Wtzer Volksblatt
cheirit täglich mit Ausnahme der Sonn- u. _ Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Gram für MalickÄ, FMeit L Keisit.
lelberg monatlich SO mit Trägerlohn, durch N r Rabattbewilligung.
die Post bezogen Viertels, «ch 1.60 franco. Expedition: Zwinaerktraße 7.
Nr. WmM den 29. M11897. > , 1. I»-.
Einladung znm Abonne-
ment ans das III Quartal.
Unsere geehrten Postabonnenten werden Höst, ge-
beten, die Bestellung auf das „Pfälzer Volksblatt"
Umgehend zu erneuern.
Das Regierungs-Jubiläum der Königin
von England.
Die letzte Wrche war eine wahre Festwoche. Am
Mittwoch waren wahrscheinlich noch mehr Menschen
>n den Straßen, als am Jubiläums»age selbst. Viele
Männer brachten ihre Familien, uw bei Tage die
Strotzende corationen und Abends die Illumination
zu sehen, und wohl an Hunderttausend Menschen
blieben, vom Wetter begünstigt, über Nacht in den
Strotzen und in den Parks. Der Themse Quai, alle
Thorbogen, und namentlich die Parks wurden zu
glotzen Schlofstätten. Die Leute ließen sich einfach
nicht sortweisen. Was konnte die Polizei thun?
Hundertiaulend Menschen wegen Obdachlosigkeit ein-
sperren ? Wie sollen wir noch Hause kommen? war
dir Antwort auf alle Vorstellungen. „Wir müssen
warten, bis die Züge wieder verkehren. Wir können
nicht zu Fuß heimlaufen „ Es war um so leichter,
ein Auge zuzudrücken, und keine Strenge zur An-
wendung zu bringen, als die Haltung der Leute ganz
musterhaft war. ES schien, als ob alle gemeinge-
fährlichen Elemente vom Erdboden verschwunden
wären, und die Polizei war ebenso angenehm ent-
täuscht, wie die Hospitäler; er gab nichts zu fangen
und nichts zu behandeln! Waren die Taschendiebe
und Einbrecher eingeschüchtert durch die Vorbereit-
ungen, die man zu ihrer Ueberwachung getroffen,
oder war es ein loyaler Tribut, den sie der Königin
mit der zeitweiligen Entstellung ihrer Thäligkeit dar-
brachten ? Die Thatsache bleibt bestehen, daß keine
Klagen über Taschendiebstähle laut geworden sind,
daß nur ein Fall zur Anzeige kam, und daß der
Dieb in diesem einen Falle gefangen wurde. Ueber-
haupt waren die Polizeifälle am Jubiläuwstage, d. h.
Verhaftungen wegen Trunkenheit, Ausschreitungen,
6 Blind und doch sehend.
„Dieser scheint auch seelenfroh zu sein, daß er das
Früchtchen los wird," laste Mutter Brummeisen, „denn er
trinkt um die Wette mit den Schiffern, die mit eingeladen
sind. Und sein Sproß scheint'- darauf angesangen zu ha-
ben, den Vater zu sui er Letzt noch im Haar beutel zu er-
blicken; denn er stellt die Schiffer an, ihm tüchtig zuzu-
trinken. Alle Augenblick spricht der Alte, er muffe nun fort,
der Dunst rufe ihn, aber immer von Neuem läßt er sich
tutrinken."
Die Freunde genossen vergnügt ihre Bowle. Ungefähr
»ach einer Stunde wurden sie durch einen Lärm an die
GlaSthüre gelockt, welche sie von dem Gastzimmer trennte.
Da sahen sie, wie Matrosen den bis zur Bewußtlosigkeit
betrunkenen Polizeisergeantcn in eine Art Hängematte leg-
ten und unter Vorantritt seines Sohnes und Abfingung
eines Grabliedes ihn fort nach seinem Quartier trugen.
Um Mitternacht verlieben auch die beiden Freunde das
Kaffeehaus. Rudols begleitete Adolf an dessen Wohnung
und nahm hier Abschied von ihm- Aber der Gedanke an
dar Ziel, dem der Freund entgegen reiste, weckte auch in
seinem Herzen sehnsüchtiges Verlangen, in seinem Seifte
liebliche Träume. Er konnte noch nicht schlafen gehen; es
trieb ibn dahin, wo die holde Blinde schlummerte. Lange
stand er träumend vor dem Gefangenhause, dann machte
er noch einen Spaziergang und kam erst kurz vor ein Uhr
ru Hause an. Er hatte seinen Hausschlüssel nicht bei sich,
Mußte daher den Hauswirth, der Parterre wohnte, wecken,
der sich nicht wenig über seireS sonst mit den Hühnern das
B tt suchenden Melkers späte Heimkunft wunderte.
Der Tag war scheu angebrrchen und Rudolf lag »och
in gaukelnden Morgenträumen, in denen die Blinde nicht
die letzte Rolle spielte, als ihn ein starkes Geräusch vor
seiner Thüre erweckte. Eb' er sich noch recht ermuntert
batte, füllte sich das Zimmer schon mit Beamten und Die-
nern ver Eicherheitsbebörde.
„Sind Sie der Doktor Rudols Grimm?" fragte der
Führer derselben, und auf Rudols's verwundertes „Ja"
«Härte der Beamte: „So find Sie mein Gefangener."
Widersetzlichkeit gegen die Polizei, Taschendiebstahl u.
dgl. unter dem Durchschnitt gewöhnlicher Tage und
erreichten in ganz London nur die Ziffer von 340.
Die Polizeirichter waren auch in Jubiläumsstimmung
und entließen die meisten Angeklagten mit einer bloßen
Warnung, oder legten ihnen ganz geringfügige Geld-
strafen auf. Drei Monate „darä" d. h. Zwangs-
arbeit erholt aber der „Attentäter", dec im Strand
ans einen der Gala Wagen in dem Festzuge losstürzte
und mit seiner Mütze nach einem der süd-amerikanischen
Würdenträger schlug, um seinen nationalen Gesülen
gegen die "koroiZEs" Luft zu machen.
Die Königin hat gestern gegen Abend London
verlassen urd ihr Hoflager nach Windsor verlegt.
Vor ihrer Abreise empfing sie aber noch die beiden
Häuser des Parlaments und die Bürgermeister nahe-
zu aller grotzen und kleinen Städte Englands und
Schottlands und des loyalen Theilen Irlands, einige
Hundert an der Zahl, die mit goldenen und silbernen
an Ordensbändern zu tragenden Denkmünzen bedacht
wurden. Der Empfang d-'S Ober-HauseS war sehr würde-
voll, obschon sich verhältwßmäßig wenig PeerS dazu
einfanden, die alle in Hoftracht erschienen und in
großer Gala mit Lord Salisbury an der Spitze fort-
fuhren. Von dem Empfang der „Gemeinen" läßt
sich nicht dcsselbe sagen. Mit Ausnahmen der irrischen
Nationalen drängten sich alle Mitglieder deS Unter-
hauses zu dieser Feier ; einige kamen in ihren Drosch-
ken und Equipagen angefahren, die meisten aber legten
den Weg vom Parlament zum Buckingham-Palast
vier Mann hoch hinter drin Sprecher maschirend zu
Fuß zurück. ES war ein sonderbarer Aufzug. Voran
fuhr in der altehrwürdigen, mit zwei Riesenpferden
bespannten Staat-carofse der „Sprecher" (d. h. der
Präsident drs Unterhauses), von seinem Scepter-
und dem Schlepp-Träger begleitet. Dem Herr-
scher im souverainen Parlament ist Leibwache zu-
gestanden — rin sage ein ganzer Leibgardist, der den
Vorreiter bildete, dann folgten die Gemeinen; niemand
bekümmerte sich um sie. Kein Mititair war ihnen zu
Eh> en auSgerückt, um den Weg frei zu halten; die
Polizei that auch nicht-, und so mutzten die treuen
Gemeinen, mit denen (und nicht über sie weg) die
Königin 60 Jahre lang regiert und die Geschicke deS
Lande- gelenkt hatte, sich durch das Straßengewühl
winden, so gut sie konnten. Im Palast ging es ihnen
nicht besser. Statt im Thronsaal, wie die Lords,
wurden sie noch langem Antichambriren in der Ein-
gangshalle, im kleinen Ballsaal empfangen.
„Um Gottes willen, wie komme ich dazu ?" fragt» Rudolf
erbleichend.
„TaS werden Sie wohl wissen," antwort-te Jener.
„Ich weiß in der Tbat von keiner Schuld, die ein sol-
ches Vusahren eepen mich rechtfertiste."
„Tas wird sich finden — jetzt kleiden Sie sich an und
folgen uns in's Kriwinalgcricht"
„Aber was ist denn seschehen? Was soll ich denn ge-
than haben? Das muß man mir dcch zu wißen thun."
„Nun, so will ich's Ihnen sagen. Ihre Tonte, die
Wittwe Kreller in der Schmiedegasie, ist ermordet aufge-
sunden worden, urd Sie sollen ter Thäter sein!"
„Gerechter Gott!" rief Rudolf, die Hände zusammen-
schlagind urd schaudernd. Er war lause nicht fähig, etwas
zu thun. Endlich kleidete er sich unter dem Beistände der
Polizei an und ließ sich halb willenlos in das Gesängniß
führen, daS erbeute in einer ganz andern Anselegenheitzu
besuchen gedacht hatte. Statt als Helfer kam er als Ver-
brecher in die schrecklichen Mauern.
3. Di e Unters uchung.
Das Kind der Fritschin war in der Nacht kränker ge-
worden und hatte es der Mutter unmöglich gemacht, zwi-
schen zehn Uhr Abends und ein Uhr Morgens zu ihrer
Pathin zu gehen. Als sie um diese Zeit in das Hous der
einsamen Frau gekommen, hatte sie lange vergeblich an die
Jalousien g ekle pst. Endlich war sie an die Hausthüre ge-
sangen und hatte diese zu ihrem Befremden unverschlossen,
den Schlüssel steckend gefunden. Da hatte sie augenblick-
lich Verdacht geschöpft, Rudolf könne in der Nacht zu sei-
ner Tante zurückgekihrt sein, und wer weiß, was da ge-
scheh«» war. Unschlüssig, was ibun, war sie an der Thür
gestanden, als der Nachiwächter sich in der Nähe gezeigt
batte. Diesen, den sie kannte, hatte sie herbeigerufen, ihm
ihren Arswvh» mitgetheilt und ibn aufgefordert, sie in das
Haus z« begleiten- Er war sogleich bereit gewesen, sie wa-
ren hineingegangen und hatten das Zimmer ebenfalls un»
verschlossen gefunden. Darin eingetreten, hatten sie mit ihrer
Laterne umhergeleuchtet, ohne etwas Verdächtiges zu sehen.
Dann hatte die junge Frau die im nahen Alkoven schlafende
ES kam die letzte Function der Königin vor ihrer
Abfahrt aus Landen — der Kinder Empfang im
Greea-Park. Es waren ihrer 10 000, Knaben und
Mädchen, inSgesammt ausgesucht hübsche Kinder,
für die eine große Tribüne errichtet war. Kuchen,
Milch uno Limonade waren in Hülle und Fülle da,
war doch die Königin Gastgeberin! Ein Fabricant
ließ überdies an jeder Kind ein Säckchen Zuckerwaaren
vertheilen und außerdem erhielt jeder der kleinen
Fefttheilnehmer eine Denkmünze an roth-weiß blauer
Schleife. Zwei Militär Capellen und der Aufmarsch
der königlichen Garde Dragoner und der Leibwache
halfen den Kindern über da- Warten weg. Endlich
verriethen brausende Hochrufe der Züscher, die sich
vom Buckingham. Palast donnerähnlich her wälzten,
daS Nahen der Königin. Gab das eine Aufregung
unter den Kindern! Alle waren aufgestanden und
und reckten die Köpfe. Und dann kam der prachtvolle
Wagen mit seinen seinen sechs schönen Falben, den
glänzenden Geschirren, den Vorreitern, und galonirten
Dienern und den indischen Leibwachen. Da gab eS
etwas zu sehen! Und nun gar die Königin! „Un -
sere gute Großmutter!" riefen die Kinder
und brachen in einen Jubel aus, wie eben nur
Kinder Jubeln können! Kaiserin Friedrich saß der
Königin zur Seite, Prinzessin Beatrice und der
Herzog von Connaught ihr gegenüber. Der Wagen
blieb stehen. Die Königin sah ganz glücklich auf die
Kleinen, von denen über 6000 aus den Board-
SchoolS kamen, und als nun die Volkshymne, von
diesen Hellen Kinderstimmen gesungen, mächtig und
lieblich emporschlug, da sah man die Königin wieder
tief gerührt, und als der letzte Ton verklungen war,
streckte sie wie segnend die Hand gegen das kommende
Geschlecht aus. Die Vertreter der Schulen, für die
katholischen Schulen Cardinal Vaughan an
der Spitze, übergaben dann der Königin im Namen
der Kinder die Adressen. Als sich der Wagen wandte,
erschollen von neuem die Zurufe der Kinder und
hallten der Königin nach, bis sie dem Gesichtskreise
entschwunden war. DaS Kinderfest war daS letzte
und vielleicht das schönste aller Feste der Londoner
Feier.
Deutsches Reich.
* Altona, 26. Juni. Die Strafkammer verur-
theilte soeben den Amtsrichter v. Koeller
in Elmshorn wegen Herausforderung des Bürger.
meisterS Thomsen zum Pistolen-Duell zu einer Woch x
Wittwe gerufen. Umsonst. Da waren die Beiden hinein-
aetrcten und hatten die Alte in ihrem Bette erdrosselt ge-
sunden- Nachdem die Fritschin sich von ihrem ersten
Schrecken erholt, hatte sie unter das Kopfkissen der Ge-
mordeten gegriffen und die Hand mit dem Ausrufe her-
vorgezogen : „DaS kann nur er gewußt haben, was die
arme Frau Pathin hier verborgen hielt." Der Wächter
hatte ihre Erklärung über diese Worte abverlangt, und als
sie diese gegeben, sie aufgefordert, ihm zum Polizei Com-
mifsär zu folgen. Das war geschehen. Der Polizei-Tom-
wiffär hatte die Beidennach dem Schauplatz des gräßliche»
Verbrechens begleitet, de» Äifund festgestellt und die Frau
in das Verhör genommen. Dabei hatte sie nach und nach
Alles erzählt, was am Tage zwischen der Ermordeten und
deren Neffen vorgegangen. Dies »ar dem Polizei-Com-
missär genug gewesen, um Rudols der That "erdächtra zu
halten. Er hatte den Wächter und die Fritschin entlassen,
Zimmer und Haus verschlossen und sich dann nach Ru-
dotf's Wohnung begeben, wo er den HauSwirth geweckt
und von diesem erfahren, wann sein Miethsmann heim-
gekehrt war. Darauf war der Beamte auf das Polizeiamt
geeilt, und hatte hier den Vorfall mit dem Ergebniß seiner
Nachforschungen zur Anzeige gebracht. Der Polizei-Direktor
hatte an die Schuld des ihm nicht ganz fremden jungen
Arztes nicht glauben wollen, daher war die Verhaftung
desselben so lange unterblieben, bis der Sergeant Huker
nach Ausschlasung seiner Rauscher erschienen »ar und durch
Erzählung des Gespräches, das er im Garten der Mutter
Brummeisen belauscht, den Verdacht des Kommissärs be-
stätigt hatte. Da endlich hatte der Direktor den VerhastungS-
besrhl gegeben, der, wie wir gesehen, pünktlich vollzogen
ward- Wir übergehen die nächsten Proc-duren, denen der
so schwerer Schuld Geziehene vom Gericht unterworfen
wurde. Bei seiner schüchternen Gcmüthsart und seinem
Mangel an Weltkennmiß darf es nicht Wunder nehmen,
wenn er sich von dem über ihn hereingebrochenen Miß-
geschick mehr als «r in dem Bewußtsein seiner Unschuld
vöihig hatte, aus der Fassung bringe» ließ. Sein ängstliches
Benehmen vor dem Richier, Namentlich an der Leiche der
Gemordeten, deren Anblick ihn aus's Tiefste erschütterte.
cheirit täglich mit Ausnahme der Sonn- u. _ Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Gram für MalickÄ, FMeit L Keisit.
lelberg monatlich SO mit Trägerlohn, durch N r Rabattbewilligung.
die Post bezogen Viertels, «ch 1.60 franco. Expedition: Zwinaerktraße 7.
Nr. WmM den 29. M11897. > , 1. I»-.
Einladung znm Abonne-
ment ans das III Quartal.
Unsere geehrten Postabonnenten werden Höst, ge-
beten, die Bestellung auf das „Pfälzer Volksblatt"
Umgehend zu erneuern.
Das Regierungs-Jubiläum der Königin
von England.
Die letzte Wrche war eine wahre Festwoche. Am
Mittwoch waren wahrscheinlich noch mehr Menschen
>n den Straßen, als am Jubiläums»age selbst. Viele
Männer brachten ihre Familien, uw bei Tage die
Strotzende corationen und Abends die Illumination
zu sehen, und wohl an Hunderttausend Menschen
blieben, vom Wetter begünstigt, über Nacht in den
Strotzen und in den Parks. Der Themse Quai, alle
Thorbogen, und namentlich die Parks wurden zu
glotzen Schlofstätten. Die Leute ließen sich einfach
nicht sortweisen. Was konnte die Polizei thun?
Hundertiaulend Menschen wegen Obdachlosigkeit ein-
sperren ? Wie sollen wir noch Hause kommen? war
dir Antwort auf alle Vorstellungen. „Wir müssen
warten, bis die Züge wieder verkehren. Wir können
nicht zu Fuß heimlaufen „ Es war um so leichter,
ein Auge zuzudrücken, und keine Strenge zur An-
wendung zu bringen, als die Haltung der Leute ganz
musterhaft war. ES schien, als ob alle gemeinge-
fährlichen Elemente vom Erdboden verschwunden
wären, und die Polizei war ebenso angenehm ent-
täuscht, wie die Hospitäler; er gab nichts zu fangen
und nichts zu behandeln! Waren die Taschendiebe
und Einbrecher eingeschüchtert durch die Vorbereit-
ungen, die man zu ihrer Ueberwachung getroffen,
oder war es ein loyaler Tribut, den sie der Königin
mit der zeitweiligen Entstellung ihrer Thäligkeit dar-
brachten ? Die Thatsache bleibt bestehen, daß keine
Klagen über Taschendiebstähle laut geworden sind,
daß nur ein Fall zur Anzeige kam, und daß der
Dieb in diesem einen Falle gefangen wurde. Ueber-
haupt waren die Polizeifälle am Jubiläuwstage, d. h.
Verhaftungen wegen Trunkenheit, Ausschreitungen,
6 Blind und doch sehend.
„Dieser scheint auch seelenfroh zu sein, daß er das
Früchtchen los wird," laste Mutter Brummeisen, „denn er
trinkt um die Wette mit den Schiffern, die mit eingeladen
sind. Und sein Sproß scheint'- darauf angesangen zu ha-
ben, den Vater zu sui er Letzt noch im Haar beutel zu er-
blicken; denn er stellt die Schiffer an, ihm tüchtig zuzu-
trinken. Alle Augenblick spricht der Alte, er muffe nun fort,
der Dunst rufe ihn, aber immer von Neuem läßt er sich
tutrinken."
Die Freunde genossen vergnügt ihre Bowle. Ungefähr
»ach einer Stunde wurden sie durch einen Lärm an die
GlaSthüre gelockt, welche sie von dem Gastzimmer trennte.
Da sahen sie, wie Matrosen den bis zur Bewußtlosigkeit
betrunkenen Polizeisergeantcn in eine Art Hängematte leg-
ten und unter Vorantritt seines Sohnes und Abfingung
eines Grabliedes ihn fort nach seinem Quartier trugen.
Um Mitternacht verlieben auch die beiden Freunde das
Kaffeehaus. Rudols begleitete Adolf an dessen Wohnung
und nahm hier Abschied von ihm- Aber der Gedanke an
dar Ziel, dem der Freund entgegen reiste, weckte auch in
seinem Herzen sehnsüchtiges Verlangen, in seinem Seifte
liebliche Träume. Er konnte noch nicht schlafen gehen; es
trieb ibn dahin, wo die holde Blinde schlummerte. Lange
stand er träumend vor dem Gefangenhause, dann machte
er noch einen Spaziergang und kam erst kurz vor ein Uhr
ru Hause an. Er hatte seinen Hausschlüssel nicht bei sich,
Mußte daher den Hauswirth, der Parterre wohnte, wecken,
der sich nicht wenig über seireS sonst mit den Hühnern das
B tt suchenden Melkers späte Heimkunft wunderte.
Der Tag war scheu angebrrchen und Rudolf lag »och
in gaukelnden Morgenträumen, in denen die Blinde nicht
die letzte Rolle spielte, als ihn ein starkes Geräusch vor
seiner Thüre erweckte. Eb' er sich noch recht ermuntert
batte, füllte sich das Zimmer schon mit Beamten und Die-
nern ver Eicherheitsbebörde.
„Sind Sie der Doktor Rudols Grimm?" fragte der
Führer derselben, und auf Rudols's verwundertes „Ja"
«Härte der Beamte: „So find Sie mein Gefangener."
Widersetzlichkeit gegen die Polizei, Taschendiebstahl u.
dgl. unter dem Durchschnitt gewöhnlicher Tage und
erreichten in ganz London nur die Ziffer von 340.
Die Polizeirichter waren auch in Jubiläumsstimmung
und entließen die meisten Angeklagten mit einer bloßen
Warnung, oder legten ihnen ganz geringfügige Geld-
strafen auf. Drei Monate „darä" d. h. Zwangs-
arbeit erholt aber der „Attentäter", dec im Strand
ans einen der Gala Wagen in dem Festzuge losstürzte
und mit seiner Mütze nach einem der süd-amerikanischen
Würdenträger schlug, um seinen nationalen Gesülen
gegen die "koroiZEs" Luft zu machen.
Die Königin hat gestern gegen Abend London
verlassen urd ihr Hoflager nach Windsor verlegt.
Vor ihrer Abreise empfing sie aber noch die beiden
Häuser des Parlaments und die Bürgermeister nahe-
zu aller grotzen und kleinen Städte Englands und
Schottlands und des loyalen Theilen Irlands, einige
Hundert an der Zahl, die mit goldenen und silbernen
an Ordensbändern zu tragenden Denkmünzen bedacht
wurden. Der Empfang d-'S Ober-HauseS war sehr würde-
voll, obschon sich verhältwßmäßig wenig PeerS dazu
einfanden, die alle in Hoftracht erschienen und in
großer Gala mit Lord Salisbury an der Spitze fort-
fuhren. Von dem Empfang der „Gemeinen" läßt
sich nicht dcsselbe sagen. Mit Ausnahmen der irrischen
Nationalen drängten sich alle Mitglieder deS Unter-
hauses zu dieser Feier ; einige kamen in ihren Drosch-
ken und Equipagen angefahren, die meisten aber legten
den Weg vom Parlament zum Buckingham-Palast
vier Mann hoch hinter drin Sprecher maschirend zu
Fuß zurück. ES war ein sonderbarer Aufzug. Voran
fuhr in der altehrwürdigen, mit zwei Riesenpferden
bespannten Staat-carofse der „Sprecher" (d. h. der
Präsident drs Unterhauses), von seinem Scepter-
und dem Schlepp-Träger begleitet. Dem Herr-
scher im souverainen Parlament ist Leibwache zu-
gestanden — rin sage ein ganzer Leibgardist, der den
Vorreiter bildete, dann folgten die Gemeinen; niemand
bekümmerte sich um sie. Kein Mititair war ihnen zu
Eh> en auSgerückt, um den Weg frei zu halten; die
Polizei that auch nicht-, und so mutzten die treuen
Gemeinen, mit denen (und nicht über sie weg) die
Königin 60 Jahre lang regiert und die Geschicke deS
Lande- gelenkt hatte, sich durch das Straßengewühl
winden, so gut sie konnten. Im Palast ging es ihnen
nicht besser. Statt im Thronsaal, wie die Lords,
wurden sie noch langem Antichambriren in der Ein-
gangshalle, im kleinen Ballsaal empfangen.
„Um Gottes willen, wie komme ich dazu ?" fragt» Rudolf
erbleichend.
„TaS werden Sie wohl wissen," antwort-te Jener.
„Ich weiß in der Tbat von keiner Schuld, die ein sol-
ches Vusahren eepen mich rechtfertiste."
„Tas wird sich finden — jetzt kleiden Sie sich an und
folgen uns in's Kriwinalgcricht"
„Aber was ist denn seschehen? Was soll ich denn ge-
than haben? Das muß man mir dcch zu wißen thun."
„Nun, so will ich's Ihnen sagen. Ihre Tonte, die
Wittwe Kreller in der Schmiedegasie, ist ermordet aufge-
sunden worden, urd Sie sollen ter Thäter sein!"
„Gerechter Gott!" rief Rudolf, die Hände zusammen-
schlagind urd schaudernd. Er war lause nicht fähig, etwas
zu thun. Endlich kleidete er sich unter dem Beistände der
Polizei an und ließ sich halb willenlos in das Gesängniß
führen, daS erbeute in einer ganz andern Anselegenheitzu
besuchen gedacht hatte. Statt als Helfer kam er als Ver-
brecher in die schrecklichen Mauern.
3. Di e Unters uchung.
Das Kind der Fritschin war in der Nacht kränker ge-
worden und hatte es der Mutter unmöglich gemacht, zwi-
schen zehn Uhr Abends und ein Uhr Morgens zu ihrer
Pathin zu gehen. Als sie um diese Zeit in das Hous der
einsamen Frau gekommen, hatte sie lange vergeblich an die
Jalousien g ekle pst. Endlich war sie an die Hausthüre ge-
sangen und hatte diese zu ihrem Befremden unverschlossen,
den Schlüssel steckend gefunden. Da hatte sie augenblick-
lich Verdacht geschöpft, Rudolf könne in der Nacht zu sei-
ner Tante zurückgekihrt sein, und wer weiß, was da ge-
scheh«» war. Unschlüssig, was ibun, war sie an der Thür
gestanden, als der Nachiwächter sich in der Nähe gezeigt
batte. Diesen, den sie kannte, hatte sie herbeigerufen, ihm
ihren Arswvh» mitgetheilt und ibn aufgefordert, sie in das
Haus z« begleiten- Er war sogleich bereit gewesen, sie wa-
ren hineingegangen und hatten das Zimmer ebenfalls un»
verschlossen gefunden. Darin eingetreten, hatten sie mit ihrer
Laterne umhergeleuchtet, ohne etwas Verdächtiges zu sehen.
Dann hatte die junge Frau die im nahen Alkoven schlafende
ES kam die letzte Function der Königin vor ihrer
Abfahrt aus Landen — der Kinder Empfang im
Greea-Park. Es waren ihrer 10 000, Knaben und
Mädchen, inSgesammt ausgesucht hübsche Kinder,
für die eine große Tribüne errichtet war. Kuchen,
Milch uno Limonade waren in Hülle und Fülle da,
war doch die Königin Gastgeberin! Ein Fabricant
ließ überdies an jeder Kind ein Säckchen Zuckerwaaren
vertheilen und außerdem erhielt jeder der kleinen
Fefttheilnehmer eine Denkmünze an roth-weiß blauer
Schleife. Zwei Militär Capellen und der Aufmarsch
der königlichen Garde Dragoner und der Leibwache
halfen den Kindern über da- Warten weg. Endlich
verriethen brausende Hochrufe der Züscher, die sich
vom Buckingham. Palast donnerähnlich her wälzten,
daS Nahen der Königin. Gab das eine Aufregung
unter den Kindern! Alle waren aufgestanden und
und reckten die Köpfe. Und dann kam der prachtvolle
Wagen mit seinen seinen sechs schönen Falben, den
glänzenden Geschirren, den Vorreitern, und galonirten
Dienern und den indischen Leibwachen. Da gab eS
etwas zu sehen! Und nun gar die Königin! „Un -
sere gute Großmutter!" riefen die Kinder
und brachen in einen Jubel aus, wie eben nur
Kinder Jubeln können! Kaiserin Friedrich saß der
Königin zur Seite, Prinzessin Beatrice und der
Herzog von Connaught ihr gegenüber. Der Wagen
blieb stehen. Die Königin sah ganz glücklich auf die
Kleinen, von denen über 6000 aus den Board-
SchoolS kamen, und als nun die Volkshymne, von
diesen Hellen Kinderstimmen gesungen, mächtig und
lieblich emporschlug, da sah man die Königin wieder
tief gerührt, und als der letzte Ton verklungen war,
streckte sie wie segnend die Hand gegen das kommende
Geschlecht aus. Die Vertreter der Schulen, für die
katholischen Schulen Cardinal Vaughan an
der Spitze, übergaben dann der Königin im Namen
der Kinder die Adressen. Als sich der Wagen wandte,
erschollen von neuem die Zurufe der Kinder und
hallten der Königin nach, bis sie dem Gesichtskreise
entschwunden war. DaS Kinderfest war daS letzte
und vielleicht das schönste aller Feste der Londoner
Feier.
Deutsches Reich.
* Altona, 26. Juni. Die Strafkammer verur-
theilte soeben den Amtsrichter v. Koeller
in Elmshorn wegen Herausforderung des Bürger.
meisterS Thomsen zum Pistolen-Duell zu einer Woch x
Wittwe gerufen. Umsonst. Da waren die Beiden hinein-
aetrcten und hatten die Alte in ihrem Bette erdrosselt ge-
sunden- Nachdem die Fritschin sich von ihrem ersten
Schrecken erholt, hatte sie unter das Kopfkissen der Ge-
mordeten gegriffen und die Hand mit dem Ausrufe her-
vorgezogen : „DaS kann nur er gewußt haben, was die
arme Frau Pathin hier verborgen hielt." Der Wächter
hatte ihre Erklärung über diese Worte abverlangt, und als
sie diese gegeben, sie aufgefordert, ihm zum Polizei Com-
mifsär zu folgen. Das war geschehen. Der Polizei-Tom-
wiffär hatte die Beidennach dem Schauplatz des gräßliche»
Verbrechens begleitet, de» Äifund festgestellt und die Frau
in das Verhör genommen. Dabei hatte sie nach und nach
Alles erzählt, was am Tage zwischen der Ermordeten und
deren Neffen vorgegangen. Dies »ar dem Polizei-Com-
missär genug gewesen, um Rudols der That "erdächtra zu
halten. Er hatte den Wächter und die Fritschin entlassen,
Zimmer und Haus verschlossen und sich dann nach Ru-
dotf's Wohnung begeben, wo er den HauSwirth geweckt
und von diesem erfahren, wann sein Miethsmann heim-
gekehrt war. Darauf war der Beamte auf das Polizeiamt
geeilt, und hatte hier den Vorfall mit dem Ergebniß seiner
Nachforschungen zur Anzeige gebracht. Der Polizei-Direktor
hatte an die Schuld des ihm nicht ganz fremden jungen
Arztes nicht glauben wollen, daher war die Verhaftung
desselben so lange unterblieben, bis der Sergeant Huker
nach Ausschlasung seiner Rauscher erschienen »ar und durch
Erzählung des Gespräches, das er im Garten der Mutter
Brummeisen belauscht, den Verdacht des Kommissärs be-
stätigt hatte. Da endlich hatte der Direktor den VerhastungS-
besrhl gegeben, der, wie wir gesehen, pünktlich vollzogen
ward- Wir übergehen die nächsten Proc-duren, denen der
so schwerer Schuld Geziehene vom Gericht unterworfen
wurde. Bei seiner schüchternen Gcmüthsart und seinem
Mangel an Weltkennmiß darf es nicht Wunder nehmen,
wenn er sich von dem über ihn hereingebrochenen Miß-
geschick mehr als «r in dem Bewußtsein seiner Unschuld
vöihig hatte, aus der Fassung bringe» ließ. Sein ängstliches
Benehmen vor dem Richier, Namentlich an der Leiche der
Gemordeten, deren Anblick ihn aus's Tiefste erschütterte.