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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Juli 1897
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Nr. 147
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0605

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Pfcher Volksblati

lelverg monatlich SO mit Tragerloyn,
die Post bezogen viertelt, 1.60 franco

MMderg, MMg, dm 3. M11897.

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

Erscheint ISglich mit Ausnahme der Sonn- u. Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
Oman für Walickeit, FMeii L LieM.
_

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber in Heidelberg,
Zwingerstraßr 7.

Gestellungen
für dar
III. Quartal
»ehmeu immer noch alle Postämter auf die täglich er-
scheinende Zeitung
.Pfälzer B-Usblatt"
(mit der wöchentlichen Gratisbeilage „Der EountagK-
d»te",) sowie unsere Expedition Heidelberg
Zwivgerstraße 7 entgegen.
Expedition des „PMzer VolksblaU",
Heidelberg, Zwingerstraße 7.

Auf die abgelsufene Reichstagssession
kann die CentrumSfrakiion mit voller Gevugthuung
zurückblicken. Die Unglücksraben, welche dem unter
einem „ultrawontanen" Präsidenten stehenden Reichs-
tage eine Periode der prößten, gesetzgeberischen Un-
fruchtbarkeit voroussagten, haben nicht Recht behalten.
Zwar hat der Groll über den selbstverschuldeten
Verlust deS Präsidiums die ehemaligen Cartellpar-
trien zu manchem bösen Racheakt gegen den Präsi-
denten v. Buol verleitet. Namentlich in der konser-
vativen, freikonservativen und nationalliberalen Presse
wurde man nicht müde, sich an dem „unfähigen"
„tauben" Präsidenten zu reiben. Aber die Geduld
des Geschmähten war ausdauernder als die Bosheit
der über die eigene Thorheit mehr als über die Ver-
weigerung deS Glückwunsches zu Bismarcks 80 Ge-
burtstage entrüsteten Hurrahpatrioten. Und so ist eS
denn gekommen, daß der frühere Präsident, Herr v.
Levetzow dem Präsidenten v. Buol am Schluffe der
Session in ganz besonders herzlicher Form Dank und
Anerkennung für die unermüdliche Ausdauer und für
die Gerechtigkeit und Umsicht darbrachte, mit welcher
rr die Geschäfte in einer langen und anstrengenden
Session geleitet hat. Die ReichStagSmehrheit aber,
Welche sich durch den bekannten Beschluß in dir Bis-
warcksrage sogar den offenen Ausdruck der „tiefsten
Entrüstung" des Kaisers in einer Depesche an Bis-
marck zuzog, hatte die Genugthuung, daß in diesem
Jahre der Kaiser selbst den gleichen Standpunkt ein-

nahm und unter den Gratulanten zu Bismarcks Ge-
burtstag ebenso fehlte, wie damals der Reichstag.
Freilich zog sich die ReichStagSmehrheit noch ein an-
deres Mal den kaiserlichen Zorn zu, als die 12
Millionen für neue Kreuzer rc. abgelehnt wurden
und das Wort von den „vaterlandslosen Gesellen"
in einer Dep-sche au den Prinzen Heinrich nach
Kiel flog. Doch der Reichstag nahm diese Neußer-
ungen einer explosiven Natur nicht allzu tragisch und
ließ sich auch nickt daS Recht nehmen, in der De-
batte über die MajestätSbeleidigungen über manche
Aussprüche der Kaisers in aller Ehrerbietigkeit seine
Meinung zu sagen. Neber die schwankenden Zustände
in der inneren Politik der Reiches wollen wir bei
dieser Gelegenheit nicht reden, sondern nur kurz fest,
stellen, daß die Reichstagssession, in welcher dem
Centrum eine besondere führende Rolle zufiel, keines-
wegs so unfruchtbar verlaufen ist, wie man aus den
häufigen Schimpfereien über „diesen" Reichstag
villleickt schließen könnte. Wenn auch die Justizgesetz-
novelle leider am Widerspruche der verbündeten Re-
gierungen gescheitert ist, welche namentlich die Wie-
dereinführung der Berufung nur gegen die Verschlech-
terung der ersten Instanz (3 statt 5 Richter) in den
Kauf geben wollten, so ist doch das größte Gesetz
gebungSwerk drs letzten Vierteljahrhunderts, daS
Bürgerliche Gesetzbuch und nach demselben auch das
neue Handelsgesetzbuch, die Grundduchordnung und
daS Subhaftationsgesetz zu Stande gekommen. Der
Initiative deS CentrumS entsprangen mehrere sehr
woblthätige Maßnahmen dek Reichstages, so der
ernstliche Beginn der Schuldentilgung, die Erhöhung
der für die Veteranenunter-Mtzung ausgesetzten
Summe, daS Verbot des börsenmäßigen Terminhandels
mit G treibe. DaS Centrum setzte sodann seinen
Antrag auf Aufhebung deS Jesuitengesetzes abermals
durch und wird denselben wiederholen, bis das Ziel
erreicht ist, eS regte auch die Aufhebung des Klebe-
gesetzzwanges für die Landwirthschaft rc. an. Seiner,
speciell des Abg. Dr. Schädlers Initiative ist es
allein zu verdanken, wenn im nächsten Etat die Ein-
führung warmer Abendkost für die Soldaten beantragt
werden wird. An dem Zustandekommen deS Gesetzes
gegen Butterverfälschung (Margarivegesetz), an der
Gestaltung des AuswanderungSgesetzes und namentlich
auch an der Rettung des HandwerkSorganisations-
gesetzeS hatte das Centrum hervorragenden Antheil.
Die Aufbesserung der höheren Reichsbeamten, nament-
lich der Staatssekretäre fand den Widerspruch der
bayerischen CevtrumSmitglieder. Dagegen hat daS

Gesammtcentrum, das zweifellose Verdienst, mehr als
20,000 niederen Beamten die Wohlthat einer
bescheidenen BesoldungSverb sserung verschafft zu
haben. Wir haben nur das Wichtigste au- der
oroßen R ihr der Reichstagsarbeiten herausgegriffen.
Es wird sich in der Folge noch Gelegenheit bieten,
auf manches zurückzukommen. Das eine steht jeden-
falls fest, daß dar Centrum berechtigten Anlaß hat,
mit Befriedigung auf die vom 3. Dezember 1895
bis 25. Juni 1897 reichende Session zurückzublicken.
Die General-Versammlung -es Pfälzischen
Centrums-Vereins in Landau
erfreute sich eines sehr regen Besuches. Von Dr.
Schädler war folgendes Begrüßungs Telegramm ein-
getroffen: „Den versammelten Freunden und Waffen,
brüdern herzlichsten Gruß. Der Beralhung besten
Erfolg. Treu zusammengeschart und einig im Rath;
dann zur That;die junge Garde ging voraus. Unsere
Chancen stehen günstig. (Lebh. Beifall) Landtags-Abge-
ordneter Dr. Jäger (Speyer) beleuchtet die Lage im jen-
seitigen Bayern, wo man den Abgeordneten den Rath ge-
geben habe, eine eigene kath. Volkspartei zu bilden.
Die drüben vielfach herrschende Mißstimmung gegen
daS Centrum habe ihren Grund darin» daß man daS
Centrum nicht kennt; dazu komme eine Presse, die
nur ihre Sonder-Interessen vertrete, raisonnirt,
schimpft und hetzt. Dann sind die bayerischen Ab-
geordneten zu wenig in Berlin anwesend. DaS Cen-
trum sei nicht geschaffen zur Opposition um jeden Preis,
sondern um die Lage zu vertussirn in ernster christ-
lich r Arbeit. Wir wollen sein eine große christliche
Bolkspartei zur Bekämpfung des Umsturzes von oben
und von unten; eine Vereinigung der deutschen
Katholiken zur Rettung ihrer Religion und ihrer
Zukunft. Wenn wir einig bleiben, werden wir
weiterschreiten in den Erfolgen, die seinerzeit Wind-
horst und die großen Bundesgenossen desselben er-
kämpft haben. Wir dürfen nicht verweigern, war
daS Reich nothw ndig hat. Wir haben uns ferner
geeinigt zur Beseitigung der Ausnahmegesetze. DaS
Jesuitengesetz ist bereit- geborsten. Wenn wir aber
auseinanderlaufen, werden wir diese Säulen nicht
stürzen können. Wir bezwecken den Ausbau deS
Reiches im Sinne der Gerechtigkeit und des Christen-
thums. Die Schule muß wieder christlich werden-
und die Gesellschaft und auch die Gesetzgebung durch
drungen werden vom Geiste des ChristenthumS. E^
ist unS gelungen, den Arbeiterschutz zu erlangen, die

Blind und doch sehend.
Ur ter dieser Behandlung würde Rudolf seine« Prozeß
ganz vergessen haben, wäre er nicht durch einzelne Verhöre
daran erinnert worden. In denselben benahm er sich weit
sicherer und klüger als im Anfänge, und es wäre ihm
vielleicht gelungen, die vorgefaßte Meinung des Gerichtes
vmzuftiwmen, wäre nicht di- unbesiegbare und allzugroße
Scham über seinen zweiten Besuch bei keiner Tante gewe-
sen. Sobald der Richter diesen Punkt berührte, verlor
Rudolf seine Ruhe, er wurde in hohem Grade verlegen, u
als ihm iw Beisein der Fritsckin die Worte vorgehalten
wurden, da verwirrte ihn die Scham dergestalt, daß der
Inquirent und die ganze Gerichtsbank auf's Neue in ihrem
Vorurtheil bestärkt wurden.
4. Operations-Versuche.
Vierzehn Tage waren seit Rudolf's Verhaftung ver-
flossen, als eines Abends der würdige Gefängnißverwalter
bei ferner Tochter saß und ihr einen Bries von ihrem Bru-
der vorlas, worin derselbe neben manchem andern Erfreu-
lichen auch meldete, er habe die Bekanntschaft eines berühm-
ten Augenarztes aus Kopenhagen gemacht, von dem er
»laude, daß er Elelia's Augen wieder Herstellen werde. In
ewem Monat werde er mit ihm kommen.
, „Ach wollte Gott, Eduard's Hoffnung würde wahr!"
rres der Greis, als er mit Lesen fertig war.
. Clelia schüttelte ihr braunes Lockenköpfchen, sagte aber
v»nn: .Wir wollen's Gott anheimstellen. Wenn eS mög-
lich und fein Wille ist, daß ich wieder sehen lerne, so wird
rr auch den Helfer schicken."
„3a," sagte der Greis gerührt, „du hast recht, liebes
Kmd — wir wollen ihm vertrauen wie bisher. Laß unS
wn> danken, daß er'S mit deinem verbannte» Bruder so
wohl gemacht hat. Wenn doch alle unschuldigen Opfer
Uner blinden Justiz errettet würden wie er l"
. , Clelia seufzte und sagte dann: „Wir wollen für sie
vete», wo wir sonst nichts für sie thun können."

Nach einer Weile begann der Alte wieder: „Was sagst
Du zu unserem Doktor? Hälft Du ihn für schuldig a«
dem gräßlichen Verbrechen?"
Clelia erwiderte mit einem Eifer, der ihrem ruhigen
Wesen sonst nicht eigen war: „Wenn er schuldig ist dann
sind die Engel des Lichtes Kinder der Berdammniß! Nein
Vater — er ist gewiß und wahrhaftig ohne Schuld. Ich
sage Dir, ein reinerer, ein edlerer Mensch kam noch nicht
über die Schwelle dieses Hauses!"
„Ich glaube Dir" sagte ihr Vater, „Dein Urtheil war
noch immer sicher. Ach! warum wollen die Richter nicht
sehen wie Du?"
„Hoffentlich werden sie seine Unschuld doch erkennen."
„Ich fürchte, sie werden ihn verurtheilen."
„Berurtheilen?" rief das Mädchen erschrocken, „wozu?"
„Zu lebenslänglichem Zuchthaus, wenn er nicht ge-
steht wenn ihm aber die Seelenfolter eines langwierigen
Kerkers zuletzt ein Geständniß aus Lebensüberdruß erpreßt,
zum Schwert."
O himmlischer Richter! Vater, laß uns ihn schützen!
Tritt Du als Vertheidiger der Unschuld vor dem Richter
aus — oder laß mich — mich reden!"
„Gutes Kind — unser Zeugniß hat als subjektive
Meinung, wie fie's nennen, kein Gewicht bei einem hoch-
noihpeinlichen Prozeß, da gelten nur sogenannte objektive
Beweise! doch hoffen wir auf Gott — der auch die Ge-
rechtigkeit dieses Mannes hervorbringen kann, wie den
Mittag."
„Haiti da fällt mir etwas ein" rief Clelia „sagtest Du
nicht, der lüderliche Sohn des Polizeisergeanten Huker sei
am Morgen nach jener Nacht, da die Mordthat verübt
worden, nach Amenka abgereift?"
„Du meinst doch nicht etwa" —
„Gott verzeihe mir, wenn ich einen Unschuldigen im
Verdacht habe; aber hat nicht der Sergeant da- Gespräch
der beiden Freunde belauscht? Hat er nicht zu Protokoll
gegeben, er habe den Dokeor davon sprechen hören, daß
seine Tante viel Geld unter ihrem Kopjkissen zu verbergen

pflege? Kann nicht der Sergeant dies zu Hause in Gegen
wart seines ungerathenen Sohnes wieder erzählt und da
durch den Buben zur Verübung des Verbrechens gereiz
haben?"
„Kind! Kind!" — rief der Greis betroffen — „Du
kannst Recht haben. Aber was wird es helfen, wenn ich
auch versuche, Deine Vermuthung im Gerichte in Umlauf
zu bringen l Der Bube ist fort, wie vorher schon bestimmt
war, also nicht als Flüchtiger, und der Alte steht so gut
anaeschrieben bei den hiesigen Behörden, daß gegen ihn
nicht aufzukommen ist. Und Du weißt, wie sehr wir Ursache
haben, vor dem Huker auf der Hut zu sein."
„Freilich! er fahndet ja fortwährend auf unser» Eduard,
und wer weiß, ob er nicht zuvor uns auch belauscht hat,
wie hernach die beiden Freunde."
„Ich bin gewiß, daß er cs gethan — aber er hat von
unS nichts hören können, was sich auf Eduard bezog."
„So ist der arme Doktor eigentlich um unsertwillen
so unglücklich geworden" — meinte Clelia — „ach, Vater,
laß uns thun, was wir können, daß ihn die Seelensolter
des einsamen Kerkers nickt zu einem verzweifelten Geständ-
niß treibt! Ihm brauchst Du mich nicht länger zu verbergen."
„Morgen soll er Dich sehen." Damit schloß der Greis
diese Unterhaltung.
Und wie er gesagt, so geschah es. Von nun an durfte
Rudolf täglich seine Musikschülerin sehen und sprechen.
Und wenn auch ihr Vater dabei stets zugegen war. so hin-
derte das doch nicht, daß auf den Wellen der Töne ihre
Gefühle sich begegneten, ihre Herzen sich fanden und die
tiefste und zarteste Liebe sie verknüpfte.
Jetzt hätte Rudolf seine Absicht, Cl-lia's Augen zn
operiren, vielleicht haben ausführen können, wenn er sich
dem Vater Widerhyld hätte anvertrauen mögen; allein ec
konnte dies nicht über sich gewinnen — lieber vertagte er
jetzt das wichtige Werk auf die Zeit seiner Befreiung, der
er im Gefühle seiner Unschuld zuversichtlich entgegensah.
(Fortsetzung folgt.)
 
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