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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Juni 1897
DOI article:
Nr. 123
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0509

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Wtzer Volksblutt

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

Druck, Verlag u. Expedition
G eb r. Huber in Heidelberg,
Zwingerstraßr 7.

Für den Monat
Juni
^hmeu immer noch alle Postämter Bestellungen auf die
^Slich erscheinende Zeitung
.,PfSlzer Bottsblatt"
!*>it der wöchentlichen Gratisbeilage „Der ConntagS-
Me",) sowie unsere Expedition Heidelberg
«vivgerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMzer Votksblstt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7._

Proceß Tausch- v. Mow.
* Berlin, 29. Mai.
Tausch erklärt, er habe in seiner Unterredung mit
km Journalisten Liman keine Majestäts-Beleidigung
Uußert vielmehr nur gesagt, daß der Kaiser seine
Mißbilligung über die falsche Lesart des Breslauer
Men-ToosteS ausgesprochen habe. In diesem Sinne
Me er auch Lützow gegenüber sich geäußert.
Harden sagt aus, Tausch sei im Jahre 1895 in
Ernstlicher Angelegenheit zu ihm gekommen und habe
M Gespräch auf den Staatssekretär v. Bötticher ge-
kocht, sei aber über allgemeines nicht h nauS gegangen.
M 5. December 1896 sei Tausch auf Vermittelung
kr Privat Detectives Roth-Rossi Abends bei ihm
Askesen. Tausch habe ihn gefragt, ob ich ihn auch
Ar schuldig halte; er wisse, daß Harden über die
?ache schreiben werde, er wolle seine Situation ob-
lektiv schildern und bad um Empfehlung eines Ver-
HeidigerS. Tausch schilderte, wie verhaßt er fei.
Ä (Harden) hätte nicht gerade den Eindruck gehabt,
kß Tausch sich schuldig fühlte, die Eidespflicht ver.
M zu haben. Tausch war im Zustande tiefster
Niedergeschlagenheit und völligen Gebrochenseins.
. Tausch schien zu wissen, daß ihm der Proceß
k°he, und sagte, er habe nicht gegen das auswärtige
Mt inlriguirt, gab aber zu, daß er dem Verdachte
°üzu Nahrung gegeben habe durch unvorsichtige
Äußerungen gegenüber Journalisten. Bezüglich deS
Gesuches beim Chef-Redakteur Levysohn sagte Tausch,
kß er Levysohn nicht gesagt, Leckert werde im Aus-
Artigen Amt empfangen. Tausch habe, wie rS
Arden schien, diese Angelegenheit nicht für schwer-
»V

über die Polizei erhalten zu haben. Die Behauptung
Tausch'S schwebe vollständig in der Luft.
Im weiteren Verlaufe der Vernehmung bekundet
Staatssecretair Marschall, in den Acten des Auswär-
tigen Amtes käme der Name Tausch zum ersten Male
in Verbindung mit Schumann vor, wobei gesagt wird,
daß Albert Grothe das Elscyeinen der Schumann'schen
Schandartikel in Paris vermittelt habe. Auf die
Frage des BertheidigerS antwortet Staatssecretair
Marschall, es sei nicht bekannt, daß Tausch von be-
sonderer Animosität gegen Geh. Rath Holstein war.
Der Oberstaatsanwalt macht darauf aufmerksam, daß
Lützow Holstein als seinen Hintermann angegeben
habe. Lützow sagt aus: Tausch rieth mir bei der
Vernehmung vor dem Untersuchungsrichter, dies au-
zugeben.
Tausch betont, niemals die Thätigkeit Schum rnn'S
gegen dar Auswärtige Amt unterstützt zu haben. Der
Oberstaatsanwalt bemerkt, der schlüssige Beweis, daß
Tausch Himer den Preßtreibereien Schumann'- stand,
fehle, und sei auch nach den heutigen Bekundungen
deS Staatssecretair- Marschall nicht erbracht. ES
sei schwierig, einen diesbezüglichen Verdacht zurück-
zuweisen, aber ein schlüssiger Beweis liege nicht vor.
Auf die Anfrage der BertheidigerS Lebczynski, ob er
den Eindruck erhalten habe, daß Polizei-Agenten auf
eigene Hand Politik treiben, erwidert Marschall, das
sei schwer zu sagen. Im allgemeinen thue wohl der
Agent den Willen seines Meist-rS.
Nach halbstündiger Pause wird der frühere Mini«
v. Köller vernommen, der aussagt, 2 Mal mit Tausch in
Verbindung gekommen zu sein. Ein Mal in einer
Klage Affaire und zum zweiten Mal 'zur Ermittelung
deS Verfassers der Depesche der Münch. Neuest.
Nachr.; er habe ihn gebeten, sich Mühe zu geben,
eS komme nicht auf 1000 M. an.
Auf die Frage deS Vorsitzenden, ob Köller darüber,
daß Marschall den Verdacht der Provenienz deS
Artikels auf daS Ministerium deS Innern verbreitete,
etwas bekannt geworden sei, antwortete v. Köller: Nein.
Weiter sagt von Köller aus, er habe keine Nach-
richten in die Presse lancirt, außer bei seinem Abschied.
Auch habe er weder im Sinne des Zustandekommens
der Militair-Strafprvceß Ordnung noch im gegen-
theiligen Sinne die Presse inspirirt oder instrurirt.
Der Präsident fragt Tausch, weshalb er bei der
Rücksprache mit v. Köller nichts davon sagte, daß er
im Auftrage des KriegsmiuisterS Recherchen anstelle.
Tausch erwidert, weil er an dem Tage, wo er
zum Vortrag beschicken war, den Polizei-Präsidenten
Gefühle zurück, und stand äußerlich ruhig da. Dieser Augen-
blick der Schwäche »ar aber bemerkt worden. Sie sah,
wie der Gräfin erschrockene Augen auf sie sich richtete«, sie
sah, wie Elisabeth hämisch lächelte, und ihrer Cousine et-
was in das Ohr zischelte; sie sah endlich, wie Kammer-
jungfer und Bediente vielsagende Blicke mit einander wech-
selten, und wie der Polizei-Commissar sie scharf fixirte.
Das Alles bemerkte ste und nun wußte sie: ihr Glücks-
trau« war ausgeträumt; die Wasser des Unglücks stiegen
und schlugen über rhr zusammen.
Starr wie eine Bildsäule hatte sie dagestanden, während
diese Gedanken ihr Inneres ducchtobten. Der Polizei-Com-
missar hatte mittlerweile allerlei Fragen an die Anwesen-
den gestellt nnd ihre Antworten entgegen genommen; von
alledem hatte Anna nicht- gehört. Sie fuhr au- ihrer Be-
täubung erst empor, als er, vor ste hintretend, zu ihr sagt«:
„Und Sie Fräulein, darf ich fragen, wo Sie den gestrigen
Nachmittag zugebracht haben?"
Sie fühlte, wie Aller Blicke auf sie gerichtet waren,
ste raffte ihre ganze Energie zusammen und antwortete
ruhig: „Nebenan im Schulzimmer."
„Wußten Sie, daß die Thüre, die aus demselben in
das Ankleidezimmer führt, nicht abgeschloffen war?'
Im Geiste sah ste den Vater an der Schwelle jenes
Zimmers stehen, und das verrätherische Blut stieg ihr in
da- Gesicht, als sie erwiderte: „Ich wußte au- Erfahrung
daß diese Thüre niemals abgeschlossen wird; ich achtete
aber nicht darauf, ob sie es diesmal war oder nicht."
„Vielleicht ist ste es gewesen!" fiel die Gräfin eifrig ein.
„34 muß Frau Gräfin dringend bitten, meine Fragen
mckt unterbrechen zu wollen," erklärte der Polizei-Com-
missar sehr entschieden. „Ich habe bei denselben em be-
stimmtes Ziel im Auge ... Sagten Sie nicht vorhin, Fräu-
lein Marianne," wandte er sich an die Kammerjungfer,
„Sie hätte« die Thüre, die »ach dem Schulzimmer führt,
offen gelassen, die Gangthüre hingegen abgesperrt?"
„DaS habe ich gesagt, ich könnte es beschwören," ver-
sichert die Kammerjungfer eifrig.
„Wie konnte man nunmehr in» Ankleidezimmer ge-
langen?' fragte der Cowmiffar. (Forts, f.j

scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. .. . Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Uertage. «bonnemevtspret» mit dem wöchent- 10H, R e kl am e25 H. Für hiesige Geschäfts-und
Uen Unterhaltungsblatt „Der Sonntaasbote" für Itt* Ov NlMttll- Privatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
'Adelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch " ' Rabattbewilligung.
>^die Post bezogen vierteln ^ 1.60 franco. Expedition: Zwingerftratze 7.

Lei-voll un- freudvoll. AL
Novelle von L. v. Neid egg.
„Was hat es nur gegeben?" fragte Martha, die wie
verwöhnte« Kinder ein gerüttelte» Maß vo» Neugierde
Klaß. „Was steht denn in dem Briefe?"
... Erglühend gab Anna zur Antwort: „Ich habe einen
Mn, verloren geglaubten Freund wirdergefunden und bin
U»i unaussprechlich glücklich. Laß mich »un einen Vlugen-
Nck garz still, daß ich Sott danken kann für seine Gnade,
nachher wollen wir «eiter an da» Lernen gehen. E» wäre
Ne schlechte Art, Gott meine» Dauk abzutragen," fuhr ste
Melnd fort, „wollte ich damit anfangen, »eine Pflichten
" vernachlässtgen "
. Eine kleine Pause entstand. Anna kämpfte ihre Be-
Äsung nikder, und bald darauf saßen Lehrerin und Zög-
Hs einander gegenüber am Schultische. Loch wollte es
Mt recht vorwärts geben mit dem Lernen. Martha hätte
M lieber über den Inhalt des Briefes etwas gehört, als
Mr die Geschicke der Griechen und Römer. Immer wieder
Meten sich ihre schelmischen Augen fragend auf die Er-
Merin; fortwährend drängte» sich vorwitzige Fragen auf
M Lippen. Sin Blick aber auf Anna's Gesicht, mit den
Mder so ruhig gewordenen entschlossenen Zügen, reichte
k». um ihr den Muth zu solchem Wagnisse zu benehmen.
Arme Anna! Hätte Martha nur in deren Seele sehe»
M beurtheilen können, wie schwer es ihr fiel, die zur
Uau getragene Ruhe zu bewahren. So sehr sie sich Mühe
an nichts zu denke», als an den Gegeustand, über
.Men sie Vortrag hielt; immer kehrten ihre Gedanken
Lltnem Briese zurück. Ihr war es, als wiederhole die
Mlbekannte liebe Stimme immer auf- Neue dre letzten
Me derselben: „Mein für da» Leben'. Mein für Zeit
Ewigkeit!
n>.-Die Thüre zum Nebenzimmer ging auf, und mitte» in
L. Mchichie und Träumereien herein ertönte die Stimme
»Grafen Sollerbrunn: „Bitte, Fräulein GraShoff, kom-
-Sie doch hier herein- Lassen Sie Martha aber i»
MzMuer; ste mag allem weiter studire«.'

Welderg, Mwch, dm 2. IM 1897.
wiegend erachtet; er habe wohl deshalb eine Berich
tigung der Noiiz bezüglich Leckert's vom Tageblatt
nicht verlangt. Als er (Harden) seinen zweiten Ar-
tik l in der Zukunft über dm Prozeß Leckert-Lützow
erscheinen ließ, habe ihm Tausch'- Frau einen über-
schwänglichen DankeSbrief gesandt. (Tausch weinte bei
diesen Erörterungen.)
Harden schildert dann, daß Leckert Beziehungen
zu ihm gesucht und sich als gut unterrichtet aufge-
spielt habe. ES schien, als ob Leckert seine Wissen-
schaft nicht aus sich selbst habe, sondern aus andern
Quellen schöpfe. Harden resumirt seine Ansicht da-
hin, Tausch sei ein Mann, der in seiner amtlichen
Thätigkeit mit allerlei delicaten, theilweise mit strenger
Sittlichkeit vereinbaren Dingen zu thun gehabt habe
und von dem nunmehr plötzlich verlangt werde, daß
er in aÜen diesen Dingen nur Mittel angewendet
haben dürfe, die einem Gentleman zustehen.
Nunmehr wird Staatssekretär v. Marschall ver-
nommen. Derselbe gibt einen Ueberblick über das
Veihältniß des Auswärtigen Amts zu der politischen
Polizei, das abgebrochen W irde, als sich herausstellte,
daß Rormann-Schumann selbst die Skandal Artikel
in der Saale-Zeitung verfaßt. Er habe alsdann
Haftbefehl gegen Schumann veranlaßt und bezeich-
nete es als eine Ungehäuerlichkeit, daß die politische
Polizei einen solchen Vertrauensmann habe. D e
Behauptung sei grundlos, daß das Auswärtige Amt
von vorn herein gegen Tausch animos war.
v. Marschall geht dann zu den Verdächtigungen
gegen ihn nach der Entlassung des Ministers von
Keller über, die ihn bewogen, rückhaltSloS vorzugehen.
DeS weitern führt Marschall aus, al» der bekannte
Artikel in der Kölnischen Ztg. erschienen sei, habe
ihn StaatSsekrekär v. Bötticher gefragt, ob ihm dies
nicht unangenehm sei, er habe dies verneint, da er
ein gutes Gewissen habe. Als später der Befehl zur
HauSsuchnug bei Leckert und Lützow gegeben wurde,
habe er Tausch gefragt, was er von der Geschichte
halte. Da fiel ihm auf, daß Tausch den Lützow in
Schutz nahm und dabei stehen blieb, daß dieser
Hintermänner haben müsse.
Der Staatsanwalt erklärt, Tausch behauptete, e»
sei schon psychologisch unmöglich, daß er zu Levysohn
gesagt habe, Leckert wurde im Auswärtigen Amt em-
pfangen, weil er wußte, daß Levysohn sofort dem Aus-
wärtigen Amt Mittheilung machen würde, Staatssekretär
v. Marschall erklärt darauf, weder von Levysohn noch
von einer anderen Seite irgend welche Mittheilungrn
Schnell erhob sich Anna und begab sich ins Ankleide-
zimmer. Beinahe prallte ste an dessen Schwelle zurück, al»
sie, eintretend, dasselbe mit Menschen angefüllt fand. Die
Gräfin, ihre Stieftöchter, Elisabeth befanden sich darin,
außerdem aber noch die Dienerschaft. Unter all' den be-
kannten Gesichtern befand sich ein Fremder, der neben dem
Grafen stand, ein kleiner, ältlicher, magerer Herr, mit
stechenden Augen und scharfen Zügen.
Gräfin Hollerbrunn sah sehr erhitzt und ärgerlich aus,
sie saß am Fenster und ihre Hände spielten in nervöser Hast
mit ihrer Uhrkette. Als sie Anna's ansichtig wurde, stand
sie auf, ging ihr entgegen und sagte ganz in ihrer gewohn-
ten Weise: „Nach meinem Dafürhalten wird hier viel Lärm
um nichts gemacht- Es tbut mir aufrichtig leid, daß auch
Sie, liebes Fräulein, in diese Sache hineingezogen werden."
„Viel Lärm um nicht- ?" wiederholte ärgerlich der
Graf, „Da es sich um ein Halsband handelt, das Tausende
Werth ist, finde ich die Bezeichnung nicht sehr glücklich ge-
wählt, liebe Marie! Damit wir uns keine Versäumniß in
der recht wichtigen Angelegenheit zu Schulden kommen
ließen, habe ich noch heute Nacht an Herrn Polizei-Com-
missar Berg" — er deutete auf den fremden Herrn —
„telegraphirt. Er war so freundlich, dem Ruf sogleich zu
wlgcn und wird unS mit seinem bewährten Rathe bei-
stehen- Ich zweifle nickt, daß er uns dazu verhelfen wird,
wieder in Besitz der Perlen zu kommen."
Die Perlen! Wie siedendes Blei fielen die Worte auf
Anna'- Herz. Der Morgen war so still verlaufen, daß sie
sich eingebildet hatte, der Zwischenfall sei erledigt, die Per-
len seien wiedergefunden. Gedanken aller Art batten die
Erinnerung an dieselben in den Hintergrund gedrängt;
und war dieselbe ihr gekommen, so hatte sie sich nur ge-
freut, daß die Angst, unter der ste so furchtbar gelitten,
eine unbegründete gewesen sei. Da kam nun das schreckliche
Erwachen äu» der Sicherheit, in der sie sich gewiegt hatte-
Tödtliche Blässe überzog ihr Gesicht; ste fühlte, wie
alles Blut ihr nach dem Herzen zuströmte; zugleich empfand
sie deutlich, daß ihre Züge den Ausdruck tödtlicher Seelex-
angst angenommen haben mußten. ES war nur ein
Augenblick — mit eiserner Willcntkrast drängte sie ihre
 
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