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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Februar 1897
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Nr. 29
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0117

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Melders, WMg, dm 6. Fedmr 1897.

»in Jubiläum, oder die Glunsperiodc
modernen RaudriUerlhums.
ähnlichem Titel brachte der „Deutsche HauS
einen längeren Artikel, dessen Inhalt wohl ein
allgemeines Interesse verdient, daß wir ihn hier
Hauptsache nach wiedergeben wollen. Neben dem
""Urkampf ist wohl der Gründungsschwiudel, der
^diesem Hand in Hand ging, einer der häßlichsten
Mandfltcken Deutschlands in unserm Jahrhundert.
Ehrend der Staat mit Hilfe des gesammten Libe
.Wmus und unter Pauken und Trowpetenjchall der
'?"alrn Piesse das großeTreiben auf das „Schwarz-
pa* veranstaltete und alle Blicke darauf gewendet
"aren, leerte die Zunft der Finanzwelt unter dem
der Gesetzgebung die Taschen des deutschen
Lk es soweit dies eben möglich war. Es ist schon
Wirtlich behauptet worden, es fei ja gerade eine der
piache des Culturkawpfes gewesen, damit die Zunft
p Finanzwänver ihren Beutezug umso ungestörter
"a unausiälliger machen konnte. Die Culturkämpfer,
W die eigentlichen Lärmmacher in der Presse wie
?"ch im Parlament, sind auch bei der Beuteverthei-
'""S nicht leer ausgegangen.
Der GründungSschwindel kam so recht in Flor,
nachdem ihm gesetzlich durch das Aktiengesetz vom 11.
a «« ^70 der Boden geebnet und Thor uod Thür
AEoffnet waren; denn schon in den folgenden 2 ein
M Jahren wurden 766 Aktiengesellschaften gegründet.
Afa pro Tag eine Aktiengesellschaft. Diese 766
Mrengesellschaften hatten ein Capital von fast 3 Milli-
Aden Maik aufgesaugt. Die Hast, mit der so viel
ppital in so kurzer Zeit aufs Spiel gesetzt wurde,
, .bei ruhigen Zeiten Jedem sofort als krankhaft
"scheinen müssen. Die Presse wimmelte in der da-

maligen Zeit von lauter Anpreisungen von Gesell-
schaften, die als feinste Eopitalanlagen in den grell-
sten Farben geschildert wurden. Nur die kath. Blät-
ter hielten sich von diesem Treiben fern; sie hatten
ja mit der Abwehr des Culturkawpfes wahrlich genug
zu thun; deshalb konnten sie auch diesem modernen
Raubritterthum nicht die nöthige Ausm rksamkeit schen-
ken. Der unparteiische Urtheiler nennt die Presse, die
da lustig mitthat, eine „feile"; aber kann man der
gesammten liberalen Presse gar so große Borwürfe
machen, wenn sogar der „Reichsanzeiger" im redak-
tionellen Theil mitunter recht zweifelhafte Gründungen
empfahl? Allerdings war dessen damaliger Redakteur
ein Jude. Aber die Corruption reichte bis in die
Parlamente; denn von 1870—1878 zählte man im
Reichstag und im preuß. Landtag 300 Abgeordnete,
welche bei solchen Gründungen theils als Gründer,
theils als Aufsichtsräthe und Direktoren betheiligt
waren. Das Warrn die richtigen Volksvertreter! Es
waren aber euch dieselben, die sich berufen fühlten,
über Bischöfe, Priester und Ordensleute zu Gericht
zu sitzen. Im Jahre 1873 mußte Beamten die Teil-
nahme an solchen Geschäften gesetzlich verboten werden
— weil eben viele kleinere Beamten durch den Wiener
Krach ruinirt waren. Die Spielwuth hatte natürlich
alle Gesellschaftsklassen und alle Stände erfaßt.
Doch schauen wir uns das Räuberhandwerk etwas
näher an. Nur einige Beispiele: Die Berliner Dis-
contobank wurde 1870 mit 40V» Millionen Mark
gegründet und verdiente 40Vi P-oc. d. h, 16^/s Mill.
Mark! Ein früherer Oberbürgermeister und jetzt
hochgestellter Beamter erhielt als Geschäftstheilhäber
mit zwei anderen,Collegeo innerhalb 3 Jahren 1,800,000
Mark. Tie Verwaltungsräthe im ersten Jahre je
28,089 M. Tantieme! 1874 ging daS Geschäft et-
was schlechter; auch da wurde noch mit einem Grund-
kapitals von 60 Mill. 12 Mill. Reingewinn gemacht.
10 Mitglieder der Direktion und des Aussichtsrathes,
darunter auch der jetzt geadelte Finanzminister von
Miquel, theilten sich in 1,200,000 Mark Tantiemen!
Aber das war nur ein kleiner Theil des klugen
Herrn v. Miquel, denn er war damals sehr vielsei-
tig. Er war nämlich noch Direktor.der Provinzial-
dircontogesellschaft, dann Aufsichtsrath bei der Peußi-
schen Centralbodencreditbauk, bei der Dortmunder
Union, bei der Rumänischen Eisenbahngesellschaft, bei
der Bochumer Bergwerft u. s. w. Welcher Schwin-
del getrieben wurde, zeigen folgende Beispiele: Roth
schild, Bleichröder, Hansemannn, Jakob Landau usw.
gründeten die „Deutsche Reichs Continental-Eisen-

Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.

Auf das
- Pfälzer Bottsblatt"
""u immer noch für die zwei Monate
. r Jebvrrav unö März
, "^nirt werden. Bestellungen nimmt jede Postaustalt
, uxserx Expedition in Heidelberg, Zwingerstraße 7,
^gegen.
. Probermmmerrr werden auf Wunsch gerne porto-
Jedermann zusesandt.

längst ver kühle Rajen deckt. O Ellen, schau vom Himmel
Zeichen, daß Du mir vergeben, lasse Dein
e!" so jammerte das einst so stolze Weib

Lände in den ihrigen hielt, erzählte sie ihm in ergreifender
Weise, was sie in den letzten zehn Jahren gelitten, wie
Gott sie geprüft hatte. Mit ihrem Gatten und der einzigen
überlebenden Tochter hatte sie die Heimath verlassen, weil
die innere Unrutze sie fortgetrieben, weil das Andenken an
ibr verstoßenes Kind ihr nirgendwo Rast gegönnt- Sie
wollte den trüben Bildern entfliehen und in der Welt Zer-
streuung suchen. Sie seien nach Europa gereist, aber schon
bald und kurz hintereinander seien ihre beiden Angehörigen
ihr durch den Tod entrissen worden, — die Tochter in den
schottischen Bergen, der Gatte an den Ufern des Rheins.
Dort war ihr jüngster, noch unvermählter Sohn zu ihrem
Tröste hcrbeigeeilt; aber auch ihn hatte sie achtzehn Mo-
nate vor ihrer Rückkehr nach Amerika ins Grab legen
müssen. Mit gebrochenem Herzen war sie dann nach Lon-
don gegangen, und von jener Zeit dadirte eine vollständige
Veränderung ihres Innern. Die ehemals stolze, unnahbare
Mrs. Bellenger wurde zu einer demütbigen, gottergebenen
Frau, die ihre Tage nur den Hebungen christlicher Barm-
herzigkeit weihte. Ost, oft gedachte sie seit der Zeit ihrer
jüngsten Tochter Ellen, die sie einst von sich gestoßen und
enterbt hatte, sie floh nicht mehr die trüben Bilder; sie
suchte sie und bereute schmerzlich, und in der Bitterkeit
ihres Herzens rief sie dann; „O, wäre Ellen jetzt noch
bei mir!'
Dabei erinnerte sie sich auch des bülflosen Kindes, das
sie einst für wenige Minuten in ihren Armen gehalten
hatte, und indem sie sich an die Heff -ung auklammerte,
dies Kind könnte vielleicht doch noch der Trost ihres Alters
werden, sprach sie zu sich: „Ich muß den Knaben finden!
Bei ihrer Rückkehr nach Boston habe sie sich zunächst
zu Williams Vater, ihrem ältesten Sohne begeben. Aber
in hassen Familie konnte sic sich nicht heimisch fühlen.
Zwar wurde sie mit Herzlichkeit begrüßt und mit Aus-
Wirksamkeit behandelt; da sie aber wußte, daß ihr Sohn
sehr stark verschuldet sei, so konnte sie sich des Eindruckes
nicht erwehren, ihr Vermögen sei mehr die Ursache der
freundlichen Aufnahme, als sie selber.
Als Walters Großmutter gelegentlich nach dem Kinde
Ellens gesragt, halte ihr Sohn gleichgültig geantwortet, er

bahn-Geskllschaft" mit einem Grundkapital von 30
Millionen Mark. Die 40 procentigen JnterimSscheine
wurde zu 165—195 Mark verkauft. Nach dem
Wiener Krache standen fie nur'auf 66. Also an jedem
Scheine 100—130 Mark Verlust. Die Macher
hatten damals sicher alle Scheine unter'S Volk und
ihr Schäfchen rechtzeitig in'S Trockene gebracht. Die
Dortmunder Union von Herrn v. Miquel u. s. tv.
gegründet, schlug ihre Papiere zu 330 Mark loS; die-
selben wurden dann auss Doppelte hinaufgetrieben
und im Jahre 1874 waren sie werthlos! Die von
1,800,000 Mark toxirt, dann drei Jahr für 4V«
Millionen an das s Consortium verkauft. Um 1'/,
Millionen wurde das Hüttenwerk erweitert. Und
trotzdem wurde auf demselben eine Akiteugesellschaft
mit einem Grundkapital von 27 Millionen gegründet.
Dieselbe war natürlich dem Untergange geweiht, weil
sie keine Rente abwerfen konnte — aber trotzdem
hatten die Gründer den Prosit, denn sie hatten die
Millionen in der Tasche und daS Volk dafür die
werthlosen Actienpapirre.
Wenn also nur gegründet war, wenn nur daS
Volk Millionen riskirt hatte! In den ersten Jahren
wurden die höchsten Zinsen oder Dividenten ausbe-
zahlt — unter 40 Procent that man eS gar nicht
mehr. Und einige Jahre später kam dann der Krach;
denn alle Papiere waren bis dahin richtig an den
Mann gebracht. Im Mai 1873 kam dann der all-
gemeine Wiener Krach. Wie knallten da die Re-
volver ! Wie Biele machten in dem Entsetzen, Alles
verloren zu haben, ihrem Leben ein Ende? Ja wie
viele Familien kehrten Kummer und Elend ein?
Aber auch wie viele Fabrikarbeiter, durch die hohen
Löhne vom Lande in die Fabriken gelockt, wurden
jetzt arbeits- und brodlos; denn wie viele Fabrikan-
lagen waren nur durch Schwindelgründungen ent-
standen? Damals wurde der Grund zur Sozial-
demokratie gelegt. Kenner der Verhältnisse behaupten
daß von 1873—75 fünf Milliarden verloren
gingen — also so viel als die Franzosen an Kriegs-
schuld bezahlt hatten. Daß diese kolossalen Verluste
jetzt noch nicht ganz verschmerzt sind, sondern daß
dieser Milliardenschwindel jetzt noch Nachwehen hat,
zeigte die Lage der Landwirthschaft und des Gewer-
bes. War haben die Staatsmänner zu verantworten,
unter deren Schutz ein solcher Raubzug in Scene ge-
setzt werden konnte!
Sonderbar, mit dem Gründungsschwindel fällt
auch die Blüthezeit der Liberalismus zusammen und
mit dem Wiener Krach erhielt auch der Liberalismus
glaube, Walter halte stch als Kommis oder dergleichen in
Newhork auf; außer William jedoch sei Niemand von der
Familie mit ihm bekannt.
Vor einigen Tagen sei sie nach Newyort gekommen,
wo fie keineswegs daran dachte, neben William auch ihren
zweiten Enkel bei Mrs. Reeves, einer ihrer Bekannten aus
früheren Jahren zu finden.
In Gedanken verloren, hatte sie Walters Eintritt in
den Saal nicht bemerkt; als er aber mit Jesfie an ihr
vorübergegangen, habe es fie durchzuckt, ein Zug seines
Gesichtes habe fie an ihre Tochter Ellen erinnert. Als habe
Gott ihr Gebet endlich erhört und wie von höherer Macht
dazu gedrängt, habe sie sich im Herzen gefragt: „Sollte
dieser stattliche junge Mann Ellens Kind sein?" Und es
ser eine gewaltige Aufregung, eine namenlose Angst und
Sehnsucht über sie gekommen. Und als kann Walter aber-
mals vorübergeschritten, als er in ihrer Nähe stehen ge-
blieben und als fie endlich aus dem Munde Mrs. Reeves
den Namen „Walter Marshall" gehört, da habe fie volle
Gewißheit gehabt. „Es ist meiner Ellen Kind — er ist's!"
so habe es in ihrem Herzen gejubelt, aber dasselbe sci auch
Wieder so beklommen gewesen, daß sie hätte laut aufschreien
wögen und sie am ganzen Körper gezittert habe. Dann
aber, als Walter abermals in ihre Nähe gekommen, da
habe fie sich ermannt und alle gesellschaftlichen Rücksichten
vergessend, habe fie nur noch ein Verlangen gehabt,^ sich
ihm zu offenbaren. Und aufs Neue brach sie in Thränen
aus und ichluchzte: „Das habe ich gethan: nun weißtrDu
Alles. Walter, hier bin ich, Deine Großmutter, welche
ihren Enkel um Verzeihung fleht, da ihr verstoßenes Kind
herab, und zum,
Kind mich lieben. _
in herzzerreißenden Klagen.
(Fortsetzung folgt).

Druck, Verlag u. Expedition
Gebr. Huber m Heidelberg,
Zwtngrrftraße 7.

. Stolz und Ließe.
Dem Amerikanischen nacherzählt.
N- Wie oft hatte Walter geknirscht 'ge^en diesen herzlosen
Mz der Bellenger, wie oit war er versucht gewesen, alles zu
, was außer seiner Mutter nur den Namen Bellenger
M> wenn nicht Gottes Gebot ihn geheißen hätte, auch die
dn!» ö" lieben! Aber wenn er sich auch überwunden, so
Mte er doch nie Verlangen getragen, seine Großmutter
sonst einen Verwandten mütterlicherseits zu sehen;
Wvem hmte er an Wrlliom genug, er entsprach ganz der
Erstellung, welche er stch von den Bellengers gemacht
Me. Aber statt einer kalten, herzlosen Frau sah er nun
U gegenüber ein von tiefster R us zerknirschtes Weib,
Men Anflitz lange schwere Leidenstage und harte, bittere
^eelenkämpfe verriet hen.
„-.Walter war eine zu edel angelegte Natur, als daß er
diesem Augenblicke alles hatte vergessen können,
>«as Schlimm s die Großmutter seinen unglücklichen Eltern
Wefügt. Selbst traten ihm die Thränen in die Augen,
kr b'"e aus die Weinende zu, ergriff ihre beiden Hände,
^dttktc fie mit Küssen und stieß hervor: „Meins Groß
«Utter, meine arme Großmutter! Ach hätte diese Stunde
«eine urglückliche Mutter erlebt!"
H , Die Großmutter breitete ihre Arme aus, zog ihren
Z' kel in inniger Umarmung an sich und weinte aufs
neue bitterlich.
daß ich Ellen, meine verstoßene Tochter, noch
sehen, daß ich das furchtbare Unrecht sühne» könnte I
MH wie danke ich Gott wegen des unverdienten Glückes,
Wer wich ihr Kind wiederfinden ließ!" so stöhnte fie.
Mm sah sie ju Walter mit thränenfeuchteu Augen auf
uno sprach in flehendem Tone: „Walter, kannst Du nur,
emer alten, von Gram und schwerem Herzeleid gebeugten
verzeihen? Kannst Du vergessen das namenlose Ün-
W" das ich Deinen Eltern zugefügt, und mich lieben wie
M Mutter? — Doch ehe Du antwortest, höre noch zu-
W die L^den meiner lrtzten Jahre, vielleicht wird Dir's
«unn leichter."
Dann zog sie Walter neben sich und indem fie feine

Mtzer Volksblatt.
^tage. Nbonnr^ent^preitz^mit^deni^wö^ /zx / , Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
ÄM Grgan jur Malirlieü, Fmkeü L KM. Pr^L^
^-Post bezogen viertelj. IM franco. « ^??battbewilligung.-
' Expedition: Zwtngerstratze 7.
 
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