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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

DOI issue:
Juli 1897
DOI article:
Nr. 145
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0597

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Wlzer Volksblatt

Welbm, V«erstU den 1. M1897.

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Joseph Huber in Heidelbelrg.

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bote",) sowie unsere Expedition Heidelberg
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Expedition des „Pfälzer Volksblatt".
Heidelberg, Zwingerstraße 7.

Weftelkungen
für dar

Der Reichstag
'st vorige Woche geschlossen worden; aber eine
Klärung der Lage ist nicht eingetreten. Die „Krisis"
besteht angeblich nicht mehr, wie Hr. v. Bötticher
sagt; aber daS will nur bedeuten, daß die eine Zeit
lang ecut gewordene Krisis wieder in den alten
Zustaad der latenten Krisis zurückgefallen ist. DaS
einzige, waS nach allgemeiner Annahme feststcht, ist,
daß Hr. v. Bötticher abgebt. Da Hr. v. Bötticher
selbst erklärt Hw, daß er bisher fein Abschiedsgesuch
noch nicht eingereicht habe, so wird man also an-
nehme» müssen, daß fein Abgehen ziemlich gleich-
bedeutend ist mit Abgegangenwerden. Man bleibt
dabei, daß der Kaiser, der ihn so lange gehalten hat,
es sehr übel vermerkt habe, daß Hr. v. Bötticher
auf die bekannte Reichstag«.Rede lus Abg. Richter
Vicht geantwortet habe. WaS aber hätte er antworten
sollen? Und was hätte ein anderer Sprechminister
antworten können, wenn er sich nicht auf sehr
allgemeine Zurückweisungen der sehr speciellen Angriffe
Richter'- beschränken wollte?
Ueber den Nachfolger des Hrn. v. Bötticher steht
Wiederum noch nichts fist. Nur das scheint fest-
rustthen, daß Hr. v. Miquel sein Nachfolger nicht
wird. Einen Augenblick war es ohne Zweifel nahe
daran, daß Hr. Miquel Nachfolger des Hr. v. Böt-
ticher in allen Aemtern desselben werden würde, und
Hr. v. Miquel selbst scheint diesem Avancement eine

kleine Weile keinen Widerstand entgegengesetzt zu
haben. Erst später wurde gemeldet, daß er „Schwierig-
keiten mache". Was heißt das?
Die Nachricht, daß die Sache an der Frage der
Instruction der preußischen Mitglieder zum Bundes-
rathe gescheitert sei, ist, obschon sie mit einem „ein-
geweihten" Gesicht austritt, lediglich Combination.
Diese Frage hätte erst dann auftauchen können, wenn
Fürst Hohenlohe einverstanden gewesen wäre, einen
Vice Kanzler anzunehmen, der neben dem Recht
der Nachfolge und der selbständigen Führung der
inner» Politik im einzelnen auch noch das Recht er-
halten hätte, interimistisch und bis zur Eröffnung der
gesammten Erbfolge die allgemeine Richtung der
inner» Politik auch über den Kopf deS Reichskanzlers
hinweg zu bestimmen. Daß Hr. v. Miquel etwas
Derartiges frischweg sollte verlangt haben, erscheint
doch ganz undenkbar. Dafür ist Fürst Hohenlohe
nun doch der Mann nicht, und die gutmüthigen
M'quelschwärmer, welche so etwas glaubten, hat der
bekannte kalte Wasserstrahl in der Norddeutschen
Allgemeinen Zeitung eines bessern belehrt. Wenn
Hr. v. Miquel schließlich nicht wollte, so wird es
einzig daran gelegen habe», daß er einsah, die Rolle,
wie er sie sich dachte, unter Hohenlohe nicht spielen
zu können, und bei der Rolle, in welche er unter
dem Fürsten Hohenlohe unfehlbar hineingerathen
wäre, einer unvermeidlichen baldigen und gründlichen
Abnutzung entgegenzugehen. Herr v. M quel ist sehr
klug, aber beinahe wäre er doch nicht so klug gewesen
wie Fürst von Hohenlohe; erst später ist ihm ein
Licht aufgegangen, und da machte er dann „Schwierig-
keiten"
Der Plan, Hrn. v. M'quel zum Nachfolger des
Hrn v. Bötticher zu machen, ging anscheinend vom
Kaiser aus; Fürst Hohenlohe aber hatte ihn acceptirt
und dann die Sache vorangetrieben. Wenn jetzt
Hr. v. Miquel nicht will, wiid'S dem Reichskanzler
aber auch Recht sein. Jetzt hat er freiere Hand, sich
einen Sprechminister zu wählen, dem ein persönliches
Vertrauen schenken darf, wie er es wohl Hrn. v. Miquel
entgegengebracht haben würde, so lange dieser sich im
Amte gehalten hätte. Als Nachfolger des Herrn v.
Bötticher wird sitzt, nachdem Hr. v. Miquel als An-
Wärter ausgeschiedeu zu sein scheint, Graf PosadowSky
genannt; an dessen Stelle soll auch schon ein Ersatz,
mann gefunden worden sein und zwar in der Person
des Hrn. v. Rheinhaben, Regierungspräsident in
Düsseldorf. Doch ist eS fraglich, ob diese Nachricht
von Freunden des Grasen PasadowSky auSgeht, oder

von solchen, die ihn dadurch unmöglich machen wollen,
daß sie ihn in der Oeffentlichkeit als Candidat auf-
treten lassen.
Was das Verbleiben oder Gehen deS Frhrn. v.
Marschall anlangt, so ist auch darüber, formell wenig-
stens, noch nichts entschieden. Allerdings ist Hr. v.
Bülow in Berlin eingetroffen. Doch daraus folgt
noch nichts. Hr. v. Bülow würde wohl gegebenen-
falls mit dem größten Vergnügen nach Rom zurück-
kehren, und von streberhaften Gesinnungen desselben
ist noch nichS bekannt geworden. Wenn Herr v.
Marschall krank bleibt und deßhalb schließlich selbst
auf seinem Abschied bestehen muß, so wicd das ge-
wisse» Leute» natürlich am angenehmsten sein. Wird
er wieder gesund und arbeitsfähig, so wird die Lage
allerdings schwieriger. Einen Anlaß zu finden, um
ihn zu verabschieden, dürfte nicht leicht sein. Den
Tausch-Prozeß und seinen Ausgang kann man dazu
doch nicht gut benutzen. Denn der Tausch-Prozeß
war nicht durch Hr. Marschall hervorgerufen, sondern
durch die Verhaftung des Hrn. v. Tausch im Leckert-
Lützow-Prozeß, welche der Oberstaatsanwalt Drescher
selbständig veranlaßte. Auf dem Programm der Hrn.
v. Marschall stand allem Anschein nach nur der Leckert-
Lätzow-Prozeß; der Tausch-Prozeß war von seinem
Standpunkt aus programmwidrig. UebrigenS ist auch
der Tausch-Prozeß trotz der Freisprechung des Ange-
klagten durch die Geschworenen keineswegs so ver-
laufen, daß man deshalb Hrn. v. Marschall etwas
anhängen kann. Auf alle Fälle wird wohl mit der
endgültigen Entscheidung über sein Verbleiben gewartet
werden, bis erst entschieden ist, ob er wieder voll ar-
beitsfähig wird.
Noch ein hoher Posten im Reichsdienst ist erledigt;
doch ist das fast ganz schon vergessen. Herr v.
Stephan ist nämlich wie noch erinnerlich sein wird,
vor kurzem gestorben und bedarf eines Nachfolgers.
Die Sache ist nicht so politisch; aber es ist doch
hoch charakterisch, wie'S jetzt mit ihr steht. Die Nach-
folge als General-Postmeister ist erst dem früher»
Marine-Sekretär Hollmann angeboterr worden; er
wollte aber nicht. Danach ist mit dem Abg. v. Pod«
bielski, früher Cavalleria Offizier, zur Zeit General
Major a. D., verhandelt worden; eS ist aber auch
nichts geworden. Der Unterstaatssekretär Fischer
scheint gar keine Aussicht mehr zu haben; seine Un-
heliebtheit bei den Postbeamten oder vielmehr die Art
seines Geschäftsbetriebes, aus dem diese Unbeliebtheit
ressortirt, scheint ihm hinderlich zu sein. Augenblick-
lich ist der Posten wieder au-geboten. -

Blind und doch sehend.
Leider war der Engländer, dem Adolf daS Bild ver-
wüst hatte, inzwischen noch England gbgereift, und so
konnte der Letztere den rechtlichen Erwerb jenes Geldes
nicht sofort nachweisen, end bi« der Engländer in seiner
Mniath ausfindig gemacht und dessen Zeugniß berbeige-
ich°M war, konnte eine lange Frist vergehen. Jndeß er-
oob sich der joviale Maler mit mehr Fassung in sein trau-
Ms Loos als sein armer Freund; er behielt vor dem
Richter ast' seinen Humor und somit auch seine Besonnen-
heit, so daß er sich von vornherein eine günstigere Mei-
nung sicherte, als es bei jenem der Fall war.
Um Rudolfs Sache noch schlimmer zu gestalten, mußte
er auch noch die verliebte Nachtpromenade gemacht haben.
So konnte auch die Mutter Brummeisen mit ihren Leuten
durch ihre Aussage, wie lange er bei ihr gewesen, sein Alibi
nicht darthrw, wie es sich aus diesen Aussagen und der des
Wirthrs von Adolf für diesen ergab. Endlich hatte der
Polizeisergeart Huker, nächst der Fritschin, der Havptzeuge
gegen Rudolf, jenes behorchte Gespräch der beiden Freunde
vur zum Theil gehört und natürlich gerade die Stellen,
welche im stärksten Affekt gesprochen worden, folglich die
gefährlicheren, die allerdings aus dem Zusammenhänge ge-
Wen, eine furchtbare Deutung zuließen, wie namentlich
M Hindeutung auf die Gewohnheit der Alten, ihr Geld
Nachts unter dem Krpskissen zu verbergen und die Drohung
»den Tod will ich sie leibhaftig sehen lassen, wenn sie nicht
gutwillig geben will." Der Sergeant konnte mit gutem
gewissen auf seinen Diensteid versichern, daß er von Geld-
Pressung reden, ja lebensgefährliche Drohungen in Bezug
M die Ermordete aus Rudolfs Munde gehört habe.
.. Es hieße jenem Gerichtshöfe sehr Unrecht thun, wollten
W sagen, er habe cs, nachdem er sich ernmal sein Urtheil
über Rudolf gebildet — über Adolf schwankten die Mei-
Mgen sich bequem gemacht; mit deutscher Gründlich-
Aurde die Untersuchung sortgeführt und unverdrossen
Fgscikel nach dem andern vollgeschrieben — um ja oie
«chuld des Angeklagten so klar als nur immer möglich

darzuthun. Wer mit den Geheimnissen der Inquisitions-
praxis unbekannt ist, der glaubt nicht, mit welcher erstaun-
lichen Gewandtheit manche Inquirenten Umstände, die in
der Wirklichkeit nicht den entferntesten Zusammenhang mit
dem Gegenstände ihrer Untersuchung haben, doch damit in
die augenfälligste Verbindung zu bringen wissen, so daß der
nach den Akten erkennende Richter gar nicht daran zweifeln
kann, daß er es mit einem genetisch verbundenen Ganzen
zu thun habe. Und einen solchen Inquirenten batte Rudolf.
Aber während das Gericht im besten Glauben blind
auf ven Untergang des armen Doktors los inkriminirte,
erweckte die Macht, dse über den Kindern des Unglücks
wacht, dem Schuldlosen einen Engel, der ihm wenigstens
fein Leiden verklärte.
Es war am Abend des zweiten Tages seiner Ein-
kerkerung, als Rudolf in einem an Verzweiflung grenzenden
Zustand, der selbst die holde Gestalt, die mit ihm unter
einem Dache athmete, nicht in seiner Seele auftauchen ließ,
ans seinem Stroh lag. Aus einmal schlug der Ton einer
Harfe an sein Ohr und nicht lange währte es, so begann
eine herrliche Sopranstimme das Spiel mit der Arie zu
begleiten: »Und ob die Wolke sie verhüllt, die Sonne bleibt
am Himmelszelt." — Dieser Gesang drang durch die offene
Speiseklappe seiner Thür so glockentönig an Ohr und Herz
des Dulders, daß alle seine Lebensgeister aufwachten und
sich zu einer Andacht ermannten, wie sie der Gescng be-
seelte. Er hatte manche cule Agaihe gehört, aber so seelen-
voll schien ihm noch keine das Lied gesungen zu haben, wie
die unsichtbare Sängerin — Clelia, wie er sogleich ahnte.
Als sie zum letztenmal die Worte wiederholte: „Das
Auge ewig rein und klar nimmt aller Wesen liebend wahr"
da war es ihm, als erwache er aus einem schweren Traum
zu neuem sonnigen Leben — er vergaß auf einige Augen-
blicke wo er war, und selbst — als nach dem Verstummen
des Gesanges er sich wieder daran erinnerte, begann er
sich mit seinem Geschick ausrusöhnen. Er faltete die Hände
und betete: „Und ob die Wolke sie verhülle, die Sonne
bleibt am Himmelszelt."
Bald darauf erschien sein Kerkermeister, Clelia's Vater.

Rudolf bot ihm freundlichen Gruß. Der Greis gab ihm
die Hand, und blickte ihm ernst und forschend in'- Gesicht.
„Sie sind ja ganz verändert" sagte er nach einer Weile.
„Ja" — erwiderte Rudolf — ich hatte Gott und mit
ihm auch mich selbst verloren — aber soeben habe ich ihn
wieder gefunden."
„Wohl Ihnen — ohne ihn ist nirgends gut sein, am
wenigsten im Gefängniß — halten Sie ihn fest!"
„O ich will ihn nicht wieder verlieren — wenigstens
nicht, wenn er öfter so zu mir redet, wie er vorhin gethan."
„Gott redet immer mit uns auf mancherlei Weise,
wenn wir ihn nur hören wollen."
„Aber in seiner Liebe offenbart er sich uns in dunkeln
Stunden auf ganz besonders liebliche Weise — und so ge-
schah es mir — Dank sei dem Munde, ourch den es ge-
schah I Ach möchte dieser Mund meinem schwachen Glauben
noch oft zu Hilfe kommen!"
„Sie haben den Gesang vorhin gehört?"
„Von ihm rede ich; ihm ^verdanke ich meine Erhebung."
Der Greis sah dem Gefangenen wieder scharf in das
Gesicht. Zul-tzt schüttelte er mit dem Kopf und sagte:
„Sind Sie musikalisch?"
„Ich spiele Clavier."
„Ich habe ein gutes Pianoforte — wollen Sie mir
einmal etwas spielen?"
„Herzlich gern."
„So kommen Sie "
Dem Gefangenen schlug das Herz; er hoffte Clelia zu
sehen. Doch er täuschte sich. Der Greis führte ihn in ein
kleines schmuckes Zimmer, das unter andern das erwähnte
Instrument enthielt. Ec schloß es auf, bat Rudolf daran
Platz zu nehmen und reichte ihm verschiedene Noten dar
Rudolf ergriff das erste beste Heft und spielte vom Blatt-
Der Zuhörer lauschte mit sichtbarem Vergnügen.
(Fortsetzung folgt.)
 
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