Wlzer Mksblatt
8r. 82^
WMrg, KMg, de» 11. AM 1897
: manches gethan, um Männern,
der Reichs-Politik er für erwünscht
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
Druck, Verlag u.
Gebr. Huber in H
Lwingerstraße 7.
Für -as Weite Guartal 1897
^rhmru noch immer alle Postämter Bestellungen auf
"ie täglich erscheinende Zeitung
-Pfälzer Bottsblatt"
^>it der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntags-
sowie unsere Expedition Heidelberg
"diugerstraße entgegen.
Expedition des „PMer Volksblatt".
Heidelberg, Zwingcrstraße 7.
traurige Veränderung in seinem Aeuheren vorbereitet ge-
wesen, dennoch erschreck sie, als sie ihn sah.
Anna halte ganz wahr gesprochen, als sie geklagt
batte, der Vater sehe herabgekommen aus, Niemand, der
ihm begegnet wäre, hätte einen in achtbarer, feingebildeter
Umgebung ausgewachsenen Mann, den Abkömmling eines
uralten Freiherrngcschlechtes in ihm vermuthet. Ebenso
wenig hätten die, welche in diese verwitterten Züge blickten,
trotz der weißen Haare des ManneS eine Regung des
Abscheucs zu unterdrücken vermocht. Ein Greifen-Angesicht,
auf dem der Glanz eines ehrenhaften Lebenswandels sich
abspiegelt, erfüllt Jedermann mit Ehrfurcht; abstoßend
hingegen wirkt der Anblick eines in Sünden ergrauten
Menschen, dessen Zügen das Gepräge der innern Ver-
wahrlosung aufgedrückt ist. Des Baron» LebenSgcschichte
war in seinem Gesichte zu lesen; von Rohheit sprachen die
frechen Augen. Genußsucht der sinnliche Mund und
die gerö Die Kleidung, anspruchsvoll und schä-
big zugUrcg, vervollständigte das widrige Bild.
Seine Frau hatte ihn willkommen geheißen und ihm
ihre abgemagerte Hand entgegen gestreckt. Er schüttelte sie
derb, ohne zu bkrücksicktigen, daß er ihr damit physischen
Schmerz verursache, und setzte sich dann zu ihr.
.Ich mußte doch wieder einmal nach Dir sehen, Jo-
sephine," sagte er «it lauter Stimme. „Hoffentlich verur-
sacht Dir mein Kommen nicht den gleichen Schrecken, wie
eS bet Anna der Fall war- Diese liebende Tochter hätte
mir, glaube ich, am liebsten die Thüre gewiesen, und die
Thränen, die sie jetzt weint, scheinen auch keine Freuden-
thränen zu sein."
Die Baronin seufzte.
„Das arme Annchen hat oft genüg erfahren müssen,
wie sehr auch die leiseste Aufregung mir schaden kann.
Das Kind, das mich so aufopfernd pflegt, geht ganz auf
in der Sorge um mich ... Das weißt Du aber, Karl," —
wieder reichte sie ihm die Hand — „so lange wie ich selbst
ein Obdach habe, bist Du bei uns stets willkommen." Sie
wandte sich zu Anna, die regungslos da saß, den Vater
beinahe feindlich anstarrend. .Geh, mein Kind!" sagte sie.
^scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u.
Mcrtagx. »do«v»«evisprri» mit dem wrchent-
Unterhaltungsblatt „Der Cormtagsbote" sür
velvelberg monatlich Sv H mit Trägerlohn, durch
s-^^le Post bezogen viertelj. 1.60 franco.
Expedition
eidelberg,
der „Conflikts"-Bestrebungen bei der Jnvalidenver-
sorgung und der „Staatkstreich"-Treibereien bei den
Marineforderungen. Der Reichstag kann gar nicht
mehr anders, als diese Aenderung seiner Politik vor»
zunehmen; sie ist ihm förmlich aufgezwungen worden.
Je schwieriger übrigens die Verhältnisse waren, um
so mehr darf der Reichstag und darf das deutsche
Volk sich der bisherigen Erfolge der Session freuen.
Der wichtigste Erfolg ist die glatte Erledigung der-
jenigen Gesetze, welche Vorbedingungen erfüllen für
das JnSlebentreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am
1. Januar 1900, also der Grundbuch-Ordnung, der
Zwangsvollstreckungs-Ordnung und des Handelsgesetz-
buches, alle drei Gesetze mit den zugehörigen Einführ-
ungsgesetzen. Bisher hat also das Programm für die
Schaffung eines einheitlichen bürgerlichen Rechtes in
Deutschland genau eingehalten werden können.
Für die Zeit nach Ostern erwartet den Reichstag
noch ein überreiches Pensum: der Nachtragsetat mit
der großen Forderung für Ergänzung der Reservebe-
stände der Artillerie, die Beamten-Besoldungsaufbesser-
ung, die Unfall-BersicherungS Novelle, die Invaliden-
Versicherungs-Novelle und die Vorlage über die Or-
ganisation des Handwerk-, dazu da- Auswanderungs-
gesetz und kleinere Sachen. ES ist ganz ausgeschlossen,
daß alle diese Gesetze noch erledigt werden; sonst
müßte der Reichstag in Permanenz bleiben über den
ganzen Sommer hindurch, waS in Anbetracht dessen,
daß die meisten Reichstags-Abgeordneten von ihren
ReichStags-Diäten allein nun einmal nicht leben können,
sondern zu Hause auch für ihre eigenen Geschäfte und
Familien Sorge tragen müssen, eigentlich doch nicht
zu verlangen ist.
Sicher wird noch erledigt das Auswanderungsgesetz,
welcher die Commission passirt hat, und über welches
der Commissionsbericht in den nächsten Tagen wird
vertheilt werden. Sodann ist große Neigung vorhanden,
die Handwerkervorlage noch so oder so fertig zu stellen,
um das Handwerk, welches nun so lange schon hinge-
halten worden ist, nicht mehr länger, wenigstens auf
eine Entscheidung warten zu lassen. Für das Zu-
standebringen der Unfallversicherungsnovelle ist auch
inzwischen in besondern vertraulichen Conferenzen bei
dem Staatssekretär v. Bötticher ein Boden gefunden
worden, welcher einen guten Ausgang wenigstens er-
möglicht. Der Stein des Anstoßes war im wesent-
lichen ein Antrag Trimboru in der Commission, welcher
eine Herabsetzung der Unfallrente bei veränderten
Verhältnissen dem einseitigen Vorgehen der Berufs-
richte Dein Stübchen für den Vater her und bringe Deine
Sachen zu mir herüber."
Anna stand auf, rückte der Mutter sorgsam die Wen
zurecht, ordnete die Falten des Tuches, das über dieFuße
gebreitet war, und schob ihr einen kühlenden Trunk Wasser
näher zur Hand. Nachdem sie die Mutter zärtlich auf die
Stirne geküßt, verließ sie das Zimmer.
Der Baron blieb stumm seiner Frau gegenüber sitzen.
Auch sie sprach kein Wort. So sehr sie sich auch bemühte,
ihre Aufregung zu bemeistern, es wollte ihr nicht gelingen.
Ihr Athem ging rasch, und eine unheimliche Rörhe brannte
auf ihren vorhin so bleichen Wangen.
Ihr Mann batte für alle diese Zeichen eines tief
Leidens keine Aufmerksamkeit: er sah sich prüfend in dem
kleinen Zimmer um. Dies erschien ihm viel wichtiger, als
mit dem Gesundheitszustände seiner Frau sich abzugeben.
Ein ärmliches Stübchen war eS, in dem er seine Fa
milie gefunden hatte. Die Decke war niedrig, die Dielen
waren ausgetreten, die Wände verunziert durch geschmack-
lose, lheilweise fleckige Tapeten. Nur ein zwar abgenutzter,
aber immerhin noch schöner türkischer Teppich, auf dem
das Ruhebett stand, bildete einen seltsamen Gegensatz zu
dem übrigen verwahrlosten Aussehen des Zimmers, uuv
ebenso auffällig stachen ein paar gute Gemälde m kostbaren
Rahmen — offenbar Familien-Bildnisse — gegen die häß-
lichen Schnörkel der Tapete sowohl, wie gegen die dürfti-
gen Möbel ab, mit denen das Zimmer auSgeftattet war.
Hier wohnte nicht die genügsame Armuth, die zufrieden
ist, von der Hand in den Mund zu leben, weil sie nichts
Besseres kennt — hier wohnten Menschen, die aus einer
glücklichen Sphäre herabgestürzt worden waren in Nied-
rigkeit und Armuth.
Der Baron war es, der, als er seine Musterung be-
endet hatte, zuerst das Schweigen brach. „Als ich im letzten
Jahre Dich besuchte, wohntest Du besser, Josephine," be-
merkte er.
(Fortsetzung folgt.)
Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
. CriM sür Nolirlmi, Freiliell L KM. W-LW
ägerlohn, durch " ' Rabattbewilligung.
.60 franco.Expedition: Awin«erstraße 7.
ungeu eng verknüpft waren. Die Ereignisse der
jetzigen Session haben gezeigt, daß die Mehrheit des
Reichstages nicht geneigt ist, diese Politik fortzusetzen,
aus dem einfachen Grunde, weil diese Politik, welche
bezweckte, durch möglichstes Entgegenkommen ein ent-
sprechendes Entgegenkommen zu erreichen, sich bisher
nicht bewährt hat. Sie hat das Gegentheil von dem
erreicht, was mit ihr beabsichtigt war. Als zum
Beispiel im vorigen und vorvorigen Jahre der Reichs-
tag bei den Marineforderungen sehr weit entgegenkam,
und dem Finden der Mittellinie zwischen den Be-
strebungen der Marineschwärmer und der finanziellen
Leistungsfähigkeit des Reiches große Opfer brachte,
um innere Erschütterungen zu vermeiden, hat das nur
die Wirkung gehabt, die Marineforderungen in diesem
Jahre zu einer ganz erschreckenden, früher nie dage-
wesenen Höhe heranwachsen zu lassen.
Diese Erfahrung kann den Reichstag nur ab-
schrecken, weiterhin ein gleiches Entgegenkommen zu
beweisen. Kein Zweifel kann darüber herrschen, daß
die Mehrheit des Reichstages auch in Zukunft nichts
thun wird, um die Amtsführung des Fürsten Hohen-
lohe, dessen still-beharrliches Ankämpfen gegen impul-
sive Entschlüsse, phantastische Pläne und verfehlte
Maßregeln von der Rachwelt weit mehr anerkannt
werden dürfte, wie von der Jetztzeit, irgendwie zu
erschweren. Aber die Zeit ist vorbei, wo diese Mehrheit
geneigt ist, besondere Opfer zu bringen, um die Weiter-
führung der Reichskanzlerschaft deS Fürsten Hohen-
lohe oder irgend eines sonstigen Reichkanzlers zu er-
möglichen. Kein Zweifel darf daher fortan auch
darüber herrschen, daß die Mehrbeit des Reichstages,
insbesondere dar Centrum in Zukunft bei ihrer
Stellungnahme nur noch ausschließlich durch sachliche
Gründe sich leiten zu lassen gesonnen ist, ohne jede
Rücksicht darauf, ob eine solche streng sachliche Politik
die Stellung des einen oder andern der leitenden
Persönlichkeiten im Reich m'S Schwanken bringen
könnte.
Wenn aus einer solchen streng sachlichen Politik
Wirkungen entstehen sollten, welche persönliche Rück-
wirkungen unerfreulicher Art zeitigen könnten, so wird
an solchen Rückwirkungen nicht das Centrum oder die
jetzige Reichstags-Mehrheit schuld sein, sondern die
Verantwortlichkeit fällt auf diejenigen Instanzen, welche
eS nicht verstanden haben, das bisherige große Ent-
gegenkommen des Centrums und der gejammten Mehr-
heit des Reichstages richtig zu verstehen und zu
würdigen. Das ist nichts wie der natürliche Reflex
Der Reichstag
am 7. ds. in die Ferien gegangen, nachdem er
M Handelsgesetzbuch ohne besondere Schwierigkeiten
'N dritter Lesung durchberathen und im Anschluß an
in Resolutionen noch eine Reihe werthvoller
Antzgeberischer Anregungen gegeben hat. Die Session
^ar bisher au Arbeit, Schwierigkeiten und Aufreg-
ungen überreich. Trotzdem darf man mit ihren biS-
dkrigkn Erfolgen durchaus zufrieden sein. Der Etat
M rechtzeitig fertig geworden, obwohl die Verhand-
lungen über bessere Versorgung der Kriegs Teilnehmer
und über die Marine-Forderungen ungewöhnlich kiel
Art und Mühe in Anspruch genommen haben.
. Wenn die Verhandlungen über beide Gegenstände
scharfer Zuspitzung der Gegensätze schließlich
nyne nachhaltige Störungen verlaufen konnten, so
Mührt das Verdienst dafür in erster Linie der ver-
Mstigen Selbstbeschränkung und Besonnenheit des
A'lchStages, anderseits aber auch dem einsichtsvollen
z Utgegenkouimen der gegenwärtigen leitenden ReichS-
uchörden, denen ihre Stellung durch allerhand jenseits,
Außer und neben der geraden constitutionellen Straße
Tagende Einflüsse zu Zeiten aus'S äußerste erschwert
Mrde. Der Reichstag hat vor dem Amtsantritt des
Mrsten Hohenlohe manches gethan, um Männern,
veren Antheil an der Reichs-Politik er für erwünscht
uvd verdienstvoll hielt, die Fortführung ihres Amtes
AM zu erschweren, also gewissermaßen aus persön-
^Mn Gründen, die allerdings mit sachlichen Erwäg-
2) Leidvoll und freudvoll. AL
Novelle von L- v- Neid egg-
.... Mit Tbränen in den Augen sah die Tochter zu ihr
d>» ruckte um ihre Mundwinkel; sie versuchte ju reden,
i,!?, «ehle war ihr wie zugeschnürt. Wie ein kleines Kind,
-w? ^u> Schmer» zur Mutter flüchtet, legte sie den Kopf
bn! r Ruhebett und schluchzte laut auf: „Noch immer
Al m» Besuch Verschlimmerung Deine- Zustande» bedeu-
t--aus.
ivn >>^u bist mein Alles auf dieser Welt, Mutter. Was
" M Mr werden, wenn Du mir genommen wirst!"
lvn.« - der preßte die Kranke die Hand auf da» Her» und
einen klagenden Blick zum Himmel. Dann beugte sie
"ch über die Tochter und streichelte ihr Haar und Gesicht-
»Aott rst der Vater der Verlassenen und Waisen!"
er -Er wird auch Dich nicht verlassen, sollte
zv-Mchlossen haben, mich zu sich zu nehmen. Wenn fein
AM uns trennt, so bedenke, daß selbst der Tod diejenigen
i„N äu scheiden vermag, vie im Denken und Füdlen so
Ian» verbunden waren, wie Du und ich, mein Kind. So
.man sich «ns weiß mit seinen Äorangeganaenen,
man die Stütze ihres Arme» noch zu empfinden,
Ur auch länkst vahin sind. Du wirft da» an Dir
meine Anna. Jetzt aber, da wir einander noch
laß uns Alles thun, um den Abschied, hinauszu-
?- : - 3bre Stimme brach; regungslos und stumm
sie einige Minuten da.
Nnt. M fragte sie in ruhigerem Tone: „Was hat der
thun beschlossen? Wo ist er jetzt?"
L-n ch hier geblieben. Ich habe ihn auf mein Stüb-
AMuffuhrt," antwortete Anna- „Zufällig kam die Auf-
»«herein; die mußte sogleich eine Flasche Wein
AM', Als der Vater die hatte," setzte sie mit unsäglicher
hmzu, „erklärte er sofort, meiner nicht weiter »u
ein .^Hwire Schritte wurden auf dem Gange hörbar, und
der breitschulteriger Mann erschien in der Thür:
r Baron v. Neudingen. Wohl war seine Frau auf eine
8r. 82^
WMrg, KMg, de» 11. AM 1897
: manches gethan, um Männern,
der Reichs-Politik er für erwünscht
Verantwortlicher Redakteur:
Joseph Huber in Heidelberg.
Druck, Verlag u.
Gebr. Huber in H
Lwingerstraße 7.
Für -as Weite Guartal 1897
^rhmru noch immer alle Postämter Bestellungen auf
"ie täglich erscheinende Zeitung
-Pfälzer Bottsblatt"
^>it der wöchentlichen Gratisbeilage „Der Sonntags-
sowie unsere Expedition Heidelberg
"diugerstraße entgegen.
Expedition des „PMer Volksblatt".
Heidelberg, Zwingcrstraße 7.
traurige Veränderung in seinem Aeuheren vorbereitet ge-
wesen, dennoch erschreck sie, als sie ihn sah.
Anna halte ganz wahr gesprochen, als sie geklagt
batte, der Vater sehe herabgekommen aus, Niemand, der
ihm begegnet wäre, hätte einen in achtbarer, feingebildeter
Umgebung ausgewachsenen Mann, den Abkömmling eines
uralten Freiherrngcschlechtes in ihm vermuthet. Ebenso
wenig hätten die, welche in diese verwitterten Züge blickten,
trotz der weißen Haare des ManneS eine Regung des
Abscheucs zu unterdrücken vermocht. Ein Greifen-Angesicht,
auf dem der Glanz eines ehrenhaften Lebenswandels sich
abspiegelt, erfüllt Jedermann mit Ehrfurcht; abstoßend
hingegen wirkt der Anblick eines in Sünden ergrauten
Menschen, dessen Zügen das Gepräge der innern Ver-
wahrlosung aufgedrückt ist. Des Baron» LebenSgcschichte
war in seinem Gesichte zu lesen; von Rohheit sprachen die
frechen Augen. Genußsucht der sinnliche Mund und
die gerö Die Kleidung, anspruchsvoll und schä-
big zugUrcg, vervollständigte das widrige Bild.
Seine Frau hatte ihn willkommen geheißen und ihm
ihre abgemagerte Hand entgegen gestreckt. Er schüttelte sie
derb, ohne zu bkrücksicktigen, daß er ihr damit physischen
Schmerz verursache, und setzte sich dann zu ihr.
.Ich mußte doch wieder einmal nach Dir sehen, Jo-
sephine," sagte er «it lauter Stimme. „Hoffentlich verur-
sacht Dir mein Kommen nicht den gleichen Schrecken, wie
eS bet Anna der Fall war- Diese liebende Tochter hätte
mir, glaube ich, am liebsten die Thüre gewiesen, und die
Thränen, die sie jetzt weint, scheinen auch keine Freuden-
thränen zu sein."
Die Baronin seufzte.
„Das arme Annchen hat oft genüg erfahren müssen,
wie sehr auch die leiseste Aufregung mir schaden kann.
Das Kind, das mich so aufopfernd pflegt, geht ganz auf
in der Sorge um mich ... Das weißt Du aber, Karl," —
wieder reichte sie ihm die Hand — „so lange wie ich selbst
ein Obdach habe, bist Du bei uns stets willkommen." Sie
wandte sich zu Anna, die regungslos da saß, den Vater
beinahe feindlich anstarrend. .Geh, mein Kind!" sagte sie.
^scheint täglich mit Ausnahme der Sonn- u.
Mcrtagx. »do«v»«evisprri» mit dem wrchent-
Unterhaltungsblatt „Der Cormtagsbote" sür
velvelberg monatlich Sv H mit Trägerlohn, durch
s-^^le Post bezogen viertelj. 1.60 franco.
Expedition
eidelberg,
der „Conflikts"-Bestrebungen bei der Jnvalidenver-
sorgung und der „Staatkstreich"-Treibereien bei den
Marineforderungen. Der Reichstag kann gar nicht
mehr anders, als diese Aenderung seiner Politik vor»
zunehmen; sie ist ihm förmlich aufgezwungen worden.
Je schwieriger übrigens die Verhältnisse waren, um
so mehr darf der Reichstag und darf das deutsche
Volk sich der bisherigen Erfolge der Session freuen.
Der wichtigste Erfolg ist die glatte Erledigung der-
jenigen Gesetze, welche Vorbedingungen erfüllen für
das JnSlebentreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am
1. Januar 1900, also der Grundbuch-Ordnung, der
Zwangsvollstreckungs-Ordnung und des Handelsgesetz-
buches, alle drei Gesetze mit den zugehörigen Einführ-
ungsgesetzen. Bisher hat also das Programm für die
Schaffung eines einheitlichen bürgerlichen Rechtes in
Deutschland genau eingehalten werden können.
Für die Zeit nach Ostern erwartet den Reichstag
noch ein überreiches Pensum: der Nachtragsetat mit
der großen Forderung für Ergänzung der Reservebe-
stände der Artillerie, die Beamten-Besoldungsaufbesser-
ung, die Unfall-BersicherungS Novelle, die Invaliden-
Versicherungs-Novelle und die Vorlage über die Or-
ganisation des Handwerk-, dazu da- Auswanderungs-
gesetz und kleinere Sachen. ES ist ganz ausgeschlossen,
daß alle diese Gesetze noch erledigt werden; sonst
müßte der Reichstag in Permanenz bleiben über den
ganzen Sommer hindurch, waS in Anbetracht dessen,
daß die meisten Reichstags-Abgeordneten von ihren
ReichStags-Diäten allein nun einmal nicht leben können,
sondern zu Hause auch für ihre eigenen Geschäfte und
Familien Sorge tragen müssen, eigentlich doch nicht
zu verlangen ist.
Sicher wird noch erledigt das Auswanderungsgesetz,
welcher die Commission passirt hat, und über welches
der Commissionsbericht in den nächsten Tagen wird
vertheilt werden. Sodann ist große Neigung vorhanden,
die Handwerkervorlage noch so oder so fertig zu stellen,
um das Handwerk, welches nun so lange schon hinge-
halten worden ist, nicht mehr länger, wenigstens auf
eine Entscheidung warten zu lassen. Für das Zu-
standebringen der Unfallversicherungsnovelle ist auch
inzwischen in besondern vertraulichen Conferenzen bei
dem Staatssekretär v. Bötticher ein Boden gefunden
worden, welcher einen guten Ausgang wenigstens er-
möglicht. Der Stein des Anstoßes war im wesent-
lichen ein Antrag Trimboru in der Commission, welcher
eine Herabsetzung der Unfallrente bei veränderten
Verhältnissen dem einseitigen Vorgehen der Berufs-
richte Dein Stübchen für den Vater her und bringe Deine
Sachen zu mir herüber."
Anna stand auf, rückte der Mutter sorgsam die Wen
zurecht, ordnete die Falten des Tuches, das über dieFuße
gebreitet war, und schob ihr einen kühlenden Trunk Wasser
näher zur Hand. Nachdem sie die Mutter zärtlich auf die
Stirne geküßt, verließ sie das Zimmer.
Der Baron blieb stumm seiner Frau gegenüber sitzen.
Auch sie sprach kein Wort. So sehr sie sich auch bemühte,
ihre Aufregung zu bemeistern, es wollte ihr nicht gelingen.
Ihr Athem ging rasch, und eine unheimliche Rörhe brannte
auf ihren vorhin so bleichen Wangen.
Ihr Mann batte für alle diese Zeichen eines tief
Leidens keine Aufmerksamkeit: er sah sich prüfend in dem
kleinen Zimmer um. Dies erschien ihm viel wichtiger, als
mit dem Gesundheitszustände seiner Frau sich abzugeben.
Ein ärmliches Stübchen war eS, in dem er seine Fa
milie gefunden hatte. Die Decke war niedrig, die Dielen
waren ausgetreten, die Wände verunziert durch geschmack-
lose, lheilweise fleckige Tapeten. Nur ein zwar abgenutzter,
aber immerhin noch schöner türkischer Teppich, auf dem
das Ruhebett stand, bildete einen seltsamen Gegensatz zu
dem übrigen verwahrlosten Aussehen des Zimmers, uuv
ebenso auffällig stachen ein paar gute Gemälde m kostbaren
Rahmen — offenbar Familien-Bildnisse — gegen die häß-
lichen Schnörkel der Tapete sowohl, wie gegen die dürfti-
gen Möbel ab, mit denen das Zimmer auSgeftattet war.
Hier wohnte nicht die genügsame Armuth, die zufrieden
ist, von der Hand in den Mund zu leben, weil sie nichts
Besseres kennt — hier wohnten Menschen, die aus einer
glücklichen Sphäre herabgestürzt worden waren in Nied-
rigkeit und Armuth.
Der Baron war es, der, als er seine Musterung be-
endet hatte, zuerst das Schweigen brach. „Als ich im letzten
Jahre Dich besuchte, wohntest Du besser, Josephine," be-
merkte er.
(Fortsetzung folgt.)
Inserate die 1-spaltige Petitzeile oder deren Raum
. CriM sür Nolirlmi, Freiliell L KM. W-LW
ägerlohn, durch " ' Rabattbewilligung.
.60 franco.Expedition: Awin«erstraße 7.
ungeu eng verknüpft waren. Die Ereignisse der
jetzigen Session haben gezeigt, daß die Mehrheit des
Reichstages nicht geneigt ist, diese Politik fortzusetzen,
aus dem einfachen Grunde, weil diese Politik, welche
bezweckte, durch möglichstes Entgegenkommen ein ent-
sprechendes Entgegenkommen zu erreichen, sich bisher
nicht bewährt hat. Sie hat das Gegentheil von dem
erreicht, was mit ihr beabsichtigt war. Als zum
Beispiel im vorigen und vorvorigen Jahre der Reichs-
tag bei den Marineforderungen sehr weit entgegenkam,
und dem Finden der Mittellinie zwischen den Be-
strebungen der Marineschwärmer und der finanziellen
Leistungsfähigkeit des Reiches große Opfer brachte,
um innere Erschütterungen zu vermeiden, hat das nur
die Wirkung gehabt, die Marineforderungen in diesem
Jahre zu einer ganz erschreckenden, früher nie dage-
wesenen Höhe heranwachsen zu lassen.
Diese Erfahrung kann den Reichstag nur ab-
schrecken, weiterhin ein gleiches Entgegenkommen zu
beweisen. Kein Zweifel kann darüber herrschen, daß
die Mehrheit des Reichstages auch in Zukunft nichts
thun wird, um die Amtsführung des Fürsten Hohen-
lohe, dessen still-beharrliches Ankämpfen gegen impul-
sive Entschlüsse, phantastische Pläne und verfehlte
Maßregeln von der Rachwelt weit mehr anerkannt
werden dürfte, wie von der Jetztzeit, irgendwie zu
erschweren. Aber die Zeit ist vorbei, wo diese Mehrheit
geneigt ist, besondere Opfer zu bringen, um die Weiter-
führung der Reichskanzlerschaft deS Fürsten Hohen-
lohe oder irgend eines sonstigen Reichkanzlers zu er-
möglichen. Kein Zweifel darf daher fortan auch
darüber herrschen, daß die Mehrbeit des Reichstages,
insbesondere dar Centrum in Zukunft bei ihrer
Stellungnahme nur noch ausschließlich durch sachliche
Gründe sich leiten zu lassen gesonnen ist, ohne jede
Rücksicht darauf, ob eine solche streng sachliche Politik
die Stellung des einen oder andern der leitenden
Persönlichkeiten im Reich m'S Schwanken bringen
könnte.
Wenn aus einer solchen streng sachlichen Politik
Wirkungen entstehen sollten, welche persönliche Rück-
wirkungen unerfreulicher Art zeitigen könnten, so wird
an solchen Rückwirkungen nicht das Centrum oder die
jetzige Reichstags-Mehrheit schuld sein, sondern die
Verantwortlichkeit fällt auf diejenigen Instanzen, welche
eS nicht verstanden haben, das bisherige große Ent-
gegenkommen des Centrums und der gejammten Mehr-
heit des Reichstages richtig zu verstehen und zu
würdigen. Das ist nichts wie der natürliche Reflex
Der Reichstag
am 7. ds. in die Ferien gegangen, nachdem er
M Handelsgesetzbuch ohne besondere Schwierigkeiten
'N dritter Lesung durchberathen und im Anschluß an
in Resolutionen noch eine Reihe werthvoller
Antzgeberischer Anregungen gegeben hat. Die Session
^ar bisher au Arbeit, Schwierigkeiten und Aufreg-
ungen überreich. Trotzdem darf man mit ihren biS-
dkrigkn Erfolgen durchaus zufrieden sein. Der Etat
M rechtzeitig fertig geworden, obwohl die Verhand-
lungen über bessere Versorgung der Kriegs Teilnehmer
und über die Marine-Forderungen ungewöhnlich kiel
Art und Mühe in Anspruch genommen haben.
. Wenn die Verhandlungen über beide Gegenstände
scharfer Zuspitzung der Gegensätze schließlich
nyne nachhaltige Störungen verlaufen konnten, so
Mührt das Verdienst dafür in erster Linie der ver-
Mstigen Selbstbeschränkung und Besonnenheit des
A'lchStages, anderseits aber auch dem einsichtsvollen
z Utgegenkouimen der gegenwärtigen leitenden ReichS-
uchörden, denen ihre Stellung durch allerhand jenseits,
Außer und neben der geraden constitutionellen Straße
Tagende Einflüsse zu Zeiten aus'S äußerste erschwert
Mrde. Der Reichstag hat vor dem Amtsantritt des
Mrsten Hohenlohe manches gethan, um Männern,
veren Antheil an der Reichs-Politik er für erwünscht
uvd verdienstvoll hielt, die Fortführung ihres Amtes
AM zu erschweren, also gewissermaßen aus persön-
^Mn Gründen, die allerdings mit sachlichen Erwäg-
2) Leidvoll und freudvoll. AL
Novelle von L- v- Neid egg-
.... Mit Tbränen in den Augen sah die Tochter zu ihr
d>» ruckte um ihre Mundwinkel; sie versuchte ju reden,
i,!?, «ehle war ihr wie zugeschnürt. Wie ein kleines Kind,
-w? ^u> Schmer» zur Mutter flüchtet, legte sie den Kopf
bn! r Ruhebett und schluchzte laut auf: „Noch immer
Al m» Besuch Verschlimmerung Deine- Zustande» bedeu-
t--aus.
ivn >>^u bist mein Alles auf dieser Welt, Mutter. Was
" M Mr werden, wenn Du mir genommen wirst!"
lvn.« - der preßte die Kranke die Hand auf da» Her» und
einen klagenden Blick zum Himmel. Dann beugte sie
"ch über die Tochter und streichelte ihr Haar und Gesicht-
»Aott rst der Vater der Verlassenen und Waisen!"
er -Er wird auch Dich nicht verlassen, sollte
zv-Mchlossen haben, mich zu sich zu nehmen. Wenn fein
AM uns trennt, so bedenke, daß selbst der Tod diejenigen
i„N äu scheiden vermag, vie im Denken und Füdlen so
Ian» verbunden waren, wie Du und ich, mein Kind. So
.man sich «ns weiß mit seinen Äorangeganaenen,
man die Stütze ihres Arme» noch zu empfinden,
Ur auch länkst vahin sind. Du wirft da» an Dir
meine Anna. Jetzt aber, da wir einander noch
laß uns Alles thun, um den Abschied, hinauszu-
?- : - 3bre Stimme brach; regungslos und stumm
sie einige Minuten da.
Nnt. M fragte sie in ruhigerem Tone: „Was hat der
thun beschlossen? Wo ist er jetzt?"
L-n ch hier geblieben. Ich habe ihn auf mein Stüb-
AMuffuhrt," antwortete Anna- „Zufällig kam die Auf-
»«herein; die mußte sogleich eine Flasche Wein
AM', Als der Vater die hatte," setzte sie mit unsäglicher
hmzu, „erklärte er sofort, meiner nicht weiter »u
ein .^Hwire Schritte wurden auf dem Gange hörbar, und
der breitschulteriger Mann erschien in der Thür:
r Baron v. Neudingen. Wohl war seine Frau auf eine