit
Tochter »ach dem Dampfer seines Sohnes. Als sie
d.x- ^oot steigen wollten, das sie hinüber bringen sollte,
W der Poltzeiserxeant Huker, kraft seines Amtes,
U dinew. Vater Wider hold mußte es geschehen lassen —
kafch besonnen, sagte er: „Ich bin im Begriff den
»,"'""rzt abzuholen, den wein Sohn meiner Tochter aus
*-rvrühetui schickt. Was suchen Sie auf dem Schiffe?' —
„Eben Ihren Sohn/ antwortete der Sergeant- Der Greis
wechselte mit dem Matrosen, der das Boot führte, einen
bedeutungsvollen Blick ur>d ebe sie an Bord gehißt waren,
batte der Matrose sich schon hinaufgeschwungen und dem
Schiffsherrn die Absicht des Polizeiwannes zugeflüstert.
„Gut" — sagte der Gewarnte — „so werde ich meine Rolle
als Kopüän Gildenstern fortspielen."
So geschah es. Mit den Worten: „Guten Tag, Herr
Kapitän — haben Sie Nachrichten von meinem Sohn?"
trat Widerhold am Arm seiner Tochter dem Schiffer ent-
gegen. Dieser erwiderte den Gruß, drückte Vater und
Schwester innig die Hand und stellte ihnen den Doktor
Bercndsvn als den kom Herrn Rheder Widerhold in
Drontheim mitgeschickten Augenarzt vor. Der Sergeant,
der sein Edelwild nicht Persönlich kannte, wurde vollkommen
getäuscht und fuhr unverrichteter Sache mit den Andern
au's Land zurück.
Der dänische Arzt wurde in einem Hotel in der Nähe
des Kuminalgefängnisses untergebracht. Er untersuchte auf
der Stelle Clelia's Augen, stellte den glücklichen Erfolg
einer Operation als ungewiß hin, war aber doch dafür,
und pries dann seine Salben und Mixturen sür den Fall,
daß eie Operation nicht den gewünschten Erfolg hätte.
Den folgenden Tag sollte dieselbe vor sich gehen-
Rudolf war darauf mehr gespannt, als Clelia und ihr
Vater Cr konnte die Nacht zuvor kein Auge schließen, und
als die festgesetzte Stunde erschien, fand ihn Vater Wider-
bold in fieberhafter Erregung. Erst als er dem fremden
Kollegen gegenüderstand, gewann er wieder etwas Ruhe.
Er hätte ibm sogleich auf den Zahn fühlen mögen, aber er
wußte die Rolle eines Laien spielen, und so ließ er den
Dänen ruhig seine Zurüstungen treffen. Schon während
derselben stieg in Rudolf der Verdacht auf, daß man es
mit einem großen Charlatan zu thun habe. Aber er ließ
ihn gewähren. Clelia ließ sich aus den ihr bestimmten Platz
nieder, der Doktor ergriff seine Lanzette, und setzte an —
es war für den Vater ein Moment voll Todesangst —
doch wie schon vie Blinde unter der Berührung des In-
strumentes zuckte, riß Rudolf den Arm des Operateurs
mit solcher Heftigkeit zurück, daß der Hand die Lanzette
entsank, und zornig donnerte er ihm zu: „Elenver Pfuscher!
wie können Sie es wagen, ein solches Werk zu unternehmen ?"
Der Däne stand verblüfft da; Clelia sprang bebend
auf und Vater Widerhold wußte nicht, was er denken
sollte. Doch er wurde bald aufgeklärt; denn Rudolf las
dem „berühmten" Mann aus Kopenhagen so deutsch den
Text, wies ibm seine Unberusenheit so bündig nach, daß
der zärtliche Vater Gott danken mußte, daß er sein Kind
der Gefahr entrissen, in der es eben geschwebt hatte.
Der Fremdling mußte mit Schande abziehen. Als Va-
ter Widerhold mit Rudolf in dessen Zelle zurückkehrte, er-
klärte dieser, daß cr eines Tages selbst die vereitelte Ope-
ration vornebmen werde, sobald er in Freiheit gesetzt sein
würde. Der Greis drückte ihm die Hand, schaute ibn aber
webmüthig an — er hatte wenig Hoffnung auf Rudolfs
Freiwerden. Dann fragte er ihn, ob er die Operation nicht
fitzt vollziehen wollte und entlockte ibm das Geständniß,
daß er feine Instrumente versetzt habe. „Wenn es nur da-
rin liegt," sagte der Greis, „so soll Clelia keinen Tag länger
des lieben Himmelslichtes entbehren."
Als er wieder zu feinem Kinde zurückkehrte, trat es
ihm mit den Worten entgegen: „Weißt Du auch, Vater,
daß der Däne unfern Eduard nun verrathen wird?'
Der Greis erschrack. „Du hast bei Gott Recht — ich
muß schnell zu der Frau Brummeisen gehen, daß sie das
verabredete Zeichen aussteckt."
„Ach, nun wird der gute Eduard auf lange, lange
Zeit vom heimathlichen Gestade gescheucht!" seufzte Clelia,
„und ich batte auf seine einstige Wiederkunst einen so
wichtigen Plan gebaut."
„Welchen?" fragte der Vater.
„Das sag' ich Dir bester jetzt nicht," sagte sie, „eile
nur, den Eduard zu warnen."
(Fortsetzung folgt.)
täglich mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spalttge Petitzeile oder deren'Raum
Wertage. «bonnemeutsprei» mit dem wöchent- K 10^, Reklame 25 . Für hiesige Geschäfts- und
Wen Unterhaltunasblatt »Der Sonntagsbote" für Privatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
veidelbera monatlich KV L mit Trägerlohn, durch " ' Rabattbewilligung.
.die Post bezogen Viertels. Ft 1.60 franco. Expedition: Zwingerftratze 7.
K 148. Melders, MM de« 4. I«li 1897. > j i. Mz.
MesteL^ungen
sür das
III. Quartal
nehmen immer noch alle Postämter auf die täglich er-
scheinende Zeitung
»Pfälzer Bolksblatt"
s^it der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntag--
övte",) sowie unsere Expeditton Heidelberg
Zwivgerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMxer Volksblatt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.
Hum Regierungs-Jubiläum der Königin
Viktoria von England.
Es neigt dem Ende zu, und im irnersten Herzen
sagt wohl jeder, die Königin Vcioria eingeschlrssen:
Dar ist gut. Tenn nichts ist schwerer zu ertragen,
als eine Reihe von schönen Tagen. Wir sind alle
Juk'täumS müde geworden. Am 28. v. M, am
NrörungLtoge, kam die Königin wieder mit Kaiserin
Friedrich und Prinzessin Beatrice von Windsor noch
London, rm den Bockinghompolost zu besuchen, wo
stk geboeen und wo ihr der Tod Wilhelms IV. und
damit ihre Thronbesteigvng mitten in der Nacht von
einig,n StomS Würdenträger ongekündigt wurde. In
Kensington wurde der Königin wieder ein festlicher
Trrpsang bereitet, und wo sie sich zeigte, herrschte ein
^vbeschreiblicher Jubel. D«e Hunderttausend?, die am
TubilöumStage aus Angst vor dem Gedränge und den
öorbercitetln 140 Särgen zu House blieben, schienen
Vtzt dos Versäumte nachholen zu wollen, und in den
braßen herrschte ein schlimmeres Gedränge, als beim
großen Umzug am denkwürdigen 22. Juni. Vorwie-
gend waren eS Damen urd Kinder, die es der Koni-
8>n Donk wußten, daß sie langsam sshren ließ und
vllen Gelegenheit bot, sie „gründlich" zu sehen. Nach.
Mittags war dann Gartenfest in den Parkanlagen des
BrckinghampalofteS, zu dem sich aber auch alles ein-
Md, was zur Gesellschaft gehört. Die Königin, die
Mitglieder der königlichen Familie, auswärtige könig-
liche Prinzen und Hoheiten, Fürsten, Botschafter, Ge-
nerale, Admirale, Spitzen der englischen Aristokratie
von Geburt, des Geldes und deS Geistes, die Blüthe
der englischen Domenwelt in reizenden Toiletten, Eis
zur Abkühlung, Champagner zur Begeisterung, Ku
chen und Süßigkeiten, Musik — olles war vereinigt,
und das Gartenfest damit ein würdiger Abschluß
der Jubiläumsfeier. Die „gemeinen" Parlamentsmit-
glieder kamen noch ihrem schlimmen Empfang im Pa-
last in solchen Schaoren in den Garten, daß doS
Unterhaus verwaist schien. Die Rechte namentlich
suchte Heilung für die ihrer Würde geschlagene Wunde
und ließ die Regierung im Hause so im Stich, daß
sie drei Mal nacheinander geschlagen wurde und wei-
tern Niederlagen nur durch schnell herbeigeholle HülfS-
truppen U"d Schluß der Sitzung entging. DieCere-
wonnnmerster im Buckinghampalast thaten durch den
Mund Bolfom's für den urceremoniären Empfang
der Gemeinen Abbitte, was auch die Radikalen ver-
söhnte und sie bewog, nach der Sitzung euch der Kö-
nigin die Ehre zu erweisen urd zrm Gartenfest zu
gehen. Ende gut, Alles gut. Nach dem Fest kommt
aber das Fegen, und da findet sich allerlei Kehricht,
mit dem aufgeiäumt wird, das Brummen fängt an.
Der Cbor der Enttäuschten macht sich, nachdem die
Fesimvsik verklungen ist, hörbar. Er klingt noch nicht
laut, aber «r klingt schon. Froh sind nur die Armen
und die Leute mit bescheidenen Mitteln, die jetzt am
Markt billig eirkausen können. London wurde zu stark
verproviavtirt; man mechte zu große Vorbereitungen
und jetzt muß geräumt werden. Am Somstag Abend
wurde in Smithfield (der Cent,almarktt alle) um jedLn
Preis loSgeschlagen. Hur einige der erzielten Preise:
Schweinefleisch 10 Pfg., Rindfleisch lOPfg., Hühner
30 Plg., Sparfeikel 60 Pfg. dos Stück, Kirschen u.
Erdbeeren 5 Pfg. doS Pfund. Schließlich kaufte ein
Arbeiter ein ganzes Schwein für einen Schilling. Er
feierte euch ein Jubiläum!
Gestern gab eS Festlichkeiten in Windsor, darunter
den Vorbeimarsch von 3060 militärisch gedrillten,
uniformirien und mit Gewehren ausgerüsteten Schul-
knaben vor der Königin, während in Portsmouth die
Offiziere der fremden Kriegsschiffe durch die dortigen
Werste und Arsenale geführt und am Abend von der
Admiralität bei einer Festtafel mit darauffolgendem
Boll bewirthet wurden. Heute sind die Mannschaften,
soweit sie beurlaubt werden können, Gäste des Lord
Mayors von Portsmouth, der zu ihren Ehren nach
der Tafel ein wabreS Volksfest orrangirt bat. Mor-
gen findit die große militärische Revue in Aldershot
statt. DaS Hauptereigniß sind aber die Reparatur-
arbeiten, um die Dummheiten gut zu machen, die der
englische BureaukratismuS, dem auch der Zopf nach
hinten hängt, begangen hat. Den deutschen Offizieren
gegenüber, die zur Flottenrevue auf ihre Posten fahre«
wußten, hat der Prinz von Wales die gebührende
Entschuldigung in einer Weise angebracht, die jeden
Schotten des MißmuthS beseitigte und auch zum Wi-
derruf der aubefohlemn Abfahrt des Königs Wilhelm
führte. Den durch offizielle Schnitzer arg verletzten
Colonialtruppen und Parlamentsmitgliedern hat die
Königin mit ihrem bewuudernSwerthen Takte daS
heilende Pflaster aufgelegt und damit gut gemacht,
was von der Admiralität, dem Colonialministerium,
der Armeeleitung und dem Hofamt in rührendem
Zusammenwirken in heillose Verwirrung gebracht wor-
den war. Die Verstimmung der „treuen Gemeinen"
über ihren kuriosen Ewpfang im Buckinghampalaste
ist dem Jubel gewichen. Zum Schluß der gestrige»
Sitzung verkündigte nämlich Minister Balfour im
Namen der Königin, daß Ihre Majestät untröstlich
über daS Mißverständniß sei, welches beim Empfange
ihrer getreuen Gemeinen vorgekommen und wovon sie
erst durch die Zeitungen Kenntniß erlangt habe.
Ihre Majestät sei dadurch des Vergnügens beraubt
worden, alle Mitglieder des Unterhauses um sich z«
sehen und sie wünsche nun, sie alle mit ihren Frauen
am Samstag Nachmittag in Windsor zum Thee zu
empfangen. Damit sind natürlich die guten Bezie-
hungen zwischen Parlament und Königin, wie sie 60
Jahre lang ungetrübt bestanden Haven, wieder herge-
stellt und nur die Königin konnte den Riß und be-
stimmt richt schneller und besser heilen als sic es ge--
than hat. Den Colonialtruppen, an 800 Mann,
wurde dasselbe Pflaster aufgelegt. Sie sind zum
Freitag zum Lunch nach Windsor und sür Samstag
vom Prinzen und der Prinzessin von Wales nach
dem Buckhingpalast eingeladen. Das muß alle Ver-
stimmung beseitigen und in den Colonieen nachhallen;
es sind Weltreichs Wickelbänder, geschickt gewoben,
billig und gut. — Die Kaiserin Friedrich besuchte
am letzten Mittwoch die St. Georges-Kapelle in
Windsor und verweilte einige Zeit au dem dort er-
richteten Denkmal für Kaiser Friedrich. Der Prinz
und die Prinzessin Friedrich Karl von Hessen sind
am 30. Juni in Windsor zum Besuche der Kö-
nigin eingetroffe«.
10
Blind und -och sehend.
. Inzwischen rückte die Zeit heran, wo Clelia's Bruder
«u dem „berühmten" Kovenbagcner Augenärzte kommen
urd das liebe Mädchen sah diesem Zeiipunkte iäg-
"w unruhiger entgegen. Sie ersehnte und fürchtete ihn zu-
9>klch. Mit Ergebung batte sie bisher ihr LooS ertragen,
1° Ne hatte schon auf die Wiedererlangung des Lichtes
Michwt — aber dos liebende Weib wünschte doch nicht
»Uetn den Geliebten zu fehen, sondern mehr noch ibm so
vollkommen als möglich gegenüber zu stehen. Auch sie hoffte
Ms der schon ost genug gemachten Erfahrungen seine
sreffprechung, und dann — das sagte ihr ihr Herz, dann
nand jhr ein namenlos, s Glück bevor. Dennoch zitterte sie
auch vor einer Operation, die von nicht ganz kundiger Hand
"vllzogen, leicht jede Hoffnung aus Wiedergewinnung ihrer
Achkrast zerstören könnte. Zuletzt konnte sie nicht umhin,
«rudolf das rhr Bevorstehende rmtzuiheilen. Dieser erschrack
Mig; dennoch wagte er nicht, sich vorzudrängen. Es
konnte ja sein, daß der angekündigte Arzt viel geübter war
er, und gern gönnte er einem Geschickteren die Ehre
und das Glück, die Geliebte sehend zu machen — wenn es
M nur gelang. Aber gleichwohl beunruhigte ihn die Mit-
thnlung fürchterlich. Clelia merkte es sofort. „Wenn Sie
sneenen, es sei nicht gut gethan, so lassen wir die Operation,"
Mk ffe. .Nein, nein!" rief er — „ich hoffe gewiß, daß
Me Angen zu retten find — aber es gehört große Ge>
ichrauchknt dazu — ich werde darüber wachen, daß Sie
keinem Cbarlatan in die Hände fallen- Lossen Sie die
Operation hier in meiner Gegenwart vollziehen."
als Widerhold versprach dies, und s-wohl Rudolf
«'s Clelia saben nun ruhiger dem verhängnißvollen Tage
Er kom. Ter GefängmßvnWalter begab sich mit
Tochter »ach dem Dampfer seines Sohnes. Als sie
d.x- ^oot steigen wollten, das sie hinüber bringen sollte,
W der Poltzeiserxeant Huker, kraft seines Amtes,
U dinew. Vater Wider hold mußte es geschehen lassen —
kafch besonnen, sagte er: „Ich bin im Begriff den
»,"'""rzt abzuholen, den wein Sohn meiner Tochter aus
*-rvrühetui schickt. Was suchen Sie auf dem Schiffe?' —
„Eben Ihren Sohn/ antwortete der Sergeant- Der Greis
wechselte mit dem Matrosen, der das Boot führte, einen
bedeutungsvollen Blick ur>d ebe sie an Bord gehißt waren,
batte der Matrose sich schon hinaufgeschwungen und dem
Schiffsherrn die Absicht des Polizeiwannes zugeflüstert.
„Gut" — sagte der Gewarnte — „so werde ich meine Rolle
als Kopüän Gildenstern fortspielen."
So geschah es. Mit den Worten: „Guten Tag, Herr
Kapitän — haben Sie Nachrichten von meinem Sohn?"
trat Widerhold am Arm seiner Tochter dem Schiffer ent-
gegen. Dieser erwiderte den Gruß, drückte Vater und
Schwester innig die Hand und stellte ihnen den Doktor
Bercndsvn als den kom Herrn Rheder Widerhold in
Drontheim mitgeschickten Augenarzt vor. Der Sergeant,
der sein Edelwild nicht Persönlich kannte, wurde vollkommen
getäuscht und fuhr unverrichteter Sache mit den Andern
au's Land zurück.
Der dänische Arzt wurde in einem Hotel in der Nähe
des Kuminalgefängnisses untergebracht. Er untersuchte auf
der Stelle Clelia's Augen, stellte den glücklichen Erfolg
einer Operation als ungewiß hin, war aber doch dafür,
und pries dann seine Salben und Mixturen sür den Fall,
daß eie Operation nicht den gewünschten Erfolg hätte.
Den folgenden Tag sollte dieselbe vor sich gehen-
Rudolf war darauf mehr gespannt, als Clelia und ihr
Vater Cr konnte die Nacht zuvor kein Auge schließen, und
als die festgesetzte Stunde erschien, fand ihn Vater Wider-
bold in fieberhafter Erregung. Erst als er dem fremden
Kollegen gegenüderstand, gewann er wieder etwas Ruhe.
Er hätte ibm sogleich auf den Zahn fühlen mögen, aber er
wußte die Rolle eines Laien spielen, und so ließ er den
Dänen ruhig seine Zurüstungen treffen. Schon während
derselben stieg in Rudolf der Verdacht auf, daß man es
mit einem großen Charlatan zu thun habe. Aber er ließ
ihn gewähren. Clelia ließ sich aus den ihr bestimmten Platz
nieder, der Doktor ergriff seine Lanzette, und setzte an —
es war für den Vater ein Moment voll Todesangst —
doch wie schon vie Blinde unter der Berührung des In-
strumentes zuckte, riß Rudolf den Arm des Operateurs
mit solcher Heftigkeit zurück, daß der Hand die Lanzette
entsank, und zornig donnerte er ihm zu: „Elenver Pfuscher!
wie können Sie es wagen, ein solches Werk zu unternehmen ?"
Der Däne stand verblüfft da; Clelia sprang bebend
auf und Vater Widerhold wußte nicht, was er denken
sollte. Doch er wurde bald aufgeklärt; denn Rudolf las
dem „berühmten" Mann aus Kopenhagen so deutsch den
Text, wies ibm seine Unberusenheit so bündig nach, daß
der zärtliche Vater Gott danken mußte, daß er sein Kind
der Gefahr entrissen, in der es eben geschwebt hatte.
Der Fremdling mußte mit Schande abziehen. Als Va-
ter Widerhold mit Rudolf in dessen Zelle zurückkehrte, er-
klärte dieser, daß cr eines Tages selbst die vereitelte Ope-
ration vornebmen werde, sobald er in Freiheit gesetzt sein
würde. Der Greis drückte ihm die Hand, schaute ibn aber
webmüthig an — er hatte wenig Hoffnung auf Rudolfs
Freiwerden. Dann fragte er ihn, ob er die Operation nicht
fitzt vollziehen wollte und entlockte ibm das Geständniß,
daß er feine Instrumente versetzt habe. „Wenn es nur da-
rin liegt," sagte der Greis, „so soll Clelia keinen Tag länger
des lieben Himmelslichtes entbehren."
Als er wieder zu feinem Kinde zurückkehrte, trat es
ihm mit den Worten entgegen: „Weißt Du auch, Vater,
daß der Däne unfern Eduard nun verrathen wird?'
Der Greis erschrack. „Du hast bei Gott Recht — ich
muß schnell zu der Frau Brummeisen gehen, daß sie das
verabredete Zeichen aussteckt."
„Ach, nun wird der gute Eduard auf lange, lange
Zeit vom heimathlichen Gestade gescheucht!" seufzte Clelia,
„und ich batte auf seine einstige Wiederkunst einen so
wichtigen Plan gebaut."
„Welchen?" fragte der Vater.
„Das sag' ich Dir bester jetzt nicht," sagte sie, „eile
nur, den Eduard zu warnen."
(Fortsetzung folgt.)