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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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September 1897
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Nr. 223
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0909

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Wher Volksblati


Verantwortlicher Redakteur:
JosephHuber in Heidelberg.

Auf dar „Pfälzer Volksblatt" kann
sortwähr nd hier in unserem Expedition--
Lokale, Zwingerstroße Nr. 7, auswärts bei
allen Postämtern und Postboten abonnut
werden.

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwtngrrftraße 7.

absichtigte Beschimpfung auf, wozu er bei der Charakter-
Anlage Wols's wohl alle Ursache hatte, und ant-
wortete seinerseits mit einer Pistolen Forderung.
Damit hat er sich als oberster Hüter des Gesetzes
auf seinem Posten unmöglich gemacht, denn da-
österreichische Strafgesetz belegt die Duellanten mit
schwerrm Kerker, der unserer Zuchthausstrafe ent-
spricht. Von der Verfehlung in rel giöS-sittlicher Be-
ziehung wollen wir dabei ganz absehen. Mit größtem
Erstaunen muß man ferner vernehmen, daß Graf
Badem von der Pistolen-Forderung zuvor dem Kaiser
Mittheilung machte und daß seitens des Hofes nicht-
geschehen zu sein scheint, um den Ministerpräsidenten
von diesem verwerflichen Schritte abzuhalten. Auch
wenn Badeni, wie r- heißt, gleichzeitig seine Entlassung
eingereicht hat, hätte die Staatsanwaltschaft zur Äer-
hindernng LeS Duells aufgrboten werden müssen.
Wolf ist, wie die Vossnische Ztg. meldet, ein alter
Prager Burschenschaftler und schon als Student „ein
gefürchteter Meister in der edeln Weffenkunst" ge-
wesen. „Edel" nennt die Voss Ztg. die Kunst des
TodtschießenS, die dasselbe Blatt nicht genug für
deutsche Verhältnisse verurtheilen kann. Wir meinen,
der Pistolenschuß Wols's hat der deutsche Sache mehr
geschadet, als dem Grafen Badeni. ES ist tief be-
dauerlich, daß sich die Gegensätze in Oesterreich bi-
zu blutigen Couflilten zuspitzeu. Graf Badeni ist
gewiß nicht von jeder Schuld sreizusprechen, und durch
die Herausforderung hat er dem religiös gesinnten
Theit der Bevölkerung in Oesterreich uvd Deusch
land bewiesen, weß Geistes Kind er ist. Aber die
deutschen Obstruktionisten sind um kein Haar besser
als er.
Wird die Schießerei zwischen Ministern und Ab-
geordneten in Wien zur Mode werden, oder wird
man gar von der „regelrechten" Schlägerei auf dem
Paukboden zum wüster» Handgemenge im ParlamentS-
saal schreiten? Was soll aus dem österreichischen
Parlamentarismus überhaupt werden? Was wird
die österreichische Regierung thun? Der Nationali-
täten Streit scheint zu einer allgemeinen Verwirrung
zu führen, in der niemand mehr den Muth findet,
an die Zukunft Oesterreichs zu glauben. Graf
Badeni scheint vorläufig trotz der offenbaren Gesetzes-
verletzung im Amte bleiben zu sollen; er hatte zwar
seire Entlassung angeboten, bevor er vor die Pistole
Wols's sich stellte, aber übereinstimmend wird berichtet,
eS habe dabei nur um eine nt-thwendige Formalität
sich gehandelt, die inzwischen gegenstandslos geworden

Das Duell des Grafen Badem
A!^deul deutsch-böhmischen Abgeordneten Wolf kenn-
^lhvet noch bester als der fortdauernde Lärm, unter
das österreichische Abgeordnetenhaus eröffnet
und weiter tagt, den Ernst der parlawen-
^'ichen Lage in Oesterreich. Die deutschen Abge-
Wrdneten, d. h. diejenigen, die sich als die alleinigen
. "treter des DeutschthumS in Oesterreich geberden,
. Sannen gleich am Eröffnungstage mit wüsten Lärm-
!^kn, in der Absicht, die alte ObstruktiovS-Politik
l^'zusttzen. Ob der Präsident im Wiedrrspruche mit
^ Geschäfts.Ordnung zur Einleitung der Wahl
MM, oh xr sonst über die ihm zustehende Grenze-
^USging — drr Fernerstehende kann das nicht mit
. Mlheit beurtheilen, aber sicher ist, daß zu den an-
s.?"wen Verletzungen der Geschäfts Ordnung die
Ichastliche Erregung auf der Linken in einem
her? Mißverhältniß stand. Die Deutsch Liberale»
wenn sie so weiter brüllen und schimpfen, die
beb, aufis rmpfindlichfle schädigen, u. alle
..MMnen Leute innerhalb und außerhalb der schwarz-
ri!^ Trenzpfähle werden mit Ekel von ihnen ab-
be« Angeblich sollen Geheim Polizisten als Diener
N*.Hauser angrstellt worden sein. Der Schönerraner
Mm verlangte vom Grafen Badeni mit wilden Ge-
roen Auskunft und sprach auch gleich von einer
Da« Echt" Schurkerei", wenn sich das bewahrheite.
war eine Ungezogenheit allerersten Ranges, der
wWolf konnte mit der direkten oder hypothetische«
. Wtupfung des Minister-Präsidenten wenigstens
Ma- ' bieder Thotbestand aufgeklärt war, u. dann
kjg v^rnfalls eine scharfe Kritik üben. Der Thatbe-
""ch nicht ganz aufgeklärt. Graf Badeni
„Schurkerei" als eine direkt be-

kjA*t titgttch mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Orqm für Malirlmt, Fmßert L KM. W-LLSLS
Kelberg monatlich SO H mit Trägerlohn, durch t Rabattbewilligung.
Post bezogen viertelt. 1.60 franco. Expedition: Zwingerstraße 7.

Welberg, AmmrüT den 3O.SeMmder 1897.

sei, da Badeni in der Fortführung der Geschäfte
nicht behindert werde.
Sollte mau wirklich in O sterreich bereits so weit
gekommen sein, eine so absichtliche Gesetzes-Verletzung
ruhig hiugehen zu lassen? Die N. Fr. Pr. meint:
„Das Beispiel eines Minister-Präsidenten, der sich
eines Verbrechens schuldig macht, wenngleich aus ach-
tungswerthen Motiven, ist tausend Mal schädlicher
und staatsgr jährlicher als die Obstruction. Wer sich
selbst über das G setz hm wegsetzt, hat das moralische
Recht verwirkt, die Achtung der Gesetze von andern
zu fordern und sie dazu zu verhalten." Von „ach-
tungswerthen Gründen" kann unseres Erachtens keine
Rede sein. Ein Berliner Blatt freilich läßt sich aus
Wien berichten, Badeni habe den Beweis geliefert,
daß er persönlich die Verantwortung für seine Politik
übernehme. Auch die Boss. Ztg. ist geneigt anzunetzmen,
daß er durch das Duell seine Stellung gegenüber der
Opposition gebessert habe, und stellt den Minister-
Präsidenten wegen seiner lobenSwerthen Empfindlichkeit
in einen „sympathischen" Gegensatz zu seiner „Volks-
verrätherischen" deutschen Gefolgschaft. Der Haß gegen
den „KlericaliSmuS" hat die alte Tante schon lange
blind gemacht, sonst müßte sie einsehen,' daß die
Stellung der kirchentreuen deutschen Katholiken im
österreichischen Abgeordnetenhaus- eine sehr schwierige
ist. Badeni blieb entgegen dem ärztlichen Rath außer
Bett und hütet nur das Zimmer. Seinen Angehörigen
hatte Badeni von dem bevorstehenden Duell nichts
mitgetheilt, dagegen steht eS außer Frage, daß der
Kaiser darum wußte, der gegenwärtig noch in Ofen
weilt.
Der Abg. Wolf, so schreibt man aus Wim
25. d., ist durch die Forderung des Grafen Badeni
zu einer Reklame gekommen. Man wird ihn nun in
den radikalen deutschen Kreisen NordböhmenS wie
einen Abgott verehren. Anderseits ist allerdings
Gefahr, sagen wir lieber Aussicht vorhanden, daß der
Wölfische Schuß auch die Obstruktion getödtet hat,
es tauchen nämlich Gerüchte auf, wonach die Versuche,
ein Executiv-Comite der Obstruktionsparteien zu bilden,
gescheitert sind. Die deutsche Fortschrittspartei und
die deutsche Volkspartei sollen es abgelchnt haben,
über ein weiterrs gemeinsames Vorgehen der Oppo-
sition mit der Schönerergruppe zu verhandeln, und
zwar mit Rücksicht auf das Verhalten der letztem
Gruppe im Abgeordnetenhause. Natürlich wird jetzt
nach dem Duell Badeni-Wolf die Stimmung in den
erstgenannten Parteien noch weniger dem Plane gün-
stig sein. In katholischen Kreisen wird es bedauert

„Bete ein Vater unser!"
bhi-Alr er von seiner Braut Abschied nehmen wollte, sagte
»w lag's den ganzen Abend auf dem Her-
ku'i° schwere Ahnung. Willst du mir versprechen,
Abeud ein „Vater unser" zu beten?"
tzeg .A Kind," sagte Paul und warf seine Cigarette
'ft kchvn spät, ich habe heute keine Zeit mehr da-
m dermal vielleicht."
k" "FLUI, spotte nicht!"
die wird dir zustoßen könne», Anna? Scheuch'
tvordkn"i§EN Grillen au- dem Kopfe; es ist dir warm ge-
r«b, uaher die schweren Gedanken. Leg' dich nieder und
Us, das jst besser, al« beten."
dir E^ul, sprich nicht solch' schreckliche Dinge aus. Wenn
dicht N eZÄ Unglück paisirte auf dem Heimwege? Muß
glück,"ich und mich beschützen, wenn wir gesund und
K. "" wollen?"
Neuler Stern beschützt mich, sei versichert, mir
"'" Mts Schlimmes diese Nacht mehr!"
ftir »o, 5 wenn mir ein Unglück drohte? Willst du nicht
L. deide zusammen ein „Vater unser" beten?"
I "Mte Nacht nicht mehr, liebes Kind, morgen vielleicht.
Unser" g? wenn dein oder mein Leben an dem „Vater
ÄK'e.
^ute N^?u wußt schlafen, deine Nerven sind angegriffen,
tvieder Mr ^ier meine Hand, morgen elf Uhr will ich
Pau? wahr?"
/»ut reichte Anna die Hand.
Und Paul," das waren ihre letzten Worte, so bittend
Äuter unser ihn fast selbst übermannte, „bete ein
schlo^W Ving sie mit ihrer Tante hinein und die Thür
zündete eine neue Cigarre an und schien -
Hasch »W. die Straße entlang zu seiner Wohnung.
Km aus und wollte sich eben zu Bette
^tiui«?8, tönte es ihm mehrmals in die Ohren mit der
r Anna-: „Paul, bete «in Vater unser!"

Er wollte ks unwillkürlich thun; er faltete die Hände
— seit vielen Jahren zum ersten Male, und wollte be-
ginnen. Aber als er die ersten Worte „Vater unser" gesagt
hatte, da hielt er wieder inne; er schämte sich seiner eige-
nen Stimme. Lachend ließ er die Lände wieder sinken, er-
hob sich und warf sich in's Bett. Das „Vater unser" war
nicht gebetet. ....
„DaS wäre schön gewesen," murmelte er noch lachend,
wieder ein Ammenlind zu werden und Gcbetlein herzusagen."
Dann schlief er ein.
Paul schlief unruhig- Das letzte Wort seiner Braut
kam ihm stets wieder im Schlafe in den Sinn: „Paul,
bete ein Vater unser!" Tann träumte er wieder, er sah sich
neben seiner Braut am Traualtar, aber er konnte das „Ja"
nicht aussprechen Dann sah er sie wieder mit den Wellen
ringen, dann in den Flammen stehen, dann auf dem Todten-
bette liegen.
„Paul, Paul, bete ein Vater unser, ich sterbe!" So
sagte jetzt eine Stimme, und Paul erwachte. Er hatte ge-
meint, ganz deutlich Annas Stimme vernommen zu haben,
und er lauschte, ob er nicht einen Widerhall derselben in
der Stille der Nacht vernehme. Er meinte, darauf schwören
zu können, daß diese Stimme kein Traum, sondern Wahr-
heit gewesen, uvd er durch dieselbe aus seinem Halbschlum-
mer geweckt worden sei-
Er zündete Licht an und stand auf. Nirgends ein Laut,
nirgends ein Geräusch im Zimmer, nur die Uhr tickte leise.
Paul wurde es halb unheimlich. Er fühlte, daß er
nicht mehr schlafen könne diese Nacht, und that, was er
schon manchmal gethan hatte, wenn ihm des Nachts ernste
Gedanken kamen: er zog sich an, nahm Hut und Stock und
ging. Durch die stillen Straßen wandelte er rasch dem
großen SPitale zu, welches ihm unterstellt war. Hier war
die ganze Nacht über Licht und Leben an den Kranken-
betten. Eine Stunde ging er umher an den Krankenbetten;
noch eine halbe Stunde hielt er es auS, dann aber trieb es
ihn wieder fort- Eine «igenthümliche Hast und Unruhe be-
mächtigte sich seiner.
„Wenn nur einmal die Nacht herum und e- Tag
wäre," seufzte er, verließ da- Spital und ging hinaus in

die stille Nacht, die sich schon leise dämmernd dem nahen
Morgen zuwandte.
Paul wandelte durch die Straßen hinaus, den Fluß
entlang durch die Anlagen. Der Morgen graute, Paul
kehrte um und wollte heimgehen. Da traf er auf einen Be-
kannten, der nicht wenig erstaunt war, Paul zu dieser
Stunde zu begegnen.
Paul erzählte seine Schlaflosigkeit, der Freund lachte
und sagte: „Da müssen wir helfen. Auf meinem Zimmer
steht noch erne Flasche Champagner, die wird dir den Hu-
mor wiedergeben."
Paul ging mit, nur um nicht allein zu sein.
Jetzt fing er an, Alles zu erzählen, war ihm in der
Nacht Passirt war, auch die sonderbare Stimme, und der
Freund horchte gespannt auf. Endlich sagte dieser: „Aller-
dings ein seltsamer Traum; aber schlag' dir diesen Unsinn
aus dem Kopf; denn Träume sind Schäume. Du hattest
gestern zu viel ftudirt oder dich sonst geistig angestrengt,
dazu das lange Ausbleiben und die folgende Aufregung;
das ist Schuld an Allem." Paul beruhigte sich noch nicht-
Allmählich hatte sich die Unterhaltung auf andere Ge-
genstände hinübergespielt, und so hatte Paul sein geistiges
Gleichgewicht wiedergewonnen, als die Uhr neun Vormit-
tags schlug. Ja, zuletzt lachte und spottete er selber sich aus,
daß er sich von einem Hirngespinnste so unnöthig hatte
aufregen lassen.
Endlich schied er von seinem Freunde.
Dieser sagte: „Weißt du was? Wenn du Angst hattest,
oder noch hast, deiner Braut könnte ein Unglück zugeftoßen
sein, so gehe einfach jetzt sofort in das Haus derselben,
erkvndige dich nach ihrem Befinden und laß dir dann sa-
gen, daß sie gesund und frisch wie immer sei. Dann hast
du endlich Ruhe."
„Das ist da- Richtige," sagte Paul, „das will ich so-
fort thun."
Und mit raschem Schritte ging er jenem Stadttheile
zu, wo Anna wohnte.
(Fortsetzung folgt.)
 
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