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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Februar 1897
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Nr. 40
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0161

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Pscher volksbktt

Nr. 4h.

WeldM MU dm 19. Kbimr 1897.

Edition
> elb erg,

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

Druck, Verlag u. Expl
G eb r. Husk er in Heid
Lwingerftraße 7.

Die Sozialdemokratie
Hat bei der bisherig'« Berathung deS Militäretats
An Reichstag fast mehr beschäftigt als das Militär im
«^gemeinen. Daran war eigentlich die Schönfärberei
As Abgeordneten v. Vollmar schuld, welcher den Ver.
Ach unternahm, die Sozialdemokratie als eine jeder
Gewaltanwendung abholde, auf dem Boden der Orv-
Nuvg strhxnde Reformpartei hinzustellen. Vollmar
Akte ». A.: «An den Umsturz, den Sie meinen,
Anken wir nicht, und der, den wir meinen, vollzieht
nch tagtäglich. Je mehr die Sozialdemokratie an
'kocht zunimmt, desto mehr müssen die StaatSeinrick
Angen sich ändern." Kriegs Minister v. Goßler ließ
Ach durch dieses vom Nbg. v. Vollmar vorgezrigte
»freundlichere Gesicht" der Sozialdemokratie nicht
duschen. Er verwies mit Recht auf die internatio-
nalen Congresse, auf denen die revolutionären Ziele
Wn proklamirt werden, ohne daß die deutschen Ver-
After auch nur Miene machen, dagegen zu p ote-
''lNn. Der Minister stellte der Devise der Armee:
»Mit Gott für König und Vaterland" die Devise der
Sozialdemokratie: „Ohne Gott gegen König und
Aaterland" gegenüber. Seine Beobachtung, daß die
^rrrohung der Jugend seit dem An-
wachsen der Sozialdemokratie zuge-
llonlmen hat, wird auchvon denOrganen
Jugenderziehung bestätigt. Jedoch
Akt der Grund theilweise tiefer, insofern der u n-
Atige Culturkampf, der wilde Ansturm gegen
^religiösen und sittlichen Kräfte mit der
Sozialdemokratie auch ihre Nebenerscheinungen ge-
ordert hat. Wie aber der Kriegsminister behaupten
die Sozialdenokratie habe sich

längst überlebt, ist unS unerfindlich. In dem
Anwachsen der sozialdemokratischen Hochfluth ist ein
gewisser Stillstand eingetreten, aber daS Gefühl sorg-
loser Sicherheit war niemals weniger angebracht als
heute. Abg. Bebel, von jeher der radikale Antipode
des „gemäßigten" Vollmar, war zwar nicht so unvor-
sichtig, gegen die „zahmen bürgerlichen Ideen" Voll-
mars offen loSzugehen, wie eS auf den Parteitagen
nachgerade Mode geworden ist, aber er ließ die Katze
doch etwas mehr aus dem Sack und gab wenigstens
daS antimonarchische Prinzip der Partei offen zu.
„Wenn die Mehrheit des deutschen Volkes republikanisch
und socialistisch gesinnt ist, dann wird sie sich nicht
besinnen, die Republik einzuführen", d. h. die Könige
und Fürsten mit Gewalt zu entthronen. Bebel hat
seiner Zeit im Reichstag erklärt: „Unser Ziel ist
aufreligiösemGebietederAtheiSwuS."
Heute sucht er sich an dem Satze vorbeizudrücken,
indem er meint, den Glauben an Gott könne man
jedem Einzelnen überlassen, nicht jeder Sozialdemokrat
brauche den Glauben abzuschwören. Wie gnädig!
Die sozialistische Presse und Literatur steht unentwegt
auf dem Boden des nackten Atheismus, sie führt einen
ständigen Kampf gegen jede positive Gläubigkeit und
gegen die christliche Moral. Und da macht man
Leuten, die auf diesem grundsätzlichsten aller Gebiete
anderen Überzeugungen huldigen, als die ganze gei-
stige Führerschaft, dre Zumuthung, trotzdem der Partei
beizutreten! Nein, wenn es einPriniup gibt, welches
die Geister der Sozialdemokratie für immer von unS
scheidet, so ist er daS religiöfe Prinzip, der
Glaube an Gott und an die sittliche Verant-
wortung. Herr v. Vollmar will zwar alles das,
was ein „Einzelner sagt", für die Partei nicht gelten
lassen. Er hatte dabei zunächst die auf dem Gothaer
Parteitag gegen die Wahrheitsliebe des „Vorwärts"
und gegen die Sittlichkeitsbegriffe der „Neerrn Welt"
erhobenen Angriffe im Auge. Der Inhalt deS letzt-
genannten UnterhallungSblatteS war ja in Gotha als
„stinkende Schweinerei" bezeichnet worden. Ader es
war ihm augenscheinlich auch unbequem, daß ein
Blatt seiner Partei einen Führer der Sozialdemokratie
in Ostpreußen, der ein vierzehnjähriges Mädchen ver-
führt hatte, damit entschuldigte, er habe „gegen den
Sittenkodex derer von der zahlungsfähigen Moral
verstoßen." Aber das hilft Herrn v. Vollmar alles
nichts. Denn er ist nicht blos „ein Einzelner", der
in der sozialdemokratischen Presse und in der
Literatur den Atheismus predigt und alle religiöse
Gläubigkeit verspottet, der weitestgehenden geschlecht-

Aus daS
..Pfalzer Bolksblatt"
ü»vn schon für den Monat
März
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sowie unsere Expedition in Heidelberg, Zwingeistraße 7,
^gegen.
Probe»««mern werden auf Wunsch gerne Porto-
'*ei Jedermann zugesandt.

Stumm schritten beide dem Grabe zu; ein Jeder Hinz
stine» Gedanken nach. An einer Biegung des Weges ge-
wahrte Walter in einiger Entfernung ein Pferd angebun-
den an eine« Baume stehend, und bald darauf, wie Je-
mand hastigen Schrittes quer durch tue Wiesen schritt,
welche jenseits des Baches zwischen diesem und dem höher
gelegenen kleinen Friedhöfe lagen. Er hielt an und machte
Jessie auf seine Beobachtung aufmerksam. Ihre Blicke folg-
ten dem einsamen Wanderer, welcher direkt auf das Pferd
zuschritt, sich in den Sattel schwang und in die Nacht
hinaussprengte. Das war etwas Ungewöhnliches für diese
einsame Gegend und zu dieser Stunde.
„Der Reiter wird derselbe sein, welcher vor einer
Viertelstunde auf der Landstraße dahinsprengte," unterbrach
Walter das Schweigen. „Was mag zu dieser Stünde den
seltsamen Reiter in die feuchten Wiesen getrieben haben?"
„Sollte es nicht William Bellenger gewesen sein? Die
Gestalt erinnerte an ihn. Vielleicht hat ihn die Folter sei-
nes Gewiffens getrieben, diesen Elenden! Ich beklage es,
daß ich ihn nicht am Grabe des von ihm betrogenen Mäd-
chen- überraschte, um ihn, den Mörder, zur Rechenschaft
zu ziehen. Doch nein, Gott mag richten!"
Jessie hatte in größter Erregung gesprochen, und wie
war es doch, bei aller Traurigkeit hätte Walters Herz auf-
jubeln mögen! Unterdeß hatten sie den Friedhof erreicht
und waren bei dem frisch aufgrschütteten Grabhügel, der
neben dem Grabe von Walters Mutier gelegen war, an-
gelangt- Ehe Walter so weit sich gesammelt hatte, um auf
den Gedankengang Jessies cingehen zu können, nahm diese
ihn bei der Hand und sagte mild: „Komme, Walter, setze
Dich zu mir und höre, was ich Dir mitzutüeilen habe; es
ist die Leidensgeschichte des engelgleichen Mädch-ns, das
zu unseren Füßen ruht."
Walter folgte und ließ sich auf die Bank am Grabe
einer Mutter niede r, auf der er so oft in seinen Kinder-
ähren thränenden Auges gesessen. Jcssie erzählte unter
>en frischen, schmerzlichen Eindrücken, welche die ergrei-
enden Mittheilungen der sterbenden Freundin in ihrem
empfänglichen Herzen hinterlassen hatten. Zum Th ul hatte
ja Walter bereits von seiner Großmutter diese L-ldens-

vor sich binflüsterte: „Ein Grab mehr und ein Stuhl
weniger. Unsere Zahl wächst im Himmel."
Tante Debby vergaß heute sogar zu strecken, und die
Katze durfte ungestört mit dem Garnknäuel spielen. Nur
zuweilen unterbrach dieselbe ihre lustigen Sprünge und
setzte sich ernsthaft vor Jessie hin, als wolle sie fragen,
woher dock ihre ungewohnte Traurigkeit komme, und wa-
rum das Spiel mit dem Garn nicht gestört werde.
Walter, der Ellen gleich einer Schwester geliebt hatte,
befand sich trauernd in seinem Zimmer, während MrS.
Bellenger sich rücksichtsvoll von ihren betrübten Haus-
genossen in den kleinen Garten zurückgezogen hatte, um
dort den traurigen Nachmittag zu verbringen. Erst gegen
Abend versammelte sich die ganze Familie unter dem Ahorn-
baume vor der Thüre. Jessie zog eine Fußbank herbei,,
setzte sich darauf und lehnte ihr Haupt an das Knie des
Hausherrn. Das Mondlicht beschien ihre schönen Züge
und Walter saß in Bewunderung verloren zur Seite,
als ein Geräusch in der Ferne die allgemeine Aufmerksam-
keit erregte.
Es waren Hufschläge, welche näher und näher tönten,
jetzt sprengte ein Reiier auf der nahen Straße vorbei. Jessie
glaubte den Reiter erkannt zu haben. Er ritt die Straße
hinunter, über die kleine Brücke und nahm dann die Rich-
tung auf die Berge zu.
Jessie batte noch mit Niemanden aus der Familie
über das gesprochen, was Ellen ihr vertraut ; sie ahnte
nicht, daß den klebrigen bereits bekannt, was Ellens Herz
gebrochen. Nun aber fühlte sie das zwingendste Bedürfniß,
Jemandem mitzutheilen, wovon ihr Herz so übervoll war
und wer anders konnte dies sein, als Walter.
„Jcy möchte noch einmal zum Friedhöfe drüben wan-
dern ; der Abend ist so bell und die Lust so mild. Walter,
willst Du mich begleiten?" wandle Jessie sich an diesen.
„Recht gerne, wenn es Dein Wunsch ist. Aber fürchtest
Du nicht, die kaum vernarbte Wunde wieder auszureißen?
Dazu würde ein Gang zum Grabe zu dieser Stunde nur
zu sehr geeignet sein."
„Nicht doch, Walter!" — entgegnete sie aufstehend —
„dieser Gang wird meinen Schmerz lindern."

Deutsches Reich.
* Berlin, 17. Febr. Die Budgetkommis,
fion des Reichstags hat heute eine längere General-
dikcussion über die BesoldungSverbesserungen der Be-
amten begonnen. ES läßt sich aber fttzt schon ersehen,
daß wahrscheinlich die ganze Vorlage in dieser Session
abzelehnt werden wird, hauptsächlich deßhalb, weil
einzelne Klaffen von unteren und mittleren Beamten
nicht berücksichtigt sind und weil man zugleich die
Reisekosten der Beamten, daS Gratifikationswssen und

lichen Uugebundenheit dar Wort redet. Dies ge-
schieht vielmehr so regelmäßig und so allgemein, daß
„ein Einzelner", dec andere Wege wandeln wollte,
von den „Genossen" einfach ausgespottet würde. Der
neugebackene Abgeordnete PeuS hat sich sehr mittel-
mäßig eiageführt. Nur ein Wort aus seinem Munde
sei erwähnt. Er geißelte das Pharisäertum gewisser
besitzender Kreise und meinte, sehr viele seien ohne
Gott, welche den Namen Gottes noch vielfach ge-
brauchen. Das ist richtig, aber diese namentlich von
Liberalen oftmals geübte Heuchelei rechtfertigt noch
keineswegs die Heuchelei der Sozialdemokratie, welche
aus taktischen Gründen ihr atheistisches Prinzip zu
verschleiern sucht. Bebel war augenscheinlich sehr un-
angenehm berührt, daß der Kriegsminister ihm den
Fall Strombeck (Soldatenmißhandlung) oorhielt, der
sich vor Gericht als vollständig erlogen herausgestellt
hat. Auch der Hinweis auf einen sozialdemokratischen
Unteroffizier, der wegen Soldatenschinderei bestraft
werden mußte, wirkte auf den sozialdemokratischen
Bänken etwas ernüchiernd. (Siehe Artikel in Nr. 38
ds. Bl. „Soldatenmißhandlungen".) ES zeigt sich
eben immer mehr, daß die Sozialdemokratie keines-
wegs jene Mustermenschen züchtet, die sie theorethisch
so gerne an die Wand zeichnet. Daß Lüge und
Verleumdung in der sozialdemokratischen Presse sehr
beliebte Waffen siad, lehrt fast jeder neue Tag. Man
braucht nur auf die vielen Verurtheilungen wegen
Verleumdung und auf die häufigen erzwungenen
Widerrufe hinzuweisen. Dabei hat die Partei, die so
gerne über „Denurciantenthum" klagt, in ihrer Presse
ein förmliches System der gehässigsten Angeberei und
des pöbelhaftesten Kampfes gegen Personen eingeführt.
WaS aber die „Gewaltpolitik" an'oelangt, so wird von
keiner anderen Partei eia derart brutaler Terrorismus
gegen Andersdenkende geübt. Tagtäglich gibt unS
die Sozialdemokratie einen Vorgeschmack von ihrem
Zuchthausstaat.

«,II« m» AMmhm- d-r Som- u. o
Organ für Mllltckest, Fleckest L KM.

Stolz und Liebe. »L'
40) Dem Amerikanischen nacherzählt.
i . Müde schloß dos sterbende Mädchen die Augen. Jessie
ks'chte leise ins Ncbengemach und benachrichtigte die
Mwilienmitglieder, daß der TodeSengel nabe. Der Prie-
war, wie in den letzten Tagen ost, am Morgen bei
Kranken erschienen und hatte ihr die hl. Wegzehrung
Lyncht. Eine heilige Stille herrschte in dem Raum; die
Dämmerung war eingetreten: an dem Bilde des Gekreu-
?Wen brannte die geweihte Sterbrkerze. Noch einmal
Asus das Mädchen die Augen auf und mit emem engel-
U'chen Lächeln reichte sie zuerst der schmerzgebeugten
Wtter und dann allen klebrigen die schon fast erkaltete
«and. Alle waren auf die Kniee gesunken, icder erfüllt
W dem schaurig ernsten Bewußtsein, daß die entscheidende
^??de gekommen, in welcher eine geliebte thcure Seele
sHdie Ewigkeit scheidet. Tante Debby betete, wie sie es
W" so oft in der Familie gethan. mit zitternder Stimme
Sterbegebete. Die geweihte Kerze flackerte vor dem
rMlftuzüMdx und ebenso flackerte die erlöschende Lebens-
' au>me der Leidenden auf und nieder.
d>° schwächer und schwächer wurde das Licht, und als
U Mr in der Küche die siebente Abendstunde schlug, be-
g,Mete der glänzende Mond das bvldene Haar und daS
nche Gesicht der schönen Tobten.
11. Kapitel,
Die Nacht nach dem Begräbniß-
« ..Die lange Straße entlang, und über die kunstlose
Drucke hin bewegte sich der große Zug zum Kirchhofe, um
°'e schöne Schläferin, die so früh zur ewigen Ruhe em-
fegangli, war, unter den ersten Frühlingsblumen in der
Men Erde zu betten- Zurück gingS dann, em Jeder
«Ü semen Gedanken, und die Nachbarn sprachen noch viel
weinknd und schluchzend in ihrem einsamen

Vie fv fLUU zur rwk
«egangin war, unter den ersten Frühlings
Mtcn Erde zu betten- Zurück gingS da
Wit seinen

dsm guten Mädchen, das sie begraben hatten. Aber
Lause, dem sie angedörte, herrschte tiefe Trauer;
Mutier saß weimnd und schluchzend in ihrem einsamen
gemache, während Mr. Marshall die trüben Augen zu
Ruheplätze seimr Familie hinüberschwcifen ließ und
 
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