Wtzer MksbüM
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die Post bezogen viertelj. Ft 1.60 franco.
- . . . -_' Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Ran«
Organ für Malrrkmt, Frerlrert L KM.
Heidelberg monatlich KV H mit Trägerlohn, durch " Expedition Awingerftratze 7.
die Post bezogen viertel,. Ft 1.60 franco.___ _»_— -
tzr. 142.
Verantwortlicher Redakteur c
JosephHuber in Heidelberg.
Wklderg, MM den 26. Iml 1897.
Druck, Verlag u. Expedition
Geb r. Huber in Heidelberg
Lwingerstraße 7.
1. Ichrz.
Einladung zum Abonne-
ment auf das III Quartal.
Unsere geehrten Postadonnenten werden höfl. ge-
beten, die B-stcllung auf das „Pfälzer Bolksblatt"
««gehend zu erneuern.
Die Umsturz-Vorlage.
In Sachen der kleinen Umsturzvorlage hat also
das Abgeordnetenhaus für einstweilen sein letztes Wort
geredet. ES ist geblieben wie'S war; d. h. eS wurde
angenommen, was die NattvnaUlveralen wollten, eS
blieb abgelehnt, was die Nationallrberalen nicht woll-
ten. Alle Bemühungen aus den Kreisen der national-
liberalen Partei heraus, die Fraktion zu einer völligen
Ablehnung der Vorlage zu bewegen, sind fruchtlos
gewesen. Den Grund kann man sich leicht vorstrllen:
eS wird die Fraktion große Mühe gekostet Haden, olle
Mitglieder zu derjenigen Haltung zu bringen, welche
schließlich dre offizielle wurde, und einzelne ihrer Mit-
glieder würden gern bereit gewe en sein, in den Po-
lizeimaßregeln zur Beschränkung des freien VcreinS-
und VersammlungSrrchtS recht weit mitzugehen. Die
Rücksicht auf diese Mitglieder hat die Fraktion ver-
hindert, das zu thun, was, wenn si; unter voller
Würdigung unserer politischen Zustände entscheiden
wollte, das einzig richtige gewlsen wäre, nämlich das
ganze Gesetz, oder besi r gesagt, den Torso desselben,
der noch übrig ist, rundweg abzulehnen. Die
Nationalliberalen Haden eben wieder einmal eine
Gelegenheit versäumt. Wie heule die Dinge liegen,
dursten sie gar nicht fragen, ob eS von ihrem Stand-
punkte aus erwünscht sei, die Minderjährigen aus
politischen Vereinen und Versammlungen fernzuhalten
— dar mußte für sie eine ganz untergeordnete Frage
sein, zumal wo sich doch Niemand in Ernst einbildeu
kann, damit der Sozialdemokratie erheblichen Abbruch
zu thun.
War aber unbedingt nothwendig war und als das
beherrschende Moment der Lage in den Vordergrund
geschoben werden mußre, das war die Pflicht der
heranrückcnden Reaktion, dem kommenden Poliz-i-
* Blind und -och sehend.
„Laß mich nur machen, ich will ihr sch-n zusetzen, wie
ich d>r sage: ich verlasse ihre Schwelle nicht, bi» ich sie nm
die nöthigen Thaler ärmer gemacht. Ich weiß schon ein
Mittel, sie mürbe zu machen — die alte Heuchlerin hat eine
heillose Furcht vor dem Tode, «nd den Tod will ich sie
leibhaftig sehe« lassen, wenn sie nicht gutwillig geben will!"
In diesem Augenblick brachte Fran Brnmmeisen den
Kaffee. Auf Adoli'S Einladung setzte sie sich zu den beiden
Freunden und plauderte mit ihnen, wobei Rudolf noch
Manches über Vie Lebensweise des alten Gesängnißver-
walterS und seine Tochter erfuhr, was ihn nur in dem Ver-
langen bestärkte, die Blinde von ihrem Leiden zu befreien.
Eine halbe Stunde später verließen die Freunde den
gastlichen Ort. Bald nach ihnen schlich auch der Polizei-
sergeant sich aus seinem Versteck hervor «nd folgte ihnen
von fern nach. —
2. Der Mord.
Mit einer Entschlossenheit, die von seinem vorigen
Kleinmuthe gewaltig abftach, wandte Rudolf nach der
Trennuug von Adolf seine Schritte dem Hause seiner Tante
zu, das in der stillen und entlegenen „Schmiedegasse"
lag- Die allein stehende alte Frau wollte, als sie auf jein
Klopfen »um Fenster herauSsah, ihren Neffen von da au-
kurz absertigen; aber ihre Neugier kennend, gab er vor,
ihr wichtige Neuigkeiten zu bringen «nd verschaffte sich da-
durch Einlaß. Er fand sie in Gesellschaft einer jungen
Frau, ihrer Pathe- Dieselbe hatte ihren eigenen Hausstand
in einer andern Straße, versah aber bei der Alten die
Stelle einer Lufwärterm umsonst — aus Anhänglichkeit,
wie sie vorgab, in Wahrheit aber in der Hoffnung, sie zu
beerben. Rudolf wußte die Neugier seiner Tante durch
diese und jene TageSnenigkeit zu befriedige», und «ls end-
lich die junge Frau sich entfernte, um nach ihrem kranken
Kinde zu sehen, rückte er gerade auf sein Ziel los. Aber
wie fein er auch seine Bitte emlettete, welche rührende
Vorstellungen er auch machte — er erreichte nicht» al» da«
Anerbieten eine» Almosen» von einem Thaler. Entrüstet
System und der R'pristinirung der altpreußischen
Junkerpolitik von vornherein ein festes Halt! ent-
gegenzurufen. Hätte die uationalliberale Partei dazu
sich aufgeschwungen, so hätte unsere politische Zukunft
vielleicht noch in andere Bahnen gelangen können.
Jetzt ist die Partei schwachmüthig gewesen; sie hat,
um sich auf einen andern Tag fortzuwurstelv, der
heranrückenden Reaktion Zugeständnisse, eine ehrfurchts-
volle Verbeugung gemacht, und nun ist kein Auf
halten mehr: die Reaktion kommt jetzt unfehlbar, und
die Nationalliberalen werden durch ihre Weichherzig-
keit die Mitschuldigen sein. Hadeunt sidi; wir können
sie nicht retten. Und wie konnte man die Pflicht des
Augenblicks so sehr verkennen, nachdem ein Frhr. v.
Zedlitz und Neukirch j-tzt so weit sein Herz geöffnet
bat! Er sprach von der „verblendeten Mehrheit des
Rc'chStagS", mit der sich „keine deutsche nationale
Politik treiben lasse." Wenn es richtig ist, daß die
jetzige Mehrheit deS Reichstages „verblendet" ist,
dann ist es Sache der höchsten Staatsweisheit, eine
wahrhast staalSrettende That, „diesen" Reichstag mit
einem eisernen Besen wegzufegen. Das ist eS, wa»
Herr v Zedlitz nicht ausdrücklich gesagt hat, was er
aber sagen und andeuten wollte
Jawobl, dahin geht die Reise! Wenn ein Staats-
streich versucht werden sollte, so würde Herr v. Zedlitz
ihm in Wort und That zur Verfügung stehen! Ec
steht auch schon j-tzt zu jedem Ministerposten zur Ver-
fügung, wenn er auf demselben den ihm so verhaßten
Reichstag bekämpfen kann. Er hat das „Biele-
felder Programm" deS Kaisers so g-lobt, daß
der Kaiser es mit Händen muß greifen können, Herr
v. Zedltz sei der Veste Vollstrecker desselben. Ein
„Programm" hat bisher noch niemand m der Biele-
selber Rede der Kaisers gesehen, und der Kaiser bat
dieselbe auch zweifellos nicht in der Absicht gehalten,
eine Programmrede zu halten. Sie ist so weit gefaßt,
Voß man schon sehr vieler concrete in ihre allgemeinen
Sätze hinein interpretiren müßte, wenn auch ihr eine
brauchbare Marschroute werden sollte. Doch auch das
würde Herr v. Zedltz schon besorgen. Er würde die
Jnteresienpolitik des ostelbischen Kleinadels snns pdrass
mit all' ihrer Anmaßung und Kurzsichtigkeit betreiben,
und wenn die Mehrheit des Reichstages „verblendet"
genug wäre, ihm darin Widerstand zu leisten, so würde
er ungenirt thun, was dann zu thun wäre. Wenig-
stens würde er'» probiren. Wenn solche Geister ver-
suchen, an die Führung der Geschicke des deutschen
Volkes zu kommen, dann ist eS die höchste Zeit, ohne
Kleinigkeit eine klare principielle Stellung einzunehmen.
Wir können nur bedauern, daß die Nationalliberalen
das hier eben so versäumt haben, wie früher im Reichs-
tag bei den Marinefordrrungen.
Das Regierungszudttaum der Königin von
England.
Der Zeitpunkt, wo der Festzug sich in Bewegung
setzen sollte, wurde durch 60 Salutschüsse der im
Hy ve-Park aufgestellten Feldartillerie verkündet, als
die Königin ihre Carrosse bestieg. Die ganze Fest-
straße war schon seit Stunden mit 46,881 Soldaten,
6808 Pferden und 116 Geschützen besetzt, und die
buntfarbigen Uniformen trugen nicht wenig zur Ver-
vollständigung deS Schmuckes der Straßen bei.
In den Straßen selbst herrschte schon ein Gewühl
von Menschen, die gekommen waren, um den Fest-
schmuck zu sehen und zu bewundern, in den sich Lon-
don auf der für die Feier gewählten Route geworfen
hatte. Hier und da war man noch an der Arbeit,
die letzte Hand au die Ausschmückung za legen, Ban-
ner zu entrollen, Teppiche über Fensterbrüstungen zu
hängen, rotheS Tuch auf die Tribünen zu nageln.
Der Festzug setzte sich nunmehr in Bewegung, an
der Spitze ein Hauptmann der 2. Leibgarde mit vier
Mann, nebst einer Abtheilung Seeartillerie, dann kam
ein Stabsoffizier mit der Avantgarde. Dieser folgten
drei Musikcorps, dann eine Batt rie reitende Artillerie
mit drei Schwadronen Reiterei. Dann wieder eine
Batterie mit drei Musikcorps und drei Schwadronen
Dragoner, wieder eine weitere Batterie mit drei Musik-
corps und drei Schwadronen. Dann wechselten sich
drei Mal je eine Batterie mit je zrvci Musikcorps u.
zwei Schwadronen ab, und den Schluß diese» ersten
TheileS bildete ebenfalls eine Batterie.
Hiernach folgteu die persönlichen Adjutanten de»
Höchstcommandirendeo, Generalfeldmar schall Viscount
Wolseley, und der Königin, dann der Herzog von
Westminster, der Lord-Lieutenant von London, der
Generalstab und dann drei Feldmarschalle. Hier sollen
sich später am Temple-Bar die Sheriffs der City von
London zu Pferde emreihen, und gleichzeitig sollen
sich zwei Kutschen von der City Corporation an die
Spitze des Zuges setzen.
Hierauf folgten die offiziellen Vertreter der Miliz,
der Jeomanry und der VolunteerS in den Personen
von orei Oberstlieutenants. Danach kamen die ein-
zelnen Gefolge der verschiedenen Fürstlichkeiten und die
den v rschiedenen fremden Fürstlichkeiten zugetheilten
schlug er es a«S und die Rückkehr der Wartefrau verhin-
derte ihn, weiter in die geizige Alte zu dringen.
Hilflos, wie er gekommen, ging er und nahm unwill-
kürlich seine« Weg nach dem Kriminalgesängniß. Hier trat
das durch die widrige Verhandlung mit der Tante in den
Hintergrund getretene Bild ver Blinden mit dem Gedanken,
sie zu heilen, wieder in den Vordergrund. Er hatte schon
die Hand an den Klinaelzug aele t, > N Einlaß zu begehren,
damit er sofort eine nähere Untersuchung der in Nacht ge-
hüllten Augen vornähme, aber er besann sich, wie wem»
er in der Lage sei, dem ihm al» so mißtrauisch dargelegte»
Gefängnißbeamten sich al» kundiger Arzt z« legitimiren,
de« ein so schmieriges Werk anzunectranen »ar. Er ließ
die Klingel ungezogen und entfernte sich «it dem Entschluß,
am Abend, wenn die Tante wieder allein sein würde, sie
noch einmal ansznsucheu. Ihm fiel wohl ein, daß sie ihm
dann die Hausthüre gar nicht öffne» würde, aber er be-
sann sich, daß er ja einen Schlüssel dazu besaß. Er beschloß
sie mit dessen Hilse zu überraschen und hoffte sie unter dem
Einflüsse nächtiger Furcht fügsamer zu finden als am Tage.
Der Abend war hcremgedrochen und Rudolf» Tante
hatte sich eben von ihrer Aufwärterin ihre erste Abend-
andacht vorlese» lassen — denn sie ließ e» bei einer nicht
bewenden — al» sie tagte:
„Heute, Mina, mußt du mir den Gefalle» thun und
bei mir über Nacht bleibe» — ich habe mich noch nie so
gefürchtet, wie diesen Abend. Du hast den Rudolf gesehen,
wie er bei mir war, sag' selbst, kam er dirlnicht ganz ver-
wildert vor
Die Erbschafttspeculantin «einte, sie habe ihn fast nicht
wieder erkannt, so war der sonst so sanft au»schende junge
Man« zu seinem Nachtheil verändert. „Richt Mahr?" er-
griff die Alte wieder da» Wort; „ja, seit er seine« Gott
untreu geworden, dessen Dienst ich ibn geweiht hatte, seit-
dem ist er Schritt für Schritt dem Verderben in die Arme
gesunken. Bon so eine» Menschen hat man Alles zu fürch-
ten — Huh! war sür einen abscheulichen B rt er hatte!
Versprich mir also, heute Nacht bei mir zu bleiben."
„Von Herze» gern, liebe Frau Pathe — aber die »anze
Nacht — da» kann ich nicht versprechen. Sie Neisse», «ein !
Kind hat die Masern und mein Mana kommt erst u«
Mitternacht au» de« Dienst. Bi» dahin muß ich wenigsten»
abwechselnd bei dem Kinde sein. Nachher aber will ich ganz
bei Ihne« bleiben."
„Ach, über die böse Zeit!" seufzte die Alte, „wo man
seinem eigenen Fleisch und Blut nicht mehr trauen darf,
für Wohlthaten unr Undank erntet, an Verwandte», Kin-
dern nur Erbschleicher oder gar Raubmörder sich erzieht!
Mina, jetzt lese mir noch einen Psalmen, eh' Du gehst!"
Als Mina nach Verrichtung diese» Frohndienst » da»
Laus "erließ, sah sie, noch unter der Thür stehend, welche
die Alte hinter ihr schloß, wie an der andern Häuserreihe
ein Mann Hinabgin,, in welche« sie beim Laternealicht der
Straße den Neffen ihrer Pathe erkannte. Sie sah ihm eine
Weile argwöhnrich nach, und da er sich zuweilen nach ihr
umblickte, so beschloß sie ihn weiter zu beobachten, ging bi»
an ein nahes Seitengäßchen und verbarg sich dort hinter
der Ecke Bald darauf kehrte Rudolf u«, ging strack» auf
da» Hau» seiner Tante zu, steckie den Schlüssel ohne Ge-
räusch an und öffnete die Thür» die er schnell wieder hinter
sich schloß. Mir einem gellende» Angstschrei empfing ihn
die überraschte Verwandte. Die Beobachterin auf der Straße
eilte nun wleder an da» Hau» »nd stellte sich unter da»
Fenster, wo sic, da die Fensterflügel wegen der Sommer-
Sitze offen standen, durch die Jalousien einen großen Theil
der zwischen Tante und Neffen bald leiser, bald lauter ge-
führten Verhandlung vernehmen konnte. Rudolf schritt ohne
Umschweife zu seinem Gegenstand. Er hielt der Alten vor.
wie sie ihrem Bruder auf seinem Todtenbette versprochen,
Stelle au de« verwaisten Sohne zu vertrete», er nannte,
ohne die Person namhaft zu machen, da» gute Werk, um
da» e» sich handelte; er bat so inständig, daß selbst die
Horcherin an der Wand gerührt wurde und wünschte, die
Alte möchte ihm die verlangte Kleinigkeit geben, „damit sie
ihn nur los würde." Aber ba» hartherzige Weid war un-
beweglich. Sie schalt Rudolf erneu Undankbaren, einen Ab-
trünnigen, eine Frucht de» Bösen.
(Fortsetzung folgt.)
»elberg monatlich SV mit Tragerlohn, '
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beten, die B-stcllung auf das „Pfälzer Bolksblatt"
««gehend zu erneuern.
Die Umsturz-Vorlage.
In Sachen der kleinen Umsturzvorlage hat also
das Abgeordnetenhaus für einstweilen sein letztes Wort
geredet. ES ist geblieben wie'S war; d. h. eS wurde
angenommen, was die NattvnaUlveralen wollten, eS
blieb abgelehnt, was die Nationallrberalen nicht woll-
ten. Alle Bemühungen aus den Kreisen der national-
liberalen Partei heraus, die Fraktion zu einer völligen
Ablehnung der Vorlage zu bewegen, sind fruchtlos
gewesen. Den Grund kann man sich leicht vorstrllen:
eS wird die Fraktion große Mühe gekostet Haden, olle
Mitglieder zu derjenigen Haltung zu bringen, welche
schließlich dre offizielle wurde, und einzelne ihrer Mit-
glieder würden gern bereit gewe en sein, in den Po-
lizeimaßregeln zur Beschränkung des freien VcreinS-
und VersammlungSrrchtS recht weit mitzugehen. Die
Rücksicht auf diese Mitglieder hat die Fraktion ver-
hindert, das zu thun, was, wenn si; unter voller
Würdigung unserer politischen Zustände entscheiden
wollte, das einzig richtige gewlsen wäre, nämlich das
ganze Gesetz, oder besi r gesagt, den Torso desselben,
der noch übrig ist, rundweg abzulehnen. Die
Nationalliberalen Haden eben wieder einmal eine
Gelegenheit versäumt. Wie heule die Dinge liegen,
dursten sie gar nicht fragen, ob eS von ihrem Stand-
punkte aus erwünscht sei, die Minderjährigen aus
politischen Vereinen und Versammlungen fernzuhalten
— dar mußte für sie eine ganz untergeordnete Frage
sein, zumal wo sich doch Niemand in Ernst einbildeu
kann, damit der Sozialdemokratie erheblichen Abbruch
zu thun.
War aber unbedingt nothwendig war und als das
beherrschende Moment der Lage in den Vordergrund
geschoben werden mußre, das war die Pflicht der
heranrückcnden Reaktion, dem kommenden Poliz-i-
* Blind und -och sehend.
„Laß mich nur machen, ich will ihr sch-n zusetzen, wie
ich d>r sage: ich verlasse ihre Schwelle nicht, bi» ich sie nm
die nöthigen Thaler ärmer gemacht. Ich weiß schon ein
Mittel, sie mürbe zu machen — die alte Heuchlerin hat eine
heillose Furcht vor dem Tode, «nd den Tod will ich sie
leibhaftig sehe« lassen, wenn sie nicht gutwillig geben will!"
In diesem Augenblick brachte Fran Brnmmeisen den
Kaffee. Auf Adoli'S Einladung setzte sie sich zu den beiden
Freunden und plauderte mit ihnen, wobei Rudolf noch
Manches über Vie Lebensweise des alten Gesängnißver-
walterS und seine Tochter erfuhr, was ihn nur in dem Ver-
langen bestärkte, die Blinde von ihrem Leiden zu befreien.
Eine halbe Stunde später verließen die Freunde den
gastlichen Ort. Bald nach ihnen schlich auch der Polizei-
sergeant sich aus seinem Versteck hervor «nd folgte ihnen
von fern nach. —
2. Der Mord.
Mit einer Entschlossenheit, die von seinem vorigen
Kleinmuthe gewaltig abftach, wandte Rudolf nach der
Trennuug von Adolf seine Schritte dem Hause seiner Tante
zu, das in der stillen und entlegenen „Schmiedegasse"
lag- Die allein stehende alte Frau wollte, als sie auf jein
Klopfen »um Fenster herauSsah, ihren Neffen von da au-
kurz absertigen; aber ihre Neugier kennend, gab er vor,
ihr wichtige Neuigkeiten zu bringen «nd verschaffte sich da-
durch Einlaß. Er fand sie in Gesellschaft einer jungen
Frau, ihrer Pathe- Dieselbe hatte ihren eigenen Hausstand
in einer andern Straße, versah aber bei der Alten die
Stelle einer Lufwärterm umsonst — aus Anhänglichkeit,
wie sie vorgab, in Wahrheit aber in der Hoffnung, sie zu
beerben. Rudolf wußte die Neugier seiner Tante durch
diese und jene TageSnenigkeit zu befriedige», und «ls end-
lich die junge Frau sich entfernte, um nach ihrem kranken
Kinde zu sehen, rückte er gerade auf sein Ziel los. Aber
wie fein er auch seine Bitte emlettete, welche rührende
Vorstellungen er auch machte — er erreichte nicht» al» da«
Anerbieten eine» Almosen» von einem Thaler. Entrüstet
System und der R'pristinirung der altpreußischen
Junkerpolitik von vornherein ein festes Halt! ent-
gegenzurufen. Hätte die uationalliberale Partei dazu
sich aufgeschwungen, so hätte unsere politische Zukunft
vielleicht noch in andere Bahnen gelangen können.
Jetzt ist die Partei schwachmüthig gewesen; sie hat,
um sich auf einen andern Tag fortzuwurstelv, der
heranrückenden Reaktion Zugeständnisse, eine ehrfurchts-
volle Verbeugung gemacht, und nun ist kein Auf
halten mehr: die Reaktion kommt jetzt unfehlbar, und
die Nationalliberalen werden durch ihre Weichherzig-
keit die Mitschuldigen sein. Hadeunt sidi; wir können
sie nicht retten. Und wie konnte man die Pflicht des
Augenblicks so sehr verkennen, nachdem ein Frhr. v.
Zedlitz und Neukirch j-tzt so weit sein Herz geöffnet
bat! Er sprach von der „verblendeten Mehrheit des
Rc'chStagS", mit der sich „keine deutsche nationale
Politik treiben lasse." Wenn es richtig ist, daß die
jetzige Mehrheit deS Reichstages „verblendet" ist,
dann ist es Sache der höchsten Staatsweisheit, eine
wahrhast staalSrettende That, „diesen" Reichstag mit
einem eisernen Besen wegzufegen. Das ist eS, wa»
Herr v Zedlitz nicht ausdrücklich gesagt hat, was er
aber sagen und andeuten wollte
Jawobl, dahin geht die Reise! Wenn ein Staats-
streich versucht werden sollte, so würde Herr v. Zedlitz
ihm in Wort und That zur Verfügung stehen! Ec
steht auch schon j-tzt zu jedem Ministerposten zur Ver-
fügung, wenn er auf demselben den ihm so verhaßten
Reichstag bekämpfen kann. Er hat das „Biele-
felder Programm" deS Kaisers so g-lobt, daß
der Kaiser es mit Händen muß greifen können, Herr
v. Zedltz sei der Veste Vollstrecker desselben. Ein
„Programm" hat bisher noch niemand m der Biele-
selber Rede der Kaisers gesehen, und der Kaiser bat
dieselbe auch zweifellos nicht in der Absicht gehalten,
eine Programmrede zu halten. Sie ist so weit gefaßt,
Voß man schon sehr vieler concrete in ihre allgemeinen
Sätze hinein interpretiren müßte, wenn auch ihr eine
brauchbare Marschroute werden sollte. Doch auch das
würde Herr v. Zedltz schon besorgen. Er würde die
Jnteresienpolitik des ostelbischen Kleinadels snns pdrass
mit all' ihrer Anmaßung und Kurzsichtigkeit betreiben,
und wenn die Mehrheit des Reichstages „verblendet"
genug wäre, ihm darin Widerstand zu leisten, so würde
er ungenirt thun, was dann zu thun wäre. Wenig-
stens würde er'» probiren. Wenn solche Geister ver-
suchen, an die Führung der Geschicke des deutschen
Volkes zu kommen, dann ist eS die höchste Zeit, ohne
Kleinigkeit eine klare principielle Stellung einzunehmen.
Wir können nur bedauern, daß die Nationalliberalen
das hier eben so versäumt haben, wie früher im Reichs-
tag bei den Marinefordrrungen.
Das Regierungszudttaum der Königin von
England.
Der Zeitpunkt, wo der Festzug sich in Bewegung
setzen sollte, wurde durch 60 Salutschüsse der im
Hy ve-Park aufgestellten Feldartillerie verkündet, als
die Königin ihre Carrosse bestieg. Die ganze Fest-
straße war schon seit Stunden mit 46,881 Soldaten,
6808 Pferden und 116 Geschützen besetzt, und die
buntfarbigen Uniformen trugen nicht wenig zur Ver-
vollständigung deS Schmuckes der Straßen bei.
In den Straßen selbst herrschte schon ein Gewühl
von Menschen, die gekommen waren, um den Fest-
schmuck zu sehen und zu bewundern, in den sich Lon-
don auf der für die Feier gewählten Route geworfen
hatte. Hier und da war man noch an der Arbeit,
die letzte Hand au die Ausschmückung za legen, Ban-
ner zu entrollen, Teppiche über Fensterbrüstungen zu
hängen, rotheS Tuch auf die Tribünen zu nageln.
Der Festzug setzte sich nunmehr in Bewegung, an
der Spitze ein Hauptmann der 2. Leibgarde mit vier
Mann, nebst einer Abtheilung Seeartillerie, dann kam
ein Stabsoffizier mit der Avantgarde. Dieser folgten
drei Musikcorps, dann eine Batt rie reitende Artillerie
mit drei Schwadronen Reiterei. Dann wieder eine
Batterie mit drei Musikcorps und drei Schwadronen
Dragoner, wieder eine weitere Batterie mit drei Musik-
corps und drei Schwadronen. Dann wechselten sich
drei Mal je eine Batterie mit je zrvci Musikcorps u.
zwei Schwadronen ab, und den Schluß diese» ersten
TheileS bildete ebenfalls eine Batterie.
Hiernach folgteu die persönlichen Adjutanten de»
Höchstcommandirendeo, Generalfeldmar schall Viscount
Wolseley, und der Königin, dann der Herzog von
Westminster, der Lord-Lieutenant von London, der
Generalstab und dann drei Feldmarschalle. Hier sollen
sich später am Temple-Bar die Sheriffs der City von
London zu Pferde emreihen, und gleichzeitig sollen
sich zwei Kutschen von der City Corporation an die
Spitze des Zuges setzen.
Hierauf folgten die offiziellen Vertreter der Miliz,
der Jeomanry und der VolunteerS in den Personen
von orei Oberstlieutenants. Danach kamen die ein-
zelnen Gefolge der verschiedenen Fürstlichkeiten und die
den v rschiedenen fremden Fürstlichkeiten zugetheilten
schlug er es a«S und die Rückkehr der Wartefrau verhin-
derte ihn, weiter in die geizige Alte zu dringen.
Hilflos, wie er gekommen, ging er und nahm unwill-
kürlich seine« Weg nach dem Kriminalgesängniß. Hier trat
das durch die widrige Verhandlung mit der Tante in den
Hintergrund getretene Bild ver Blinden mit dem Gedanken,
sie zu heilen, wieder in den Vordergrund. Er hatte schon
die Hand an den Klinaelzug aele t, > N Einlaß zu begehren,
damit er sofort eine nähere Untersuchung der in Nacht ge-
hüllten Augen vornähme, aber er besann sich, wie wem»
er in der Lage sei, dem ihm al» so mißtrauisch dargelegte»
Gefängnißbeamten sich al» kundiger Arzt z« legitimiren,
de« ein so schmieriges Werk anzunectranen »ar. Er ließ
die Klingel ungezogen und entfernte sich «it dem Entschluß,
am Abend, wenn die Tante wieder allein sein würde, sie
noch einmal ansznsucheu. Ihm fiel wohl ein, daß sie ihm
dann die Hausthüre gar nicht öffne» würde, aber er be-
sann sich, daß er ja einen Schlüssel dazu besaß. Er beschloß
sie mit dessen Hilse zu überraschen und hoffte sie unter dem
Einflüsse nächtiger Furcht fügsamer zu finden als am Tage.
Der Abend war hcremgedrochen und Rudolf» Tante
hatte sich eben von ihrer Aufwärterin ihre erste Abend-
andacht vorlese» lassen — denn sie ließ e» bei einer nicht
bewenden — al» sie tagte:
„Heute, Mina, mußt du mir den Gefalle» thun und
bei mir über Nacht bleibe» — ich habe mich noch nie so
gefürchtet, wie diesen Abend. Du hast den Rudolf gesehen,
wie er bei mir war, sag' selbst, kam er dirlnicht ganz ver-
wildert vor
Die Erbschafttspeculantin «einte, sie habe ihn fast nicht
wieder erkannt, so war der sonst so sanft au»schende junge
Man« zu seinem Nachtheil verändert. „Richt Mahr?" er-
griff die Alte wieder da» Wort; „ja, seit er seine« Gott
untreu geworden, dessen Dienst ich ibn geweiht hatte, seit-
dem ist er Schritt für Schritt dem Verderben in die Arme
gesunken. Bon so eine» Menschen hat man Alles zu fürch-
ten — Huh! war sür einen abscheulichen B rt er hatte!
Versprich mir also, heute Nacht bei mir zu bleiben."
„Von Herze» gern, liebe Frau Pathe — aber die »anze
Nacht — da» kann ich nicht versprechen. Sie Neisse», «ein !
Kind hat die Masern und mein Mana kommt erst u«
Mitternacht au» de« Dienst. Bi» dahin muß ich wenigsten»
abwechselnd bei dem Kinde sein. Nachher aber will ich ganz
bei Ihne« bleiben."
„Ach, über die böse Zeit!" seufzte die Alte, „wo man
seinem eigenen Fleisch und Blut nicht mehr trauen darf,
für Wohlthaten unr Undank erntet, an Verwandte», Kin-
dern nur Erbschleicher oder gar Raubmörder sich erzieht!
Mina, jetzt lese mir noch einen Psalmen, eh' Du gehst!"
Als Mina nach Verrichtung diese» Frohndienst » da»
Laus "erließ, sah sie, noch unter der Thür stehend, welche
die Alte hinter ihr schloß, wie an der andern Häuserreihe
ein Mann Hinabgin,, in welche« sie beim Laternealicht der
Straße den Neffen ihrer Pathe erkannte. Sie sah ihm eine
Weile argwöhnrich nach, und da er sich zuweilen nach ihr
umblickte, so beschloß sie ihn weiter zu beobachten, ging bi»
an ein nahes Seitengäßchen und verbarg sich dort hinter
der Ecke Bald darauf kehrte Rudolf u«, ging strack» auf
da» Hau» seiner Tante zu, steckie den Schlüssel ohne Ge-
räusch an und öffnete die Thür» die er schnell wieder hinter
sich schloß. Mir einem gellende» Angstschrei empfing ihn
die überraschte Verwandte. Die Beobachterin auf der Straße
eilte nun wleder an da» Hau» »nd stellte sich unter da»
Fenster, wo sic, da die Fensterflügel wegen der Sommer-
Sitze offen standen, durch die Jalousien einen großen Theil
der zwischen Tante und Neffen bald leiser, bald lauter ge-
führten Verhandlung vernehmen konnte. Rudolf schritt ohne
Umschweife zu seinem Gegenstand. Er hielt der Alten vor.
wie sie ihrem Bruder auf seinem Todtenbette versprochen,
Stelle au de« verwaisten Sohne zu vertrete», er nannte,
ohne die Person namhaft zu machen, da» gute Werk, um
da» e» sich handelte; er bat so inständig, daß selbst die
Horcherin an der Wand gerührt wurde und wünschte, die
Alte möchte ihm die verlangte Kleinigkeit geben, „damit sie
ihn nur los würde." Aber ba» hartherzige Weid war un-
beweglich. Sie schalt Rudolf erneu Undankbaren, einen Ab-
trünnigen, eine Frucht de» Bösen.
(Fortsetzung folgt.)