Pfälzer Volksblatt
KMerg, Mittmih, dm 16. Juni 1897.
Verantwortlicher Redakteur
Joseph Huber in Heidelberg.
Druck, Verlag u. Expedition
G eb r. Huber in Heidelberg,
Zwingerstraße 7.
Irfcheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. ,, , Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
KSlk-WM -mm für «akMI, FMeü L KeM. LLLLL
Heidelberg monatlich KV H mit Trägerlohn, durch Rabattbewilligung.
die Post bezogen Viertels. Ft 1.60 franco. Expedition: Zwiuaerkratze 7.
51
Zum Abonnement ans
das III Quartal
laden wir ergebenst ein. Das Pfälzer Volksblatt
fest auf dem Boden deS Centrums stehend, ist mit
Erfolg bestrebt, die politischen Fragen mit Ruhe und
Klarhe t in frischer volkSthüwlicher Form zu behandeln,
den Interessen aller Stände gerecht zu werden, nament-
lich aber die berechtigten Forderungen des Bauern-,
Handwerker- und Arbeiterstandes hervorzuheben und
la vertheidigen.
Grundsatz der redaktionellen Leitung des Pfälzer
Volksblatt ist kurze, knappe, aber alles Wesentliche
bringende Berichterstattung auf allen Gebieten, wo-
durch eine Reichhaltigkeit des Inhalt s erzielt wird,
wie sie in keinem anderen Blatte gleichen Umfangs zu
finden ist.
In den nächsten Monaten stehen die Landtags-
Wahlen bevor. Im Monat August findet inLands-
Hut die deutsche Katholiken-Bersamm-
lung statt. Das Pfälzer Volksblatt wird über
die Verhandlungen des Katholikentages schnell und
ringehend berichten.
Für Unterhaltung und Belehrung sorgen zahlreiche
Feuilletons und daS sonntägliche 8seitige Unterhaltungs-
blatt der „Sonnt agSbote". Mit aller Sorgfalt
wird aus dem Pfälzer Volksblatt Jedwedes fern-
gehalten, was das jugendlicheGemüth verletzen
könnte. Deshalb eignet sich das Pfälzer Volksblatt
ganz besonders zur täglichen Familienlektüre.
Inserate finden in Folge des großen Leser-
kreises des Pfälzer Volksblatt größtmöglichste Ver-
breitung.
Probenummern stehen Jedermann in jeder
-'wünschten Anzahl zur Verfügung.
Redaktion u. Verlag deS
„Mälzer WMsvlatt".
LeidvM md freudvoll. S"»'
Novelle von L- v. Neid egg.
Jbr schauderte. Sie machte sich in dem enae« Zimmer
l schaffen, nur um die innere Unruhe zu betäuben, und
>g schließlich an, deS Vaters Kleider zu ordnen, die zer-
eut am Boden umher lagen.
, „Bleib daI" rief aus einmal der Kranke, der nur halb
berühmt schien durch das ihm gegebene Versprechen. „Bleib
ba! Setze Dich hierher an mein Bett, damit ich sicher
weiß, daß Du noch da bist."
Sie folgte dem Rufe nnd warf seinen Rock, den sie
Wen in der Hand hielt, eilig über einen Stuhl. Dabei fiel
stn Päckchen auS der inneren Brusttasche desselben und
ichlug am Boden auf.
, „Die Perlen I" schrie der Kranke auf und wilder leuch-
tete das Fener in seinen Augen. „Die Perlen I fort mit
Wnen. . . fort... fortI Verstecke sie, vergrabe fiel Die
Perlen find an allem Unglück Schuld. Findet man sie bei
Uns, so sind wir Beide verloren l"
Anna athmete tief auf; vidersteitende Gefühle wogten
W ihrem Herzen. So waren die Perlen also noch da !
womit war jeder Zweifel an des Vaters Schuld unmöglich
beworben. Abermals überkam sie tiefe Beschämung. Er-
bitterung gegen den Vater. Da ertönte wieder sein schmerz-
uches Stöhnen, und damit überwog in ihr das Mitleid
Wit dem Kranken. Sie setzte sich zu ihm an das Bett, legte
wre kühle Hand auf seine brennende Stirn und sprach ihm
fu, sich zu beruhigen. Tröstend versicherte sie, Niemand
Wune ihm etwas anhaben, wenn nur die Perlen alle da
men und keine sich verloren habe.
., „Alle find sie da, olle!" wiedcrbolte er. halb in Fieber-
fhantasien. „O, die unglückseligen Perlen! Als sie so da-
sagen, so weiß und so glänzend, da meinte ich, wenn ich sie
Wie, wäre alle Noth zu Ende. Sie winkten mir, sie lach-
en mich an, und ich nahm sie. Als ich sie aber verkaufen
wollte, nur eine, nur erst eine, da sah mich der Mann
iwarf gn: „Wie kommen Sie zu der selten schönen Perle?"
„Und die Perle, sie schien förmlich zu grinsen. Ich
wmmelte etwas von einem Erbstück, schob sie in die Tasche
Der christliche Bauernverein in Belgien.
Der Klerus ist in Belgien nicht bloS die Seele
der Arbeitervereine, sondern er ist auch die Seele der
christlichen Bauernvereine. Abbe Mellaerts von
Löwen hat sie ins Leben gerufen und steht an ihrer
Spitze. Dem Eifer, der Ausdauer und Intelligenz
des opfermuthigen Priesters gelang eS, den christlichen
Bauernverein in die Höhe zu bringen und bereits
glänzende Erfolge für denselben zu erreichen.
Der „Boernbond" (sprich Burenbond) oder Bauern-
verein des Abbe Mellaerts zählt bereits 20,000 selbst,
ständige Bauern oder Anwesensbesitzer als Mitglieder.
Wie wir dem Bericht der letzten Generalversammlung
(in voriger Woche) zu Löwen entnehmen, hat der
Verein zwei Bereinsorgane für seine verschiedensprachi-
gen Mitglieder. Das vlämische Organ „De Boer
— Der Bauer" hat 22,000Monnevten; das franzö
fische Vereinsblatt „Le Payson — Der Bauer" hat
5000 Abnehmer. Das Genossenschaftswesen deS Ver-
eins ist bedeutend entwickelt. Derselbe hat 25 Milch-
wirthschaftsgenosseuschaften, 115 gegenseitige Viehver-
sicherungsqenossenschaften. Er bewirkte im letzten
Jahre 1500 Feuerversicherungen zu 7*/s Mill. FrcS.
Die Raiffeisenvereine sind im letzten Jahre von 39
auf 105 gestiegen mit Depots von 490,000 FrcS.
und Darlehen von 290,000 FrcS. Nicht ein einziger
Verlust war zu verzeichnen. Der Bauernverein lie-
ferte seinen Mitgliedern letztes Jahr 10,000 Tonnen
(s. 20 Centn er) Kunstdünger und 6000 Oelkuchen
und anderes Viehfutter, besorgte den Ankauf u. Ver-
kauf von Oekonomiegeräthen usw. Zu den materiellen
Erfolgen kommen nach dem Generalberichte noch die so-
zialen und religiösen. Die Mitglieder zeichneten sich auS
durch Nüchternheit, Fleiß u durchaus gutes Betragen, so-
wie durch pünktliche Erfüllung ihrer religiösen Pflichten.
Die Generalversammlung gab dem verdienten Ge-
neralsekretär Abbe Mellaerts ein Festessen, zu welchem
eine sehr große und distinguirte Gesellschaft, darunter
der Unterrichisminister Schollaert und mehrere Abge-
ordnete, erschien. Nach den Toasten auf den Papst
und den König brachte Minister Schollaert einen auf
die Gesundheit des Abbe MellaeriS aus. Darauf
las Minister Schollaerts ein Schreiben des Ackerbau-
bauministers de Bruyn vor, worin dieser sein Be-
dauern ausdrückte, nicht anwesend sein zu können
und dem Abbe für seine erfolgreiche Arbeit hohes Lob
spendete. Zugleich übersandte er Namens des Königs
dem Abbe McllaretS für seine Verdienste um den
Bauernstand das Ritterkreuz des LeopoldordenS.
und eilte aus der Stadt. Und dann" — hier sank seine
Stimme zum Flüstern herab — „las ich in einer Zeitung
von etwas, das sich auf Ebersburg zugetraaen, und von
da gab es keine Ruhe für mich. Jetzt wußte ich, mm
würde mich festnehmen, sobald ich mein Schatz verkaufen
wollte. Ich wußte, mit Tausenden in der Tasche müße ich
verhungern, weil ich nirgends, nirgends mich sehen lassen
durfte." Die Stimme des Alten war unmer leiser geworden;
nun schloß er die Augen, schwer athmend lag er regungs-
los da. In trübes Nachfinnen verloren, saß die Tochter an
seinem Bette; wie eia wilder böser Traum erschienen ihr
die Erlebnisse dieser Nacht-
„Wie kamst Du auf den Gedanken, mich hier aufzu-
suchen ?" fragte sie, als der Kranke die Augen wieder
ausschlug.
„Wie?. . . Warte nur, ich muß mich daraus besinnen,
Ach, der Kopf, der Krpf, er brennt zu sehr! ... So war
es, jetzt habe ech's; das Zeitungsblatt hatte ja gesagt, Du
seiest fort von Ebersburg. Wohin anders hättest Du gehen
sollen, als hierher? Als mein Geld zu Ende gegangen war,
da beschloß ich, Dir zu folgen. Ich gmg zu Fuß, immer zu
Fuß, auf Umwegen- Wer zu Fuß geht, kann allein bleiben.
Eisenbahnen und Postwagen, Alles steckt voller Verräther.
Oft dachte ich daran, die Perlen wegzuwerfen, in ir-
gend einen Graben. Dann aber fiel mir ein, du wirfst ein
Vermögen fort, behalte sie! Vielleicht kommt für dich noch
ein günstiger Augenblick — vielleicht machen sie dich noch
zum reichen Manne."
Er schwieg einen Augenblick, wie um seine Gedanken zu
sammeln, dann fuhr er eintönig in unterbrochenen Sätzen
ort: „Ich mied alle Ortschaften. Wo Menschen sind, find
auch Spione. Ich suchte einsame Wirthshäuser auf, aber
auch dort begegnete ich mißtrauischen Blicken. Tage lang
hielt ich mich in Wäldern versteckt und wanderte nur in
der Nacht. Endlich kam ich hier an. Durch einen Zufall
erfuhr ich. Du wohntest hier in dem kleinen Hause. Du
hättest mich nicht verrathen, dar wußte ick. Daß Du mir
weiter helfen würdest, setzte ich voraus. Nicht wahr, Du
tbust es auch? Du schickst mich nicht hinaus ... in die
Nacht? Seine brennenden Finger umklammerten eisern ihren
Ein Attentat auf den Präsidenten Fsnre.
* Paris, 13. Juni. Eine offizielle Persönlich,
keit, welche den Präsidenten Faure bei der heutigen
Fahrt begleitete, erzählte in einer Unterredung mit
einem Berichterstatter, daß man nahe an dem dichten
Gebüsch bei der Kaskade angekommen, eine Detonation
vernahm und Rauch aufsteigen sah, gerade, als der
Wagen des Präsidenten 'worüberfuhr. Es entstand
eine Beunruhigung. Als sich herausstellte, daß niemand
verwundet war, setzten der Präsident und seine Be-
gleitung die Fahrt nach dem Hippodrom fort. Zwei
Polizisten stürzten sich sogleich in das — Gebüsch.
Sie fanden dort einen Pfropfen und die bereits an-
gegebenen Gegenstände liegen, die sie an sich nahmen.
Die Menge war über den Anschlag äußerst aufge-
bracht und als sie bemerkten, wie ein Polizeiagent
die Pulverröhre, die er an sich genommen hatte, in
den Händen trug, hielt sie ihn für den Schuldigen
und schlug ihn mit Tücken und Schirmen, so daß
er blutüberströmt vom andern Polizeiagenten befreit
werden mußte. Der Polizeipräfekt macht über die
Angelegenheit ziemlich unbestimmte Angaben.
* Paris, 13. Juni. Die Vorrichtung, welche bei
der Vorübrrfahrt des Präsidenten Faure explodirte,
war eine Röhre von 15 cm. Länge, 6 cm. Durch-
messer und 2 cm. Dicke. DaS Individuum, welcher
bei der Menge in dem Verdachte stand, der Urheber
deS Attentats zu sein und festgenommen wurde, heißt
Galtet. Bei seinem Verhör durch den Polizeipräfekten
gab er fast keine Antwort. Auf dem Kolben der am
Thatorte gefundenen Pistole ist mit einem Grabstichel
folgende Inschrift eingraoirt: „Felix ist verurtheilt
Elsaß Lothringen-Polen." Gallet gab die Erklärung
ab, er sei ohne Beruf und wohne in der Rue Gida
in Le Valois. Dort wird gegenwärtig eine Haus-
suchung vorgenommen. Man hält Gallet nicht für
den Urheber des Attentats. Man glaubt vielmehr,
daß er ein Verrückter ist, der bei dem Borüberkommen
der Präsidenten durch Ausstoßung von Rufen die
Aufmerksamkeit der Menge auf sich zog. Man ver--
muthet, daß der wirkliche Urheber in dem dichten Ge-
büsch verborgen blieb und nach dem Anschläge ent-
kommen konnte.
* Paris, 14. Juni. Außer dem bereits genannten
Gallet sind auch ein ebenfalls in Le Valois lebender
Bruder desselben, sowie der in Gentilly wohnende
Getreidehändler Lanoine unter dem Verdacht, an dem
Anschlag gegen den Präsidenten betheiligt zu sein, ver-
haftet worden. Alle drei Personen wurden jedoch
Arm; das von Angst verzerrte Gesicht sckaute sie flehend
an, .Sei ganz ruhig, Vater!" antwortete Anna. „Ich ver-
spreche Dir, cs soll Dir nichts geschehen. Jetzt aber ver-
suche zu schlafen. Ruhe »Hut Dir vor Allem noch."
„Schlafen, schlafen I Ja, ich will es versuchen. Aber
Du mußt hier bleiben, hier am Bett; sonst kommen Sie
und holen mich. Die Perlenaber thu' fort . . , die Perlen
find Verräther . . . fie weisen den Weg . . ."
Seine Stimme ging in ein unverständliches Gemurmel
über; nach und nach wurde er ruhiger und versank in ei-
nen von Fieberphantafien unterbrochenen Schlaf. Seine
Hand, die Anna's Arm krampfhaft umfaßt hielt, ruckte von
Zeit zu Zeit. Endlich ließ der Druck derselben nach, und
Anna konnte sich aus der Umklammerung lösen. Dennoch
blieb fie bewegungslos am Bette sitzen und dachte nach.
Das Brandmal des Diebstahls würde nun von ihr ge-
nommen werden, dachte sie, und ihr Herz jauchzte auf.
Aber was weiter? Der gebrochene, kranke, aller Hilfsmittel
entblößte Greis fiel nun ihr zur Last und muß'e durch
ihre Arbeit erhalten werden. Es war eine furchtbare Auf-
gabe und sie erschauerte, als sie die ganze Größe derselben
überdachte. Sie deckte die Hand über die Augen, aus denen
von tiefer Seelenpein ausgepreßt, schwere Thcänen hervor-
quollen. Auf ein glückliches Leben an der Seite eines ge-
liebten Mannes hatte sie verzichten müssen — nun bürdete
ihr Gott das Kreuz aus, die Ernäherin dieses alten Mannes
zu sein, vor dessen Lasterhaftigkeit ihr graute! Ihr war,
als müsse sie erliege« unter ihrem Geschick. Ein wildes
Verlange» überkam fie, zu fliehen und allein, ungehemmt
durch diese neue Fessel, sich ihr Brod zu verdienen.
Bald aber trugen Anna's Gottvertrauen und ihre Ge-
wissenhaftigkeit den Sieg über die augenblickliche Schwäche
davon. „Gott hat bis jetzt geholfen —Er wird ouch weiter
helfen," tröstete sie sich. „Ganz klar ist mir der Weg vor-
gezeichnet, den ich zu gehen habe. Vorwärts also! Auf die
eine oder die andere Weise muß ja schließlich die Erlösung
kommen."
(Fortsetzung folgt.)
KMerg, Mittmih, dm 16. Juni 1897.
Verantwortlicher Redakteur
Joseph Huber in Heidelberg.
Druck, Verlag u. Expedition
G eb r. Huber in Heidelberg,
Zwingerstraße 7.
Irfcheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u. ,, , Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
KSlk-WM -mm für «akMI, FMeü L KeM. LLLLL
Heidelberg monatlich KV H mit Trägerlohn, durch Rabattbewilligung.
die Post bezogen Viertels. Ft 1.60 franco. Expedition: Zwiuaerkratze 7.
51
Zum Abonnement ans
das III Quartal
laden wir ergebenst ein. Das Pfälzer Volksblatt
fest auf dem Boden deS Centrums stehend, ist mit
Erfolg bestrebt, die politischen Fragen mit Ruhe und
Klarhe t in frischer volkSthüwlicher Form zu behandeln,
den Interessen aller Stände gerecht zu werden, nament-
lich aber die berechtigten Forderungen des Bauern-,
Handwerker- und Arbeiterstandes hervorzuheben und
la vertheidigen.
Grundsatz der redaktionellen Leitung des Pfälzer
Volksblatt ist kurze, knappe, aber alles Wesentliche
bringende Berichterstattung auf allen Gebieten, wo-
durch eine Reichhaltigkeit des Inhalt s erzielt wird,
wie sie in keinem anderen Blatte gleichen Umfangs zu
finden ist.
In den nächsten Monaten stehen die Landtags-
Wahlen bevor. Im Monat August findet inLands-
Hut die deutsche Katholiken-Bersamm-
lung statt. Das Pfälzer Volksblatt wird über
die Verhandlungen des Katholikentages schnell und
ringehend berichten.
Für Unterhaltung und Belehrung sorgen zahlreiche
Feuilletons und daS sonntägliche 8seitige Unterhaltungs-
blatt der „Sonnt agSbote". Mit aller Sorgfalt
wird aus dem Pfälzer Volksblatt Jedwedes fern-
gehalten, was das jugendlicheGemüth verletzen
könnte. Deshalb eignet sich das Pfälzer Volksblatt
ganz besonders zur täglichen Familienlektüre.
Inserate finden in Folge des großen Leser-
kreises des Pfälzer Volksblatt größtmöglichste Ver-
breitung.
Probenummern stehen Jedermann in jeder
-'wünschten Anzahl zur Verfügung.
Redaktion u. Verlag deS
„Mälzer WMsvlatt".
LeidvM md freudvoll. S"»'
Novelle von L- v. Neid egg.
Jbr schauderte. Sie machte sich in dem enae« Zimmer
l schaffen, nur um die innere Unruhe zu betäuben, und
>g schließlich an, deS Vaters Kleider zu ordnen, die zer-
eut am Boden umher lagen.
, „Bleib daI" rief aus einmal der Kranke, der nur halb
berühmt schien durch das ihm gegebene Versprechen. „Bleib
ba! Setze Dich hierher an mein Bett, damit ich sicher
weiß, daß Du noch da bist."
Sie folgte dem Rufe nnd warf seinen Rock, den sie
Wen in der Hand hielt, eilig über einen Stuhl. Dabei fiel
stn Päckchen auS der inneren Brusttasche desselben und
ichlug am Boden auf.
, „Die Perlen I" schrie der Kranke auf und wilder leuch-
tete das Fener in seinen Augen. „Die Perlen I fort mit
Wnen. . . fort... fortI Verstecke sie, vergrabe fiel Die
Perlen find an allem Unglück Schuld. Findet man sie bei
Uns, so sind wir Beide verloren l"
Anna athmete tief auf; vidersteitende Gefühle wogten
W ihrem Herzen. So waren die Perlen also noch da !
womit war jeder Zweifel an des Vaters Schuld unmöglich
beworben. Abermals überkam sie tiefe Beschämung. Er-
bitterung gegen den Vater. Da ertönte wieder sein schmerz-
uches Stöhnen, und damit überwog in ihr das Mitleid
Wit dem Kranken. Sie setzte sich zu ihm an das Bett, legte
wre kühle Hand auf seine brennende Stirn und sprach ihm
fu, sich zu beruhigen. Tröstend versicherte sie, Niemand
Wune ihm etwas anhaben, wenn nur die Perlen alle da
men und keine sich verloren habe.
., „Alle find sie da, olle!" wiedcrbolte er. halb in Fieber-
fhantasien. „O, die unglückseligen Perlen! Als sie so da-
sagen, so weiß und so glänzend, da meinte ich, wenn ich sie
Wie, wäre alle Noth zu Ende. Sie winkten mir, sie lach-
en mich an, und ich nahm sie. Als ich sie aber verkaufen
wollte, nur eine, nur erst eine, da sah mich der Mann
iwarf gn: „Wie kommen Sie zu der selten schönen Perle?"
„Und die Perle, sie schien förmlich zu grinsen. Ich
wmmelte etwas von einem Erbstück, schob sie in die Tasche
Der christliche Bauernverein in Belgien.
Der Klerus ist in Belgien nicht bloS die Seele
der Arbeitervereine, sondern er ist auch die Seele der
christlichen Bauernvereine. Abbe Mellaerts von
Löwen hat sie ins Leben gerufen und steht an ihrer
Spitze. Dem Eifer, der Ausdauer und Intelligenz
des opfermuthigen Priesters gelang eS, den christlichen
Bauernverein in die Höhe zu bringen und bereits
glänzende Erfolge für denselben zu erreichen.
Der „Boernbond" (sprich Burenbond) oder Bauern-
verein des Abbe Mellaerts zählt bereits 20,000 selbst,
ständige Bauern oder Anwesensbesitzer als Mitglieder.
Wie wir dem Bericht der letzten Generalversammlung
(in voriger Woche) zu Löwen entnehmen, hat der
Verein zwei Bereinsorgane für seine verschiedensprachi-
gen Mitglieder. Das vlämische Organ „De Boer
— Der Bauer" hat 22,000Monnevten; das franzö
fische Vereinsblatt „Le Payson — Der Bauer" hat
5000 Abnehmer. Das Genossenschaftswesen deS Ver-
eins ist bedeutend entwickelt. Derselbe hat 25 Milch-
wirthschaftsgenosseuschaften, 115 gegenseitige Viehver-
sicherungsqenossenschaften. Er bewirkte im letzten
Jahre 1500 Feuerversicherungen zu 7*/s Mill. FrcS.
Die Raiffeisenvereine sind im letzten Jahre von 39
auf 105 gestiegen mit Depots von 490,000 FrcS.
und Darlehen von 290,000 FrcS. Nicht ein einziger
Verlust war zu verzeichnen. Der Bauernverein lie-
ferte seinen Mitgliedern letztes Jahr 10,000 Tonnen
(s. 20 Centn er) Kunstdünger und 6000 Oelkuchen
und anderes Viehfutter, besorgte den Ankauf u. Ver-
kauf von Oekonomiegeräthen usw. Zu den materiellen
Erfolgen kommen nach dem Generalberichte noch die so-
zialen und religiösen. Die Mitglieder zeichneten sich auS
durch Nüchternheit, Fleiß u durchaus gutes Betragen, so-
wie durch pünktliche Erfüllung ihrer religiösen Pflichten.
Die Generalversammlung gab dem verdienten Ge-
neralsekretär Abbe Mellaerts ein Festessen, zu welchem
eine sehr große und distinguirte Gesellschaft, darunter
der Unterrichisminister Schollaert und mehrere Abge-
ordnete, erschien. Nach den Toasten auf den Papst
und den König brachte Minister Schollaert einen auf
die Gesundheit des Abbe MellaeriS aus. Darauf
las Minister Schollaerts ein Schreiben des Ackerbau-
bauministers de Bruyn vor, worin dieser sein Be-
dauern ausdrückte, nicht anwesend sein zu können
und dem Abbe für seine erfolgreiche Arbeit hohes Lob
spendete. Zugleich übersandte er Namens des Königs
dem Abbe McllaretS für seine Verdienste um den
Bauernstand das Ritterkreuz des LeopoldordenS.
und eilte aus der Stadt. Und dann" — hier sank seine
Stimme zum Flüstern herab — „las ich in einer Zeitung
von etwas, das sich auf Ebersburg zugetraaen, und von
da gab es keine Ruhe für mich. Jetzt wußte ich, mm
würde mich festnehmen, sobald ich mein Schatz verkaufen
wollte. Ich wußte, mit Tausenden in der Tasche müße ich
verhungern, weil ich nirgends, nirgends mich sehen lassen
durfte." Die Stimme des Alten war unmer leiser geworden;
nun schloß er die Augen, schwer athmend lag er regungs-
los da. In trübes Nachfinnen verloren, saß die Tochter an
seinem Bette; wie eia wilder böser Traum erschienen ihr
die Erlebnisse dieser Nacht-
„Wie kamst Du auf den Gedanken, mich hier aufzu-
suchen ?" fragte sie, als der Kranke die Augen wieder
ausschlug.
„Wie?. . . Warte nur, ich muß mich daraus besinnen,
Ach, der Kopf, der Krpf, er brennt zu sehr! ... So war
es, jetzt habe ech's; das Zeitungsblatt hatte ja gesagt, Du
seiest fort von Ebersburg. Wohin anders hättest Du gehen
sollen, als hierher? Als mein Geld zu Ende gegangen war,
da beschloß ich, Dir zu folgen. Ich gmg zu Fuß, immer zu
Fuß, auf Umwegen- Wer zu Fuß geht, kann allein bleiben.
Eisenbahnen und Postwagen, Alles steckt voller Verräther.
Oft dachte ich daran, die Perlen wegzuwerfen, in ir-
gend einen Graben. Dann aber fiel mir ein, du wirfst ein
Vermögen fort, behalte sie! Vielleicht kommt für dich noch
ein günstiger Augenblick — vielleicht machen sie dich noch
zum reichen Manne."
Er schwieg einen Augenblick, wie um seine Gedanken zu
sammeln, dann fuhr er eintönig in unterbrochenen Sätzen
ort: „Ich mied alle Ortschaften. Wo Menschen sind, find
auch Spione. Ich suchte einsame Wirthshäuser auf, aber
auch dort begegnete ich mißtrauischen Blicken. Tage lang
hielt ich mich in Wäldern versteckt und wanderte nur in
der Nacht. Endlich kam ich hier an. Durch einen Zufall
erfuhr ich. Du wohntest hier in dem kleinen Hause. Du
hättest mich nicht verrathen, dar wußte ick. Daß Du mir
weiter helfen würdest, setzte ich voraus. Nicht wahr, Du
tbust es auch? Du schickst mich nicht hinaus ... in die
Nacht? Seine brennenden Finger umklammerten eisern ihren
Ein Attentat auf den Präsidenten Fsnre.
* Paris, 13. Juni. Eine offizielle Persönlich,
keit, welche den Präsidenten Faure bei der heutigen
Fahrt begleitete, erzählte in einer Unterredung mit
einem Berichterstatter, daß man nahe an dem dichten
Gebüsch bei der Kaskade angekommen, eine Detonation
vernahm und Rauch aufsteigen sah, gerade, als der
Wagen des Präsidenten 'worüberfuhr. Es entstand
eine Beunruhigung. Als sich herausstellte, daß niemand
verwundet war, setzten der Präsident und seine Be-
gleitung die Fahrt nach dem Hippodrom fort. Zwei
Polizisten stürzten sich sogleich in das — Gebüsch.
Sie fanden dort einen Pfropfen und die bereits an-
gegebenen Gegenstände liegen, die sie an sich nahmen.
Die Menge war über den Anschlag äußerst aufge-
bracht und als sie bemerkten, wie ein Polizeiagent
die Pulverröhre, die er an sich genommen hatte, in
den Händen trug, hielt sie ihn für den Schuldigen
und schlug ihn mit Tücken und Schirmen, so daß
er blutüberströmt vom andern Polizeiagenten befreit
werden mußte. Der Polizeipräfekt macht über die
Angelegenheit ziemlich unbestimmte Angaben.
* Paris, 13. Juni. Die Vorrichtung, welche bei
der Vorübrrfahrt des Präsidenten Faure explodirte,
war eine Röhre von 15 cm. Länge, 6 cm. Durch-
messer und 2 cm. Dicke. DaS Individuum, welcher
bei der Menge in dem Verdachte stand, der Urheber
deS Attentats zu sein und festgenommen wurde, heißt
Galtet. Bei seinem Verhör durch den Polizeipräfekten
gab er fast keine Antwort. Auf dem Kolben der am
Thatorte gefundenen Pistole ist mit einem Grabstichel
folgende Inschrift eingraoirt: „Felix ist verurtheilt
Elsaß Lothringen-Polen." Gallet gab die Erklärung
ab, er sei ohne Beruf und wohne in der Rue Gida
in Le Valois. Dort wird gegenwärtig eine Haus-
suchung vorgenommen. Man hält Gallet nicht für
den Urheber des Attentats. Man glaubt vielmehr,
daß er ein Verrückter ist, der bei dem Borüberkommen
der Präsidenten durch Ausstoßung von Rufen die
Aufmerksamkeit der Menge auf sich zog. Man ver--
muthet, daß der wirkliche Urheber in dem dichten Ge-
büsch verborgen blieb und nach dem Anschläge ent-
kommen konnte.
* Paris, 14. Juni. Außer dem bereits genannten
Gallet sind auch ein ebenfalls in Le Valois lebender
Bruder desselben, sowie der in Gentilly wohnende
Getreidehändler Lanoine unter dem Verdacht, an dem
Anschlag gegen den Präsidenten betheiligt zu sein, ver-
haftet worden. Alle drei Personen wurden jedoch
Arm; das von Angst verzerrte Gesicht sckaute sie flehend
an, .Sei ganz ruhig, Vater!" antwortete Anna. „Ich ver-
spreche Dir, cs soll Dir nichts geschehen. Jetzt aber ver-
suche zu schlafen. Ruhe »Hut Dir vor Allem noch."
„Schlafen, schlafen I Ja, ich will es versuchen. Aber
Du mußt hier bleiben, hier am Bett; sonst kommen Sie
und holen mich. Die Perlenaber thu' fort . . , die Perlen
find Verräther . . . fie weisen den Weg . . ."
Seine Stimme ging in ein unverständliches Gemurmel
über; nach und nach wurde er ruhiger und versank in ei-
nen von Fieberphantafien unterbrochenen Schlaf. Seine
Hand, die Anna's Arm krampfhaft umfaßt hielt, ruckte von
Zeit zu Zeit. Endlich ließ der Druck derselben nach, und
Anna konnte sich aus der Umklammerung lösen. Dennoch
blieb fie bewegungslos am Bette sitzen und dachte nach.
Das Brandmal des Diebstahls würde nun von ihr ge-
nommen werden, dachte sie, und ihr Herz jauchzte auf.
Aber was weiter? Der gebrochene, kranke, aller Hilfsmittel
entblößte Greis fiel nun ihr zur Last und muß'e durch
ihre Arbeit erhalten werden. Es war eine furchtbare Auf-
gabe und sie erschauerte, als sie die ganze Größe derselben
überdachte. Sie deckte die Hand über die Augen, aus denen
von tiefer Seelenpein ausgepreßt, schwere Thcänen hervor-
quollen. Auf ein glückliches Leben an der Seite eines ge-
liebten Mannes hatte sie verzichten müssen — nun bürdete
ihr Gott das Kreuz aus, die Ernäherin dieses alten Mannes
zu sein, vor dessen Lasterhaftigkeit ihr graute! Ihr war,
als müsse sie erliege« unter ihrem Geschick. Ein wildes
Verlange» überkam fie, zu fliehen und allein, ungehemmt
durch diese neue Fessel, sich ihr Brod zu verdienen.
Bald aber trugen Anna's Gottvertrauen und ihre Ge-
wissenhaftigkeit den Sieg über die augenblickliche Schwäche
davon. „Gott hat bis jetzt geholfen —Er wird ouch weiter
helfen," tröstete sie sich. „Ganz klar ist mir der Weg vor-
gezeichnet, den ich zu gehen habe. Vorwärts also! Auf die
eine oder die andere Weise muß ja schließlich die Erlösung
kommen."
(Fortsetzung folgt.)