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Pfälzer Volksblatt: Organ für Wahrheit, Freiheit & Recht — 1.1897

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Mai 1897
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Nr. 115
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https://doi.org/10.11588/diglit.42846#0476

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Wir wollen auch angesichts des Kommende« unsere
politische bezw. staatliche Inferiorität gerne tragen.
Das kommende Unheil wird nicht unsere Schuld sein,
i« Gegentheil ihm wird gerade in Folge der Stellung,
die wir haben, nach Kräften gewehrt werde» zu
Nutzen des Staates und unserer Gesellschaft.

Die Delegirten-Verlsmnüung der Cen-
trumspartei in Freiburg.
Die am letzten Mittwoch im kathol. Vereinshause
abgehaltene Versammlung war sehr gut besucht und
nahm einen schönen Verlauf. Im Lauft des Vormit-
tags fand eine vertrauliche Besprechung statt, in wel-
cher die Verhältnisse in den einzelnen Bezirken, die im
nächsten Herbst zur Wahl stehen, die Kandidatenfcage
und anderes mehr sehr eingehend erörtert wurden.
Die Landtagsabgeordneten waren fast alle erschienen;
diejenigen, welche zugleich ein ReichStagSmandat inne
Haden, weilen zur Zeit in Berlin. So kam er, daß
nur Herr Land- und Reichstags rbgeordneter Max
Reichert anwesend war. Wie bekannt gegeben wurde,
beabsichtigt Frhr. v. Buol ein Landtagsmandat nicht
wieder anzunehmen, da er durch die Geschäfte des
Reichstagspräsidiums vollauf in Anspruch genom-
men ist.
Die eigentliche Delegirtenversammlung begann am
Nachmittag gegen halb 3 Uhr. ES waren gegen 300
Delegirte aus allen Theilen des Landes erschienen,
eine Zahl, die wohl bis jetzt aus keinem einzigen De-
legirtentag erreicht worden ist. Das dürfte wohl ein
schlagender Beweis dafür sei, daß man sich in ka-
tholischen Kreisen der Wichtigkeit der kommenden Land-
tagSwahlen vollständig bewußt ist.
Der Vorsitzende der CentralkomiteS, Herr Kauf-
mann Wilhelm Fischer begrüßte die Erschienenen
mit herzlichen Worten und drückte den Wunsch aus,
daß die Verhandlungen einen guten Verlauf nehmen
und der gemeinsamen Sache von Nutzen sein möchten.
Hierauf gab er eine Uebersicht über den Stand der
Parteikasse; derselbe ist, wie sich aus seinen Darleg-
ungen ergab, ein verhältnißmäßig günstiger. Redner
machte aber, mit Recht darauf aufmerksam, daß uns
im Herbst die Landtagswahlen und im künftigen Jahre
die ReichStagSwahlen bevorstrhen; da selbstverständ-
lich hierdurch größere Aufwendungen bedingt seien,
so sei es am Platze, erheblichere Mittel zu beschaffen.
Möge ein Jeder nach Kräften sein Schärflein beitra-
gen ; denn Wahlen kosten, wie der Redner mit Recht
hervo'hob, Geld, viel Geld.
Nunmehr ergriff Herr Geistlicher Rath Wacker
da- Wort, um sich in längeren Ausführungen über
die politische Lage in Baden zu verbreiten. Redner
schilderte zunächst das Verhalten der badischen Regier-
ung zur CentrumSpartei und streifte dabei auch die
so ungebührlich lang andauernde Verwaisung des Erz-
bischöflichen Stuhles. Wenn das Verhalten der Re-
gierung auch nicht mehr jenem während der heißen
Kulturkampfszeit gleiche, so erscheine eS doch angezeigt,
etwaige wohlwollende Versicherungen des Ministeriums
Nokk nicht mit größerem Vertrauen entgegeuzunehmen,
als es nach den bis jetzt gemachten Erfahrungen ge-
boten sei. Weiterhin wurden die einzelnen Parteien
einer eingehenden Kritik unterworfen und die prinzi-
pielle und taktische Stellungnahme der CeutrumS zu
den übrigen in Betracht kommenden Parteien präci-
sirt. Hierauf berührt Redner die obschwebenden kir-
chenpolitischen Fragen und legte dar, daß an den
eigentlichen kulturkämpferischen Gesetzen, die in Baden
geschaffen worden seien, im Grunde genommen nichts
oder doch wenig geändert worden sei; nur in der
Anwendung, in der Ausführung dieser Gesetze werde
jetzt eine andere Taktik von der Regierung beobachtet
als früher. Wenn man gewissen Wünschen der Kir-
chenregirrung entgegengekommen sei, so habe sie dies
nur durch erhebliche Zugeständnisse ihrerseits erreichen
können. Nachdem Redner sodann die wichtigsten
Aufgaben des nächsten Landtages vorgeführt, so die
bisher unerledigt gebliebene Frage der Wahlrechts,
der Wahlkreiseintheilung rc. rc., gab er eine kurze
Uebersicht über die in Betracht kommenden Wahlbezirke
und scyloß mit der Aufforderung, alle Kräft einzusetzeu,
um dieser Mal die nationalliberale Mehrheit deS
Landtags zu brechen.
Der hier nur in ganz kurzen Zügen skizzirte Vor-
trag der Herrn Wacker wurde wiederholt durch Bei-
Mrbezeugungen unterbrochen und am Schluffe gab sich
eine wahrhaft begeisterte Zustimmung kund, die den
Beweis lieferte, daß es der Redner verstanden hatte,
so recht aus dem Herzen der Zuhörer heraus zu
sprechen.
Hierauf folgte die Wiederwahl des bisherigen
CentralomiteS.
Im weiteren Verlaufe ergriff Herr Landgerichts-
rath Lauck das Wort, um das Thun und Treiben
einer gewissen Presse gründlich zu beleuchten, die ihre
Lebensaufgabe darin erblickt, von einem tiefgehenden
Zwiespalt innerhalb der CentrumSpartei zu fabeln u.
die einzelnen Fraktionsmitglieder gegeneinanderzuhetzen
und den Führer der Partei, Herrn Wacker, zu ver-

lästern und zu verdächtige». Man habe sogar die
Unverfrorenheit besessen, den einzelnen Abgeordneten
ZeitungSnummern mit diesen Schmähartikelu zuzusen-
den. Die Partei sei in allen wichtigen Fragen von
prinzipieller Bedeutung einig gewesen. Redner wünschte
weiter nichts, als daß der Leiter der „Badische«
Landpost" in der Versammlung anwesend gewesen
wäre, um Zeuge zu sein von der rückhaltslosen und
glänzenden BertrauenSkundgebung, die alle Delegirte»
mit seltener Einmüthigkeit dem Führer der Partei und
dem Chef der Fraktion hiermit ertheilten. Donnern-
der Beifall folgte diesen zündenden Worten.
Nachdem hierauf Herr Wacker noch Gelegenheit
genommen hatte, gewisse Machenschaften, die in Blät-
tern verschiedener Parteirichrung schon seit geraumer
Zeit systematisch gegen ihn vollführt werden, zu be,
leuchten, sprach Herr Abg. Schüler in glänzender,
echt volksthümlicher Rede über die kommenden Wahlen
und die für dieselben nothwendige Arbeit.
Hierauf sprach noch Herr Robert Hutter sehr
packend über den Volksverem. Er wurde eine Neu-
organisation vorgeschlagen und nach eingehender De-
batte angenommen.
Nach Erledigung der weiteren Gegenstände der
Tagesordnung wurde der Delegirtentag vom Vorsitzen-
den mit der Aufforderung, daß Jeder an seinem Platze
seine volle Schuldigkeit thuu möge, geschlossen.

Deutsches Reich.
* Berlin, 20. Mai. Die Kommission der Ab-
geordnetenhauses lehnte mit 15 gegen 13 Stimmen
die Artikel 1 und 3 des Vereinsgesetzes ab.
* Berlin, 20. Mai. Die Vereinsgesetz-
kommiffion deSMgeordnetenhauseS.lehnte mit 19 ge-
gen 9 Stimmen den Antrag Heydebrand ab, wonach Ver-
sammlungen, deren Zweck den Strafgesetzen zuwider-
läuft oder von denen auf Grund von Thatsacheu an-
zunehmen ist, daß sie die öffentliche Sicherheit, ins-
besondere die Sicherheit deS Staates und der öffent-
lichen Ordnung gefährden würden, von des LanbeS-
polizeibehörde verboten werden können. Artikel 2,
ebenso Absatz 1 und 2 des Artikel 4, betr. das Ver-
bot der Theilnahme Minderjähriger an politischen
Versammlungen, die Aufnahme derselben in politische
Vereine und Ausnahme dieses Verbotes für Minder-
jährige und Frauen bei geselligen Bereinigunge«, wur-
den angenommen.
* Wiesbaden, 20. Mai. Der Kaiser übersandte
aus Anlaß des HinscheidenS der Geheimen Kommer-
zienrathS Baare in Bochum der Familie der Verstor-
benen ein Beileidstelegramm und beauftragte den Re-
gierungspräsidenten Winzer in Arnsberg mit feiner
Vertretung bei der Beerdigung.
* Trier, 20. Mai. Der ErbgroßHerzog
von Baden stattete heute Nachmittag im Lazareth
den bei dem Eisenbahnunfalle bei Gerolstein verletzten
Soldaten einen Besuch ab.
* Darmstadt, 20. Mai. Dem hessischen Landtag
ging eine Vorlage zu, in der gemäß dem Staatsver-
trag zwischen Hessen und Preußen M. 2,350,000 für
die Herstellung deS zweiten Geleise- auf den Strecken
der Eisenbahnlinie Frankfurt-Mannheim ge-
fordert werden, die bisher noch eingeleistg find. Ebenso
soll auf der Verbindungsbahn zwischen den Stationen
Großgerau und Dornberg-Großgerau ein zweiter Ge-
leis hergestellt werden. ES handelt sich um 40.44
Kilometer Bahnlänge, deren doppelgeleisiger Ausbau
den Verkehr zwischen Frankfurt-Mannheim fördern u.
den Betrieb sicherer gestalten wird.

Deutscher Reichstag.
Berlin, 20. Mai.
Am BundeSrathStische Staatssekretär v. Marschall.
Der Reichstag überwies ohne Debatte den Nach-
tragSetat betr. Remuneration an Beamte der aus-
wärtigen Amte- an die Budgetkommission.
Bei der dritten Berathung deS Antrages Rickert
betreffend dar Vereinsgesetz bemerkt
Abg. Ahlwardt, von der preußischen Vereinsge-
Novelle würde die antisemitische Partei vielleicht am
schärfsten betroffen. (Redner wird vom Präsidenten
wiederholt zur Sache gerufen.) Er bittet schließlich
den Antrag Rickert mit möglichst großer Majorität
anzunehmen.
Abg. Lerno (Ctr.) bespricht da- bayerische Vereins-
recht, das mit dem preußischer» Entwurf nicht zu
vergleichen sei.
Vertreter der BundeSrathS sind bei der Berathung
des Antrages Rickert nicht anwesend.
Abg. Werner (Reformp.) kritisirt das Vorgehen
des Grafen Hohenthal in der vorgestrigen Sitzung u.
bedauert, daß Sachsen solche Vertreter im Bundesrath
habe.
Präsident v. Buol weist diesen Ausdruck als un-
geeignet zurück.
Abg. Werner fährt fort, der preußische Landtag
sei als einseitige Klassenvertretung nicht maßgebend.
Den Versprechungen der Regierung könnte kein Glau-
ben mehr geschenkt werden.
Abg. Hilbert (bayr. Bauernd.) äußert sich über

die scharfe Handhabung deS bayrischen Vereinsgesetz^
gegen seine Partei.
Der Antrag Rickert wird hierauf gegen die StiE"
der konservativen Partei angenommen. ...
Abg. Prinz Hohenlohe (der Sohu deS Reich»
kanzlerS) stimmt für den Antrag. .
Hierauf folgt die Fortsetzung der zweiten BeratY'
ung des Gesetzentwurfes betr. die Abänderung de»
Gewerbe-Ordnung (Handwerkervorlage.)
Die Berathung beginnt mit § 81d. .
Abg. Brübne (Soz.) befürwortet den Antrag A"e»
zu § 81b, Ziffer 3: „Den Innungen steht zu, Kranke"
kaffen zur Unterstützung ihrer Mitglieder, Gesellen
Arbeiter u. s. w. zu errichten" und Ziffer 4: «Den
Innungen steht es frei, Schiedsgerichte zu errichte"-
welche Streitigkeiten zwischen Meistern Gesellen E
an Stelle der sonst zuständigen Behörden znr AN
scheidung anzurufen" sind zu streichen. Bei Ableh"
ung des Antrages möge der Eventualantrag Auer a"'
genommen werden, wonach die Errichtung pon Schied»
gerichten und Krankenkassen, Innungen, nur der
uehmigung der Verwaltungsbehörden bedürfen,
der Majorität der voraussichtlich dem BeitrittSzwa"S
Unterworfenen.
Hitze (Cetr.) spricht gegen die Streichung de»
JnuungSkassen und JnnungSschiedSgerichte, obwohl,A
zugeben müsse, daß die Gewerbegerichte segenSrecc?
gewirkt hätten. Redner bittet um Ablehnung d"
sozialdemokratischen Anträge. — Richter (Fr. Vp )'
Hinter den Anhängern des Gesetzes steht nur e>"
Bruchtheil der Handwerker, ja sogar nur ein The»
der Innungen. Besondere S chiedsgerichte für einzelne
Innungen seien unzeitgemäß. Unter Ablehnung der
Anträge Auer wird 8 81b. in der KommiffionSfassE
angenommen. Nach unerheblicher Debatte, an welche»
sich eine große Reihe Abgeordneter betheiligen, werde"
unter Ablehnung mehrerer freisinniger und soztm'
demokratischer Anträge die Paragraphen 82 bis 89"
in der Kommissionsfasiung angenommen.
Darauf vertagt sich daSHau- auf morgen iE
Rest der heutigen Tagesordnung. 2. Berathung de»
ServiStarifS. 2. Berathung der BesoldungSverbesstr'
ungen und NachtragSetat.

Ausland.
* New Nork, 21. April. In Chicago stehe"
angeblich nicht weniger als 2200 kleine Läden leer,
und in Folge der von ihren ehemaligen Besitzern ei"'
gereichten Gesuche hat der Staats-Senat von Illinois
mit 39 gegen 4 Stimmen einen Gesetzentwurf ange'
nommen, der die großen Ausverkaufs- und Wander»
Läden mit einer hohen Steuer belegen will.
Vom Kriegsschauplatz.
* Loudon, 20. Mai. Nach einer Meldung der
„Daily News" hatten gestern die Kommandanten der
türkischen Vorhut in Thessalien nur einen 24stündlge"
Waffenstillstand angenommen, um weitere «e,
fehle des Oberkommandos abzuwarten. ES sande"
trotzdem Gefechte bei Furka statt, in Folge deren d»
Griechen sich nach dem Oeta und den Thermopyle"
zurückzogen. Alle Truppen in Athen gingen gester"
unter dem Befehle de» Obersten VassoS nach de"
Thermopylen ab.
* Athen, 20. Mai. Hier herrscht große Erreg'
ung. Das Ministerium hielt eine lange Berw
thung ab und beschloß, daß die Minister des Innen»
und deS Unterrichts nach StyliS abreisen sollten,
zur Hebung deS Geistes der Armee beizutragen """
bei der Formirung derselben vor den Thermopyle"
mitzuwirken. — Die Panik, welche gestern in LE
herrschte, rief Scenen hervor, die denen in Larisl"
ähnlich waren.
* Athen, 20. Mai. Die griechische AbordanG
ist mit Seifullah Pascha zusammengetroffen. DM
erklärte, er werde den Waffenstillstandsvorschlag Edhe>"
Pascha übermitteln und willige in Erwartung weitere»
Anweisungen in die Einstellung der Feindseligkeiten
für 24 Stunden ein.
* Konstantinopel, 19. Mai. Nach einer DepeM
der Blattes „Sabah" erschienen türkische Trupps"
gestern Nachmittag vor Domokos und rückten »""»
den Klängen des Hamidji-MarscheS in die Stadt em-
Der Widerstand der Griechen war heftig und
Verluste groß. Der Rückzug der Griechen glich eine»
Panik. I» dem besetzten Gebiete herrscht vollkommen
Ruhe. Die telegraphische Verbindung mit Trikala«-
Karditza ist hergestellt. Die türkischen Blätter feier"
begeistert die Einnahme von DomokoS und Halmyr"
und heben hervor, daß die Einnahme dieser Orte ge
rade an dem Tage erfolgt ist, wo vor 20 Jahreu »e
Sultan den Namen Ghazi angenommen hat.
* Loudon, 20. Mai. Wie der „Tim-S" "US
Konstantinopel gemeldet wird, hat der Sultan vom
Kaiser von Rußland ein Telegramm erhalten, in dem
der Kaiser dem Sultan für die Einstellung der Fem"
seligkeiten dankt. , -
* Konstantinopel, 20. Mai. Die der Türkte
durch den Krieg bisher erwachsenen Kosten berew
nen sich folgendermaßen: Für Militärtransporte hl"
 
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