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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

DOI issue:
September 1897
DOI article:
Nr. 212
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0865

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Pfcher Volksblatt

1. IW.

Welderg, FreltU des 17.SrOsider 1897.

Verantwortlicher Redakteure
Josephtzuber in Heidelberg.

Gefangene ist Mensch, und als Mensch Hst er Anspruch
auf menschenwürdige Behandlung. Aber es ist nicht
so ganz ohne, was ein ungarischer Abgeordneter be«
reits Anfang der 70er Jahre gesagt hat, daß, wenn
die Humanität bezüglich der Strafanstalten in dieser
Weise fortdauere, bald der arbeitsame Bauer viel
schlechter daran sei, als wie der Züchtling. (Lebhaf-
ter Beifall.) Auch nicht mit jener Humanität kann
ich mich befreunden, die bei lebend gesottenem Aal
und Krebs und b«i gespicktem Gansbraten Thränen
des Mitleids vergießt, wenn sie einen Karrengaul
sieht. Der Thierquälerei rede ich das Wort nicht,
sonst komme ich ja in die Geflügelzeitung. Aber,
waS ist das für ein Mitleid, das Thränen über einen
abgerackerten Karrengaul vergießt und deS armen
Menschen vergißt, der bleich und schwach an der näch-
sten Straßenecke niedersinkt, dann aber vielleicht noch
Beiträge hat zur Gründung eines Asyls für erkrankte
Straßenhündchen und Katzen. (Heiterkeit.) Ebenso-
wenig kann ich mich jener Humanitt freuen, wie sie
manchmal besonders von Emporkömmlingen betrieben
wird, welche Tausende spenden, die dann in der Zei-
tung ausposaunt werden, vielleicht zu einer Zeit, wo man
im trüben Teich der Börse einen prächtigen Fischzug
gemacht u. Tausende dazu gebracht hat, daß sie an die
christliche Nächstenliebe appelliren müssen. (Lebhafte-
Bravo!) Auch nicht jener, die unter dieser Flagge, die
Noth mißbrauchend, manchmal den Wechsel der Con-
ftssion erleichtern und herbeiführen will, uud am
allerwenigsten jener Humanität, die als WirthShauS-
schild des Gasthauses zur Loge dient, (Beifall) und
die darauf auSgeht, schon in die zarten Kinderherzen
den Samen der Religionslosigkeit zu streuen durch
conftssionslose Erziehung. Wie gesagt, ich anerkenne,
waS geschieht, aber er gibt auch eine natürliche
Humanität, beruhend auf natürlichen Beweggründen,
in Mitleid, und dann ist nicht zu vergessen, daß
christliche Gedanken und Grundsätze auch dort wirken,
wo man sich denselben entzogen zu haben glaubt.
Und meine verehrtesten Freunde, eines darf nicht außer
Acht gelassen werden, dar ist, daß schon Julia» Apo-
stata neidisch war auf das Wohlthun der Christen,
und daß er das Heidenthum wieder auffrischen und
schmackhafter machen wollte, daß auch das Heidenthum
in seinen Xenodochien die christliche Nächstenliebe
nachzuahmen suchte. Humanität ist nicht verschwom-
mene Gefühlsduselei oder momentane sentimentale
Philanthropie; sie hängt zusammen mit dem Begriff
des Menschen als Mensch. Wo aber wäre der
Begriff des Menschen und MenschenthumS höher

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Herdelberg,
Lwingerftraße 7.

muß, herrscht. ES hatte eine Zeitung Beiträge ge-
sammelt für die Ueberschwrwmten und hatte einen
Theil derselben einem Bürgermeister in Schlesien ge
sardt. Dieser Bürgermeister dankte für die Zusendung
als für «inen Akt „christlicher Nächstenliebe". Dar-
über haben sich Spender des mosaischen Bekenntnisses
beschwert (Heiterkeit), und nun bringt die nämliche
Zeitung ein zweites Schreiben, in welchem der be-
treffende Bürgermeister den Ausdruck „christliche Näch-
stenliebe" als einen unpass-nden von Herzen bedauert.
(Oho! und ironisch«! Beifall.) Christliche Nächsten-
liebe also unpassend! Möglich, daß die Beschwerde
führer eS passender finden, wenn ein Isidor Rosen-
thal in Erlangen an der Universität in Blasphemie
sich leisten darf — gestatten Sie, daß ich es sage —,
daß er einen avgenagelten Frosch mit Christus, dem
Herrn am Kreuze vergleicht. (Pfui! Pfui!) DaS
scheint passender zu sein, denn dem Isidor Rosenthal
soll nichts geschehen dafür, leben wir ja auch im
christlichen Bayern. Die christliche Nächstenliebe un-
passend ! Bisher haben einsichtsvolle Kenner der
Verhältnisse geglaubt, wenn irgendwo und irgendwann
und zu irgend einer Zeit, dann sei die christliche
Nächstenliebe heute nicht bloS passend, scndern un-
bedingt nothwendig. (Beifall.) Freilich,
meine Herren, man will ja im Zeitalter der Fäl-
schungen auf diesem Gebiete mit Surrogaten sich be-
gnügen. Man spricht von Humanität; ollen Respekt
davor! Auch das Heidenthum hat seine Humanität
gehabt, und wir sehen mächtige Staaten, hervorragend
durch ihre Kriegskunst, hervorragend durch RechtSge-
lehrte, bervorragend durch Redner, berühmt in Kunst
und Wissenschaft. Und ihre Humanität, ihre Näch-
stenliebe? Dafür ein Hohnlachen, oder wie eS kurz
PlautuS auSdrückt: „Um den Armen macht sich schlecht
verdient, wer ihm Speise und Trank reicht, denn du
verlierst, WaS du gibst, und verlängerst dem Armen
doch nur ein elendes Leben." Auch das Juden-
thum hat seine Humanität gehabt, und sie rst am
besten charakterisirt in der Parabel vom barmherzigen
Samariter. D«r Priester und der Levit, sie gehen
vorbei am „Menschen," denn die Humanität erstreckt
sich nur aus den StammeSgenossen, aber nicht auf
den Goim. (Lebhafter Beisoll.)
Und die neueste Zeit, sie hat ihre Humanität,
und Niemand wird bestreiten, daß unter dieser Flagge
Großes geschehen ist. Freilich, mit der Humanität
kann ich mich nicht befreunden, die nächstens auch dem
Sträfling noch den Kanarienvogel in die Zelle hän-
gen will. (Heiterkeit und Bravo!) Gewiß, auch der

Neber christliche Charitas.
z/?* d es Domkapitulars Dr. Schädle r,
'"lten auf dem Katholikentage in
L a n d S h u t.
Hochwürdigster Herr Erzbischof! Hoch-
M;, * Versammlung! Verheerende Katastrophen
Iitzier Zeit über weite Theile unsere- Bater-
Hereingebrocken. Gewaltige Wafsermafsen,
Hys Wiige haben die Ernte vernichtet, HauS und
M h'l>wrggeschwemmt, Menschenleben gefordert,
k rüstet man sich zur thatkräftigen Hilfe.
. Mögen aber auch diejenigen nicht zurück-
z» A die sonst gewohnt sind, vom Volke in Empfang
der Form von Steuern. (Bravo.)
vch,"'.ch glaube, wenn einmal, dann ist hier außer-
Nothstavd und der Fall gegeben, daß
jü kg'Msr eintrete, und Herr v. M quel z. B., der
Sammeln sehr zu Hause ist (Stürmische
der gerade auch fitzt wieder so sehr zum
bläst (Heiterkeit), er wird doch nicht über
Zwirnsäden stolpern wollen. Ja, meine
ff ' 'ch glaube sogar, wenn man gewisse Plän-
tzG»'ivtt" einmariniert (Heiterkeit), daß dann auch
i» sz.^bug vorhanden ist im Reich und in Preußen,
""d in Sachsen, in Württemberg und in
e « (Bravo!)
!«Hey ich, einer hat mir an der Sache nicht ge-
A sk».^d fast bin ich zaghaft geworden, über das
Äe» E"- üder was ich, wie der Herr Präsident
hkj»,gekündigt hat, sprechen soll, nämlich, über
tzir n-^che Charitas, umsomehr, da das, was
s .^fallen hat, ein ganz eigenthüwliches
i» rj,., Licht wirft auch auf die Gesinnung, wie sie
der Bevölkerung, wie ich annehmen

U
Zur gefälligen Beachtung! M
vluf das „Pfälzer V-Nsblalt" kann A-
Wähnvd hier in unserem ExpeditionS- A
L L^vle, Zwingerstroße Nr. 7, auswärts bei
M ev,n PysiLmtern und Postboten abonnirt
W iverdrri.

. Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
»glich mU Ausnahme der Sonn- u. 's «v c'L v 10H, Re kl am e25 H. Für hiesige Geschäfts-und
Aqan fnr Makrlmi, Freckm s- «M.
^°erg monatlich 50 L, mit Trägerlohn, durch " Expedition: Zwingerstratze 7._
tzüL^Post bezogen viertelj. 1.60 sranco.—- -' ' —"


. >»I.„ S" Zcrstrrulc.
menschlichen Schwächen, welche bekanntlich weit
^isen n ? unsere Fehler in den geselligen Umgang ein-
Nikr von jeher den Humoristen und Saiyrikern
? osse ffs' Schriftstellern und Künstlern zum willkommenen
NSlridek.'b" geistigen Arbeiten gedient. Auch die nach-
M« «in» welche wir im Auszüge dem amüsanten
, Fr. Friedrich: „Ehemänner und Ehefrauen"
M Ulignn. «kitzelt eine solche Schwäche, und zwar eine
«°"°bmsten, die Zerstreutheit.
svr?I„" wnge Frauen sitzen beim Kaffee zusammen.
»s iuvv?n"iL?°)ürltch über ihre Männer. Nur die eine
Miviea»» 'Ehssraukn hat während des ganzen Gespräches
Mer xi!, , uud über ihren Mann noch kein einziges Wort
>! »Tu -.Mendes, noch ein tadelndes Wort gesprochen.
aewitz ganz glücklich, liebe Anna," fragte sie
»r »3a °?"^"dinnen, „denn Dein Mann ist sicher gut!"
Mr etwa« M herzensgut," fällt die junge Frau ein, fügt
M«ut h^Mngsamer hinzu: „Wenn er nur nicht gar zu
Liefen die Andern fast gleichzeitig, herzlich
' »Zerff». Auua "" ihrem Manne etwas auszusetzen
z, Bsn an^i^vitlob, das find unsere Männer nicht."
N a»z «eiten gedrängt und gequält, mutz die junge
Muck lieben ihres Mannes und ihrem ehelichen
d-!?urch erzählen. Schüchtern theilt fie mit, wie er
i» hersedp^E Zerstreutheit oft in die peinlichste Verlegen-
>M<iier kürzlich seien sie am Sonntag Morgen
Men. Ei-n L ^iortgcsahren, um eine feine Visite zu
M !o bi?, sich gefreut, daß ihr Mann feine Toilette
^Mfchub» Wirksamkeit gemacht, nicht einmal Vie Hellen
aii, b-^r vergessen.
Wen. mWufich sei fie vor ihm die Treppe hinaufge-
ü)esse» N l«chtem Herzen habe fie den Geheimen Rath
« isi hält begrüßt, da habe fie mit Schrecken bemerkt
»Aaz >. ""e. Die Erinnerung wirkt zu mächtig auf fie.
Er hat doch nicht das Schnupftuch ver-
"E Bestes Hut sich doch gewaschen ? — Er trug Loch
lallen die Andern hastig fragend ein.

Sie schüttelt verneinend mit dem Kopfe. „Viel schlim-
mer !" erwiderte fie dem Weinen nahe. „An dem linken
Fuße hatte er einen Lackst« fel, an dem rechten einen roth-
gestickten Hausschuh! — Ich glaubte in die Erde finken
zu müssen vor Schreck!"
Die Freundinnen versicherten ihr, daß fie an ihrer
Stelle auch wirklich versunken sein würden. „Und so ergeht
es mir immer," fährt die r «glückliche junge Frausort.
Keinen Tag, keine Stunde bin ich sicher, datz er mir nicht
durch seine Zeichreutheit die größte Verlegenheit bereitet.
Gestern Abend waren wir zusammen im Theater. Wir
fuhren heim. Bor unserer Wohnung angekommen, hob er
mich aus dem Wagen und da drückte er mir fünf Groschen
in die Hand und gab dem Droschkenkutscher einen Kuß!
Es ist schrecklich!'
Die Freundinnen nehmen die regste Theilnahme an
ihrem Geschick. Im Geiste versetzen sie sich in ihre und des
Droschkenkutschers peinliche Lage.
Im gewöhnlichen Leben sieht Niemand dem Manne
dieser jungen Frau, dem Assessor Sommer, diese Zerstreut-
heit an. Er gilt allgemein als ein Mann mit dem recht-
schaffensten Herzen und den ausgebreitesten Kenntnissen. Er
kann sogar für schön gelten-
Lange Zeit batte er sich auf den Geburtstag seiner
Frau gefreut. Auf das Lustigste sollte er gefeiert werden.
Er will fie an diesem Tage mit Ueberraschungen überhäufen-
Am Morgen, während sie noch schläft, baut er in ihrem
Zimmer die Geschenke auf, welche er für fie bestimmt hat.
Mit Jubel führt er fie dann Hinern. Alles ist gelungen,
nichts vergessen. Anna freut sich am Meisten über das Letz-
tere- Die Zerstreutheit ihres Mannes bat ihr schon so
manche Verlegenheit bereitet. In der Sorgfalt, mit welcher
Alles angeordnet, erkennt fie am deutlichsten seine Liebe.
Und auch beim Kaffeetrinken bemerkt fie nicht das geringste
Leichen seiner Schwäche an ihm-
Als er fort geht auf sein Bureau, bittet er fie, für den
Abend nichts zu bestimmen. „Heute gehörst Du mir," spricht
er. „Und heute Abend wollen wir vergnügt sein — aber
ganz allein," fügte er lächelnd Hinz«, so datz Anna schon

aus seinem Lächeln erräth, daß er etwas Besonderes im
Sinne hat.
Er denkt an diesem Tage an keine Arbeit. Auf dem
Bur «au angekommen. schreibt er eine Anzahl Briefe, Ein-
ladungen zu einem Souper am Abend. Alle seine Freunde
will er an diesem Tage um sich sehen. Zu Ende mit den
Briefen, eilt er fort, um die röthtgen Bestellungen und
Einkäufe für den Abend zu besorgen. Seine Frau soll we-
der Mühe noch Kenntniß davon haben.
In einem Hotel bestellt er das Souper. Selbst Tisch-
zeug, Geschirr und Aufwartung wird ihm mitgeliefert, weil
eS fonst nicht möglich ist, seine Frau zu überraschen. EiS
und Torten werden beim Konditor bestellt, die feinsten
Weine in einer Weinhandlung ausgesucht. Ec denkt an
seine Zerstreutheit, Gewaltsam nimmt er sich zusammen —
er hat nichts vergkssen — nichts.
Der Morgen ist geschwunden. Sein Dienstmädchen
weiht er in den Plan ein, damit sie das Nöthige besorgen
kann. Beim Mittagessen theilt er Anna mit, daß er einen
Wagen zu einer kleinen Partie bestellt habe. „Wir aber
find allein," fügte er noch einmal lächelnd hinzu.
Pünktlich steht der Wagen vor der Thüre. Anna ist
glücklich. Ihr Mann ist so gut und aufmerksam und seine
Zerstreutheit scheint ganz geschwunden zu sein. Wenn er so
bliebe! — sie fahren nach einem benachbarten Orte. Hei-
teres Wetter begünstigt ihre Fahrt.
ES ist bereits Abend geworden, als sie die Stadt wie-
der erreichten. Vor ihrer Wohnung angelangt, staunt Anna,
weil sie fast alle Fenster erhellt sieht.
„Was ist das, Theodor?" fragte fie.
„Ich weitz es nicht," erwiderte er lächelnd. „Komm,
wir werden sehen. Vielleicht haben wir Besuch erhalten."
Singend führt er seine Frau die Treppe hinauf. Er
ist so lustig. Er horcht, ob er drinnen keine Stimmen ver-
nimmt. Noch ist Aller still. Er öffnet die Thüre und über-
rascht bleibt Anna stehen.
Eine lange Tafel für zwanzig Personen steht in hell -
fter Beleuchtung vor ihr. Torten mit ihrem Namenszuge
Blumen in Basen und Töpfen lachen ihr entgegen- DaS
 
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