Pfcher Volksblatt.
Erscheint tS«lich mit Ausnahme der Sonn- n.
Keiertage. «bonuemeutsprri» mit dem wöchent-
Men Unterhaltungsblatt „Der Sonntaasbote" für
Adelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch
dre Post bezogen viertelj. Ls 1.60 franco.
Organ für Wassrlieit, Freilreii L KM.
Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
10H, Reklame 25 H. Für hiesige Geschäfts-und
Privatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
Rabattbewilligung.
Expedition: Iwingerstraße 7.
L 15.Melders. Wtlmitz,dm20.Mar 1897. , j i, Mg.
Der Centrums-Antrag gegen
die Unfitttichkeit
^freut sich in der liberalen Presse nicht allzufreund-
«cher Aufnahme. Da man gegen die Tendenz schon
anstandshalber nichts sagen kann, wirft man sich auf
„Schwierigkeiten", die der praktischen Durchfüh-
rung entgegenstehen, und die „Unbestimmtheit und
»Dehnbarkeit" einiger Bestimmungen, die dem Miß-
brauch Vorschub leisten sollen. Wir sind nun aber
grundsätzlich der Meinung, daß es gar kein Unglück
ist, wenn im Kampfe gegen die Unsittlichkeit recht
«erbe zugefaßt und die „Freiheit" möglichst einge-
lchränkt wird. Kuppler, Kupplerinnen und Vermie-
cher, die dem unsittlichen Verkehr Vorschub leisten,
Zuhälter, Verführer, Arbeitgeber, die das ArbeitSoer-
Mtniß mißbrauchen zur Unzucht mit ihren Arbeiter-
Uwen, Theaterunternehmer, „Künstler" usw, die mit
Aufführungen und Darstellungen unsittlicher Art Aer-
ürrniß erregen, Hersteller und Verkäufer von unsitt-
lichen Büchern, Bildern usw. verdienen nicht im min-
besten Schonung und Rücksichtnahme. Man braucht
Wirklich nicht ängstlich zu fragen, ob einem dieser
«iedern nickt auf Grund des vorgeschlagenen Gesetzes
est» Mal Unrecht geschehen könne. Es ist vielmehr
Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie hurdertmal der
verdienten Strafe entschlüpfen, als daß sie einmal zu
Unrecht bestraft werden. Mit dem Paragraphen vom
groben Unfug ist unvergleichlich mehr Mißbrauch ge
trieben worden, als mit diesem ganzen Gesetzentwürfe
getrieben werden kann.
Schön bei der vorjährigen Debatte über die Lage
der ConfektionSarbciter fand der Vorschlag deS Abg.
Dr. Hitze vielen Anklang, daß Arbeitgeber, die das
ArbeitSverhältniß mißbrauchen, um mit ihren Arbeiter-
innen Unzucht zu treiben, bestraft werden sollten. Es
hat sich nun freilich herausgestellt, daß dieser Miß
brauch in der eigentlichen ConfektionSindustrie,! also
seitens der Zwischenmeifter oder Confektionäre gegen-
über den Arbeiterinnen nicht so häufig vorkommt, wie
won angenommen hatte. In anderen Arbeitsverhält-
hissen kommt er aber desto häufiger vor. Bestraft zu
Werden verdient er gewiß. Aber da hat die liberale
Presse gleich die Schwierigkeit, eine Strafbestimmung
könnte zu Erpressungen, Denunciationen usw. Anlaß
geben. Aber es bestehen schon Strafbestimmungen ver-
schiedener Art zum Schutze der weiblichen Sittlichkeit.
Man hat nie von der Forderung, sie aufzuheben, ge-
hört, wiewohl auch sie zu Erpressungen, falschen An-
„Nichts," antwortete sie verwirrt, .
rmfam und habe Heimweh» so daß ich
vrmgendin Aufforderung meiner Gro
Stolz und Liebe. «S
15) Dem Amerikanischen nacherzählt.
„ WaS war es, was Walter zurückhielt, warfieihmglerch-
Sültig gewordm? Und in dem Augenblicke, wo sie ihn zu ver-
lieren fürchtete, fühlte sie erst, was er ihrem Herzen war —
Fehr als ein Freund, mehr als ein Bruder. Es war der erste
«eine Sturm, der die nahe Liebe weckte, wie die wilden März-
nurme den Frühling hervorzaubern. Und nun klang ihr
das Wort ihres Vaters tn's Ohr, das ihr Walter gestern
wrt so scharfer Betonung citirt- „"ieber sähe ich dich im
Made, als vermählt mit einem Manne aus der Familie
Bellenger!" Aber war denn nicht Walter auch einer aus
wr Familie Bellenger? So grübelte das Mädchen weiter
Mid doch liebte ihr Vater Walter Marshall wie feinen
«vhn, also konnte sich s-in Schwur nur auf William be-
uchen. Endlich brach Jefsie in Thiänen aus und sie weinte
bitterlich.
Auch Walter waren die Nachmiltagsstunden recht
lang gefallen; in Haus und Garten hatte er nirgends
Ruhe und Behagen gesunden; all die bekannten Wmkelchen
und Plätzchen, die zu besuchen und wiederzusehen er sich
sosehr gesehnt, starrten ihn fremd an; das Vaterhaus und
Kos und Garten kamen ihm vereinsamt und verlassen vor.
Kle Sonne hatte schon bald ihren Lauf vollendet, als
Walter sich unter dem Borgcben entsernte, er wolle, wie
er es in seiner Jugend fo ost gethan, die Kühe heimwärts
treiben. Er schlug die Richtung zum bekannten Weideplatz
rm, aber bald verließ er dieselbe und lenkte seine Schritte
«er Fichtenallee zu, und er erreichte die von ihm selbst
verfertigte Bank, wo Jefsie faß, in dem Augenblicke, da
sie weinte wie ein Kind. >
Sie schien erst zu bemerken, als dieser seine Hand
Utttch auf ihren Arm legte und fragte: „Jefsie, was fehlt
„ich fühle mich nur
fast bedauere, der
chmutter, mit Mr.
klagen usw. mißbraucht werden können und lhatsäch-
lich mißbraucht werden.
Vor allem hat natürlich die liberale Presse wieder
die „Kunst" und „Literatur" in ihr Herz geschlossen.
Die gegen unsittliche und Aergerniß erregende Abbild-
ungen, Darstellungen, Schriften u. s. w. gerichteten
Vorschläge sollen so nichtssagend und dehnbar sein,
daß Kunst und Literatur gefährdet sind. „ES ist
nicht- Wünschenswerth," sagt die „Nat.-Ztg.", daß
unter der Parole des Schutze- der Sittlichkeit an die
Literatur und Kunst der Maßstab der klerikalen Welt-
anschauung gelegt we de." Die „klerikale Weltan-
schauung" ist nichts weiter als die christliche. Diese
Weltanschauung sollte unseres Erachtens in einem
christlichen Staate doch die maßgebende sein. Dage
gen tritt in Kunst und Literatur nicht selten eine
völlig heidnische Weltanschauung zu Tage. Ja wir
behaupten, die wirklichen, großen Künstler deS Hei-
drnthums haben nicht entfernt so viele Darstellungen
unsittlicher Natur hervorgebracht, wie die heutigen
Künstler. Unsere Künstler stellen mit Vorliebe das
Nackte um der Nacktheit und Unstttlichkeit willen dar,
was den großen heidnischen Künstlern gar nicht ein-
fiel. Unter der Firma „Kunst" soll jetzt alles Un-
sittliche durchgehen. Weder die Kunst noch die Kul-
tur haben gewiß einen Schaden davon, wenn alle
öffentliche Schaustellung, Anpreisung u. s. w. in sitt-
licher Beziehung anstößiger Bilderwerke rc. einfach
verboten würde. Im Gegentheil, der Kunst wie der
Moral würde es in gleicher Weise von Vortheil sein.
Wessen „Kunstsinn" ihn zu zweifelhaften „Kunst-
werken" hinzieht, der kann sie ja in den Werkstätten
der „Künstler" bewundern.
Die „Nationalzeitung" vermag nicht ausfindig zu
machen, welchen Anlaß das Centrum zur Einbring-
ung seines Antrages gehabt habe. So schnell ver-
gißt man heute. Vor gut fünf Jahre erregte der
Mordprozeß Heinze großes Aufsehen wegen der
grellen Streiflichter, die dabei auf die großstädtischen
Lasterhöhlen und ihre unglücklichen Bewohner fielen.
Alle Well war einig, es müsse „etwas geschehen."
Der Kaiser richtete unter dem 22. Oktober 1891 einen
Erlaß an das Staatsministerium, worin er auf die
„beklageuSwerthen Erscheinungen," die sein landeSvä-
ierlicheS Herz fortgesetzt beunruhigen," hinwies und
„energische Bekämpfung des Unwesens der Prostitution
und des Zuhälterthums und Verschärfung deS
Strafgesetzes als uothwendig bezeichnete. Er konnte
sich dabei berufen auf „die öffentliche Meinung", die
„einmüthig die Nothwendigkeit wirksamer Abwehr her-
Bellenger nach Newhork zurückzukehren, nicht gefolgt zu
sein"
„Warum folgtest Du Deiner Großmutter nicht? Und
was hielt Dich zurück, Jefsie?" frug Walter scheinbar kühl.
„Kannst Du noch fragen? Wäre ich Dir nicht schon
entgegengeeilt nach New-Haven, wenn mich die Krankheit
Ellens nicht zurückgehalten hätte? Aber nun ist's aller-
dings anders. Hätte ich gewußt, was ich jetzt weiß, es
wäre freilich besser gewesen, den Bitten meiner Großmut-
ter nicht länger zu widerstehen," bemerkte Jesfie nicht ohne
Bitterkeit.
„Und was weißt 2u denn jetzt? was hat sich ge-
ändert?" frug Walter sich bezwingend.
„Ich weiß, daß ich Dir gleichgiltig geworden bin;
ich wech, datz Du mich hassest, wie damals, da ich als
kleines Mädchen dies Haus zuerst betrat" — und ein neuer
Thränenstrom brach hervor.
„Jessie," sagte Walter ernst und mild, „nicht ich habe
mich geändert, sondern mit Dir ist eine Veränderung vor
sich gegangen, von welcher Du Dir vielleicht selbst noch
keine Rechenschaft geben kannst, eine Veränderung, welche
von Deinem Verkehre mit William Bellenger verrührt.
Mich beseelen die gleichen Gefühle für Dich, wie früher:
mit süßer Sehnsucht hats mich heimwärts getrieben, weil
ich wußte, daß Du hier weiltest; aber als ich kam, fand
ich Dich kühl und zurückhaltend. Mein Herz würde auf-
jubeln, wenn alles nur ein Mißverständnis wäre".
Während Walter so sprach, hatte er sich neben Jesfie
auf die Bank gesetzt und sie schaute ihn mit ihren dunkeln
Augen so vertrauend an, als seien nun mit einem Mals
alle Uebel geschwunden.
«Walter," sagte sie mit bebender Stimme, ^verzeihe
mir, daß ich Dir Unrecht that. Nie warst Du^mir mehr
als jetzt. Aber es war mir, als habe sich ein böser Geist
zwischen uns gedrängt; es war mir, als sollte ich Dich
verlieren, da Du mir noch theurer geworden warst."
„Und wer war denn der böse Geist und woher kam
er? Sage mir aufrichtig, Jesfie! kam er mcht von William
Bellenger, hat er nicht versucht, die Saat des Mißtrauens
m Dein Herz auszustreuen?'
vorhebt", und rechnete auf „Unterstützung innerhalb
der gesitteten Kreise deS Volkes".
Zu Anfang deS Jahres 1894 wurde dann im
Reichstag die sogen. lex Heinze eingebracht. Die
Commission nahm daran eine Reihe von Aeuderungen
vor. Im Plenum kam sie aber nicht mehr zur Be-
rathung. In den folgenden Sessionen war dann noch
wohl gelegentlich von ihr die Rede; die Regierung
versicherte auch, daß sie die Idee noch nicht aufgege-
den hätte. Aber schließlich schlief die Sache ein. Er
ging eben, wie so häufig in neuerer Zfit: wenn ir-
gend etwas Unangenehmes die öffentliche Meinung
aufregt, so heißt es, es muß 'was geschehen. Bald
aber geräth die Sache in Vergessenheit; eS „geschieht"
nicht-, alles bleibt beim Alten. Da- Eentrum aber
möchte diese wichtige Frage nicht der Vergessenheit
anheimfallen lasse» und will wenigsten- das Seinige
thun, daß „etwa- geschehe".
Deutsches Reich.
* Berlin, 18. Jan. An den Berathuugen de-
Bundes der Landwirthe über ein Vorgehen gegen die
Produktenbörsen haben auch Vertreter der preußischen
LandwirthschaftSkammern theilgenommen. Man kam
überein, bei den LandwirthschaftSkammern dahin zu
wirken, daß diese provinzielle PreiSnotirungen in die
Wege leiten sollen.
* Stuttgart, 18. Jan. Der Ausschuß der Börse
hat beschlossen, vorläufig Börsennotirungen nicht zu
veröffentlichen.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 18. Januar.
Zur Berathung steht der Justizetat. Beim Titel
„Besoldung deS Staatssekretärs" bringt
Abg. Munckel (freis. VolkSP.) die Frage deS
ZeugnißzwangeS zur Sprache unter Hinweis auf die
Vorfälle in der letzten Zeit. Die heutige Praxis der
Justizverwaltung entbehre der gesetzlichen Grundlage.
Justizminister Schönstedt führt aus, die bisherige
Praxis entbehre durchaus nicht der gesetzlichen Grund-
lage. Seit dem Erlaß des DiSciplinargcsetzes herrsche
bei den zuständigen Behörden kein Zweifel darüber,
daß die Lücke des DiSziplinargesetzes ihre natürliche
Ergänzung in der Strafprozeßordnung habe und daß
insbesondere die Gerichtshöfe in Bezug auf die zwangs-
weise Zeugenvernehmung auf die Bestimmungen des
Strafprozesses zurückgreifen müssen. ES dürfte auch
kein Zweifel darüber bestehen, daß, wenn die Behörden
Jesfi nickte stamm, dann fuhr Walter fort: „So er-
schließe mir Dein Herz und sage mir Alles, was Zweifel
in Dir erregt hat."
Obschon Jessie den festen Entschluß gefaxt hatte, über
alle Punkte, in welchen dis Hnmiücks Williams Walter
herabzusetzen versucht hatte, das Genaueste von Walter
selbst zu erforschen, so gerieth sie indes nun, dazu direkt
aufgefordert, in sichtliche Verlegenheit und zagend begann
sie mit dem Unwichtigsten. Wallers Doktorrede sei nicht
ganz sein Eigenthum gewesen, sie habe an manchen Stellen
bekannt geklungen.
„Das wird richtig sein," erwiderte Walter mit selbst-
bewußter Rahe. „Erinnerst Du Dich nicht, daß ich bei
dem Abzange vom Gymnasium dazu bestimmt war, die
Aviturientearede zu halten? Damals belobte man mich
und meinte, meine Arbeit sei eines älteren und reiferen
Mannes würdig. Nun, heute bin ich derselben Ansicht.
Einzelne Gedanken jener Erftlingsacbeit, die mir besonders
gefielen, habe ich auch jetzt wieder in meiner Rede benutzt.
Aber bin ich darum ein Dieb, weil ich meine eigenen Ge-
danken verwerthet habe? Ich denke nicht."
Mit Stolz ergriff Jesfie beide Hände Walters und
rief: „Ich wußte, daß ein Marshall nur edel denken und
niemals unwahrhaftia sein kann. Und fo muß auch das
andere dunkele Bild verschwinden, was Bellenger mir von
Deinem Vater entworfen hat. Ec erzählte mir — vergreb
mir, Walter, wenn es Dich schmerzen sollte — daß Dein
Vater ein schreckliches Verbrechen begangen habe; jedoch
sagte er mir nichts Genaues darüber. Früher schon wußte
ich, daß Irgend etwas geschehen sei, und einstens frug ich
meinen Vater darnach. Aber ich erfuhr nichts von ihm, er
gab mir eine ausweichende Antwort- Was war es? Walter?"
Für einen Augenblick zögerte Walter, dann zog er,
Jesfie näher zu sich und antwortete: „Es wird mir schwer
Dir diese traurige .Geschichte zu erzählen; aber es ist mir
doch lieber, daß Du sie von mir hörst, als von einem
Andern.
(Fortsetzung folgt.)
Erscheint tS«lich mit Ausnahme der Sonn- n.
Keiertage. «bonuemeutsprri» mit dem wöchent-
Men Unterhaltungsblatt „Der Sonntaasbote" für
Adelberg monatlich SV H mit Trägerlohn, durch
dre Post bezogen viertelj. Ls 1.60 franco.
Organ für Wassrlieit, Freilreii L KM.
Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
10H, Reklame 25 H. Für hiesige Geschäfts-und
Privatanzeigen, sowie für Jahres-Anzeigen bedeutende
Rabattbewilligung.
Expedition: Iwingerstraße 7.
L 15.Melders. Wtlmitz,dm20.Mar 1897. , j i, Mg.
Der Centrums-Antrag gegen
die Unfitttichkeit
^freut sich in der liberalen Presse nicht allzufreund-
«cher Aufnahme. Da man gegen die Tendenz schon
anstandshalber nichts sagen kann, wirft man sich auf
„Schwierigkeiten", die der praktischen Durchfüh-
rung entgegenstehen, und die „Unbestimmtheit und
»Dehnbarkeit" einiger Bestimmungen, die dem Miß-
brauch Vorschub leisten sollen. Wir sind nun aber
grundsätzlich der Meinung, daß es gar kein Unglück
ist, wenn im Kampfe gegen die Unsittlichkeit recht
«erbe zugefaßt und die „Freiheit" möglichst einge-
lchränkt wird. Kuppler, Kupplerinnen und Vermie-
cher, die dem unsittlichen Verkehr Vorschub leisten,
Zuhälter, Verführer, Arbeitgeber, die das ArbeitSoer-
Mtniß mißbrauchen zur Unzucht mit ihren Arbeiter-
Uwen, Theaterunternehmer, „Künstler" usw, die mit
Aufführungen und Darstellungen unsittlicher Art Aer-
ürrniß erregen, Hersteller und Verkäufer von unsitt-
lichen Büchern, Bildern usw. verdienen nicht im min-
besten Schonung und Rücksichtnahme. Man braucht
Wirklich nicht ängstlich zu fragen, ob einem dieser
«iedern nickt auf Grund des vorgeschlagenen Gesetzes
est» Mal Unrecht geschehen könne. Es ist vielmehr
Wahrscheinlichkeit vorhanden, daß sie hurdertmal der
verdienten Strafe entschlüpfen, als daß sie einmal zu
Unrecht bestraft werden. Mit dem Paragraphen vom
groben Unfug ist unvergleichlich mehr Mißbrauch ge
trieben worden, als mit diesem ganzen Gesetzentwürfe
getrieben werden kann.
Schön bei der vorjährigen Debatte über die Lage
der ConfektionSarbciter fand der Vorschlag deS Abg.
Dr. Hitze vielen Anklang, daß Arbeitgeber, die das
ArbeitSverhältniß mißbrauchen, um mit ihren Arbeiter-
innen Unzucht zu treiben, bestraft werden sollten. Es
hat sich nun freilich herausgestellt, daß dieser Miß
brauch in der eigentlichen ConfektionSindustrie,! also
seitens der Zwischenmeifter oder Confektionäre gegen-
über den Arbeiterinnen nicht so häufig vorkommt, wie
won angenommen hatte. In anderen Arbeitsverhält-
hissen kommt er aber desto häufiger vor. Bestraft zu
Werden verdient er gewiß. Aber da hat die liberale
Presse gleich die Schwierigkeit, eine Strafbestimmung
könnte zu Erpressungen, Denunciationen usw. Anlaß
geben. Aber es bestehen schon Strafbestimmungen ver-
schiedener Art zum Schutze der weiblichen Sittlichkeit.
Man hat nie von der Forderung, sie aufzuheben, ge-
hört, wiewohl auch sie zu Erpressungen, falschen An-
„Nichts," antwortete sie verwirrt, .
rmfam und habe Heimweh» so daß ich
vrmgendin Aufforderung meiner Gro
Stolz und Liebe. «S
15) Dem Amerikanischen nacherzählt.
„ WaS war es, was Walter zurückhielt, warfieihmglerch-
Sültig gewordm? Und in dem Augenblicke, wo sie ihn zu ver-
lieren fürchtete, fühlte sie erst, was er ihrem Herzen war —
Fehr als ein Freund, mehr als ein Bruder. Es war der erste
«eine Sturm, der die nahe Liebe weckte, wie die wilden März-
nurme den Frühling hervorzaubern. Und nun klang ihr
das Wort ihres Vaters tn's Ohr, das ihr Walter gestern
wrt so scharfer Betonung citirt- „"ieber sähe ich dich im
Made, als vermählt mit einem Manne aus der Familie
Bellenger!" Aber war denn nicht Walter auch einer aus
wr Familie Bellenger? So grübelte das Mädchen weiter
Mid doch liebte ihr Vater Walter Marshall wie feinen
«vhn, also konnte sich s-in Schwur nur auf William be-
uchen. Endlich brach Jefsie in Thiänen aus und sie weinte
bitterlich.
Auch Walter waren die Nachmiltagsstunden recht
lang gefallen; in Haus und Garten hatte er nirgends
Ruhe und Behagen gesunden; all die bekannten Wmkelchen
und Plätzchen, die zu besuchen und wiederzusehen er sich
sosehr gesehnt, starrten ihn fremd an; das Vaterhaus und
Kos und Garten kamen ihm vereinsamt und verlassen vor.
Kle Sonne hatte schon bald ihren Lauf vollendet, als
Walter sich unter dem Borgcben entsernte, er wolle, wie
er es in seiner Jugend fo ost gethan, die Kühe heimwärts
treiben. Er schlug die Richtung zum bekannten Weideplatz
rm, aber bald verließ er dieselbe und lenkte seine Schritte
«er Fichtenallee zu, und er erreichte die von ihm selbst
verfertigte Bank, wo Jefsie faß, in dem Augenblicke, da
sie weinte wie ein Kind. >
Sie schien erst zu bemerken, als dieser seine Hand
Utttch auf ihren Arm legte und fragte: „Jefsie, was fehlt
„ich fühle mich nur
fast bedauere, der
chmutter, mit Mr.
klagen usw. mißbraucht werden können und lhatsäch-
lich mißbraucht werden.
Vor allem hat natürlich die liberale Presse wieder
die „Kunst" und „Literatur" in ihr Herz geschlossen.
Die gegen unsittliche und Aergerniß erregende Abbild-
ungen, Darstellungen, Schriften u. s. w. gerichteten
Vorschläge sollen so nichtssagend und dehnbar sein,
daß Kunst und Literatur gefährdet sind. „ES ist
nicht- Wünschenswerth," sagt die „Nat.-Ztg.", daß
unter der Parole des Schutze- der Sittlichkeit an die
Literatur und Kunst der Maßstab der klerikalen Welt-
anschauung gelegt we de." Die „klerikale Weltan-
schauung" ist nichts weiter als die christliche. Diese
Weltanschauung sollte unseres Erachtens in einem
christlichen Staate doch die maßgebende sein. Dage
gen tritt in Kunst und Literatur nicht selten eine
völlig heidnische Weltanschauung zu Tage. Ja wir
behaupten, die wirklichen, großen Künstler deS Hei-
drnthums haben nicht entfernt so viele Darstellungen
unsittlicher Natur hervorgebracht, wie die heutigen
Künstler. Unsere Künstler stellen mit Vorliebe das
Nackte um der Nacktheit und Unstttlichkeit willen dar,
was den großen heidnischen Künstlern gar nicht ein-
fiel. Unter der Firma „Kunst" soll jetzt alles Un-
sittliche durchgehen. Weder die Kunst noch die Kul-
tur haben gewiß einen Schaden davon, wenn alle
öffentliche Schaustellung, Anpreisung u. s. w. in sitt-
licher Beziehung anstößiger Bilderwerke rc. einfach
verboten würde. Im Gegentheil, der Kunst wie der
Moral würde es in gleicher Weise von Vortheil sein.
Wessen „Kunstsinn" ihn zu zweifelhaften „Kunst-
werken" hinzieht, der kann sie ja in den Werkstätten
der „Künstler" bewundern.
Die „Nationalzeitung" vermag nicht ausfindig zu
machen, welchen Anlaß das Centrum zur Einbring-
ung seines Antrages gehabt habe. So schnell ver-
gißt man heute. Vor gut fünf Jahre erregte der
Mordprozeß Heinze großes Aufsehen wegen der
grellen Streiflichter, die dabei auf die großstädtischen
Lasterhöhlen und ihre unglücklichen Bewohner fielen.
Alle Well war einig, es müsse „etwas geschehen."
Der Kaiser richtete unter dem 22. Oktober 1891 einen
Erlaß an das Staatsministerium, worin er auf die
„beklageuSwerthen Erscheinungen," die sein landeSvä-
ierlicheS Herz fortgesetzt beunruhigen," hinwies und
„energische Bekämpfung des Unwesens der Prostitution
und des Zuhälterthums und Verschärfung deS
Strafgesetzes als uothwendig bezeichnete. Er konnte
sich dabei berufen auf „die öffentliche Meinung", die
„einmüthig die Nothwendigkeit wirksamer Abwehr her-
Bellenger nach Newhork zurückzukehren, nicht gefolgt zu
sein"
„Warum folgtest Du Deiner Großmutter nicht? Und
was hielt Dich zurück, Jefsie?" frug Walter scheinbar kühl.
„Kannst Du noch fragen? Wäre ich Dir nicht schon
entgegengeeilt nach New-Haven, wenn mich die Krankheit
Ellens nicht zurückgehalten hätte? Aber nun ist's aller-
dings anders. Hätte ich gewußt, was ich jetzt weiß, es
wäre freilich besser gewesen, den Bitten meiner Großmut-
ter nicht länger zu widerstehen," bemerkte Jesfie nicht ohne
Bitterkeit.
„Und was weißt 2u denn jetzt? was hat sich ge-
ändert?" frug Walter sich bezwingend.
„Ich weiß, daß ich Dir gleichgiltig geworden bin;
ich wech, datz Du mich hassest, wie damals, da ich als
kleines Mädchen dies Haus zuerst betrat" — und ein neuer
Thränenstrom brach hervor.
„Jessie," sagte Walter ernst und mild, „nicht ich habe
mich geändert, sondern mit Dir ist eine Veränderung vor
sich gegangen, von welcher Du Dir vielleicht selbst noch
keine Rechenschaft geben kannst, eine Veränderung, welche
von Deinem Verkehre mit William Bellenger verrührt.
Mich beseelen die gleichen Gefühle für Dich, wie früher:
mit süßer Sehnsucht hats mich heimwärts getrieben, weil
ich wußte, daß Du hier weiltest; aber als ich kam, fand
ich Dich kühl und zurückhaltend. Mein Herz würde auf-
jubeln, wenn alles nur ein Mißverständnis wäre".
Während Walter so sprach, hatte er sich neben Jesfie
auf die Bank gesetzt und sie schaute ihn mit ihren dunkeln
Augen so vertrauend an, als seien nun mit einem Mals
alle Uebel geschwunden.
«Walter," sagte sie mit bebender Stimme, ^verzeihe
mir, daß ich Dir Unrecht that. Nie warst Du^mir mehr
als jetzt. Aber es war mir, als habe sich ein böser Geist
zwischen uns gedrängt; es war mir, als sollte ich Dich
verlieren, da Du mir noch theurer geworden warst."
„Und wer war denn der böse Geist und woher kam
er? Sage mir aufrichtig, Jesfie! kam er mcht von William
Bellenger, hat er nicht versucht, die Saat des Mißtrauens
m Dein Herz auszustreuen?'
vorhebt", und rechnete auf „Unterstützung innerhalb
der gesitteten Kreise deS Volkes".
Zu Anfang deS Jahres 1894 wurde dann im
Reichstag die sogen. lex Heinze eingebracht. Die
Commission nahm daran eine Reihe von Aeuderungen
vor. Im Plenum kam sie aber nicht mehr zur Be-
rathung. In den folgenden Sessionen war dann noch
wohl gelegentlich von ihr die Rede; die Regierung
versicherte auch, daß sie die Idee noch nicht aufgege-
den hätte. Aber schließlich schlief die Sache ein. Er
ging eben, wie so häufig in neuerer Zfit: wenn ir-
gend etwas Unangenehmes die öffentliche Meinung
aufregt, so heißt es, es muß 'was geschehen. Bald
aber geräth die Sache in Vergessenheit; eS „geschieht"
nicht-, alles bleibt beim Alten. Da- Eentrum aber
möchte diese wichtige Frage nicht der Vergessenheit
anheimfallen lasse» und will wenigsten- das Seinige
thun, daß „etwa- geschehe".
Deutsches Reich.
* Berlin, 18. Jan. An den Berathuugen de-
Bundes der Landwirthe über ein Vorgehen gegen die
Produktenbörsen haben auch Vertreter der preußischen
LandwirthschaftSkammern theilgenommen. Man kam
überein, bei den LandwirthschaftSkammern dahin zu
wirken, daß diese provinzielle PreiSnotirungen in die
Wege leiten sollen.
* Stuttgart, 18. Jan. Der Ausschuß der Börse
hat beschlossen, vorläufig Börsennotirungen nicht zu
veröffentlichen.
Deutscher Reichstag.
Berlin, 18. Januar.
Zur Berathung steht der Justizetat. Beim Titel
„Besoldung deS Staatssekretärs" bringt
Abg. Munckel (freis. VolkSP.) die Frage deS
ZeugnißzwangeS zur Sprache unter Hinweis auf die
Vorfälle in der letzten Zeit. Die heutige Praxis der
Justizverwaltung entbehre der gesetzlichen Grundlage.
Justizminister Schönstedt führt aus, die bisherige
Praxis entbehre durchaus nicht der gesetzlichen Grund-
lage. Seit dem Erlaß des DiSciplinargcsetzes herrsche
bei den zuständigen Behörden kein Zweifel darüber,
daß die Lücke des DiSziplinargesetzes ihre natürliche
Ergänzung in der Strafprozeßordnung habe und daß
insbesondere die Gerichtshöfe in Bezug auf die zwangs-
weise Zeugenvernehmung auf die Bestimmungen des
Strafprozesses zurückgreifen müssen. ES dürfte auch
kein Zweifel darüber bestehen, daß, wenn die Behörden
Jesfi nickte stamm, dann fuhr Walter fort: „So er-
schließe mir Dein Herz und sage mir Alles, was Zweifel
in Dir erregt hat."
Obschon Jessie den festen Entschluß gefaxt hatte, über
alle Punkte, in welchen dis Hnmiücks Williams Walter
herabzusetzen versucht hatte, das Genaueste von Walter
selbst zu erforschen, so gerieth sie indes nun, dazu direkt
aufgefordert, in sichtliche Verlegenheit und zagend begann
sie mit dem Unwichtigsten. Wallers Doktorrede sei nicht
ganz sein Eigenthum gewesen, sie habe an manchen Stellen
bekannt geklungen.
„Das wird richtig sein," erwiderte Walter mit selbst-
bewußter Rahe. „Erinnerst Du Dich nicht, daß ich bei
dem Abzange vom Gymnasium dazu bestimmt war, die
Aviturientearede zu halten? Damals belobte man mich
und meinte, meine Arbeit sei eines älteren und reiferen
Mannes würdig. Nun, heute bin ich derselben Ansicht.
Einzelne Gedanken jener Erftlingsacbeit, die mir besonders
gefielen, habe ich auch jetzt wieder in meiner Rede benutzt.
Aber bin ich darum ein Dieb, weil ich meine eigenen Ge-
danken verwerthet habe? Ich denke nicht."
Mit Stolz ergriff Jesfie beide Hände Walters und
rief: „Ich wußte, daß ein Marshall nur edel denken und
niemals unwahrhaftia sein kann. Und fo muß auch das
andere dunkele Bild verschwinden, was Bellenger mir von
Deinem Vater entworfen hat. Ec erzählte mir — vergreb
mir, Walter, wenn es Dich schmerzen sollte — daß Dein
Vater ein schreckliches Verbrechen begangen habe; jedoch
sagte er mir nichts Genaues darüber. Früher schon wußte
ich, daß Irgend etwas geschehen sei, und einstens frug ich
meinen Vater darnach. Aber ich erfuhr nichts von ihm, er
gab mir eine ausweichende Antwort- Was war es? Walter?"
Für einen Augenblick zögerte Walter, dann zog er,
Jesfie näher zu sich und antwortete: „Es wird mir schwer
Dir diese traurige .Geschichte zu erzählen; aber es ist mir
doch lieber, daß Du sie von mir hörst, als von einem
Andern.
(Fortsetzung folgt.)